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Verkehrsunfall – Arztkosten zur Abklärung einer Unfallverletzung

AG Hamburg – Az.: 7 C 264/19 – Urteil vom 28.05.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 120,68 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.04.2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Versicherung, begehrt von der Beklagten, einer anderen Versicherung, Ersatz derjenigen Aufwendungen, die sie einer dritten Versicherung, der … AG, in Folge eines Verkehrsunfalles beglichen hat.

Verkehrsunfall - Arztkosten zur Abklärung einer Unfallverletzung
(Symbolfoto: antoniodiaz/Shutterstock.com)

Die Klägerin war im März 2018 Versicherer eines von Herrn G…. H… gehaltenen Kraftfahrzeuges der Marke Porsche Boxter mit dem amtlichen Kennzeichen HH-….. Die Beklagte war im März 2018 wiederum Versicherer des von der Firma R…. V…. GmbH & Co. KG gehaltenen Fahrzeugs VW Caddy mit dem amtlichen Kennzeichen HH-….

Zwischen den beiden – bei den Parteien versicherten – Fahrzeugen ereignete sich am 02.03.2018 gegen 09:15 Uhr in Hamburg im Kreuzungsbereich der Straßen Frauenthal/Harvestehuder Weg ein Verkehrsunfall, dessen Hergang und Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig ist. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges, Herr R1… V…., übersah, dass die Fahrerin des bei der Klägerin versicherten Fahrzeuges rechts in den Harvestehuder Weg einbog, dort jedoch kreuzenden Rad- und Fußverkehr abzuwarten hatte, und fuhr auf das Fahrzeug des bei der Klägerin versicherten Fahrzeuges auf.

Nach dem Unfall begab sich Herr H…, welcher sich im Zeitpunkt des Unfalles als Beifahrer in dem bei der Klägerin versicherten Fahrzeug befunden hatte und vor dem Unfall keinerlei Beschwerden im oberen Wirbelsäulenbereich hatte, wegen Beschwerden in Behandlung. Auf Verordnung der Orthopädie-Fachärzte D…. und H…., Hamburg, hin, in dessen Privatrezept (Anlage K 3a) es heißt: „D: Rotationsfehlstellung C1/2 nach Unfall“, begab sich Herr H… in weitere Behandlung und reichte die Behandlungskosten in Gesamthöhe von 1.363,83 Euro bei seinem Krankenversicherer, der …AG, zur Regulierung ein. Die Behandlungskosten schlüsseln sich dabei wie folgt auf (vgl. Anlage nebst Rechnungen zu Anlage K 4):

  • Erstbefundung am 27.03.2018 bei Herrn Dr. med. H….: 120,68 Euro
  • Folgetermin am 07.06.2018 bei Herrn G… nebst Verordnung von Therapien (u.a. Massagen und Manualtherapie): 620,00 Euro
  • Folgetermin am 27.06.2018 bei Herrn G… nebst Verordnung von Therapien (u.a. Massagen und Manualtherapie): 620,00 Euro
  • Wiederholungsrezept und/oder Überweisung durch Prof. Dr. med. D….: 3,15 Euro

Die … AG zahlte die Behandlungskosten des Herrn H… an ihn zurück und trat mit Schreiben vom 18.02.2019 (Anlage K 4) an die Klägerin heran forderte sie zur Erstattung des verauslagten Betrages auf. Die Klägerin leistete den geforderten Betrag und forderte mit Schreiben vom 17.04.2019 (Anlage K 5) die Beklagte zur Erstattung des verauslagten Betrages auf. Die Beklagte kam der Zahlungsaufforderung nicht nach. Mit Schriftsatz vom 28.06.2019 – bei Gericht am 22.07.2017 eingegangen und der Beklagten am 18.09.2019 zugestellt – erhob die Klägerin Klage.

