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Verkehrsunfall – Haftungsverteilung bei halber Vorfahrt

Verkehrsunfall und Vorfahrtsregeln: LG Kempten weist Schadensersatzklage ab

Der Fall, der vor dem Landgericht Kempten verhandelt wurde, dreht sich um einen Verkehrsunfall zwischen einem Omnibus und einem Leichtkraftrad. Die Klägerin, Eigentümerin des Busses, forderte Schadensersatz von den Beklagten, dem Fahrer und dem Versicherer des Motorrads. Der Unfall ereignete sich an einer Kreuzung, an der die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ galt. Beide Parteien machten unterschiedliche Angaben zum Unfallhergang und zur Schuldfrage. Das Kernproblem des Falls lag in der Klärung der Verantwortung für den Unfall und der daraus resultierenden Schadensersatzansprüche.

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Wer hatte Vorfahrt?

Verkehrsunfall - Haftungsverteilung bei halber Vorfahrt
Verkehrsunfall und Vorfahrtsfragen: Ein komplexer Fall mit unerwarteten Ergebnissen. (Symbolfoto: Sibusky  /Shutterstock.com)

Die Klägerin argumentierte, dass der Motorradfahrer den Unfall durch überhöhte Geschwindigkeit und mangelnde Aufmerksamkeit verursacht habe. Sie behauptete, ihr Bus sei mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h über die Kreuzung gerollt, als der Beklagte in den Bus hineingefahren sei. Die Klägerin forderte daher Schadensersatz in Höhe von 7.312,44 Euro sowie vorprozessuale Anwaltskosten.

Gegenargumente der Beklagten

Die Beklagten wiesen die Schuld von sich und behaupteten, der Busfahrer habe die Vorfahrtsregel missachtet und sei ungebremst in die Kreuzung eingefahren. Sie argumentierten, dass der Motorradfahrer sein Kraftrad vor der Kreuzung abgebremst und die Kreuzung vorsichtig angefahren habe. Daher beantragten sie, die Klage abzuweisen.

Beweisaufnahme und Sachverständigengutachten

Das Gericht führte eine umfangreiche Beweisaufnahme durch, einschließlich der Anhörung von Zeugen und der Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Laut dem Gutachten fuhr der Bus mit einer Geschwindigkeit von etwa 28 km/h in die Kreuzung ein, während die Geschwindigkeit des Motorrads zwischen 30 und 40 km/h lag. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Unfall für den Busfahrer vermeidbar gewesen wäre, wenn er aufmerksamer gefahren wäre.

Das Urteil und seine Konsequenzen

Das Gericht wies die Klage der Klägerin ab und entschied, dass sie die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Es wurde festgestellt, dass der Busfahrer den Unfall allein verursacht und verschuldet hatte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wobei die Klägerin die Möglichkeit hat, die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abzuwenden.

Dieser Fall zeigt, wie komplex die Klärung von Schuldfragen bei Verkehrsunfällen sein kann und wie wichtig eine gründliche Beweisaufnahme ist, um zu einer gerechten Entscheidung zu kommen.

Verkehrsunfall: Wer trägt die Schuld bei halber Vorfahrt?

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Das vorliegende Urteil

LG Kempten – Az.: 13 O 1419/12 – Urteil vom 15.07.2013

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in derselben Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche anlässlich eines Verkehrsunfalls geltend.

Die Klägerin war Eigentümerin eines Kraftomnibuses Iveco Irisbus, amtliches Kennzeichen … . Der Beklagte zu 1) war zum Unfallzeitpunkt Fahrer und Halter eines Leichtkraftrads Yamaha WR 125 X, amtliches Kennzeichen …, das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.

Zwischen dem Fahrzeug der Klägerin und dem Motorrad des Beklagten zu 1) kam es am 13.10.2011 um ca. 16.30 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem trockene Straßenverhältnisse herrschten.

Der bei der Klägerin beschäftigte … befuhr mit deren Kraftomnibus die Radler Straße in Kaufbeuren-Neugablonz in südlicher Richtung. Er beabsichtigte an der Kreuzung Radler Straße/Proschwitzer Straße, an der auf beiden Straßen eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h galt, die Proschwitzer Straße zu überqueren, um in südlicher Richtung weiterzufahren. Der Beklagte zu 1) befuhr zeitgleich die Proschwitzer Straße in östlicher Richtung. Er wollte die Radler Straße überqueren und in östlicher Richtung weiterfahren. An der Kreuzung galt die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Im Folgenden kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Hierdurch wurde der Bus der Klägerin im Bereich der Hinterachse beschädigt.

