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Verfahrensfehlerhafte Zurruhesetzung eines pensionierten Beamten – prozessuale Besonderheiten

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – Az.: OVG 4 B 6.19 – Urteil vom 01.07.2020

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. November 2017 geändert. Der Bescheid des Finanzamts vom 12. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Stelle vom 12. Februar 2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 vom Hundert des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Steuerinspektorin im Dienst des Beklagten und gehörte im Jahr 2012 dem Finanzamt an.

Der Beklagte versetzte sie mit Bescheid des Finanzamts vom 12. Dezember 2012 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Zur Begründung verwies der den Bescheid verfügende Vorsteher des Finanzamts darauf, dass die Klägerin seit dem 17. Oktober 2011 dienstunfähig erkrankt sei. Sie habe das Angebot eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht angenommen und eine Untersuchung am 8. März 2012 durch den Chefarzt der, den Orthopäden Dr. K… abgelehnt. Die amtsärztliche Untersuchung am 17. April 2012 habe die Dienstunfähigkeit der Klägerin erwiesen; die Amtsärztin sei davon ausgegangen, dass eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell ab Juli 2012 möglich sei und die volle Dienstfähigkeit nach einem halben Jahr erreicht werde. Die Wiedereingliederung sei jedoch gescheitert und ein zweiter Wiedereingliederungsplan habe abgelehnt werden müssen. Ein dritter Plan sei unter Vorbehalt genehmigt worden. Es sei jedoch zu erheblichen Fehlzeiten gekommen. Der vierte Wiedereingliederungsplan vom 5. Oktober 2012 habe am 12. Oktober 2012 abgelehnt werden müssen. Der Beklagte führte in dem Bescheid weiter aus, dass eine gesundheitliche Stabilisierung nicht erkennbar sei, die Klägerin Vereinbarungen mit der Sachgebietsleiterin nicht eingehalten habe und regelmäßig zu spät zum Dienst angetreten sei. Angesichts dessen sei zu entscheiden, dass keine Aussicht auf die vollständige Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit bestehe. Außerdem führte der Beklagte in dem Bescheid an, die Klägerin habe in der Vergangenheit und Gegenwart gezeigt, dass sie nicht imstande sei, ihre Pflicht zur harmonischen Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und den übrigen Bediensteten zu erfüllen. Das Vertrauensverhältnis sei derzeit unüberbrückbar beeinträchtigt. Die Klägerin kommuniziere nicht angemessen mit dem unmittelbaren Vorgesetzten und lasse alles Wesentliche durch einen Rechtsanwalt in Frage stellen. Die Klägerin weise enorme Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung und Leistungsfähigkeit sowie unerklärbare Verhaltensauffälligkeiten auf. Die Verwendung in einem anderen Bereich sei aufgrund der erheblichen Defizite der Klägerin in der Organisation ihres eigenen Arbeitsbereiches sowie im Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten nicht möglich. Es liege eine zur Dienstunfähigkeit führende Schwäche der geistigen Kräfte vor. Die Klägerin könne bei der Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans nicht mehr dauerhaft und konfliktlos eingeplant werden.

Die Klägerin legte dagegen unter dem 17. Dezember 2012 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Finanzamts vom 12. Februar 2013 zurückgewiesen wurde. Der Vorsteher des Finanzamts führte zu dessen Begründung aus, dass der Widerspruch unbegründet sei. Der angefochtene Bescheid sei unverändert zutreffend. Bei der angewendeten Vermutungsregel in § 37 Abs. 2 LBG Bbg sei es nicht geboten, dass ein Arzt die Dienstunfähigkeit positiv feststelle. Auch sei die Pensionierung nicht ausgeschlossen, solange eine Wiedereingliederung möglich erscheine. Über die Pensionierung entscheide allein der Dienstherr. Dieser habe die Gesamtumstände in der Prognose über die gesundheitliche Entwicklung zu berücksichtigen. Es sei von der Klägerin immer noch nicht glaubhaft gemacht, dass sie zum Jahresende 2012 voll dienstfähig gewesen sei. Für den Dienstherrn sei nicht erkennbar, worauf die körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin zurückzuführen seien. Das Gesamtbild lasse aber den Schluss zu, dass sie dienstunfähig erkrankt und mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu rechnen sei. Diese Feststellung erstrecke sich auf alle Tätigkeiten einer Sachbearbeiterin der Finanzverwaltung.

Der Beklagte reaktivierte die Klägerin mit Wirkung vom 17. Mai 2016.

