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Straßenunterhaltungsarbeiten an unübersichtlicher Stelle – Verkehrsunfall


 Oberlandesgericht Frankfurt/Main

Az: 1 U 300/08

Urteil vom 08.07.2009


Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines am ….2004 erlittenen Motorradunfalls. Der Beklagte zu 1), ein Straßenmeister im Dienst der Beklagten zu 2), stellte einen Lkw der Straßenmeisterei am Beginn einer langgezogenen – in Fahrtrichtung des Lkw – Linkskurve ab. An dieser Stelle wies die Fahrbahn eine durchgezogene Mittellinie auf. Die Beklagte zu 3), deren Kfz-Haftpflichtversicherung die Beklagte zu 4) ist, überfuhr mit ihrem Pkw diese Mittellinie, um den Lkw zu überholen. Während des Überholvorgangs kamen ihr der Sohn des Klägers und dahinter der Kläger auf Motorrädern auf der Gegenfahrbahn entgegen. Während der Sohn des Klägers trotz des Überholvorgangs das Fahrzeug der Beklagten zu 3) passieren konnte, versuchte der Kläger zu bremsen, stürzte dabei und zog sich erhebliche Verletzungen insbesondere am linken Knie zu. Der Schadensersatzanspruch hat sich zunächst nur gegen die Beklagten zu 1) und 2) und nur auf den Fahrzeugschaden nebst Gutachterkosten und auf Feststellung wegen weiterer materieller und immaterieller Schäden gerichtet. Mit Schriftsatz vom 10.02.2005, beiden zugestellt am 01.03.2005, hat der Kläger diese Klage auf die Beklagten zu 3) und 4) ausgedehnt. Mit Schriftsatz vom 22.05.2006, den Beklagten zu 1) und 2) zugestellt am 23.06.2006 und den Beklagten zu 3) und 4) am 22.06.2006, hat der Kläger darüber hinaus seine Klage wegen des materiellen Schadens auf einen Betrag von insgesamt 16.913,10 Euro erweitert, außerdem hält er ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von mindestens 25.000 Euro für angemessen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage gegen die Beklagten zu 3) und 4) als Gesamtschuldner im Umfang eines Schmerzensgeldes von 20.000 Euro und im Umfang materieller Schäden zu einem Betrag von 13.615,90 Euro stattgegeben. Die gegen die Beklagten zu 1) und 2) gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Auch insoweit wird auf die Einzelheiten des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen das Urteil haben die Beklagten zu 3) und 4) sowie auch der Kläger Berufung eingelegt.

Die Beklagten zu 3) und 4) wenden sich gegen eine ihnen auferlegte Haftung zu 100%; sie halten eine Haftung lediglich im Umfang von 2/3 für angemessen, während der Kläger sich einen Mitverschuldens- und Mitverursachungsanteil von 1/3 zurechnen lassen müsse. Wegen der Einzelheiten wird auf ihren Schriftsatz vom 18.11.2008 (Bl. 705 ff d.A.) verwiesen.

Der Kläger verfolgt zum einen seine Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) weiter. Er ist der Auffassung, dass auch diese in vollem Umfang als Gesamtschuldner mit den Beklagten zu 3) und 4) für den Unfall einzustehen hätten. Darüber hinaus hält er weiterhin einen Schmerzensgeldanspruch von weiteren 5.000 Euro, also von insgesamt 25.000 Euro, für angemessen. Von den vom Landgericht nicht anerkannten Schadenspositionen verfolgt er einen Nutzungsausfallschaden für das Motorrad in Höhe von 924 Euro weiter; darüber hinaus wendet er sich gegen einen vom Landgericht vorgenommenen Abzug an ersparten Haushaltsaufwendungen in Höhe von 5 Euro für jeden Tag seiner Aufenthalte in Krankenhäusern und Reha-Kliniken, insgesamt 525 Euro. Wegen der Einzelheiten seines Sachvortrags wird auf seine Schriftsätze vom 24.11.2008 (Bl. 710 ff d.A.) sowie vom 31.03.2009 (Bl. 710 ff d.A.) und 08.07.2009 (Bl. 797 f d.A.) verwiesen.

Die Beklagten zu 3) und 4) beantragen,

1. unter Abänderung des am 10.09.2009 verkündeten Urteils des Landgerichts Wiesbaden, Geschäftsnummer 5 O 379/04, das Urteil insoweit aufzuheben, als die Beklagten zu 3) und 4) als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, an den Kläger einen über 9.077,27 Euro hinausgehenden Betrag nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz aus 5.360,99 Euro seit dem 01.03.2005 und aus 3.716,28 Euro seit dem 22.06.2006 sowie ein über den Betrag von 13.500 Euro hinausgehendes Schmerzensgeld zu zahlen,

2. unter Abänderung des am 10.09.2009 verkündeten Urteils des Landgerichts Wiesbaden, Geschäftsnummer 5 O 379/04, das Urteil insoweit aufzuheben, als festgestellt wurde, dass die Beklagten zu 3) und 4) verpflichtet sind, dem Kläger ein über einen Haftungsanteil in Höhe von 2/3 hinausgehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 27.07.2004 in … entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Kläger beantragt,

1. die Berufung der Beklagten zu 3) und 4) zurückzuweisen,

2. die Beklagten zu 3) und 4) zu verurteilen, an den Kläger über den durch das Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 10.09.2008, AZ.: 5 O 379/04 zugesprochenen Betrag von 13.615,90 Euro hinaus weitere 1.449,00 Euro, also insgesamt 15.064,90 Euro, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.360,99 Euro seit dem 01.03.2005 (Rechthängigkeit der Klage) und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 9.703,91 Euro (15.064,90 Euro abzüglich 5.360,99 Euro) seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung vom 22.05.2006, also seit dem 22.06.2006, sowie über die bereits mit Urteil vom 10.09.2008 des Landgerichts Wiesbaden, AZ.: 5 O 379/04 zugesprochenen Schmerzensgeldansprüche in Höhe von 20.000,00 Euro hinaus zumindest weitere 5.000,00 Euro Schmerzensgeld sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Gesamtschmerzensgeldbetrag seit dem 22.06.2006 zu zahlen.