Die Klägerin behauptet, dass der Zeuge … vor der Kreuzung seine Geschwindigkeit verringert habe, da er aufgrund einer von rechts einmündenden Straße die Vorfahrtsregel rechts vor links zu beachten gehabt habe. Sodann sei der Zeuge … langsam weitergefahren, bis er an die Proschwitzerstraße herangefahren sei. Nachdem er auf der Proschwitzerstraße keine Verkehrsteilnehmer herankommen gesehen habe, sei er mit seinem Fahrzeug langsam mit einer Geschwindigkeit von circa 15 km/h über die Kreuzung gerollt, die er in Richtung der gegenüberliegenden Friedland Straße nahezu vollständig überquert habe, als der Beklagte zu 1) mit seinem Kraftrad auf der Proschwitzerstraße in östlicher Richtung auf die Kreuzung zugefahren und infolge überhöhter Geschwindigkeit und oder Aufmerksamkeit in den gerade noch in der Kreuzung befindlichen Omnibus kurz vor dessen Hinterachse hineingefahren sei.

Der Beklagte zu 1) habe den Unfall ausschließlich und allein verursacht und verschuldet, da er verpflichtet gewesen sei, ersichtlich noch in der Kreuzung befindlichen Fahrzeugen die Möglichkeit zu gewähren, die Kreuzung zu räumen. Der Beklagte zu 1) habe jedoch beim Herannahen an die Kreuzung den Kraftomnibus der Klägerin übersehen und sei in der Folge in diesen hineingefahren. Es sei auch nicht ausschließbar, dass der Beklagte zu 1) mit seinem Kraftrad nicht auf der Proschwitzerstraße herangekommen sondern von dem hierzu parallel verlaufenden in die Kreuzung hineinführenden abgesenkten Gehweg heruntergefahren sei und anschließend die Kreuzung überquert habe.

Die Klägerin beantragt daher:

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 7.312,44 Euro, nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszins seit 25.01.2012 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 555,60 Euro vorprozessuale Anwaltskosten nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszins seit 25.01.2012 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagten behaupten, dass der Beklagte zu 1) sein Leichtkraftrad schon weit vor der Kreuzung abgebremst und langsam auf die Kreuzung Radler Straße/Proschwitzer Straße zugefahren habe. Dabei habe er nach rechts und links geschaut, das klägerische Fahrzeug aber nicht sehen können. Vor dem Zusammenstoß habe er noch eine Vollbremsung getätigt, er habe jedoch den Zusammenstoß mit dem Bus nicht mehr verhindern können, da dieser ungebremst in die Kreuzung eingefahren sei. Der Verkehrsunfall sei vom Fahrer des klägerischen Fahrzeugs verursacht und verschuldet worden, da dieser das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 1) missachtet und hierdurch den Unfall verursacht habe indem er ohne zu bremsen in den Kreuzungsbereich eingefahren sei obwohl sich der Beklagte zu 1) bereits von rechts auf seinem Kraftrad genähert habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat den Beklagten zu 1) informatorisch angehört sowie Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Sachverständigengutachtens und durch mündliche Anhörung dieses Sachverständigen.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der zu den Sitzungen vom 18.10.2012 und 15.7.2013 gefertigten Protokolle sowie den Inhalt des schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Diplom-Ingenieur … vom 02.05.2013 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Ersatz der ihr durch den Unfall vom 13.10.2011 entstandenen Schäden gemäß §§ 7, 18 StVG, § 115 VVG, § 840 BGB, da die durchgeführtes Beweisaufnahme ergeben hat, dass der Fahrer des klägerischen Omnibusses den Verkehrsunfall allein verursacht und verschuldet hatte.

1.

Hierbei hat das Gericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme neben dem unstreitigen Vorbringen der Parteien für die Entscheidung folgendem Unfallhergang zugrunde gelegt:

a.

Der bei der Klägerin beschäftigte … befuhr mit deren Kraftomnibus Iveco Irisbus die Radler Straße in südlicher Richtung, um die dann folgende Kreuzung Radler Straße/Proschwitzer Straße zu überqueren und die Radler Straße weiter in südlicher Fahrtrichtung zu befahren. Die Sichtverhältnisse an den Kreuzungsschnittlinien waren dabei baulich nicht eingeschränkt.

