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Urkundsprozess – Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit

OLG Frankfurt – Az.: 5 W 10/20 – Beschluss vom 08.04.2020

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 18. Februar 2020 gegen den Beschluss der 14. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31. Januar 2020 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 28. Februar 2020 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Mit der im Urkundenprozess erhobenen Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung einer nach ihrer Ansicht verwirkten Vertragsstrafe aus einer zwischen den Parteien (und anderen Beteiligten) bestehenden notariellen Vereinbarung in Höhe von 8.000.000,00 € in Anspruch.

Die Klägerin, die von den Geschäftsführern und weiteren Führungskräften der X GmbH gegründet wurde mit dem Ziel, das Management der X GmbH zu bündeln und eine Beteiligung an dieser Gesellschaft zu erwerben und zu halten, ist zu 10% neben der Beklagten, die 90% hält, Gesellschafterin der X GmbH.

Hinter der Beklagten, die zu 100% von einer chinesischen Zweckgesellschaft gehalten wird, stehen mittelbar sieben chinesische Gesellschaften (Investoren).

Die X GmbH gehörte unter der Firma Y … GmbH zu 100% zur Y SE, die die Anteile an der Gesellschaft im Jahr 2016 an die Beklagte zum Preise von rund EUR 218 Mio. veräußerte.

Die Klägerin und Beklagte (und weitere Beteiligte) schlossen die notariell beurkundete Vereinbarung vom 28. Oktober 2016 (UR-Nr. …/2016) der Notarin A mit dem Amtssitz in Stadt1 (in begl. Übersetzung Anl. K 6 in ges. Anl.-Ordner, auch als Side Letter I bezeichnet), die durch notariell beurkundete Vereinbarung u. a. der Parteien vom 26. Oktober 2017 (UR-Nr. …/2017) des Notars B mit dem Amtssitz in Stadt1 (in begl. Übersetzung Anl. K 7 in ges. Anl.-Ordner) in Teilen abgeändert wurde.

Ziffer 3.1. gemäß der geänderten Fassung bestimmt:

“C GmbH und D geben ein selbständiges Garantieversprechen im Sinne von § 311 Abs. 1 BGB, dass Ziffer 15.1 (sog. „Wichtige Entscheidungen 1″) der ehemaligen GVB [Anmerkung des Senats: die Investitions- und Gesellschaftervereinbarung (UR-Nr. …/2016 des Notars E, Stadt1 (Anl. K 3 in ges.- Anl.-Heft)] spätestens zum Vollzugsdatum (im Sinne der GVB) neu gefasst und in die GVB aufgenommen wird.“

In Ziffer 4.1 gemäß der geänderten Fassung heißt es:

“C GmbH und D zahlen als Gesamtschuldner an die Verwaltungsgesellschaft [Anm. des Senats: gemeint ist die Klägerin] eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 8.000.000 (in Worten Euro acht Millionen), wenn – unabhängig vom Verschulden (verschuldensunabhängig) – Ziffer 15.1 des Ehemaligen GVB nicht am Vollzugsdatum der Investition I und II (im Sinne des GVB) oder am Vollzugsdatum der Alternativen Investition (im Sinne des GVB) angepasst und wieder in den neuen GVB aufgenommen wurde. Die Vertragsstrafe ist innerhalb von vier Wochen nach der Vertragsverletzung fällig. Ausdrücklich stellt die in dieser Ziffer 4.1 genannte Vertragsstrafe keinen pauschalen Schadensersatz dar, sondern ist eine Vertragsstrafe, die den Eintritt der in der vorstehenden Ziffer 3.1 genannten Maßnahme gewährleisten soll.“

Die Klägerin hat – sinngemäß – geltend gemacht, die Regelung in Ziffer 15.1 sei trotz mehrfacher mündlicher und schriftlicher Aufforderung zur Wiederaufnahme der Regelungen in Ziffer 15.1 in die GVB nicht in die GVB überführt worden und hat insoweit ihre Schreiben an die Beklagte vom 11. Juli 2018 (in beglaubigter Übersetzung Anl. K 10 in ges. Anl.-Ordner) und vom 1. August 2018 (in beglaubigter Übersetzung Anl. K 11 in ges. Anl.-Ordner) vorgelegt.