Die Klägerin hatte am 28. Februar 2013 Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. August 2017 abgewiesen mit der Begründung, sie sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da die Klägerin reaktiviert worden sei. Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag der Klägerin eine mündliche Verhandlung am 16. November 2017 anberaumt. Die Klägerin hat dort nach Erörterung der Sach- und Rechtslage beantragt festzustellen, dass der Bescheid des Finanzamtes in der Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtswidrig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig sei, weil die Klägerin im Erfolgsfall eine Besoldungsnachzahlung aufgrund von § 41 Abs. 3 LBG Bbg zu erwarten hätte; die Klage sei jedoch unbegründet, weil die Zurruhesetzung der Klägerin rechtmäßig erfolgt sei. Die Prognose dauernder Dienstunfähigkeit sei im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu Recht ergangen. Die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit innerhalb von sechs Monaten sei nicht zu erwarten gewesen. Die Amtsärztin habe am 8. Mai 2012 die Dienstunfähigkeit der Klägerin festgestellt und eine Wiedereingliederung im Rahmen des Hamburger Modells für möglich gehalten. Diese Prognose habe sich jedoch bis Ende Dezember 2012, wie es die Amtsärztin angenommen habe, nicht erfüllt. Die Wiedereingliederung sei offensichtlich fehlgeschlagen. Der Beklagte habe kein erneutes ärztliches Gutachten einholen müssen. Zu Recht stelle der Beklagte auf die Fehlzeiten der Klägerin während ihrer gesamten Dienstzeit ab. Das konfliktträchtige Verhalten der Klägerin sei hinzugekommen. Es sei dem Beklagten unmöglich geworden, sie im Geschäftsverteilungsplan einzuplanen. Die privatärztlichen Atteste der Klägerin ergäben nichts anderes. Auch sei eine anderweitige Verwendung der Klägerin ausgeschlossen gewesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 16. Januar 2018 zugestellte Urteil den Antrag auf Zulassung der Berufung am 23. Januar 2018 gestellt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 10. April 2019, der Klägerin am 24. April 2019 zugestellt, zugelassen. Die Klägerin hat die Berufung am 13. Mai 2019 begründet und zugleich ihren Fortsetzungsfeststellungsantrag erneuert. Der Senat hat die Beteiligten nachfolgend darauf hingewiesen, dass anstelle des Fortsetzungsfeststellungsantrags ein Anfechtungsantrag sachdienlich sei.

Die Klägerin begründet ihre Berufung mit der Behauptung, der Beklagte habe die negative Prognose nicht mit der gebotenen Sicherheit annehmen können. Die Einschätzung der Amtsärztin für das Hamburger Modell beruhe stets auf der Grunderkrankung. Wenn das Modell durch andere Faktoren beeinträchtigt werde, sei die Wiedereingliederung nicht zwingend gescheitert. Auch sei die nunmehr erfolgte Prognose dauernder Dienstunfähigkeit nicht gerechtfertigt gewesen. Der Beklagte hätte eine weitere amtsärztliche Einschätzung herbeiführen müssen, inwieweit sich die allgemeinen Erkrankungen der Klägerin, die zufällig hinzugetreten seien, auf die weitere Prognose auswirkten. Der Beklagte habe die Vermutung weiterer Fehlzeiten unzulässigerweise pauschal auf frühere Fehlzeiten gestützt. Er habe auch nicht Schwierigkeiten der Belegschaft im Umgang mit der Klägerin anführen dürfen, weil sich daraus nicht eine Dienstunfähigkeit, sondern gegebenenfalls ein disziplinarisches Vorgehen begründen ließe. Ihrer Reaktivierung hätten die angeblichen Schwierigkeiten mit Kollegen jedenfalls nicht entgegenstanden.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. November 2017 a) dem Bescheid des Finanzamts Strausberg vom 12. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar 2013 aufzuheben, b) hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid des Finanzamts Strausberg vom 12. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar 2013 rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte tritt der Berufung entgegen. Er hat bereits auf den Zulassungsantrag erwidert, dass es eines erneuten amtsärztlichen Gutachtens nicht bedurft habe. Die gesetzliche Pflicht des Dienstherrn, einen dienstunfähigen Beamten in den Ruhestand zu versetzen, werde durch eine unterbliebene Begutachtung nicht berührt und wirke sich auf die Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzungsverfügung nicht aus. Die ärztliche Begutachtung sei nicht das einzige und allein ausschlaggebende Beweismittel zur Klärung der Dienstfähigkeit. Aufgrund der gesamten gesundheitlichen Konstitution der Klägerin sei damals davon auszugehen gewesen, dass eine dauerhafte vollständige Dienstfähigkeit in angemessener Zeit nicht hätte erreicht werden können. Angesichts der immensen Zahl von Fehlzeiten und dem Scheitern einiger Wiedereingliederungsversuche sei nicht mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen gewesen. Das zu würdigen obliege dem Beklagten.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass das vorliegende ärztliche Gutachten über den Gesundheitszustand gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 LBG Bbg vielleicht nicht ausgereicht habe und dass angesichts des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2019 – 2 C 24.18 – eine Aufklärung durch gerichtlichen Sachverständigen den Verfahrensfehler womöglich nicht unbeachtlich machen könne.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Verwaltungsvorgänge haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, denn ihre Klage ist zulässig und begründet.