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Das klägerische Fahrzeug näherte sich dabei nach einem vorausgegangenen Anfahrvorgang mit 28 km/h der Kreuzung. Unmittelbar vor der Kreuzung wurde das klägerische Fahrzeug beschleunigt. Das klägerische Fahrzeug fuhr hierbei ohne anzuhalten mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h in die Kreuzung ein. 6,5 Meter bzw. 0,8 Sekunden vor der Kollision erkannte der als Zeuge vernommene … das heranfahrende Leichtkraftrad Yamaha WR 125X des Beklagten zu 1). Der Reaktionsbeginn des klägerischen Fahrzeugs lag 2 m beziehungsweise 0,3 s vor der Kollision wobei der Bremsbeginn des klägerischen Fahrzeugs circa 10 m beziehungsweise 0,9 s nach der Kollision erfolgte. Zum Zeitpunkt der Kollision fuhr das klägerische Fahrzeug mit 28 km/h.

Der Beklagte zu 1) befuhr mit seinem Leichtkraftrad die Proschwitzer Straße in östlicher Richtung. Zum Zeitpunkt der Kollision fuhr der Kraftradfahrer mit einer Geschwindigkeit von 30 – 40 km/h. Eine sichere Aussage über die vor der Kollision gefahrene Geschwindigkeit des Motorradfahrers kann aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht getroffen werden, da weder feststellbar noch ausschließbar ist, dass der Motorradfahrer eine spurzeichnungsfreie Bremsung vor der Kollision durchgeführt hatte. Sofern man nicht ausschließbar davon ausgeht, dass der Motorradfahrer sich nicht nach rechts orientierte sondern gleichermaßen den Verkehr von links beachtete, so kann bei unterstellter jedoch nicht nachweisbarer spurzeichnungsfreier Bremsung eine vor der Kollision gefahrene Geschwindigkeit des Motorradfahrers in einem Bereich zwischen 43-57 km/h gelegen haben.

Der Unfall wäre für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs vermeidbar gewesen, wenn er aufmerksamer gefahren und den herannahenden Beklagten zu 1) vor der Straßenschnittlinie rechtzeitig gesehen und angehalten hätte. Durch die Verstrebung des Iveco Busses war die Rundumsicht für den Fahrer deutlich eingeschränkt. Dies hätte bekannt sein müssen und zusätzlich eine erhöhte Aufmerksamkeit seitens des Fahrers erfordert. Eine Sichtkontrolle an der Straßenschnittlinie wäre daher zu erwarten gewesen.

Der Beklagte zu 1) hätte den Unfall vermeiden können, wenn er mit einer maximalen Geschwindigkeit von 29 bis 37 km/h gefahren wäre, um noch vor dem querenden Fahrzeug der Klägerin zum Stehen zu kommen. Dies setzt eine gleichwertige Aufmerksamkeit des Beklagten zu 1) hinsichtlich des linken Kreuzungsbereichs voraus. Ein Umfahren des Busses kam für den Beklagten zu 1) jedenfalls bei einer nicht ausschließbaren vor der Kollision gefahrenen Geschwindigkeit zwischen 43-57 km/h als realistische Alternative zur Vermeidung des Unfalls nicht in Betracht. Dafür, dass der Motorradfahrer gemäß der Vermutung der Klägerin vor der Kollision nicht auf der Straße sondern auch dem neben der Proschwitzerstraße befindlichen Gehweg gefahren sein könnte, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

b.

Dieser vom Gericht festgestellte Sachverhalt beruht auf den schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Diplom-Ingenieur …, die für das Gericht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend dargestellt wurden. Einwände gegen die mündlich vorgetragenen Feststellungen des Sachverständigen und dessen schriftliche Ausführungen wurden von den Parteivertretern mit Ausnahme von Ergänzungsfragen des Klägervertreters nicht erhoben. Die Glaubwürdigkeit des Sachverständigen steht ebenfalls außer Frage und wurde von keiner der Parteien in Zweifel gezogen. Folglich wurden die Feststellungen des Sachverständigen aus dessen schriftlichen Sachverständigengutachten sowie die Ausführungen, die der Sachverständige anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 15.7.2013 gemacht hatte, in vollem Umfang der vorliegenden Entscheidung zu Grunde gelegt.

2.