Die mit der Vertragsstrafe bewehrte Verpflichtung aus Ziffer 3.1 des Agreements vom 28. Oktober 2016 in der Fassung der Änderungen vom 26. September 2017 habe die Beklagte bislang nicht und schon gar nicht termingerecht erfüllt. Vor diesem Hintergrund sei die Vertragsstrafe in voller Höhe von EUR 8.000.000,00 verwirkt und vier Wochen nach dem Vollzugstag des Alternativen Investment, das gemäß dem in beglaubigter Übersetzung (Anlage K 8 in gesondertem Anl.-Ordner) vorgelegten “Amendment to the Investment and Shareholder´s Agreement regarding X GmbH dated 28 October 2016“ vom 26. September 2017 (UR-Nr. …/17 des Notars B mit dem Amtssitz in Stadt1 klägerseits gemäß dem “Acceptance of the Offer to enter into a share purchase and transfer agreement regarding the shares with the serial nos. 1,800,002 to 2,000,001 of 26. September 2017“ vom 1. Juni 2018 (UR-Nr. …/2018 des Notars B mit dem Amtssitz in Stadt1, Anl. K 9 in gesondertem Anl.-Ordner) angenommen worden sei – insoweit hat die Klägerin u. a. auch die Vollzugsmitteilung der Beklagten vom 22.Juni 2018 (in beglaubigter Übersetzung als Anl. K 2 in gesondertem Ordner) vorgelegt – also am 20. Juli 2018, zur Zahlung von der Beklagten an die Klägerin fällig gewesen und bisher nicht bezahlt worden.

Die Beklagte ist der ihr am 13. Mai 2019 zugestellten Klage entgegengetreten, hat geltend gemacht, die Forderung beruhe auf einer kollusiven Vereinbarung, die von der Klägerin und dem ehemaligen Geschäftsführer der Beklagten unter Missbrauch seiner Vertretungsmacht hinter dem Rücken der faktischen Mehrheitsgesellschafter der Klägerin [Anmerkung des Senats: gemeint ist: der Beklagten] zur Täuschung letzterer, der chinesischen Wertpapieraufsicht und der Kapitalmarktöffentlichkeit einschließlich deutscher Anleger geschlossen worden sei. Namentlich der Side Letter I sei wegen sittenwidriger Zwecksetzung – planmäßiger Verstoß gegen ausländische Gesetze – nach § 138 BGB sittenwidrig und nichtig, wegen Missbrauch der Vertretungsmacht des seinerzeitigen Geschäftsführers der Beklagten beim Abschluss des Side Letter I, was einen weiteren eigenständigen Grund für die Sittenwidrigkeit der vertraglichen Vereinbarungen darstelle, stehe der Klageforderung auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen.

Die Klägerin ist demgegenüber der Ansicht, der Side Letter I und die darin enthaltene Vertragsstrafe seien wirksam, mit dem Sideletter I sei keine sittenwidrige Zwecksetzung verfolgt worden, insoweit fehlten sowohl die objektiven wie die subjektiven Voraussetzungen, die Beklagte könne sich aber auch nicht darauf berufen, im Übrigen lägen Kollusion und offensichtlicher Missbrauch der Vertretungsmacht des Herrn F nicht vor.

Nachfolgend hat die Beklagte zum Landgericht Stadt1 (Az…/19) eine Schadensersatz- und Feststellungsklage gegen die Klägerin und deren Geschäftsführer, Herrn G, mit u. a. dem Ziel erhoben, die Nichtigkeit der vorliegend als Anlagen K 6, K 7 und K 8 vorgelegten Vereinbarungen aus den dargestellten Gründen feststellen zu lassen; wegen weiterer Einzelheiten dieser Klageschrift wird auf die Anlage B 39 (Bl. 207 bis Bl. 269 d. A.) Bezug genommen.

Der Anregung der Beklagten, gemäß § 148 Abs. 1 ZPO das Verfahren bis zur Erledigung des Verfahrens beim Landgericht Stadt1 (Az. …/19) auszusetzen, ist die Klägerin entgegengetreten.

