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Verkehrsunfall – Begriff des „unabwendbaren Ereignisses“

AG Pfaffenhofen,  Az.:  1 C 211/13, Urteil vom 19.09.2014

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.341,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.03.2013 sowie 302,10 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.03.2013 zu bezahlen.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Von den Gerichtskosten des Rechtsstreits haben die Beklagten als Gesamtschuldner 81 % und die Beklagte zu 2. weitere 19 %zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen 81 % die Beklagten gesamtschuldnerisch und die Beklagte zu 2. weitere 19 %. Die außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten zu 2. und zu 3. trägt die Beklagte zu 2.. Im Übrigen trägt jeder seine außergerichtlichen Kosten selbst.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags. Die Beklagte zu 2. kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Drittwiderbeklagten zu 2. oder die Drittwiderbeklagte zu 3. vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Der Streitwert der Klage wird auf 3.341,20 €, der Streitwert der Widerklage auf 803,04 € festgesetzt.

Tatbestand

Mit der Klage sowie der Widerklage werden wechselseitige Schadensersatzansprüche aus ein und demselben Unfallereignis geltend gemacht.

Gegenstand ist der Verkehrsunfall vom 07.05.2012 auf der Bundesautobahn A9 Richtung München. Dabei fuhr der Fahrer des im Eigentum der Klägerin stehenden Pkw, Daimler Chrysler, amtl. Kennzeichen …, auf der mittleren Fahrspur auf den Sattelanhänger des Tanklastzuges mit der Zugmaschine Marke Mercedes, amtl. Kennzeichen … und Sattelanhänger mit dem amtl. Kennzeichen hinten … auf. Im Übrigen ist der Unfallhergang zwischen den Parteien streitig.

Gem. DEKRA-Gutachten vom 15.05.2012 entstanden am klägerischen Fahrzeug Reparaturkosten ohne MWSt i.H.v. 5.396,76 €.

Für die Erstellung des Sachverständigengutachtens wurden mit Rechnung vom 15.05.2012 465,63 € Nettobetrag der Klägerin berechnet.

Gem. diesem Gutachten lag beim klägerischen Fahrzeug eine Wertminderung von 800,00 € vor.

Gem. Rechnung-Nr. 12/3203 der Fa. … vom 24.05.2012 entstand am Auflieger des beklagten Tanklastzug Reparaturkosten i.H.v. netto 803,04 €.

Gem. Schreiben der Drittwiderbeklagten zu 3. vom 09.07.2012 wurden auf den Schaden der Beklagten zu 2. 401,52 € bei 50-%-iger Anrechnung einer Mithaftung ausgeglichen.

Die Klägerin trägt vor, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die mittlere von drei Fahrspuren befahren habe, während der Beklagte zu 1. die rechte Fahrspur befuhr. Weiter führt die Klägerin aus, dass der Beklagte zu 1. plötzlich und unerwartet den Fahrstreifen nach links auf die mittlere Fahrspur gewechselt habe, welche von dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs befahren wurde. Insoweit erklärt die Klägerin ergänzend, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die Kollision auch durch eine sofortige Vollbremsung nicht vermeiden konnte. Insoweit vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Beklagten allein verantwortlich für den Verkehrsunfall seien, da der Verkehrsunfall allein durch den Beklagten zu 1. verursacht worden wäre. Der Fahrstreifenwechsel dürfe insoweit nach Meinung der Klägerin nur erfolgen, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.

Die Klägerin beantragt zuletzt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.341,20 € nebst Zinsen i.H.v. 5-%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als nicht streitwerterhöhende Nebenforderung 302,10 € nebst Zinsen i.H.v. 5-%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen zuletzt: Klageabweisung.

