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Verkehrsunfall – Haftung eines in Gegenrichtung anhaltenden Fahrzeugs

OLG Rostock – Az.: 5 U 183/10 – Urteil vom 27.05.2011

Auf die Berufung des Klägers wird das am 27.09.2010 verkündete Urteil des Landgerichts Neubrandenburg teilweise – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen – geändert und neu gefasst:

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 1.601,64 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.12.2009 zu zahlen sowie den Kläger von Ansprüchen der Rechtsanwälte T. und Partner aus der Rechnung vom 05.10.2009 i.H.v. 229,55 EUR freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 74 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 26 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 6.008,39 EUR.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 05.03.2009 geltend, an dem der Beklagte mit dem bei der Beklagten zu 2) versicherten Fahrzeug beteiligt war. Die Klage ist den Beklagten am 22.12.09 zugestellt worden. Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem das Landgericht die Klage abgewiesen hat.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er vor:

Der Umstand, dass sich der Beklagte mit seinem Fahrzeug neben der Straße auf dem Fußgängerbereich befunden habe und rückwärts wieder in den Straßenbereich gefahren sei, führe zu seiner alleinigen Haftung, da ein eklatanter Verstoß gegen § 10 StVO vorliege. Der Vorrang des fließenden Verkehrs sei nicht beachtet worden. Der Beklagte habe am 07.06.2010 selbst ausgesagt, dass er zunächst nur mit dem linken Rädern auf der Grünfläche gestanden habe, und dann, als er zum Stehen gekommen sei, beide Vorderräder bereits wieder auf der Hauptstraße gestanden hätten und seine Vorderräder nach rechts eingeschlagen gewesen seien und dass zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes seine Räder wieder nach links eingeschlagen gewesen seien. Damit sei er vom Seitenstreifen mit dem Fahrzeug in den fließenden Verkehr hineingefahren. Die Aussage des Beklagten sei widersprüchlich und nicht schlüssig.

Der Zeuge A. habe ausgesagt, dass sich das rechte Vorderrad des Fahrzeuges des Beklagten auf der rechten Fahrbahn befunden habe, als er an die Unfallstelle gekommen sei. Der Rückfahrscheinwerfer am Pkw des Beklagten sei angeschaltet gewesen.

Verkehrsunfall - Haftung eines in Gegenrichtung anhaltenden Fahrzeugs
Symbolfoto: Von Indypendenz/Shutterstock.com

Der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges hätte aufgrund der Situation durchaus durchfahren können und nicht besonders vorsichtig fahren müssen. Die Anzeichen hätten dafür gesprochen, dass der Beklagte mit seinem Fahrzeug stehenbleiben und den Fahrer des Klägerfahrzeuges passieren lassen würde. Der von Letzterem eingehaltene Seitenabstand von ca. 50 cm sei nicht unzureichend gewesen. Den Beklagten träfen besondere Sorgfaltspflichten des Rückwärtsfahrenden gem. § 9 Abs. 5 StVO. Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer müsse ausgeschlossen sein. Die Beschädigungsspuren am klägerischen Fahrzeug sprächen nicht dafür, dass sich das Fahrzeug des Beklagten nicht in Rückwärtsfahrt befunden habe. Ein beantragtes Unfallrekonstruktionsgutachten hätte Gewissheit darüber bringen können, welche Fahrzeugteile miteinander kollidiert seien und ob sich das Beklagtenfahrzeug in Rückwärtsfahrt befunden habe. Ein alleiniges Verschulden des Fahrers des Klägerfahrzeuges komme nicht in Betracht, da immer noch § 10 StVO zum Tragen komme.