Sie hat gemeint, die Aussetzung widerspreche der Natur des Urkundenprozesses, diesbezüglich sei eine Ausnahme lediglich für den hier nicht gegebenen Sonderfall anerkannt, dass die Gefahr widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen infolge doppelter Prozessaufrechnung bestehe, die Beklagte könne ein etwaiges ihr günstiges rechtskräftiges Erkenntnis im Parallelrechtstreit zudem im hiesigen Nachverfahren durchsetzen. Außerdem habe die Klage umgekehrten Rubrums jedenfalls in Bezug auf den Side Letter I keine Aussicht auf Erfolg, der Streitgegenstand der vorliegenden Leistungsklage umfasse auch denjenigen der späteren negativen Feststellungsklage, die folglich an der Rechtshängigkeit der hiesigen Klage im Urkundenprozess scheitere, abgesehen davon, dass der (negativen) Feststellungsklage das besondere Feststellungsinteresse fehle, weil über den Vertragsstrafenanspruch vorliegend rechtskräftig entschieden werde, so dass die Feststellungsklage nicht mehr geeignet sei, die Gefahr einer Inanspruchnahme durch die hiesige Klägerin zu beseitigen.

Vielmehr sei die Aussetzung des Parallelprozesses bis zum Nachverfahren hiesigen Urkundsverfahrens geboten und hernach die Verbindung beider Rechtstreite im Nachverfahren zweckmäßig.

Mit Beschluss vom 31. Januar 2020 (Bl. 283 bis 285 d. A.) hat das Landgericht die Aussetzung abgelehnt und dies – zusammengefasst – dahin begründet, die Aussetzung im Urkundenverfahren sei nur ausnahmsweise gerechtfertigt, vorliegend indessen nicht, denn die Beklagte habe die Klage umgekehrten Rubrums erst mit Schriftsatz vom 29.11.2019 und damit nach Rechtshängigkeit und Terminierung des vorliegenden Verfahrens anhängig gemacht. Zwar sei die Frage des Bestehens der Vereinbarung, auf die die Klägerin ihre Forderung stützt, vorgreiflich für das hiesige Verfahren, indessen dürfe die Aussetzung eines Verfahrens keinesfalls der Prozessverschleppung Vorschub leisten; wollte man in einem Urkundenverfahren eine Aussetzung aufgrund eines durch den Beklagten nach Rechtshängigkeit des Urkundenverfahrens geschaffenen Aussetzungsgrundes zulassen, liefe das dem Zweck des Urkundenprozesses, dem Kläger zu ermöglichen, schneller als im ordentlichen Verfahren zu einem vollstreckbaren Titel zu gelangen, zuwider.

Gegen den ihr am 6. Februar 2020 zugestellten Beschluss hat die Beklagte eingehend am 18. Februar 2020 sofortige Beschwerde erhoben mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Verfahrens am Landgericht Stadt1 (Az. …/19) begehrt.

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Die Beklagte macht geltend, die Ablehnung der Aussetzung werde vom Landgericht mit zwei inhaltlich unzutreffenden und sachwidrigen Argumenten begründet, zum Rechtskraftkonflikt konzentriere sich die Argumentation zu Unrecht auf die doppelte Prozessaufrechnung, während nach Ansicht des Bundesgerichtshofes und anderer Instanzgerichte die Aussetzung schon mit der Gefahr divergierender Entscheidungen zu begründen sei.

Ebenso wenig sei der Beklagten eine Prozessverschleppung, die auch nicht festgestellt sei, anzulasten, vielmehr habe die durch die gegen sie gerichtete Klage überraschte Beklagte das Verfahren wesentlich gefördert, den zugrundeliegenden Sachverhalt unter erheblichem Kostenaufwand aufgeklärt und die umfangreiche und kostspielige Klage im Parallelverfahren so schnell wie möglich erhoben.

Die Ablehnung einer Aussetzung unter Verweis auf eine angebliche abstrakte Gefahr der Prozessverschleppung verkenne zudem, dass sich das im Rahmen von § 148 Abs. 1 ZPO auszuübende Ermessen stets auf den konkreten Fall zu beziehen habe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf den Schriftsatz vom 18. Februar 2020 (Bl. 315 bis 323 d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28. Februar 2020 (Bl. 327 d. A.) unter Vorlage der Sache an das Oberlandesgericht der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und nach Anbringung am 18. Februar 2020 auch binnen der zweiwöchigen Notfrist nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung (§§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1, 2 ZPO) eingelegt worden.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreites bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreites oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts, nachdem dieses – noch ohne ein Ermessen – festgestellt hat, dass die erforderliche Abhängigkeit (Vorgreiflichkeit) vorliegt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 06. Dezember 2007 – 12 W 83/07 -, Rn. 4, juris).

Auch das Beschwerdegericht hat uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 -, Rn. 6, juris).

Den Aussetzungsgrund hat das Landgericht zutreffend bejaht.