Der Anfechtungsantrag (§ 42 VwGO) der Klägerin ist zulässig. Der Zurruhesetzungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat sich nicht etwa durch die Reaktivierung der Klägerin im Sinn des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt. Ein Verwaltungsakt erledigt sich nur, wenn die mit ihm einhergehende beschwerende Wirkung entfällt, er keine den Betroffenen belastenden Wirkungen mehr äußert, etwa in der Bezahlung (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1982 – 8 C 101.81 – BVerwGE 66, 75 <77>). Mit einer Aufhebung des hier angefochtenen Bescheids ist der Anspruch auf Nachzahlung der zwischenzeitlich gekürzt ausgezahlten Alimentation gegeben. Umgekehrt hätte die Bestandskraft des Bescheides die Folge, dass der Primäranspruch auf Nachzahlung entfiele. Die Bestandskraft ist nicht dadurch eingetreten, dass die Klägerin ihren Anfechtungsantrag in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) gewandelt hat. Denn die Rückkehr vom Fortsetzungsfeststellungsantrag zum Anfechtungsantrag ist im noch laufenden Verfahren jederzeit möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1982 – 8 C 101.81 – BVerwGE 66, 75 <78>; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 295).

Der Zurruhesetzungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da die Klägerin ihre Versetzung in den Ruhestand nicht selbst beantragt hat, muss sich der Bescheid auf § 41 LBG Bbg stützen können. Maßgeblich ist dessen ursprüngliche Fassung vom 3. April 2009, da die einzige Änderung dieser Vorschrift, die Einfügung des § 41 Abs. 2 Satz 3 LBG Bbg durch Gesetz vom 29. Juni 2018, nicht rückwirkend in Kraft trat (siehe Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Landesbeamtengesetzes). Die Zurruhesetzung durch Entscheidung der zuständigen Stelle (§ 41 Abs. 2 Satz 2, § 50 LBG Bbg) schließt ein Verwaltungsverfahren ab, das mit der Einholung eines ärztlichen Gutachtens über den Gesundheitszustand des Beamten beginnt, aufgrund dessen der Dienstvorgesetzte seine Entscheidung zu treffen hat, ob er den Beamten für dienstunfähig hält (§ 41 Abs. 1 Satz 1 LBG Bbg) . In den flankierenden Vorschriften über die Dienstunfähigkeit (§ 37 LBG Bbg) und die ärztliche Untersuchung (§ 43 LBG Bbg) finden sich keine expliziten Regelungen über die Entbehrlichkeit ärztlicher Begutachtung. Selbst wenn sich der Beamte der Begutachtung entzieht, kann nach § 37 Abs. 1 Satz 2 LBG Bbg nur ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst, nicht hingegen Dienstunfähigkeit (so aber nach § 39 Abs. 1 Satz 5 des Berliner LBG) angenommen werden. Die gesetzliche Vorgabe, wonach die Entscheidung über die Dienstunfähigkeit „aufgrund“ eines ärztlichen Gutachtens über den Gesundheitszustand zu treffen ist, schließt die Feststellung der Dienstunfähigkeit ohne medizinische Sachkunde in der Regel aus (BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 22 zum gleichlautenden Bundesrecht).Ein ärztliches Gutachten muss, um Grundlage für eine vorzeitige Zurruhesetzung zu sein, die medizinischen Befunde und Schlussfolgerungen plausibel und nachvollziehbar darlegen (BVerwG, a.a.O. Rn. 23). Daran fehlt es, wenn nach dem ärztlichen Gutachten mit baldiger Wiederherstellung der vollen Dienstfähigkeit zu rechnen ist. Eine Zurruhesetzung gegen die medizinischen Bewertungen im Gutachten ist regelmäßig nicht rechtens.

