LG Freiburg – Az.: 6 O 37/18 – Urteil vom 08.05.2020
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) 139.400,31 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 29.09.2017 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) über das Teilanerkenntnisurteil vom 30.08.2018 hinaus weitere 2/3 sämtlicher weiterer Schäden – auch über die Haftungshöchstgrenze des § 12 StVG hinaus – zu ersetzen, die der Klägerin zu 1) aus der Verletzung des …, vom 13.09.2015 aufgrund des Unfalls auf der BAB 5 von Basel in Richtung Karlsruhe in der Gemarkung Neuenburg entstanden sind oder noch entstehen werden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2) 8.398,77 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 29.09.2017 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin zu 2) über das Teilanerkenntnisurteil vom 30.08.2018 hinaus weitere 2/3 sämtlicher weiterer Schäden – auch über die Haftungshöchstgrenze des § 12 StVG hinaus – zu ersetzen, die der Klägerin zu 2) aus der Verletzung des …, vom 13.09.2015 aufgrund des Unfalls auf der BAB 5 von Basel in Richtung Karlsruhe in der Gemarkung … entstanden sind oder noch entstehen werden.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen als Gesamtgläubiger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.784,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.03.2018 zu zahlen.
6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
7. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
8. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 217.993,21 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um auf die Klägerinnen nach § 116 SGB X übergegangene Ansprüche des bei ihnen versicherten … aufgrund eines Verkehrsunfalls am 13.09.2015 auf der BAB 5 in Fahrtrichtung Basel-Karlsruhe, Gemarkung ….
Die Klägerinnen sind die Kranken- und Pflegeversicherung des …, geboren am …. Dieser saß am 13.09.2015 gemeinsam mit seinem Bruder in dem von seinem Vater geführten Pkw der Marke Alfa Romeo mit dem amtlichen Kennzeichen … auf der BAB 5 in Fahrtrichtung Basel-Karlsruhe, Gemarkung …. Der Vater des Geschädigten fuhr am frühen Morgen des 13.09.2015 auf das vor ihm fahrende Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen … auf. Der Pkw des Vaters des Geschädigten kam daraufhin auf der rechten Fahrspur schräg zum Stillstand, das Wohnmobil blieb nach einer längeren Schleuderstrecke rechts auf dem Standstreifen umgekippt liegen. Nach dem Unfall näherte sich ein weiterer Pkw der Marke Audi, in dem sich Herr … und Herr … befanden. Diese konnten die Unfallstelle ohne Zusammenstoß passieren und hielten ca. 50 Meter nach dem umgekippten Wohnmobil auf der Standspur an. Der sich auf der rechten Fahrspur anschließend nähernde Pkw VW Tiguan des Herrn … mit dem amtlichen Kennzeichen …, der lediglich mit Abblendlicht fuhr, kollidierte mit dem Pkw, in dem sich noch immer der Geschädigte befand. Hierdurch wurde der Pkw des Vaters des Geschädigten 42 m weit auf den linken Fahrstreifen geschoben. Der Geschädigte wurde dabei schwer verletzt.
Aufgrund des Unfalls hat die Klägerin zu 1) Aufwendungen in Höhe von 209.100,47 € erbracht, die durch die Beklagte bereits in Höhe von 63.985,13 € beglichen wurden. Die Klägerin zu 2) erbrachte Aufwendungen in Höhe von 12.759,00 €, wovon die Beklagte bereits 4.166,10 € auf der Grundlage einer Schadenshöhe von 12.498,31 € zahlte.
Die Klägerinnen tragen vor, der Herr …, habe mittels einer im Smartphone integrierten Taschenlampenfunktion versucht, den herrannahenden Verkehr vor der Unfallstelle zu warnen, insbesondere auch den Herrn …, Herr … er fuhr nicht dem Sichtfahrgebot entsprechend. Er hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit den Pkw des Vaters des Geschädigten durch ein Ausweichen nach links umfahren können. Die Kollisionsgeschwindigkeit lag bei 125 bis 130 km/h. Herr … hätte entsprechend der bei Abblendlicht bestehenden Sichtweite von 50 bis 80 m eine Geschwindigkeit von 70-93 km/h einhalten müssen.
Zwischen dem Geschädigten und seinem Vater habe zum Zeitpunkt des Unfalls keine häusliche Gemeinschaft bestanden, aufgrund derer ein Mitverschulden nach § 116 Abs. 6 SGB X zu berücksichtigen wäre. Der Vater des Geschädigten habe sich um den Geschädigten nur vereinzelt gekümmert.
Die Klägerinnen beantragen zuletzt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 139.400,31 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 29.09.2017 zu zahlen.