Die Frage, ob der Klägerin der im vorliegenden Urkundenprozess geltend gemachte Anspruch auf Vertragsstrafe zusteht, hängt davon ab, ob (u. a.) der Side Letter I in der Fassung der notariellen Urkunde des Notars B (UR-Nr. …/2017, Anlage K 7) wirksam ist oder nicht.

Diese – in Ziffer 10.1 (Anl. K 6) bzw. 11.1 (Anl. K 7) jeweils vereinbarungsgemäß der Beurteilung nach deutschem Recht unterstellte – Frage bildet den Gegenstand des Parallelprozesses umgekehrten Rubrums, in dem die Beklagte (u.a.) die Feststellung begehrt, diese beiden Vereinbarungen der Streitparteien seien nichtig.

Was das Landgericht nicht ausdrücklich ausführt, wovon es aber inzident und ebenfalls zutreffend ausgeht, ist die Statthaftigkeit des Urkundenprozesses (§ 592 ZPO) sowie die Schlüssigkeit des Klagebegehrens einerseits und die mangelnde Erheblichkeit der Einwendungen der Beklagten in vorliegendem Verfahrensabschnitt des Urkundenprozesses andererseits. Die Beklagte dürfte den ihr obliegenden Beweis für die Kollusion der bei Abschluss der Vereinbarungen auf Kläger- und Beklagtenseite handelnden Personen, also insbesondere das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit, namentlich Absichten und Motive der Handelnden, nicht mit Urkunden belegt oder insoweit den Beweis dieser in § 592 ZPO nicht erwähnten Tatsachen mit dem Antrag auf Parteivernehmung (§ 595 Abs. 2 ZPO), der sich auf die Vernehmung des Gegners zu beziehen hat (§ 445 Abs. 1 ZPO), nicht angetreten haben (§ 598 ZPO), wobei sie hierzu auch nicht verpflichtet ist, weil ihr, nachdem sie dem Anspruch widersprochen hat (§ 599 Abs.1 ZPO) im Nachverfahren (§ 600 Abs. 1 ZPO) nicht erhobene Einwendungen ebenso wie solche, die im Urkundenprozess als unstatthaft zurückgewiesen werden sollten, verbleiben (Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 600, Rn. 11 ff).

Denn nur unter dieser Voraussetzung kommt die Vorgreiflichkeit des Parallelprozesses in Betracht, die zu verneinen wäre, wenn ohne Rücksicht auf dessen Ergebnis die Klage vorliegend als in der gewählten Prozessart unstatthaft abgewiesen werden könnte.

Wäre demgegenüber der von der Beklagten erhobene Einwand liquide, könnte er also mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln geführt werden und würde er bereits im Urkundenprozess den Klageanspruch zu Fall bringen, wozu sich das Landgericht (noch) nicht geäußert hat, besteht die Gefahr widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen gleichermaßen, weil auch in diesem Fall die Entscheidungen des Landgerichts vorliegend und die Entscheidung im Parallelprozess zur Wirksamkeit der Vereinbarungen divergieren könnten.

Wenn vorliegend ein Vorbehaltsurteil erlassen werden oder das Landgericht den Einwand der Beklagten für liquide halten sollte, besteht echte Vorgreiflichkeit des im Parallelprozess (negativ) festzustellenden Rechtsverhältnisses, dessen Entscheidung hätte also nicht lediglich Einfluss auf die vorliegend zu treffende Entscheidung.

Denn eine materiell rechtskräftige Entscheidung im Parallelprozess würde das Gericht im vorliegenden Verfahren binden, weil die Vorfrage des nach Ansicht der Beklagten auszusetzenden Prozesses beantwortet wird.

Die Klägerin kann demgegenüber nicht einwenden, der Streitgegenstand der vorliegenden Leistungsklage umfasse auch denjenigen der späteren negativen Feststellungsklage, letztere sei daher unzulässig. Denn vorliegend wird über das präjudizielle Rechtsverhältnis – (Un-)Wirksamkeit der maßgeblichen Vereinbarungen – gerade nicht rechtskräftig entschieden (§ 322 Abs. 1 ZPO), weil lediglich ein einzelner Anspruch aus dem vorgreiflichen Rechtverhältnis den Streitgegenstand (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) bildet, nicht hingegen die Anspruchsgrundlage, weshalb diesbezügliche Ausführungen an der Rechtskraft nicht teilhaben und in einem Folgeprozess nicht binden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – I ZR 269/00 -, Rn. 23, juris; OLG Rostock, Urteil vom 07. Oktober 2002 – 3 U 107/01 -, Rn. 41, juris; Greger in Zöller, aaO., vor § 322, Rn. 33, 35).