Die Beklagten tragen vor, dass der Beklagte zu 1. nach ordnungsgemäßer Ankündigung durch Blinkzeichen auf die Mittelspur gefahren sei, um einen vor ihm fahrenden Lkw zu überholen und sich bereits dort einige Zeit auf dem Mittelstreifen befunden habe, insoweit schon bis ca. zur Hälfte des überholenden Lkw gekommen wäre, als der Beklagte zu 1. im Rückspiegel beobachtet habe, dass ein Mercedes mit hoher Geschwindigkeit von hinten heran kam und aus unerklärlichen Gründen gegen den Auflieger gefahren wäre. Hierbei verweisen die Beklagten darauf, dass der Überholvorgang bzw. der Fahrspurwechsel keineswegs unfallursächlich gewesen wäre, da sich der Beklagten-Lkw bereits seit einiger Zeit auf dem mittleren Fahrstreifen befunden habe und zudem den zu überholenden Lkw bereits bis zur Hälfte überholt gehabt hätte, als es zum Auffahrunfall gekommen wäre. Diesbezüglich weisen die Beklagten darauf hin, dass der vollbeladene 40-Tonner verhältnismäßig lange Zeit brauchen würde, um einen Fahrspurwechsel und einen Überholvorgang auszuführen. Diesbezüglich sind die Beklagten der Auffassung, dass ein Mitverschulden ausscheide.

Vielmehr trägt die Beklagte zu 2. widerklagend vor, dass der Drittwiderbeklagte zu 2. allein verantwortlich für den Verkehrsunfall sei.

Widerklagend und drittwiderklagend beantragt die Beklagte zu 2. zuletzt:

Die Klägerin sowie die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte zu 2. 803,04 € nebst Zinsen i.H.v. 5-%-Punkten über dem Basiszinssatz seit der Zustellung dieses Schriftsatzes zu bezahlen.

Die Klägerin und beide Drittwiderbeklagten beantragen:

Abweisung der Widerklage.

Diesbezüglich tragen die Klägerin und Drittwiderbeklagten vor, dass der Fahrstreifenwechsel vor der Kollision vielmehr unmittelbar und ohne Vorankündigung erfolgt wäre und der Drittwiderbeklagte zu 2. nicht mit hoher Geschwindigkeit und nicht mit an den Verkehrsverhältnissen nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren sei, sondern vielmehr sofort eine Bremsung eingeleitet habe. Diesbezüglich verweisen die Klägerin und Drittwiderbeklagten darauf hin, dass das klägerische Fahrzeug überwiegend an der Front rechts beschädigt worden wäre, während der Beklagtenauflieger überwiegend hinten links beschädigt sei. Desweiteren weisen die Klägerin und Drittwiderbeklagten darauf hin, dass die Beklagte zu 2. bereits i.H.v. 50 % durch die Drittwiderbeklagte zu 3. befriedigt worden wäre.

Im Übrigen wird auf das Protokoll vom 19.06.2013 und hier auf die informatorische Anhörung des Drittwiderbeklagten zu 2. und des Beklagten zu 1., sowie des Zeugen … sowie das schriftliche Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. … vom 22.07.2014 (Blatt 47/73 der Akten) und dem Beschluss vom 13.08.2014 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat insoweit einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten aus §§ 7I, 17 I,18 I StVG i.V.m. § 115 I Nr. 1 VVG.

Insoweit stellt sich der Verkehrsunfall für keine Partei als unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 II StVG dar.

Unabwendbar ist nur ein solches Ereignis, dass durch äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (vgl. BGHZ 117, 337). Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus (vgl. BGHZ 113, 164). Nicht verlangt wird jedoch das Verhalten eines „Superfahrers“, sondern das Verhalten eines „Idealfahrers“ gemessen an durchschnittlichen Verkehrsanforderungen (vgl. BGHNJW 1986, 183; BGHZ 113, 164).

Unter Berücksichtigung dieser Prämisse hatte sich weder die Klage- noch die Beklagtenpartei wie ein Idealfahrer verhalten.

Der Fahrer der Klägerin, der Drittwiderbeklagte zu 2., war auf der Bundesautobahn nicht mit Richtgeschwindigkeit i.H.v. 130 km/h gefahren. Vielmehr war dieser entsprechend seiner informatorischen Einlassung mit einer Geschwindigkeit von ca. 200 km/h gefahren. Ein Idealfahrer wäre allerdings nur mit der Richtgeschwindigkeit und nicht mit der durch den Drittwiderbeklagten zu 2. angegebenen Geschwindigkeit auf der Bundesautobahn gefahren.