3. Die Beklagten zu 1) und 2) in Abänderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 10.09.2008, AZ.: 5 O 379/04 als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 3) und 4) zu verurteilen, an den Kläger 15.064,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.360,99 Euro seit Rechtshängigkeit des Schriftsatzes vom 10.02.2005 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 9.703,91 Euro seit dem 23.06.2006 sowie über die bereits mit Urteil vom 10.09.2008 zugesprochenen Schmerzensgeldansprüche in Höhe von 20.000,00 Euro hinaus zumindest weitere 5.000,00 Euro Schmerzensgeld sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Gesamtschmerzensgeldbetrag seit dem 23.06.2006 zu zahlen.

4. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) bis 4) verpflichtet sind, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 27.07.2004 in … entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, bezüglich der Anträge zu 2) bis 4) mit der Maßgabe, dass sämtliche Beklagte als Gesamtschuldner haften.

Die Beklagten zu 1) und 2) sowie zu 3) und 4) beantragen jeweils,

die jeweilige Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagten zu 1) und 2) sind der Auffassung, sie hafteten dem Kläger nicht. Eine etwaige persönliche Haftung des Beklagten zu 1) für ein Fehlverhalten bei seiner als öffentlich-rechtlich einzuordnenden Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Unfallereignis sei gem. Art. 34 Satz 1 GG ausgeschlossen. Auch der Beklagte zu 2) hafte nicht, da kein zurechenbares Fehlverhalten des Beklagten zu 1) gegeben sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beklagten zu 1) und 2) vom 31.03.2009 (Bl. 769 ff d.A.) und vom 06.07.2009 (Bl. 793 f d.A.) verwiesen.

Die Beklagten zu 3) und 4) sind der Auffassung, eine Mithaftung der Beklagten zu 1) und 2) sei gegeben. Das zusätzlich zu dem vom Landgericht zugesprochene mit der Berufung geforderte Schmerzensgeld sei nicht gerechtfertigt, ebenso stünden dem Kläger die mit der Berufung weiterverfolgten beiden materiellen Schadenspositionen nicht zu. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten zu 3) und 4) vom 15.01.2009 (Bl. 730 ff d.A.) verwiesen.

Der Senat hat den Kläger gem. § 141 ZPO zur Sachaufklärung angehört und Beweis erhoben gem. Beweisbeschluss vom 08.07.2009 (Bl. 802 f d.A.) durch Vernehmung der Zeugen Z1 und Z2. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 08.07.2009 (Bl. 799, 803 ff d.A.) verwiesen.

II.

Beide Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Beklagten zu 3) und 4) hat keinen Erfolg, diejenige des Klägers hat teilweise Erfolg; sie führt zu einer Verurteilung auch des Beklagten zu 2) mit einer Haftungsquote zu 80 % und einem entsprechenden Schmerzensgeld als Gesamtschuldner mit den Beklagten zu 3) und 4) und zu einer Verurteilung der Beklagten zu 3) und 4) zu einem insgesamt etwas höheren Schmerzensgeld als vom Landgericht zuerkannt; außerdem war dem Feststellungsbegehren zu 80% auch gegenüber dem Beklagten zu 2) als Gesamtschuldner stattzugeben.

A. Die Berufung der Beklagten zu 3) und 4) hat keinen Erfolg. Denn es ist auf der Grundlage ihres Berufungsvorbringens nicht ersichtlich, dass das landgerichtliche Urteil zu ihren Lasten Rechtsfehler enthält oder konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bestehen (§ 513 ZPO), welche im Ergebnis zu einer Unrichtigkeit der Entscheidung führen.

In letztlich nicht zu beanstandender Weise ist das Landgericht im Rahmen der Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsanteile gem. § 17 Abs. 2 StVG für das Haftungsverhältnis des Klägers zu der Beklagten zu 3) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte zu 3) und mit ihr gem. § 3 PflVG die Beklagte zu 4) als deren Haftpflichtversicherung zu 100 % haften, während eine etwaige Haftung des Klägers zurücktritt.

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1. Eine – wie die Berufungsbegründung der Beklagten zu 3) und 4) auf S. 4 formuliert – „offenkundige Fehlreaktion“ des Klägers, welche zu dem Sturz geführt hat, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Sachverständige SV1 hat auf S. 13 seines Ausgangsgutachtens vom 04.04.2006 überzeugend hergeleitet, dass von dem Punkt der Fahrbahn aus, von dem aus der Kläger reagieren konnte, für ihn die gesamte Fahrbahn blockiert erschien; das Bremsen war demnach eine nachvollziehbare Reaktion. Darüber hinaus hat der Sachverständige auch herausgearbeitet, dass der Kläger ohne Zeitverzug reagiert und damit offenbar Schlimmeres verhütet hat. Aus der Tatsache, dass der vor dem Kläger fahrende Sohn des Klägers den Pkw der Beklagten zu 3), welcher sich auf seiner Fahrbahn befand, passieren konnte, lässt sich ebenfalls keine Fehlreaktion des Klägers herleiten. Denn der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass sich die Situation für den Sohn des Klägers optisch anders darstellte, da er die Kurve früher durchfuhr und er daher präziser wahrnehmen konnte, wo genau sich der Pkw der Beklagten zu 3) sich auf seiner Fahrbahn befand, so dass aus seiner Sicht rechts neben dem Pkw noch einen Freiraum verblieb.

2. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot „zur Mittellinie orientiert“ hätte. Die Blockier- und Bremsspuren, wie sie sich aus der polizeilichen Unfallskizze ergeben und vom Sachverständigen SV1 in sein Gutachten übernommen worden sind, zeigen, dass sich das Motorrad zum Zeitpunkt der Einleitung des Bremsvorgangs in der Mitte der Fahrbahnhälfte befand.

3. Dass der Kläger in der Kurve – so die Berufungsbegründung weiter – „mit absoluter Schräglage“ fuhr, begründet weder ein Verschulden noch eine erhöhte Betriebsgefahr; ein Motorrad lässt sich – wenn man nicht Schritt fährt – in einer Kurve nur in Schräglage fahren; andernfalls fährt es geradeaus.

4. Der Kläger muss sich auch nicht einen etwaigen Verstoß gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO zurechnen lassen. Zwar könnte ein solcher Verstoß in Betracht kommen, indem der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen SV1 mit ca. 60 – 70 km/h in die für ihn nicht voll einsehbare Kurve gefahren ist. Da der Sachverständige in für den Senat überzeugender, nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Kläger den Unfall hätte vermeiden können, wenn er lediglich mit 50 – 55 km/h gefahren wäre, ergäbe sich hieraus eine für die konkrete Verkehrssituation leicht überhöhte Geschwindigkeit. Diese Verhaltensweise braucht sich der Kläger aber nicht entgegenhalten zu lassen. Das Sichtfahrgebot wird nämlich durch den Vertrauensgrundsatz in der Weise begrenzt, dass ein Kraftfahrzeugführer nicht damit rechnen muss, dass ein Entgegenkommender mit einer ins Gewicht fallenden Geschwindigkeit auf ihn zufährt (vgl. Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 3 Rn. 4). Hier durfte der Kläger darauf vertrauen, dass die für ihn gut sichtbare durchgezogene Trennungslinie zwischen den beiden Fahrbahnen (Zeichen 295 zu § 41 Abs. 3 Nr. 3 a StVO) ihn vor einem entgegenkommenden Fahrzeug schützte.

5. Auch die Betriebsgefahr des vom Kläger geführten Motorrads hat rechtlich keine Quotelung der Haftung zur Folge. Zwar ist diese Betriebsgefahr wegen der grundsätzlich instabilen Situation von Motorrädern beträchtlich (vgl. Hentschel/ König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 17 StVG Rn. 7; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2004, DAR 2005, 217, 219; KG, Urt. v. 21.05.2001, NZV 2001, 34, 35). Dem steht aber ein besonders grober Verkehrsverstoß der Beklagten zu 3) gegenüber. Sie hat nicht nur an einer Stelle, die ihr nicht die nötige Sicht auf den Gegenverkehr bot, den vom Beklagten zu 1) abgestellten Lkw überholt, sondern dabei auch noch unter Verstoß gegen § 41 Abs. 3 Nr. 3 a StVO die durchgezogene Mittellinie der Fahrbahn überquert. Eine solche Mittellinie bringt faktisch ein Überholverbot zum Ausdruck, soweit die andere Fahrbahnhälfte in Anspruch genommen werden muss (Jagow/Burmann/ Heß, a.a.O., § 2 Rn. 92). Zwar mag es zulässig sein, diese Linie ausnahmsweise zu überschreiten und die Gegenfahrbahn in Anspruch zu nehmen, wenn auf der rechten Fahrbahnseite – wie hier – ein nicht nur ganz vorübergehendes Hindernis umfahren werden muss (BayObLG, Beschl. v. 30.09.1985, NJW 1986, 2718). Eine solche Befugnis besteht aber nur, soweit dies ohne eine Gefährdung des Verkehrs auf diesem Fahrstreifen möglich ist, der – zumal für die Beklagte zu 3) ersichtlich in einer Kurve – durch die durchgezogene Mittellinie geschützt wird. Eine derartige gefährdungsfreie Situation stellte sich der Beklagten zu 3) aber gerade nicht dar; vielmehr überholte sie den Lkw offenbar ohne hinreichende eigene Prüfung der Verkehrssituation, nachdem das Fahrzeug vor ihr ebenfalls überholt hatte. Gegenüber diesem besonders groben Verkehrsverstoß der Beklagten zu 3) darf die mit dem Motorrad des Klägers verbundene Betriebsgefahr zurücktreten.

B) Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.

1. Eine Haftung des Beklagten zu 1) ist rechtlich nicht gegeben, eine solche des Beklagten zu 2) ist mit einer Haftungsquote von 80 % zu bejahen.

a) Bezüglich einer Haftung der Beklagten zu 1) und 2) teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts nicht, dass das Unfallgeschehen nicht dem Verhalten des Beklagten zu 1) zugerechnet werden könne. Das vom Landgericht zur rechtlichen Begründung herangezogene Urteil des BGH vom 16.02.1972 (NJW 1972, 904 [NJW 1982 ist ein offenbares Schreibversehen] = BGHZ 58, 162 [„Grünstreifenfall“]) ist nicht einschlägig, da es eine andere Art von Risikoverteilung zum Gegenstand hat als hier anzunehmen ist. Dort war das Unfallgeschehen beendet, als es zur Beschädigung der Grünfläche durch andere Autofahrer kam, welche die Unfallstelle umfahren wollten; der BGH hat deshalb angenommen, dass das, was sich nach dem eigentlichen Unfallgeschehen ereigne, nicht mehr in den Pflichtenkreis des den Unfall verursachenden LKW-Fahrers falle (a.a.O., juris Rn. 16). Im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt dauerte aber die Gefahrenlage, welche durch das Abstellen des Lkw auf der rechten Fahrbahn entstanden war, gerade an, und der Beklagte zu 1) hatte die Möglichkeit, auf die Gefahrenlage einzuwirken; in derartigen Fällen ist der Schaden auch zu ersetzen, wenn er erst durch das Dazwischentreten eines Dritten verursacht wird (s. MünchKomm-BGB-Oetker, 5. Aufl. 2007, § 249 Rn. 151, 152 m.w.N.).

b) Allerdings ist die Klage, soweit sie sich weiterhin gegen den Beklagten zu 1) richtet, unbegründet, da dieser nicht gegenüber dem Kläger haftet. Passiv legitimiert wäre aufgrund einer schuldhaften Pflichtverletzung des Beklagten zu 1) nach dem Haftungssystem des Art. 34 GG/§ 839 BGB ausschließlich der Beklagte zu 2), da sich das Unfallgeschehen bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeit durch den Beklagten zu 1) ereignet hat.