Das mag anders zu sehen sein bei der Feststellung der Dienstunfähigkeit auf Antrag des Beamten, bei der der Dienstvorgesetzte zwar ebenfalls „aufgrund“ eines ärztlichen Gutachtens über den Gesundheitszustand entscheidet, aber insoweit eine Erklärung „nach pflichtgemäßem Ermessen“ abzugeben hat darüber, dass er den Beamten für dauernd dienstunfähig halte, seine Dienstpflichten zu erfüllen (§ 40 Abs. 1 LBG Bbg). Der sich mit dieser Gesetzesfassung abzeichnende Entscheidungsspielraum setzt sich nach § 40 Abs. 2 LBG Bbg darin fort, dass die über die Versetzung in den Ruhestand entscheidende Stelle an die Erklärung des Dienstvorgesetzten nicht gebunden ist und andere Beweise erheben kann. In der hier interessierenden Entscheidung gemäß § 41 Abs. 1 LBG Bbg ohne Pensionierungsantrag des Beamten wird dem Dienstvorgesetzten nicht die Möglichkeit eingeräumt, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Hier ist entscheidend, ob der Dienstvorgesetzte den Beamten aufgrund des ärztlichen Gutachtens über den Gesundheitszustand für dienstunfähig „hält“. Mit diesem Wort trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass im ärztlichen Gutachten nicht mehr als der Sachverhalt festgestellt und tatsächlich begründet wird, während es dem Sachwalter der Behörde obliegt, daraus die rechtlichen Schlüsse zu ziehen (BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 25).

Das über den Gesundheitszustand der Klägerin im Frühjahr 2012 erstellte ärztliche Gutachten belegte weder eine dauernde Dienstunfähigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG noch bot es die Grundlage für die Annahme, für die Klägerin bestehe keine Aussicht, dass ihre Dienstfähigkeit innerhalb eines halben Jahres wieder voll hergestellt (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 37 Abs. 2 LBG Bbg) sein könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 – 2 B 5.19 – juris Rn. 13 bis 15). Das sieht auch der Beklagte nicht anders, der sich auf das Scheitern der Wiedereingliederung beruft, ohne dessen Gründe zu kennen bzw. medizinisch klären zu lassen. Für die gebotene und ärztlich zu unterlegende Prognose ist nach allgemeinen Regeln der Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch gegen die Zurruhesetzung maßgeblich (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 27; Urteil des Senats vom 21. Juli 2017 – OVG 4 B 3.16 – juris Rn. 25 zum brandenburgischen Beamtenrecht m.w.N.); der anderslautende § 41 Abs. 2 Satz 3 LBG Bbg findet im vorliegenden Fall noch keine Anwendung.

Es fehlt an einem ärztlichen Gutachten, das die Schwierigkeiten der Klägerin bei der Wiedereingliederung medizinisch einordnete und der Frage nachging, ob es sich dabei um Auswirkungen des Grundleidens oder anderweitiger, kurzfristig auftretender Erkrankungen handelte. Der vom Beklagten angeführte zweite Grund für die Zurruhesetzung, die von ihm wahrgenommenen Probleme der Klägerin im Umgang mit Vorgesetzten und Beschäftigten und in der Selbstorganisation, ist überhaupt nicht ärztlich begutachtet worden (zur Notwendigkeit vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 2017 – 2 A 6.15 – juris Rn. 65). Der Klägerin ist darin recht zu geben, dass insoweit die Unterscheidung zwischen disziplinarrelevantem Verhalten und psychiatrischen Auffälligkeiten erheblich ist.

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Im Unterlassen der Einholung eines ärztlichen Gutachtens, das die Annahme der Dienstunfähigkeit stützt, ist ein Verfahrensfehler des Beklagten zu sehen. Dieser Verfahrensfehler ist nicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg i.V.m. § 46 VwVfG unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Zurruhesetzungsbescheides nicht beansprucht werden, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung der Verfahrensvorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Annahme der „Offensichtlichkeit“ ist dann ausgeschlossen, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre. An einer solchen konkreten Möglichkeit fehlt es, wenn die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit als gebundene Entscheidung auf der Grundlage hinreichender (amts-)ärztlicher Gutachten beruht (so BVerwG, Beschluss vom 13. November 2019 – 2 C 24.18 – juris Rn. 3). Angesichts dieser Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, ist es nicht die Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit, eine unterbliebene oder unzulängliche ärztliche Begutachtung im Nachhinein und rückwirkend durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu ersetzen und zu ermitteln, ob die Zurruhesetzung wenigstens im Ergebnis zutreffend erfolgte (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 4. September 2018 – 4 S 142/18 – juris Leitsatz 3). Das Gericht hat die noch fehlende Offensichtlichkeit des richtigen Ergebnisses nicht selbst herbeizuführen.

Da die Klägerin bereits mit ihrem Hauptantrag Erfolg hat, braucht der Hilfsantrag nicht mehr behandelt zu werden.

Es bedarf keiner Änderung des Gerichtsbescheids durch das Berufungsurteil, weil er nach § 84 Abs. 3 VwGO als nicht ergangen gilt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision gegen den Beschluss ist nicht zuzulassen (vgl. §§ 125 Abs. 2 Satz 4, 130a Satz 2 VwGO), weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG genannten Gründe vorliegt.

 

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