Ebenso wenig verfängt das Argument, der (negativen) Feststellungsklage im Parallelprozess fehle das besondere Feststellungsinteresse, weil vorliegend über den Vertragsstrafenanspruch rechtskräftig entschieden werde, denn der Streitgegenstand der negativen Feststellungsklage ist ein anderer und umfassender.

Liegen hiernach grundsätzlich die Voraussetzungen einer Aussetzung vor, steht die Entscheidung hierüber im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.

Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Entscheidung über die Aussetzung überschritten hat. Es kann die angegriffene Entscheidung nur auf etwaigen Missbrauch des Ermessens überprüfen, das heißt darauf, ob sich das Erstgericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, während das Beschwerdegericht nicht befugt ist, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 8 W 55/06 -, Rn. 4, juris).

Das Beschwerdegericht hat daher den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten, weshalb seiner Prüfung lediglich unterliegt, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Entscheidung über die Aussetzung überschritten oder sein Ermessen womöglich missbraucht hat, sich also von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. Landesarbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 27. Februar 2003 – 7 Ta 13/03 -, Rn. 8, juris).

Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Landgerichts nicht als ermessensfehlerhaft zu qualifizieren.

Das Landgericht hat alle für die zu treffende Entscheidung maßgeblichen Argumente in den Blick genommen, wenn auch seine Ausführungen teilweise verkürzt daherkommen und auf die in vorliegendem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung nicht in der vielleicht wünschenswerten Breite eingehen.

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht auf die in der herangezogenen Entscheidung des OLG Köln (Urteil vom 12. Juni 2015 – I-1 U 2/15 -, Rn. 33, juris m. w. N.) referierte und der einschlägigen Kommentierung zu entnehmende Ansicht verwiesen, im Urkundenprozess dürfe das Gericht regelmäßig nicht aussetzen, weil die Verfahrensart einen Stillstand verbiete (vgl. Greger in Zöller, ZPO, aaO, § 148, Rn. 4), bis zum Vorbehaltsurteil sei eine Aussetzung mit der Eilbedürftigkeit dieses Verfahrens nicht vereinbar (vgl. MüKoZPO/Fritsche, 5. Aufl. 2016, ZPO § 148 Rn. 2; BeckOK ZPO/Wendtland, 35. Ed. 1.1.2020, ZPO § 148 Rn. 3) oder eine Aussetzung komme grundsätzlich in Urkundsverfahren nicht in Betracht (vgl. Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, ZPO § 148 Rn. 2).

Ebenfalls nicht verkannt hat das Landgericht, dass dies nicht ausnahmslos gilt und allgemein, was die Beklagte selbst geltend macht, auf Fälle der Gefahr widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen verwiesen.

Es hat diesbezüglich, das ist der Beschwerde zuzugeben, als Anwendungsfall allein die doppelte Prozessaufrechnung in den Blick genommen, die allerdings auch in der Kommentierung als (einziger) Beispielsfall unter Bezug auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes für die Gefahr widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen (Versäumnisurteil vom 08. Januar 2004 – III ZR 401/02 -, Rn. 12, juris) genannt wird (MüKoZPO/Fritsche, aaO. in Fn. 6; BeckOK ZPO/Wendtland, aaO.).

Wenn auch nicht entscheidend ist, in welcher Ausgestaltung der Rechtskraftkonflikt auftreten mag, weil die diesbezügliche Gefahr schlechterdings ausreicht (so der BGH aaO. und OLG München, Beschluss vom 22.08.2002 – 14 W 150/02, JurBüro 2003, 154), so ist eine andere Frage, ob in einem Fall wie dem vorliegenden als ermessensfehlerfrei nur die Entscheidung, das Verfahren auszusetzen, angesehen werden kann.

Der Senat verneint diese Frage.

Denn auch wenn man mit der Beschwerde davon ausgeht, dass im Urkundenprozess die allgemeinen Verfahrensgrundsätze gelten, ist zu berücksichtigen, dass die besondere Natur des Urkundenprozesses und der mit der Verfahrensart verfolgte Zweck die Aussetzung bei Vorliegen besonderer Umstände nur ausnahmsweise als angemessen erscheinen lassen kann (so ausdrücklich OLG München, aaO.) oder zu erwägen sei (so BGH, aaO., Rn. 13).