2. festzustellen, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) über das Teilanerkenntnisurteil vom 30.08.2018 hinaus weitere 2/3 sämtlicher weiterer Schäden – auch über die Haftungshöchstgrenze des § 12 StVG hinaus – zu ersetzen, die der Klägerin zu 1) aus der Verletzung des … 1, … vom 13.09.2015 aufgrund des Unfalls auf der BAB 5 von Basel in Richtung Karlsruhe in der Gemarkung … entstanden sind oder noch entstehen werden.
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 8.592,90 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 29.09.2017 zu zahlen.
4. festzustellen, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin zu 2) über das Teilanerkenntnisurteil vom 30.08.2018 hinaus weitere 2/3 sämtlicher weiterer Schäden – auch über die Haftungshöchstgrenze des § 12 StVG hinaus – zu ersetzen, die der Klägerin zu 2) aus der Verletzung des …, vom 13.09.2015 aufgrund des Unfalls auf der BAB 5 von Basel in Richtung Karlsruhe in der Gemarkung Neuenburg entstanden sind oder noch entstehen werden.
5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen als Gesamtgläubiger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.784,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, der Vater des Geschädigten habe den Auffahrunfall auf das Wohnmobil durch eigene Unaufmerksamkeit verursacht. Das Fahrzeug des Vaters des Geschädigten sei daraufhin völlig unbeleuchtet auf der Autobahn gestanden. Die Kollisionsgeschwindigkeit lag bei 117 km/h.
Aufgrund der zum Unfallzeitpunkt herrschenden Witterungs- und Sichtbedingungen habe Herr … eine durch Herrn … geschwenkte Lampe nicht wahrnehmen können beziehungsweise habe er eine solche Lampe nicht als Warnsignal eines in unmittelbarer Nähe stattgefundenen Unfalls deuten müssen. Zudem habe er eine den Unfall verhütende oder seine Folgen verringernde Abwehrreaktion nicht mehr vornehmen können.
Die Beklagte trägt vor, dass ein Anspruch der Klägerin zu 2) allenfalls in Höhe von 12.498,31 € bestehen könne, da sich der Geschädigte in der Zeit vom 12.09.2016 bis 17.09.2016 und vom 13.06.2017 bis 20.07.2017 in stationärer Behandlung befand. Während dieser Zeit seien keine zusätzlichen Pflegeleistungen erforderlich gewesen.
Der Vater des Geschädigten sei seiner Verantwortung für den Geschädigten in dem ihm rechtlich möglichen Maße nachgekommen. Er habe mit dem Geschädigten regelmäßigen und längeren Umgang gehabt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin …. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.03.2020 (Blatt 253 d.A.) Bezug genommen. Die Akten des Amtsgerichts Freiburg mit dem Aktenzeichen 2 Cs 520 Js 29071/15 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze, jeweils nebst Anlagen, sowie das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
1. Den Klägerinnen steht ein Anspruch aus übergegangenem Recht gegen den bei der Beklagten versicherten Herrn … sowohl gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X als auch gemäß § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. 116 SGB X zu, der nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG direkt gegen die Beklagte geltend gemacht werden kann.
a) Es besteht ein Anspruch der Klägerinnen aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X.
(1) Es liegt eine Rechtsgutsverletzung zu Lasten des Geschädigten vor. Dieser wurde infolge des Auffahrens durch den Herrn … schwer verletzt. Die Rechtsgutsverletzung geschah auch bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs.
(2) Ein eigenes Mitverschulden des Geschädigten nach § 9 StVG ist nicht ersichtlich.
(3) Obwohl der hier gegenständliche Unfall vom 13.09.2015 vorliegend sowohl durch den Herrn … als auch durch den Vater des Geschädigten verursacht wurde, besteht der Anspruch in voller Höhe gegen die Beklagte als Versicherung des Herrn ….
Bei mehreren nebeneinander verantwortlichen Schädigern besteht zum Geschädigten grundsätzlich die volle Haftung, ohne dass einer der Schädiger auf den Tatbeitrag des anderen verweisen könnte (BGH, Urteil vom 05.10.2010 – VI ZR 286/09 – juris Rn. 9).