Der Senat hat keinen Zweifel, dass sich der Beklagte zu 1) mit seinem Straßenmeistereifahrzeug auf einer Dienstfahrt befand. Zwar war durch den Sachvortrag des Beklagten zu 2) zunächst nicht ganz deutlich geworden, welche Aufgabe konkret durch das Straßenmeistereifahrzeug erledigt werden sollte, ob ein Ast, welcher in die Fahrbahn ragte, abgeschnitten werden oder entsprechend einem Auftrag der Straßenmeisterei Astwerk aufgeladen werden sollte. Aus der Tatsache, dass nach den Angaben der Beklagten zu 3) in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2005 und des Zeugen Z3 – inzwischen unstreitig – hinter dem Lkw ein Warnschild über Straßenarbeiten aufgestellt war und der Beklagte zu 1) nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2005, gestützt durch die Angaben der Beklagten zu 3), in Höhe des Führerhauses des Lkw mit dem Bediengerät für den auf dem Fahrzeug befindlichen Kran hantierte, entnimmt der Senat, dass jedenfalls Straßenunterhaltungsarbeiten beabsichtigt waren; für eine nicht dienstlich veranlasste Tätigkeit gibt es keinen Anhaltspunkt. Den Vermerk im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2008 (Bl. 577, 578 d.A.), dass zwischen dem Klägervertreter und dem Vertreter der Beklagten zu 1) und 2) Einigkeit bestehe, dass das Fahrzeug Astwerk habe aufnehmen sollen, wertet der Senat trotz der nachfolgend wiedergegebenen Ausführungen des Klägervertreters zum widersprüchlichen Vortrag der Beklagten zu 1) und 2) dahin, dass jedenfalls zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 1) und 2) unstreitig geworden ist, dass Strassunterhaltungsarbeiten erfolgen sollten. Die Behauptung des Klägers, der auch insoweit als Zeuge benannte Z2 habe später keine frische Schnittstelle eines Astes feststellen können, ist demgegenüber unerheblich, eine ergänzende Einvernahme des Zeugen daher insoweit nicht angezeigt.

Der Beklagte zu 1) nahm mit seinem Tätigwerden als Straßenmeister eine Aufgabe zur Erfüllung der Straßenunterhaltspflicht seines Dienstherrn wahr. Die Straßenunterhaltspflicht an Bundesstraßen ist den Ländern als Auftragsangelegenheit übertragen, es handelt sich um eine hoheitliche Aufgabe (BGH, Urt. v. 04.06.1956, BGHZ 21, 48 [juris Rn. 7]; Urt. v. 27.01.1977, BGHZ 68, 217 [juris Rn. 14 f]; Urt. v. 26.10.1978, BGHZ 72, 289 [juris Rn. 15 f]; Staudinger-Wurm, BGB, 2007, § 839 Rn. 87 und 700). In einem derartigen Fall haftet gem. Art. 34 Satz 1 GG/§ 839 BGB nicht der handelnde Amtsträger – hier der Beklagte zu 1) -, sondern ausschließlich dessen Dienstherr – also der Beklagte zu 2) -, auf den die Haftung übergeleitet ist. Zu dessen Gunsten ist das Haftungsprivileg des Vorrangs einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit gem. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB hier nicht anwendbar; denn das Haftungsprivileg greift nicht ein, wenn die Amtspflichtverletzung – wie hier – im Zusammenhang mit der Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr zu sehen ist (st. Rspr. seit BGH, Urt. v. 27.01.1977, BGHZ 68, 217 [juris Rn. 18 ff]). Da die beabsichtigte Tätigkeit als Straßenunterhaltungsmaßnahme einzuordnen ist, spielt es rechtlich keine Rolle, dass die Straßenverkehrssicherungspflicht, welche sich ausschließlich auf Schäden aus der Gefahrenlage bezieht, die von öffentlichen Straßen ausgeht (s. zur Abgrenzung BGH, Urt. v. 04.06.1956, BGHZ 21, 48 [juris Rn. 6]), in Hessen privatrechtlich einzuordnen ist.