Ein Zwang zur Aussetzung im Sinne einer Reduzierung des Ermessens auf Null wird – soweit ersichtlich – auch von Vertretern der Ansicht, dass im Urkundenprozess die Aussetzung nicht grundsätzlich unzulässig sei, nicht postuliert.

Insoweit ist zu berücksichtigen – Abweichendes zeigt die Beschwerde nicht auf – dass der Entscheidungs- bzw. Rechtkraftkonflikt vorliegend mit der Besonderheit zusammenhängt, dass die Beklagte womöglich den Beweis der Sittenwidrigkeit nicht mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln antreten oder führen kann und sie stattdessen allein die Möglichkeit sieht, über eine Aussetzung des Verfahrens den Erlass eines ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Vorbehaltsurteils zu verhindern.

Die Beklagte ist daher im Ansatz in der Position eines jeden mit einer Urkundsklage konfrontierten Beklagten, der womöglich zunächst zu Unrecht zu einer Leistung verurteilt wird, die Klärung dieser Frage aber erst im Nachverfahren erreichen kann.

Auf diese Vergleichbarkeit hat das Landgericht, wenn auch quasi mittels einer missverständlichen “erst recht Argumentation“ abgestellt, wenn es in seiner Entscheidung den Aspekt berücksichtigt hat, dass der Aussetzungsgrund von der Beklagten nachträglich geschaffen worden sei.

Die Etablierung des Urkundenprozesses als besondere Verfahrensart mit besonderen Regeln und dem Ziel, dem Kläger unter bestimmten Voraussetzungen schnell, wenn auch nur vorläufig einen Titel zu verschaffen, beinhaltet von Vornherein die Möglichkeit der sachlich- rechtlichen Unrichtigkeit der Entscheidung oder der missbräuchlichen Inanspruchnahme dieser Verfahrensart.

Das ist in die Abwägung, ob bei drohendem Rechtkraftkonflikt auszusetzen ist, ebenso mit einzubeziehen wie die mögliche Verfahrensverzögerung oder Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 05. August 2013 – 1 BvR 2965/10 -, Rn. 20, juris). Denn nicht zu verkennen ist, dass der Parallelprozess, der von Vornherein im ordentlichen Verfahren geführt wird, erwartbar noch anhängig sein wird, wenn – der Erlass eines Vorbehaltsurteils vorausgesetzt – vorliegendes Verfahren in das Stadium des Nachverfahrens tritt.

Letztlich greift das Argument der Beklagten, das Landgericht habe sein Ermessen nicht auf den zu entscheidenden konkreten Fall bezogen, nicht durch, weil es die abstrakte Gefahr der “Verschleppung“, auf den Streitfall übertragen und auch insoweit die Gefahr bejaht und deshalb davon abgesehen hat, den Urkundenrechtstreit auszusetzen. Das ist nicht als sachwidrig zu qualifizieren, weil Gründe denkbar sind, aus denen es im Parallelprozess entweder überhaupt nicht zu einem Urteil oder nicht zu einem Sachurteil kommt (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 08. Januar 2004 – III ZR 401/02 -, Rn. 11, juris), was ebenfalls dafür spricht, die Entscheidung, das Verfahren im derzeitigen Stadium nicht auszusetzen, nicht als ermessensfehlerhaft zu beanstanden.

Es sei nur angemerkt, dass den Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Beschluss nicht entnommen werden kann, dass es die Aussetzung des Verfahrens schlechterdings, also auch für das Nachverfahren, verneint. In Betracht kommt zudem nach Übergang in das Nachverfahren, die Verfahren gemäß § 147 ZPO zu verbinden (BGH, Urteil vom 28. November 2001 – VIII ZR 75/00 -, BGHZ 149, 222-230, Rn. 26).

Damit ist die Beschwerde mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge (GKG KV 1812 (Festgebühr)) zurückzuweisen.

Die Frage, ob in einem Fall drohender Entscheidungsdivergenz das Ermessen auf Null reduziert und allein die Entscheidung, das Verfahren auszusetzen, ermessensfehlerfrei ist, ist über den vorliegenden Einzelfall hinaus von Bedeutung und – soweit ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich entschieden. Damit ist die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO zuzulassen.

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