Der Unfall wurde sowohl durch den Herrn … als auch durch den Vater des Geschädigten verursacht. Gegen den Vater des Geschädigten spricht ein Anscheinsbeweis, da er auf das vor ihm fahrende Wohnmobil des Herrn … aufgefahren ist (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2016 – VI ZR 32/16 – juris Rn. 10). Es liegt ein typisches Unfallgeschehen vor, das nach der Lebenserfahrung auf ein schuldhaftes Verhalten des Vaters des Geschädigten schließen lässt. Weitere Umstände des ersten Unfalls, wie etwa ein vorhergehender Spurwechsel oder eine durch den Herrn … getätigte Vollbremsung sind weder bekannt noch durch die Parteien im Rahmen des Verfahrens vorgetragen. Es liegt jedoch auch – unabhängig von dessen Quote – ein schuldhaftes Handeln des Herrn … vor. Denn es handelte sich nicht um einen Unfall, der für ihn völlig unvermeidbar war. Unabhängig von dem streitigen Umstand, ob der Herr … die Lampe schwenkte beziehungsweise ob der Herr … dies sehen oder als Warnung verstehen musste, fuhr der Herr … nach den Feststellungen des Sachverständigen … im Gutachten vom 23.02.2016 für die bestehenden Umstände zu schnell. Der Herr … sagte in der Beschuldigtenvernehmung bei dem Polizeirevier Freiburg-Nord am 13.09.2015 selbst aus, dass er lediglich mit Abblendlicht gefahren ist. Ob der Herr … die durch die Klägerinnen behaupteten und durch den Sachverständigen festgestellten 125-130 km/h fuhr oder die durch die Beklagte aufgrund des Ergebnisses des Drehzahlfühlers behaupteten 117 km/h ist insoweit nicht entscheidend. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 4 StVO darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Die Geschwindigkeit, bei der innerhalb der Sichtweite noch angehalten werden kann, bildet die absolute Grenze der Höchstgeschwindigkeit, da andernfalls eine Schädigung dem Zufall überlassen sein würde, was dem Schutzzweck der StVO widerspricht (Bender, in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2016, § 3 StVO Rn. 6). Der Sachverständige … hat festgestellt, dass der Herr … bei dem hier vorliegenden Fahren mit Abblendlicht eine maximale Geschwindigkeit von 70-93 km/h hätte einhalten müssen. Diese wurde unstreitig überschritten. Dass der Unfall grundsätzlich vermeidbar war, zeigt sich auch daran, dass der Herr … zuvor die Unfallstelle ohne Kollision passieren konnte.
(4) Der Anspruch gegen die Beklagte beschränkt sich auch nicht wegen eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses auf die Verschuldensquote des Herrn …, da ein solches gestörtes Gesamtschuldverhältnis nicht besteht.
Das Ausgleichsverhältnis ist dann gestört, wenn für einen der Gesamtschuldner kraft Vertrages oder Gesetzes eine Haftungsfreistellung besteht. In der Regel wird infolge dieses gestörten Gesamtschuldverhältnisses der Anspruch des Geschädigten dahingehend gekürzt, dass sein Ersatzanspruch gegen den Mitschädiger um den Haftungsanteil des freigestellten Gesamtschuldners reduziert wird (vgl. Grüneberg, in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Auflage 2020, § 426 Rn. 18).
aa) § 1664 Abs. 1 BGB ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da die Straßenverkehrsregeln keinen Spielraum für eine individuelle Sorglosigkeit lassen (vgl. Huber, in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1664 Rn. 10)
bb) Auch § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X führt hier nicht zu einer gestörten Gesamtschuld. Nach § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X ist ein Übergang nach Absatz 1 bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in Häuslicher Gemeinschaft leben, ausgeschlossen.
Eine häusliche Gemeinschaft ist grundsätzlich gegeben, wenn die Familienangehörigen im Zeitpunkt des Schadensereignisses für eine gewisse Dauer ihren Lebensmittelpunkt in einer gemeinsamen Wohnung haben und eine gemeinsame Wirtschaftsführung betreiben (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2011 – VI ZR 194/10; Waltermann, in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Auflage 2019, § 116 SGB X, Rn. 78). Jedoch ist auch von einer häuslichen Gemeinschaft auszugehen, wenn ein Elternteil, dessen Kind aufgrund der Trennung der Eltern nicht ständig bei ihm lebt, im Rahmen des ihm rechtlich möglichen Maßes tatsächlich Verantwortung für sein Kind übernimmt und häufigen Umgang mit diesem hat, der ein regelmäßiges Verweilen und Übernachten im Haushalt des Elternteils umfasst, sodass das Kind zeitweise auch in seinen Haushalt integriert ist und damit bei ihm ein Zuhause hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 – 1 BvL 14/09). Ein Elternteil kommt dann in vollem, ihm rechtlich möglichen Umfang seiner elterlichen Verantwortung gegenüber seinem Kind nach, wenn er gemeinsam mit dem anderen Elternteil, bei dem sich das Kind vorrangig aufhält, die Sorge für das Kind trägt, regelmäßig den vereinbarten oder gerichtlich festgesetzten Kindesunterhalt zahlt und den verabredeten oder ihm eingeräumten regelmäßigen Umgang mit dem Kind praktiziert, der auch ein Verweilen des Kindes in seinem Haushalt umfasst (BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 – 1 BvL 14/09 – juris Rn. 62). Eine solche häusliche Gemeinschaft unterliegt in gleicherweise dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG wie diejenige, bei der Elternteil und Kind täglich Zusammenleben.