c) Einen fahrlässigen Pflichtenverstoß des Beklagten zu 1), für welchen der Beklagte zu 2) einzustehen hat, sieht der Senat in Folgendem: Der Lkw war am Eingang einer Kurve abgestellt, die durch den Verkehr in beiden Richtungen nicht voll eingesehen werden konnte. Es war daher, worüber inzwischen Einigkeit besteht, erforderlich, in beiden Richtungen Warnschilder über Straßenarbeiten aufzustellen. Unstreitig war dies im Zeitpunkt des Unfalls nur oder erst hinter dem Lkw geschehen, während aus der Richtung, aus der sich der Kläger näherte, ein Warnschild nicht aufgestellt war. Nach den Angaben des Zeugen Z3 hatte dieser das Warnschild in Fahrtrichtung des Lkw aufgestellt, sodann war der Lkw weiter vorgerückt in Richtung Kurveneingang bis zu dem Punkt, an dem er stand, als sich der Unfall ereignete. Hieraus ergab sich eine erhebliche Gefahrenerhöhung, solange das zweite Warnschild für den Gegenverkehr nicht aufgestellt, also der Gegenverkehr ungesichert war. Denn das Straßenmeistereifahrzeug blockierte die gesamte Richtungsfahrbahn. Dass ein Autofahrer – wie dies die Beklagte zu 3) getan hat und vorher noch ein weiteres Fahrzeug – die durchgezogene Mittellinie überfahren würde, um an dem stehenden Straßenmeisterei-Fahrzeug vorbeizufahren, liegt innerhalb des Bereichs des Vorstellbaren für einen Straßenmeister und war daher vorhersehbar; dass es bei einem solchen Vorgang zu einem Begegnungsunfall kommen könnte, ist als adäquat kausal anzunehmen. Es hätte daher zwei Möglichkeiten gegeben, die Gefahrenlage zu vermeiden oder sie zu entschärfen. Zum einen bestand kein sachlicher Grund dafür, mit dem Lkw bis in den Beginn des Kurvenbereichs vorzurücken, solange das Warnschild für den Gegenverkehr noch nicht aufgestellt war. In der mündlichen Verhandlung bestand Einigkeit, dass das Warnschild kein hohes Gewicht hatte, also von einer Person allein ohne weiteres auch eine etwas längere Strecke transportiert werden konnte. Der Lkw hätte daher zunächst noch vor dem Beginn des Kurvenbereichs, also an für den Verkehr in beiden Richtungen noch übersichtlicher Stelle, anhalten können, einer der beiden Straßenmeister hätte sich auf den Weg zur Aufstellung des Warnschilds für den Gegenverkehr machen können, und der Lkw wäre erst danach an den gewünschten Standort vorgerückt. Zum anderen wäre es, sofern die Bediensteten nicht diesen Weg der Gefahrvermeidung wählten, sondern der Lkw sogleich zum endgültigen Standort vorrückte, zu diesem Zeitpunkt angesichts der örtlichen Gegebenheiten vorrangige Aufgabe des Beklagten zu 1) oder seines Mitfahrers, des Zeugen Z3, gewesen, entweder den Gegenverkehr in der Kurve – gleichsam als zeitlicher Ersatz für das noch nicht aufgestellte Warnschild – zu warnen, etwa dem Gegenverkehr auf der für diesen besser einsehbaren Richtungsfahrbahn des Lkw mit einer Warnflagge oder in auffälliger, warnender Weise entgegenzugehen, oder sonst dafür zu sorgen, dass die durch das Schild für den Gegenverkehr noch auszusprechende Warnung bis zu dessen Aufstellung in anderer Weise gegeben wurde. Zwar mag der Unfall sich bereits kurz nach dem Anhalten des Lkw eingangs des Kurvenbereichs ereignet haben. Wenn aber offenbar vorgesehen war, dass der Zeuge Z3 das Warnschild für den Gegenverkehr aufstellen sollte, war es Aufgabe des Beklagten zu 1), für eine zwischenzeitliche vorläufige Warnung oder Sicherung zu sorgen, statt neben dem Fahrzeug zu stehen und bereits mit dem Kran zu hantieren. Angesichts dessen, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 3) bereits das zweite Fahrzeug war, welches in einer an dieser Stelle gefährlichen Weise überholte, sieht der Senat nicht, dass bei einer im Hinblick auf die – wie ausgeführt: ohne Not – geschaffene Gefahrenlage gebührenden besonderen Beeilung eine Warnung für den Gegenverkehr nicht möglich gewesen wäre.

Es braucht daher nicht abschließend entschieden zu werden, ob eine über das Aufstellen von Warnschildern in beiden Richtungen hinausgehende Sicherungspflicht durch die beiden Bediensteten – insbesondere die Notwendigkeit, Fahrzeugführer beim Überholvorgang einzuweisen – gegeben war. Immerhin hätten die vom Sachverständigen SV1 dargelegten örtlichen Verhältnisse und die Möglichkeit, bei einer Geschwindigkeit von lediglich ca. 50 km/h den Unfall durch Bremsen zu vermeiden, für den Gegenverkehr hinreichend Raum zu einem etwaigen Abbremsen gelassen, wenn dieser aufgrund des aufgestellten Warnschildes seine Geschwindigkeit entsprechend reduziert hätte.

d) Die Quote, mit welcher der Beklagte zu 2) als Gesamtschuldner mit den Beklagten zu 3) und 4) zu haften hat, sieht der Senat aber abweichend von der 100%igen Haftung der Beklagten zu 3) und 4). Dass in der Gegenrichtung, aus der sich der Kläger näherte, noch kein Warnschild aufgestellt war, insbesondere dass – wie ausgeführt – sich der Beklagte zu 1) bis zu dessen Aufstellung nicht vorrangig um eine vorübergehende besondere Sicherung für den Gegenverkehr kümmerte, statt bereits mit dem Ladekran zu hantieren, sieht der Senat noch nicht als derart grobes Verschulden an, dass dahinter die Betriebsgefahr des Motorrads des Klägers zurücktreten würde. Diese Betriebsgefahr gewichtet der Senat im Verhältnis zum Verursachungsanteil des Beklagten zu 1) mit 20%, woraus sich eine 80%ige Haftung des Beklagten zu 2) im Verhältnis zum Kläger ergibt.

2. Von den Positionen materiellen Schadens, welche das Landgericht dem Kläger zugesprochen hat, kann dieser demnach jeweils 80 % gegenüber dem Beklagten zu 2) geltend machen. Inwiefern diese Schadenspositionen im Einzelnen gerechtfertigt sind, hat das Landgericht zutreffend auf S. 14 – 17 des angefochtenen Urteils ausgeführt; hierauf nimmt der Senat Bezug. Rechnerisch ergibt sich damit ein Betrag von 4.288,79 Euro für die beiden zunächst geltend gemachten Schadenspositionen (Fahrzeugschaden und Gutachtenskosten) und 6.603,93 Euro für die übrigen materiellen Schadenspositionen unter Abzug von 525 Euro für ersparte häusliche Aufwendungen für Haushalts- und Verpflegungskosten während der Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte des Klägers, mithin insgesamt 10.892,72 Euro.