Aber auch der Beklagte zu 1. hat sich nicht wie ein Idealfahrer verhalten. Die Einlassung zu seiner Unfallversion sind entsprechend den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen nicht als plausibel einzuschätzen, weswegen das Fahrverhalten des Beklagten zu 1., das in der konkreten Situation durch die Beklagtenpartei nicht mit erforderlicher Sicherheit nachweisbar war, nicht dem eines Idealfahrers entsprach.

Diesbezüglich hatte der gerichtliche Sachverständige hierzu in seinem Gutachten zusammenfassend ausgeführt: „Ob der Aufprall des Kläger-Pkw auf das Heck des Aufliegers noch vor dem Ende des Spurwechselvorgangs erfolgt ist, oder ob der Tanklastzug der Beklagten bereits längere Zeit vor dem Aufprall vollständig auf der mittleren Fahrspur fuhr, lässt sich mit technischen Methoden nicht abschließend klären. Bei einer Kollision mit dem noch im Spurwechsel befindlichen Sattelzug ergibt sich eine weitestgehend spurparallele Fahrt des Kläger-Pkw in der Mitte der mittleren Spur. Demgegenüber müsse der Kläger-Pkw bei einem Auffahren auf das Heck des bereits fahrbahnparallel, auf der mittleren Spur fahrenden Sattelzugs in fahrbahnparalleler Fahrt mit den linken Rädern auf der linken Spur gefahren sein.“

Im Rahmen der Überlegungen bei gegenwärtiger Sachlage war somit entscheidend, in welchem Ausmaß hier die nach § 17 I StVG zu ermittelnden Haftungsquoten festzustellen waren.

Verkehrsunfall – Begriff des "unabwendbaren Ereignisses"
Symbolfoto: Von pathdoc /Shutterstock.com

Dementsprechend war entscheidend, inwieweit der Unfall überwiegend von der Klage- oder Beklagtenpartei verursacht worden war, wobei die insoweit zu berücksichtigenden Verschuldensbeiträge mit in die Überlegung einzustellen waren.

Die Bewertung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ergab hier aufgrund der Tatsache, dass letztlich nicht eindeutig zu klären war, wie der Unfallhergang tatsächlich abgelaufen war, eine Haftungsteilung 50 zu 50.

Diese erschien angesichts des nachweisbaren Unfallverlaufs angemessen und interessengerecht.

Der Umfang der geltend gemachten Schadenspositionen waren zwischen den Parteien unstreitig, so dass die Beklagten dementsprechend zur Zahlung des geltend gemachten hälftigen Gesamtschadenbetrages i.H.v. 3.341,20 € verpflichtet waren.

Darüberhinaus waren die Beklagten zur Tragung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 302,10 €, sowie der Prozesszinsen gem. § 291 BGB verpflichtet.

Die Klage war damit vollumfänglich begründet.

II.

Die zulässige Widerklage war als unbegründet abzuweisen.

Hier gelten die Ausführungen zur Klage entsprechend Ziffer I.).

Aufgrund der Unaufklärbarkeit des tatsächlichen Unfallverlaufs war eine Haftungsteilung interessengerecht und angemessen.

Dementsprechend hatte die Beklagte zu 2. gegen die Klägerin und die beiden Drittwiderbeklagten einen Anspruch auf einen Schadenersatz in Höhe von 401,52 €.

Dieser Betrag war durch die Drittwiderbeklagte zu 3. gem. Schreiben vom 09.07.2012 i.H.v. 401,52 € unstreitig beglichen worden.

 

Der Anspruch war damit erfüllt.

Ein weitergehender Anspruch bestand aufgrund Haftungsteilung nicht.

Die Widerklage war daher als unbegründet abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 100 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708Nr. 11, 709,711 ZPO.

 

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