Dass zwischen dem Geschädigten und seinem Vater keine häusliche Gemeinschaft im Sinne des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X bestand, steht infolge der Aussage der Mutter des Geschädigten, der Zeugin …, zur Überzeugung des Gerichts fest. Diese schilderte detailliert und widerspruchsfrei die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Unfalls und der Monate zuvor.
Eine häusliche Gemeinschaft kann nicht angenommen werden, da der Vater des Geschädigten unter anderem wegen seiner starken Spielsucht nicht ausreichend Verantwortung für den Geschädigten übernahm und auch seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkam. Ein Übernehmen der elterlichen Verantwortung in dem rechtlich möglichen Umfang liegt hier nicht vor.
Der Geschädigte war in dem Jahr des Unfalls relativ häufig bei seinem Vater, da die Zeugin … in diesem Jahr ihre Abschlussprüfung absolvierte und sich für einen Monat in Kanada aufhielt. Jedoch erfolgte die Betreuung durch den Vater nicht immer freiwillig, sondern stellte vielmehr einen stetigen Kampf für die Zeugin … dar. Der Vater des Geschädigten hatte nicht viel Verständnis dafür, dass die Betreuung aufgeteilt werden musste. Der Lebensmittelpunkt lag nach deren Schilderungen bei der Zeugin …. Sie äußerte, dass man die Zeit, die der Geschädigte bei seinem Vater verbrachte, nicht als Alltag bezeichnen könnte.
In der Zeit, die der Geschädigte damals von seinem Vater betreut wurde, übernachtete er entweder mit seinem Vater bei dessen Eltern oder in der zu dem Restaurant des Vaters gehörenden Pächterwohnung, wobei in dieser Wohnung ein Kinderzimmer eingerichtet war. Der Vater hat jedoch den Geschädigten teilweise tagelang nicht zur Schule gebracht, weil es ihm zu anstrengend war, morgens aufzustehen. Auch das Jugendamt war bemüht, die kindgerechte Betreuung des Geschädigten sicherzustellen, indem der Vater etwa darauf hingewiesen wurde, dass bei der Fahrt Kindersitze zu verwenden sind.
Während der Betreuung durch den Vater gab es keine Regelmäßigkeiten. So wurde der Geschädigte teilweise zwischen der Großmutter, dem Vater und der Tante umhergereicht. Die Zeugin … wusste während der Zeit, die der Geschädigte bei seinem Vater war, häufig nicht, wo er sich aufhielt. Auch gab es teilweise Zeiten, in denen der Geschädigte kein Frühstück beziehungsweise das Frühstück erst mittags bekommen hat. Manchmal äußerte der Geschädigte auch gegenüber der Zeugin …, dass er mittags nur ein Eis zu essen bekommen hat.
Der Vater kam seinen Unterhaltsverpflichtungen in keiner Weise nach. Die Zeugin … äußerte, dass sie nie Unterhalt von dem Vater des Geschädigten erhielt.
Dass die erforderliche Verantwortung durch den Vater des Geschädigten nicht übernommen wurde, zeigt sich auch aus den Folgen seiner starken Spielsucht. Er hat teilweise Geld aus dem Sparschein des Geschädigten entnommen und verspielt. Auch kam es vor, dass Geld, was an Geschenken für den Geschädigten angebracht war, durch den Vater entfernt wurde, um die Spielsucht weiter zu finanzieren.