3. Die vom Kläger mit der Berufung weiterverfolgten beiden Positionen materiellen Schadens stehen ihm nicht zu.

a) Zu Recht hat das Landgericht den vom Kläger begehrten Nutzungsausfall für das beschädigte Motorrad als Schadensposition nicht zugesprochen. Nutzungsausfall wird nur für die Zeit der Reparatur oder Ersatzbeschaffung gewährt, die hier von dem vom Kläger herangezogenen Kfz.-Sachverständigen auf 14 Tage bestimmt worden ist, was der Kläger seinem Antrag zugrunde gelegt hat. Das Landgericht hat zu Recht auf die bedauerlicherweise fehlende Nutzungsmöglichkeit während dieser Zeit aufgrund der unfallbedingten Verletzungen des Klägers abgestellt. Dieser Zeitraum fehlender Nutzung, für den Ersatz zu leisten ist, kann nicht beliebig zeitlich nach hinten hinausgeschoben werden. Deshalb kommt es letztlich nicht auf die Behauptung des Klägers an, er habe bisher wegen fehlender Mittel kein neues Motorrad erwerben können, zumal er für diese bestrittene Behauptung keinen Beweis angetreten hat. Abgesehen davon stellte sich die Frage, inwieweit für den Nutzungsausfall an einem Motorrad überhaupt Entschädigung zu leisten wäre. Der Bundesgerichtshof hat seine sehr restriktive Rechtsprechung für die Entschädigung von Nutzungsausfall bei anderen Fahrzeugen als Pkw’s erst jüngst bestätigt (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 10.06.2008, NJW-RR 2008, 1198 [juris Rn. 6 ff] unter Bestätigung von Senat, Urt. v. 13.09.2007 – 1 U 224/06 – juris Rn. 9 ff für Wohnmobile), sofern dem Geschädigten ein Pkw zur Verfügung steht. Immerhin ist der Kläger Halter eines Pkw ….

Die abweichende, übrigens in ihrer Argumentation gegen § 253 Abs. 1 BGB verstoßende (so Palandt-Heinrichs, BGB, 68. Aufl. 209, vor § 249 Rn. 20) Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 10.03.2008, NJW 2008, 1964 [juris insbes. Rn. 26 ff]) betrifft eine nicht vergleichbare Fallgestaltung, da diese Entscheidung wesentlich auf das Fahrgefühl eines dort streitgegenständlichen „Motorrads der Luxusklasse“ abstellt, welches hier nicht streitgegenständlich ist.

b) Zu Recht hat das Landgericht auch ersparte Aufwendungen in Höhe von 5 Euro pro Tag der Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte und damit insgesamt in Höhe von 525 Euro gegenüber den zugesprochenen Krankheitskosten in Abzug gebracht. Exakt formuliert handelt es sich um ersparte häusliche Aufwendungen für Haushalts- und Verpflegungskosten. Ein solcher Abzug entspricht gesicherter Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.01.1980, NJW 1980, 1787 [juris Rn. 12]; OLG Hamm, Urt. v. 21.02.1994, NJW-RR 1995, 599 [juris Rn. 45]; OLG Celle, Urt. v. 30.11.2006, OLGR 2007, 43 [juris Rn. 40]). Er erfolgte auch nicht, wie die Berufungsbegründung des Klägers auf S. 8 formuliert – „praktisch von Amts wegen“, sondern die Beklagten zu 3) und 4) haben einen solchen auf S. 4 ihres Schriftsatzes vom 20.07.2006 geltend gemacht. Die honorigen Erwägungen des Klägers, bestimmte Aufwendungen für Haushaltsführung nicht geltend gemacht zu haben, können rechtlich nicht zu einer Verrechnung führen.

4. Bezüglich des Schmerzensgeldes (§ 253 Abs. 2 BGB) hat die Berufung des Klägers insoweit Erfolg, als ihm gegenüber den Beklagten zu 3) und 4) ein etwas höherer als der vom Landgericht zugesprochene Betrag zu gewähren ist, nämlich 25.000 Euro, während ein Schmerzensgeldanspruch gegen den Beklagten zu 2) lediglich in Höhe von 18.000 Euro als angemessen anzusehen ist.