Die Klägerin behauptet, Herr H… habe durch den Unfall eine Beschleunigungsverletzung erlitten. Die Halswirbelsäulenkörper C1 und C2 hätten durch die aus dem Aufprall resultierende auf den Körper des Herrn H… einwirkende Bewegungsenergie eine Fehlstellung erlitten.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.363,83 Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 02.05.2019, hilfsweise seit Zustellung der Klage, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens (technisch-biomechanischer und medizinischer Teil) der Sachverständigen Dipl.-Ing. Frau R2… sowie Prof. Dr. N…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2021, in welcher Herr Prof. Dr. N… zu seinem Gutachten angehört wurde, sowie auf die schriftlichen Sachverständigengutachten vom 29.06.2020 sowie vom 16.10.2020.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist lediglich in tenorierter Höhe begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte lediglich einen Anspruch in Höhe von 120,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2019.

1.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch in Höhe von 120,68 Euro gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 StVG i.V.m. §§ 115 Abs. 1 Nr. 1, 86 VVG zu.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Herr H… keine ausschließlich auf das Unfallgeschehen zurückführbare gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere keine unfallbedingte Fehlstellung der Halswirbelkörper C1/2 erlitten hat. Entsprechende etwaig hierfür von der Klägerin erstattete Aufwendungen gegenüber der …AG sind deshalb auch nicht von der Beklagten zu erstatten. Etwas anderes gilt nur für die Kosten des Arztbesuches am Unfalltag bei Herrn Dr. H1… in Höhe von 120,68 Euro, da dieser Arztbesuch erforderlich war, um die Unfallfolgen abschätzen zu lassen.

Gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Danach ist ein Beweis dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie den sonstigen Umständen und dem Akteninhalt von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung derart überzeugt ist, dass vernünftigen Zweifeln Schweigen geboten ist, ohne dass diese vollständig ausgeschlossen sind (Zöller, 33. Aufl., § 286 ZPO, Rn. 19).

Nach den in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Aussagen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dipl.-Ing. Frau R2… sowie Prof. Dr. N…, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt, ist nicht davon auszugehen, dass Herr H… ausschließlich auf das Unfallgeschehen zurückführbare gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere eine unfallbedingte Fehlstellung der Halswirbelkörper C1/2 erlitten hat.

Die Sachverständige Dipl.-Ing. R2… kommt in dem zunächst eingeholten unfallanalytischen Gutachten für das Gericht plausibel und nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass sich die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung für das klägerische Fahrzeug im Bereich von 9 – 12 km/h bewegt habe. Die bei der Kollision aufgetretene mittlere Beschleunigung habe zwischen 3,1 und höchstens 3,7 gelegen.

Anhand dessen sowie anhand der vorgenommenen Untersuchungen kommt der Sachverständige Prof. Dr. N… ebenfalls plausibel und für das Gericht nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass Herr H… keine ausschließlich auf das Unfallgeschehen zurückführbare gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere keine unfallbedingte Fehlstellung der Halswirbelkörper C1/2 erlitten hat.

Der Sachverständige führte insoweit aus, dass Halswirbelsäulenverletzungen unter den vorgenannten Bedingungen außerordentlich selten seien. Die unfallbedingten Kräfte gingen nicht über das hinaus, was im Sport und bei Freizeitvergnügen ohnehin auftrete. Direkte Verletzungszeichen seien bei der fachorthopädischen Untersuchung, die unmittelbar nach dem Unfall stattgefunden habe, nicht feststellbar gewesen. Es hätten sich weder Hautabschürfungen noch Prellmarken, Blutergüsse, Gurtmarken oder neurologische Ausfälle gefunden. Die Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule vom Unfalltag habe ebenfalls keine Verletzungszeichen gezeigt. Die diskrete Rotationsstellung im Bereich der Kopfgelenke sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schlicht durch den Umstand hervorgerufen, dass der Kopf bei der Aufnahme um wenige Grad rotiert gehalten worden sei. Auch hätten sich keine Fraktur, eine Bandzerreißung oder andere direkten Unfallfolgen gezeigt. Schließlich spreche auch die Verordnung von Massagen und Manualtherapie gegen das Vorliegen einer relevanten Halswirbelsäulenverletzung. Hätte eine solche vorgelegen, so wäre diese Therapieform kontraindiziert gewesen. Wissenschaftlich gesprochen sei es zu einer Halswirbelsäulenverletzung Grad Null nach Schröter gekommen. Der Arztbesuch am Unfalltag bei Herrn Dr. H1… sei allerdings unfallbedingt erforderlich gewesen. Herr H… habe nicht selbst zuverlässig einschätzen können, ob eine Verletzung der Halswirbelsäule stattgefunden habe oder nicht.