(5) Der Anspruch der Klägerin zu 1) wurde durch die Beklagte der Höhe nach nicht bestritten. Der Anspruch der Klägerin zu 2) besteht jedoch lediglich in einer Höhe von 8.398,77 €. Die auf der Anlage K5 basierende Forderung in Höhe von 8.592,90€ war um einen Betrag in Höhe von 194.13 € zu kürzen. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass sich der Geschädigte in den Zeiträumen 12.09.2016 bis 17.09.2016 sowie 13.06.2017 bis 20.07.2017 in stationärer Behandlung befand und daher in dieser Zeit keine zusätzlichen Pflegeleistungen erforderlich waren, für welche die Klägerin Leistungen erbringen musste, folgt das Gericht dieser Auffassung nur teilweise. Gemäß § 34 Abs. 2 S. 2 SGB XI ist Pflegegeld nach § 37 SGB XI in den ersten vier Wochen einer vollstationären Krankenhausbehandlung, einer häuslichen Krankenpflege mit Anspruch auf Leistungen, deren Inhalt den Leistungen nach § 36 SGB XI entspricht, oder einer Aufnahme in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen nach § 107 Abs. 2 SGB V weiter zu zahlen. Mit dieser Regelung soll die Pflegebereitschaft der Pflegeperson unterstützt werden (vgl. Leitherer, in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand 107. EL Dezember 2019, § 34 SGB XI, Rn. 32). Vorliegend befand sich der Geschädigte ausweislich der Anlage K4 zwischen dem 12.09.2016 und dem 17.09.2016 in einer vollstationären Krankenhausbehandlung sowie im Zeitraum 13.06.2017 bis 20.07.2017 in einer stationären Reha. Für den ersten Zeitraum im September 2016 sind die Leistungen nach § 37 SGB XI nicht zu kürzen, da der Geschädigte sich lediglich eine Woche in stationärer Behandlung befand. Der zweite Zeitraum übersteigt die gemäß § 34 Abs. 2 S. 2 SGB XI nicht zu berücksichtigenden 4 Wochen um 8 Tage, da der 20.07.2017 der Abreisetag war, für den im Falle einer Kürzung die Zahlung des Pflegegeldes wieder aufgenommen wird (vgl. Diepenbruck, in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 55. Edition Stand 01.03.2019, § 37 SGB XI, Rn. 21). Der geltend gemachte Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 SGB XI war entsprechend einer Dauer von 8 Tagen und auf der Basis, dass ein Kalendermonat stets mit einer Dauer von 30 Tagen anzusetzen ist (vgl. Leitherer, in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand 107.EL Dezember 2019, § 37 SGB XI, Rn. 32) um 194,13 € zu kürzen.
Ein Hinweis nach § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO war dahingehend nicht erforderlich, da es sich um keinen Umstand handelt, den die Klägerin erkennbar übersehen hat. Bereits mit dem außergerichtlichen Schreiben vom 27.09.2017 (Anlage K7) kürzte die Beklagte den Anspruch der Klägerin zu 2) um einen Betrag, der durch die Klägerin zu 2) für eine Zeit erbracht wurde, in der sich der Geschädigte in stationärer Behandlung befand. Die Klägerin zu 2) verweist hierauf selbst auf S. 14 der Klageschrift vom 29.01.2018. Eine Hinweispflicht bestand zudem nicht, da es sich bei dem in Abzug gebrachten Teil der Hauptforderung um einen im Verhältnis hierzu relativ geringen Betrag von unter 1 % handelt (Greger, in Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 139 Rn. 8).
2. Der Anspruch der Klägerinnen ergibt sich zudem aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 116 Abs. 1 SGBX.
3. Da der Anspruch besteht, besteht auch ein Anspruch der Klägerinnen gegen die Beklagte auf Zahlung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 286 BGB.
5. Soweit im Rahmen des in der Verhandlung vom 10.03.2020 nachgelassenen Schriftsatzrechts durch den Schriftsatz vom 11.04.2020 vorgetragen wurde, ist darin kein neuer Tatsachenvortrag erkennbar. Dieser Vortrag beschränkt sich auf eine Stellungnahme zu der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Beweisaufnahme. Es bestand daher keine Notwendigkeit, gemäß § 156 ZPO erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten.
II.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO. Danach kann das Gericht einer Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat.
a) Die Zuvielforderung der Klägerin zu 2) ist im Verhältnis zu der Gesamtforderung geringfügig. Eine Geringfügigkeit wird ab einer Grenze von 10 % angenommen (vgl. Herget, in Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 92 Rn. 10). Hier liegt die Zuvielforderung bei lediglich 194,13 €. Dies entspricht bezogen auf die die Klägerin zu 2) betreffenden Klageanträge Ziff. 3 und Ziff. 4 unter 1 %.
b) Durch die Zuvielforderung der Klägerin zu 2) sind auch keine höheren Kosten entstanden.
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 709 ZPO.
3. Der Streitwert bemisst sich für die Ziffern 1 und 3 nach den entsprechend geforderten Beträgen, somit für Ziffer 1 139.400,31 € und für Ziffer 3 8.592,90 €. Der Feststellungsantrag Ziffer. 2 ist mit 50.000,00 € und der Feststellungsantrag Ziffer 4 mit 20.000 € anzusetzen.