a) Ausschlaggebend für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist zunächst die ungewöhnlich komplexe Verletzung des Kniegelenks und des Schienbeines mit Rissen des vorderen und des hinteren Kreuzbandes sowie des Collateralbandes, verbunden mit einer Knochenkontusion des Schienbeins. Wegen dieser Verletzung hat sich der Kläger nach der operativen Versorgung, welche bereits rund einen Monat Krankenhausaufenthalt in Anspruch nahm, einer bemerkenswert umfänglichen, mehrere Monate dauernden postoperativen Physiotherapie unter stationären Bedingungen unterziehen müssen, die nach der Lebenserfahrung ausgesprochen anstrengend, belastend und überdies schmerzhaft ist. Es bleibt auf Dauer ein Beugeverlust des Knies von 20 %. Allerdings erscheint nach dem medizinischen Sachverständigengutachten der …-Klinik vom 01.02.2008 zweifelhaft, ob die geltend gemachte Schulterverletzung zur Gänze auf den Unfall zurückzuführen ist; jedoch ist auch hier nach der Lebenserfahrung zu berücksichtigen, dass etwa vorhandene degenerative Gegebenheiten, von denen das Gutachten ausgeht, durch den Unfall, der unstreitig eine Schulterverletzung zur Folge hatte, aktualisiert worden sind. Jedenfalls dürften diese Beeinträchtigungen bei der Bemessung eines Schmerzensgeldes im Verhältnis zu den Beeinträchtigungen durch die Knieverletzung eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Als gewichtige Größe im Rahmen der Ausgleichsfunktion eines Schmerzensgeldes erachtet der Senat darüber hinaus die Tatsache, dass der Kläger durch den Unfall gehindert ist, weiterhin in einer derart umfangreichen und vielfältigen Weise täglich körperlich zu trainieren und Sport zu treiben, wie dies vor dem Unfall der Fall gewesen ist. Aufgrund der persönlichen Anhörung des Klägers und der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Z1 und Z2 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in ungewöhnlich intensiver Weise, nämlich geradezu mit Leidenschaft oder – in der Formulierung des Zeugen Z1 – deutlich verbissener als andere, Sport getrieben hat. Dazu gehörte ein intensives Krafttraining nach Muskelgruppen im Kraftraum der Polizeischule im Rahmen des Dienstsports, aber darüber hinausgehend ein zeitlich intensives Fahren mit dem Fahrrad oder dem Mountainbike über 40 – 50 km und mehr durch den Rheingau mit entsprechenden Steigungen sowie regelmäßiges Badminton-Spielen mit dem Zeugen Z2 und Kollegen. Der Zeuge Z1 hat in höchst anschaulicher, nachvollziehbarer Weise geschildert, wie er den Kläger als „topfit“ erlebt hat in seinem Aussehen und den Leistungen, die dieser mit immerhin damals im Alter von bereits ca. Mitte 40 im Kraftraum erbracht hat. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger täglich mindestens eine Sporteinheit absolviert hat, was nach seiner und der insgesamt glaubhaften Schilderung der beiden Zeugen auch trotz oder gerade wegen des Schichtdienstes als Polizeibeamter zeitlich möglich war. Dem Senat ist auch gut nachvollziehbar, dass diese ungewöhnlich intensive Art, Sport zu treiben, eine besonders gewichtige Funktion als Ausgleich nach den physischen und psychischen Belastungen des Dienstes hatte, noch dazu in der Zeit, als die Ehescheidung des Klägers lief. Des weiteren steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger demgegenüber heute aufgrund der unfallbedingten Verletzung in seinen Möglichkeiten, Sport zu treiben, erheblich eingeschränkt ist. Diese beschränken sich vor allem auf Nordic Walking und Fahrradfahren auf dem Hometrainer, wobei ein Laufen im Gelände nur unter Zuhilfenahme einer Orthese zur Stabilisierung des Knies und mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Auch ein Krafttraining nach Muskelgruppen ist nicht mehr möglich, sondern nur ein leichtes Hanteltraining. Angesichts der früheren – bei Anlegung von Durchschnittsmaßstäben – ungewöhnlich intensiven sportlichen Betätigung ist für den Senat auch gut nachvollziebar, dass der Kläger diejenigen sportlichen Aktivitäten, die er nunmehr trotz des Unfalls noch ausüben kann, lediglich als eine Art Notlösung empfindet und nicht mehr als den – so seine Formulierung in der Anhörung – „befriedigenden Faktor Sport“, den er vorher erlebt hat.

b) Bei der Bemessung des von den Beklagten zu 3) und 4) als angemessen geschuldeten Schmerzensgeldes folgt der Senat den Erwägungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil dahingehend, dass es als schmerzensgelderhöhend mitzuberücksichtigen ist, dass die Beklagten zu 3) und 4) jedenfalls bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens im September 2008 keinerlei Zahlungen an den Kläger erbracht haben, obwohl ihnen die Inanspruchnahme spätestens seit Beginn des Jahres 2005 bekannt war. Der Beklagten zu 4) musste von Anfang an klar sein, dass die Beklagte zu 3) als ihre Versicherungsnehmerin angesichts des deutlichen Pflichtenverstoßes beim Überfahren der durchgezogenen Mittellinie bei nicht hinreichend klarer Verkehrssituation ein nicht unerheblicher Verursachungs- und damit Haftungsanteil trifft und sie als Versicherer insoweit eintrittspflichtig ist; sie musste mit einer nicht unerheblichen Zahlungsverpflichtung selbst dann rechnen, wenn sie von einem – ersichtlich überschaubaren – Mitverursachungsanteil des Klägers und einer Mithaftung des Beklagten zu 2) ausgehen wollte und überdies einzelne Gesichtspunkte der Bemessung des Schmerzensgelds noch klärungsbedürftig waren. Der Senat hält es daher für angemessen, den ansonsten zu gewährenden Schmerzensgeldbetrag um rund 10% aufzustocken. Daraus ergibt sich der insgesamt als angemessen angesehene Betrag von 25.000 Euro.

c) Die Höhe des vom Beklagten zu 2) zu zahlenden Schmerzensgeldes ist demgegenüber geringer anzusetzen, der Senat erachtet insoweit 18.000 Euro für angemessen. Zum einen ist die oben erörterte Zurechnung der Betriebsgefahr des Motorrads des Klägers zu berücksichtigen. Zum anderen sieht der Senat nicht, dass angesichts der Gesamtumstände der zu klärenden Pflichtverletzung des Beklagten zu 1) dem Beklagten zu 2) ebenfalls eine der Höhe nach zu berücksichtigende zögerliche Zahlung eines etwaigen Abschlags auf ein Schmerzensgeld anzulasten wäre.