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In der Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. N… hat dieser überdies plausibel und für das Gericht nachvollziehbar erläutert, dass wissenschaftliche Untersuchungen kein grundlegend anderen Ergebnisse dazu liefern würden, ob man mit einer Einwirkung auf den Körper rechne oder nicht. Entscheidend seien die Beschleunigung und die Kraft selbst. Die leicht rotierte Kopfstellung nehme er an, da es sich bei dem Röntgenverfahren um ein Summationsverfahren handele, welches zu einem Summationsbild führe, dies heiße, dass sämtliche Strukturen des Körpers abgebildet würden. Man sähe beispielsweise auch die Frontzähne und auch den Zwischenraum zwischen den vorderen Schneidezähnen. Wenn dieser Zwischenraum sich nicht mittig auf die Wirbelsäule projiziere, dann müsse der Kopf gedreht sein. So sei es auch hier gewesen. Auf weitere Nachfrage erläutere er ferner nachvollziehbar, dass auch sonstige unterhalb der in seinem Gutachten ausgeschlossenen Verletzungsbilder, die schneller wieder ausheilen würden, fast nie möglich und nicht nachzuweisen seien. Der zweite Arztbesuch sei nicht mehr erforderlich gewesen, da bei diesem nicht mehr die Unfallfolgen festgestellt worden seien.

2.

Auf den geschuldeten Betrag von 120,68 Euro schuldet die Beklagte unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeiten Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2019 gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 BGB. Einen höheren Zinssatz gemäß § 288 Abs. 2 BGB schuldet die Beklagte nicht, da es sich bei der Klagforderung nicht um eine Entgeltforderung i.S.d. Norm handelt.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 2 Nr. 1 BGB analog (BeckOK ZPO/Jaspersen, 40. Ed. 1.3.2021, ZPO § 92 Rn. 34). Dies ist auch deshalb sachgerecht, weil die Anwendung des § 96 ZPO hinsichtlich der Gutachterkosten zum gleichen Ergebnis käme, da das Angriffsmittel des Sachverständigengutachtens ohne Erfolg geblieben ist und die Klage, sofern sie begründet ist, auch ohne das Beweismittel des Sachverständigengutachtes Erfolg gehabt hätte, da ein am Verkehrsunfall Beteiligter nach Überzeugung des erkennenden Gerichts die notwendigen medizinischen Transport-, Befunderhebungs- und Diagnosekosten zur medizinischen Abklärung bzw. zum medizinischen Ausschluss möglicher Verletzungsfolgen bei Vorliegen von nicht unerheblichen gesundheitlichen Beschwerden nach einem nicht unerheblichen Verkehrsunfall – wie hier – dem Unfallgegner bzw. dessen Haftpflichtversicherung in Rechnung stellen kann. Dies gilt selbst dann, wenn später aufgrund der erfolgten medizinischen Befunderhebung und Diagnose durch den Arzt festgestellt wird, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung der am Verkehrsunfall Beteiligten tatsächlich nicht durch den Verkehrsunfall verursacht wurde. Ein Verkehrsteilnehmer, der Opfer eines Auffahrunfalls geworden ist und danach Schmerzen, Unwohlsein und Missempfindungen verspürt, verhält sich nämlich keineswegs unsachgemäß, wenn er sich daraufhin in medizinischer/ärztlicher Behandlung begibt, um wegen der verspürten Beschwerden zunächst einer Befunderhebung und Diagnose durchführen zu lassen und vor allem, um diagnostisch abzuklären, ob dies ggf. Anzeichen für eine ernsthafte Verletzung/Gesundheitsschädigung sind.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11 Alt. 1 und 2, 711, 709 S. 2 ZPO.

 

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