Der Kläger beantragt: Unter Abänderung des am 27.09.2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Neubrandenburg die Beklagten zu verurteilen,

1. als Gesamtschuldner an den Kläger 6.008,39 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;

2. als Gesamtschuldner den Kläger von den Ansprüchen der Rechtsanwälte T. aus der Rechnung vom 05.10.2009, Re.-Nr.: 997/09 in Höhe von 603,93 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Vertiefung und Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrages. Keiner der in der Beweisaufnahme angehörten Personen habe bestätigt, dass der Beklagte mit seinem Fahrzeug rückwärts gefahren sei. Es bleibe dabei, dass das klägerische Fahrzeug gegen den stehenden Pkw des Beklagten gefahren sei. Da der Beklagte mit seinem Fahrzeug nicht rückwärts gefahren sei, könne er auch nicht gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen haben. Auch liege kein Verstoß gegen § 10 StVO vor, da der Unfall nicht dabei geschehen sei, als der Beklagte von der Fahrbahn in ein Grundstück eingebogen sei. Der Betreuer des Klägers habe sich bei der Durchfahrt zwischen den beiden haltenden Fahrzeugen offensichtlich geirrt und sei mit dem Beklagtenfahrzeug deshalb zusammengestoßen. Dem Vortrag der Beklagtenseite, dass die Kollisionsspuren am klägerischen Fahrzeug ziemlich gleichmäßig verliefen und die Eindringtiefe sich kaum ändere, sei von der Klägerseite nicht widersprochen worden. Insofern habe das Gericht aufgrund eigener Sachkenntnis darauf schließen dürfen, dass sich das Beklagtenfahrzeug nicht in der Rückwärtsbewegung befunden habe, als es zu dem Unfall gekommen sei.

Der Unfall sei allein darauf zurückzuführen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges den Seitenabstand nicht zutreffend eingeschätzt habe.

Die Parteien haben auf Anforderung des Senats Lichtbilder vorgelegt, auf denen die Beschädigungen des klägerischen Fahrzeuges zu sehen sind.

Der Senat hat die polizeiliche Unfallakte des Landkreises Uecker-Randow beigezogen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat zum Teil Erfolg. Die Beklagten haften dem Kläger gem. §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, § 115 VVG auf Zahlung von Schadenersatz i.H. des titulierten Betrages und Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten.

a) Es greift die Gefährdungshaftung gem. § 7 StVG ein.

aa) Der Unfall ereignete sich bei dem Betriebe des Kraftfahrzeuges des Beklagten, selbst wenn dieses Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt stand, wovon hier auszugehen ist. Der Betrieb dauert an, solange das Kraftfahrzeug im Verkehr verbleibt und die dadurch geschaffene Betriebsgefahr also fortbesteht, so zum Beispiel auch bei bloß vorübergehendem Anhalten und sogar bei parkenden Kraftfahrzeugen (Hentschel/König/Dauer, StVG, 41. Aufl. Rn 7, 8, zu § 7 StVG). So liegt es hier, denn der Beklagte fuhr auf den linken Randstreifen und hielt dort an, um rückwärts in einen Carport hereinzusetzen, der sich neben der linken Fahrbahnseite auf einem Grundstück befand.

bb) Höhere Gewalt gem. § 7 Abs. 2 StVG liegt nicht vor.

cc) Damit kommt es zur Anwendung von § 17 Abs. 1, 2 StVG, denn der Schaden wurde auch durch das Kraftfahrzeug des Klägers verursacht.

Ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG liegt nicht vor. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Dies kann bei beiden beteiligten Fahrern nicht festgestellt werden.

Zwar ist nicht bewiesen, dass der Beklagte rückwärts fuhr, als es zum Zusammenstoß kam. Dieses haben weder die Parteien bzw. der Betreuer des Klägers noch der Zeuge X. bestätigt. Ein Verstoß gegen § 10 StVO kann dem Beklagten auch nicht zur Last gelegt werden, da er nicht aus einem Grundstück auf die Straße fuhr. Trotzdem hat sich der Beklagte nicht wie ein „Idealfahrer“, wie er in § 17 Abs. 3 StVG vorausgesetzt wird (vgl. dazu Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rn. 22 zu § 17), verhalten, als er an der linken Seite der Fahrbahn entgegen § 12 Abs. 4 Satz 2, 2. Alternative StVO in Gegenrichtung anhielt. Wer anhalten will, muss auf der rechten Fahrbahnseite rechts bleiben. Ein Fahrer, der die äußerst mögliche Sorgfalt angewendet hätte, hätte sich anders verhalten, auf den rückwärtigen Verkehr geachtet und auf der rechten Seite angehalten.