5. Zum Umfang der gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten zu 2), 3) und 4) hat Folgendes zu gelten:

Die Beklagten zu 1) und zu 3) sind als Nebentäter anzusehen, da sie nicht durch gemeinschaftliches Handeln, sondern durch mehrere selbständige Einzelhandlungen zusammen den schädlichen Erfolg herbeigeführt haben. In einem derartigen Fall greift § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht ein, vielmehr haften der Beklagte zu 2) einerseits und die Beklagten zu 3) und 4), welche als Schädiger und Haftpflichtversicherer eine Haftungseinheit bilden (s. BGH, Urt. v. 13.12.2005, NJW 2006, 896 [juris Rn. 11]) andererseits gemäß § 840 Abs. 1 BGB nur insoweit als Gesamtschuldner, als sich ihre Verpflichtungen decken (BGH, Urt. v. 16.06.1959, BGHZ 30, 203 [juris Rn. 12 und 13]). Ein besonderer Ausgleich nach dem sog. Kombinationsmodell von Einzel- und Gesamtabwägung unter Bildung von Solidar- und Separatquoten (s. zur Quotenberechnung bei einem Mitverursachungsanteil des Geschädigten BGH, Urt. v. 16.06.1959, a.a.O., juris Rn. 22 ff; BGH, Urt. v. 13.12.2005, a.a.O., juris Rn. 13 f; Staudinger-Vieweg, BGB, 2007, § 840 Rn. 33 ff) unter Berücksichtigung der dem Kläger gegenüber dem Beklagten zu 2) zuzurechnenden Betriebsgefahr des Motorrads ist nicht veranlasst, da sich solches erübrigt, sofern – wie hier die Beklagten zu 3) und 4) – einer der Gesamtschuldner auf 100% haftet (vgl. das bei Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2009, § 254 Rn. 71 mitgeteilte Berechnungsmodell); abgesehen davon wäre beim Schmerzensgeldanspruch, für den jeweils eine individuelle Angemessenheit zugrunde zu legen ist, eine die Einzelabwägung korrigierende Gesamtabwägung nicht angezeigt (Staudinger-Vieweg, a.a.O., Rn. 38 m.w.N.).

6.a) Zinsen auf den geforderten materiellen Schadensersatz kann der Kläger entsprechend seinen insoweit bereits in 1. Instanz gestellten Anträgen als Prozesszins (§§ 291 Satz 1 und 2, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) entsprechend der jeweils unterschiedlich erfolgten Rechtshängigkeit der Klage gegenüber den einzelnen Beklagten und der späteren Klageerweiterung geltend machen; für die ursprüngliche Klage gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) ist der Zustellzeitpunkt unklar und daher in analoger Anwendung des § 287 ZPO für den Tag anzunehmen, an dem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1) und 2) Klageabweisung beantragt hat, also die Klageschrift bei den beiden Beklagten vorlag, mithin für den 13.01.2005.

b) Die mit der Berufung erstmals geforderten Zinsen auf den Schmerzensgeldbetrag ab Rechtshängigkeit der Schmerzensgeldklage stellen eine nach § 533 ZPO zulässige Klageerweiterung in der Berufungsinstanz dar. Da der Schmerzensgeldanspruch bereits mit dem Schadensereignis entsteht, können jedenfalls Zinsen ab der jeweiligen Rechtshängigkeit verlangt werden.

7. Zusammenfassend hatte folglich die Berufung des Klägers wegen der Zahlungsansprüche insoweit Erfolg, als er eine über den Ausspruch des landgerichtlichen Urteils um 5.000 Euro hinausgehende Verurteilung der Beklagten zu 3) und 4) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes und eine teilweise gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten zu 2) mit den Beklagten zu 3) und 4) entsprechend der Haftungsquote des Beklagten zu 2) auf 80% bzw. auf ein Schmerzensgeld von 18.000 Euro erreicht hat; hinzu kommt die Ausurteilung eines Zinsanspruchs auf das Schmerzensgeld in teilweiser Gesamtschuldnerschaft entsprechend der unterschiedlichen Höhe des geschuldeten Schmerzensgeldes. Das Urteil war nach Abänderung insgesamt neu zu fassen, um die unterschiedlich hohe Verurteilung des Beklagten zu 2) einerseits und der Beklagten zu 3) und 4) andererseits als Gesamtschuldner zum Ausdruck zu bringen und der teilweise rechtskräftigen Klageabweisung durch die 1. Instanz Rechnung zu tragen.

8. Der Ausspruch zum Feststellungsantrag war entsprechend der oben hergeleiteten gesamtschuldnerischen Haftung des Beklagten zu 2) mit den Beklagten zu 3) und 4) auf alle drei Gesamtschuldner auszudehnen, soweit sich deren Haftungsquote deckt; und im Übrigen war für die darüber hinausgehende Haftungsquote der Beklagten zu 3) und 4) deren gesamtschuldnerische Haftung auszusprechen.

C. Die Kosten des Rechtsstreit 1. und 2 Instanz waren entsprechend dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen unter Berücksichtigung des in beiden Instanzen unterschiedlichen Streitwerts zu verteilen, § 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 4 ZPO. Dabei waren die von den Beklagten zu 2), 3) und 4) zu tragenden außergerichtlichen Kosten des Klägers diesen als Gesamtschuldners aufzuerlegen, soweit sich die Quote der Verurteilung deckt. Für die Berufungsinstanz war eine Gesamtschuldnerschaft der genannten Kosten anzunehmen, soweit diese Kosten denselben Gegenstand betreffen, unabhängig davon, wer Berufung eingelegt hatte. Dies ist der Fall, soweit sich die Berufung der Beklagten zu 3) und 4), welche auf eine Reduzierung der Haftung der in 1. Instanz ausgeurteilten Beträge auf lediglich 2/3 zielte, betragsmäßig mit dem überschnitt, was gegenüber dem Beklagten zu 2) in 2. Instanz ausgeurteilt wurde, also der auf eine Haftungsquote zwischen 2/3 und 80% einschließlich des Schmerzensgeldes entfallende Betrag von 5.082,05 Euro (vgl. zur auch zweitinstanzlich gesamtschuldnerischen Haftung von in der ersten Instanz gesamtschuldnerisch Verurteilten, wenn deren Berufung erfolglos bleibt Zöller-Herget, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 100 Rn. 11).

D. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

E. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).


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