Allerdings hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges den Schaden fahrlässig durch seine Fahrweise verursacht, indem er einen zu geringen Seitenabstand einhielt. Unstreitig entstand der Schaden durch eine Berührung mit dem Reifen des Beklagtenfahrzeuges. Der Senat kann nicht unterstellen, dass der Beklagte rückwärts fuhr und so sein Fahrzeug in den Verkehrsraum hineinbewegte (so der Fall des BGH in VRS 24, 412: volle Haftung des vorausfahrenden Pkw gegenüber dem vorbeifahrenden Moped). Der Führer des klägerischen Fahrzeuges verschätzte sich, indem er zwischen dem links haltenden Fahrzeug des Beklagten und dem auf der rechten Seite parkenden, nicht unfallbeteiligten Fahrzeug hindurchfuhr und dabei einen zu geringen Seitenabstand einhielt. Bei Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen ist ausreichender Seitenabstand einzuhalten. Bei sehr schmaler Straße können u.U. weniger als 50 cm Abstand vom parkenden Fahrzeug genügen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., Rdn. 7 zu § 6 StVO). Hier reichte der Abstand nicht aus. Der von dem Fahrer des klägerischen Fahrzeuges eingehaltene Seitenabstand war viel zu gering, da er an dem Reifen des Beklagtenfahrzeuges entlanggeschrammt ist.

Das von dem Kläger beantragte verkehrsanalytische Unfallgutachten musste nicht eingeholt werden, da es dafür an Anknüpfungstatsachen fehlt, insbesondere ist die Unfallskizze auf Blatt 4 der polizeilichen Verkehrsunfallakte nicht maßstabsgerecht. Unfallspuren an Ort und Stelle wurden nicht gesichert. Auch aus den Lichtbildern des klägerischen Fahrzeuges könnte ein Sachverständiger keine hinreichenden Schlüsse ziehen.

Keinen Ausgleich seines Schadens erhält, wessen Verursachungsanteil und/oder Schuld so stark überwiegt, dass der des anderen Beteiligten demgegenüber völlig zurücktritt (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rn. 16 zu § 17 StVG). So liegt es hier nicht. Das Verschulden des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges ist nicht so grob, dass deswegen die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges gänzlich zurücktritt. Es verbleibt bei der Haftung des Beklagten zu 1.) aus Betriebsgefahr, die der Senat mit 20 % bewertet.

b) Zur Schadenshöhe:

aa) Der Kläger kann die von ihm in der Klageschrift angesetzten Schadenspositionen geltend machen. Die Gutachterkosten i. H. v. 500,04 EUR schulden die Beklagten in voller Höhe, sie sind nicht zu quotieren (Senat, Urteile vom 11.03.2011 – 5 U 122/10 – und v. 18.03.2011 – Az.: 5 U 144/10). Damit kann der Kläger 20 % aus einem Betrag von 5.508,35 EUR verlangen, dies sind 1.101,60 EUR, sowie die vollen Gutachterkosten von 500,04 EUR, d. h. insgesamt 1.601,64 EUR.

bb) Ferner schulden die Beklagten dem Kläger gem. § 249 BGB Freistellung von den Rechtsanwaltsgebühren, die ihm durch die außergerichtliche Geltendmachung seiner Schadenersatzforderung entstanden sind und zwar nach einem Gegenstandswert von 1.607.64 EUR. Dies sind 229,55 EUR (vgl. dazu Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., Rdn. 57 zu § 249).

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c) Die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 187 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB.

III.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

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