Bei der vorliegenden Kollision, bei der beide Seiten grundsätzlich haften, hängt die Haftungsverteilung insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG). Dabei dürfen nur solche Umstände zu Lasten eines Unterbeteiligten berücksichtigt werden, die feststehen, das heißt unstreitig zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sind und sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Eine fehlerhafte Fahrweise eines Beteiligten ist nur ein Faktor bei der Haftungsabwägung und auch nur dann als Betriebsgefahr erhöhend zu berücksichtigen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt hat.

Auf der Grundlage dieser anerkannten Abwägungsgrundsätze ist das Gericht im Streitfall hinsichtlich der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der am Unfall unmittelbar Beteiligten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unfall vom 22.03.2009 vom Kläger verursacht und verschuldet worden ist.

Neben der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers war als Betriebsgefahr erhöhend der Verstoß des Klägers gegen § 8 StVO zu berücksichtigen.

Hinsichtlich der dem Beklagten zu 1) anzulastenden Verursachungsbeiträge war lediglich die Betriebsgefahr des von diesem zum Unfallzeitpunkt geführten Motorrads zu berücksichtigen.

Die Abwägung der festgestellten beiderseitigen Verantwortungsbeiträge führt zu dem Ergebnis, dass die auf Beklagtenseite zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Motorrads des Beklagten zu 1) in vollem Umfang hinter dem vom klägerischen Omnibusfahrer zu verantwortenden schuldhaften Verursachungsbeiträgen zurücktritt.

a.

Aufgrund des vom Gericht festgestellten Sachverhalts steht fest, dass der Kläger gegen die ihm obliegenden Pflichten gemäß § 8 StVO verstoßen hat

Auf Seiten der Klägerin ist bei der Abwägung eine Vorfahrtsverletzung durch den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs zu berücksichtigen. Die Beachtung der Vorfahrt („rechts vor links“ gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO) gehört zu den Grundregeln des Straßenverkehrs.

Indem der Fahrer des klägerischen Omnibusses nit diesem ohne Verringerung der Geschwindigkeit vor der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h in die Kreuzung eingefahren ist, ohne an dieser Kreuzung anzuhalten und dem auf der Proschwitzerstraße von rechts an den Kreuzungsbereichs herannahenden Beklagten zu 1) mit seinem Motorrad die Vorfahrt zu gewähren, hat dieser einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Vorschrift des § 8 StVO begangen (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2012, 474).

Dass der Fahrer des klägerischen Omnibusses den herannahenden Motorradfahrer vor dessen Einfahrt in den Kreuzungsbereichs hätte erkennen können, ergibt sich bereits daraus, dass die Sichtverhältnisse an den Kreuzungsschnittlinien ausweislich der Angaben des Sachverständigen baulich nicht eingeschränkt waren, so dass der Motorradfahrer unproblematisch vom Fahrer des klägerischen Omnibusses erkannt hätte werden können, wenn dieser an der Kreuzungsschnittlinie zur Proschwitzerstraße angehalten und sich über den von rechts kommenden bevorrechtigten Verkehr vergewissert hätte.

Dieser Verstoß gegen die den Fahrer des klägerischen Omnibusses treffenden Sorgfaltspflichten war auch unfallursächlich, da der Fahrer des klägerischen Omnibusses ausweislich der der Entscheidung zu Grunde gelegten Feststellungen des Sachverständigen bei Beachtung der sich aus § 8 StVO ergebenden ihm obliegenden Verpflichtung den Verkehrsunfall hätte vermeiden können, wenn er aufmerksamer gefahren, vor der Straßenschnittlinie angehalten und den erkennbar herannahenden Kraftradfahrer hätte passieren lassen.

Umstände, welche die Bedeutung des Verkehrsverstoßes im vorliegenden Fall relativieren könnten, sind nicht ersichtlich. Dies gilt unabhängig davon, ob die Sicht des Fahrers des klägerischen Omnibusses durch am Omnibus angebrachte Verstrickungen oder durch andere parkende Fahrzeuge tatsächlich behindert war, da der Omnibusfahrer in einem solchen Fall die Sichtbehinderungen berücksichtigen und sich vorsichtig in die Kreuzung/Einmündung reintasten muss, wenn er diese – aus welchen Gründen auch immer – nicht übersehen kann.

Diesem erheblichen Verschulden steht kein schuldhafter Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) gegenüber, welcher bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge zu berücksichtigen wäre. Es ist lediglich die Betriebsgefahr des zum Unfallzeitpunkt betriebenen Kraftrades zu berücksichtigen.

Dem Beklagten zu 1) ist insbesondere nicht vorzuwerfen, dass er mit überhöhter Geschwindigkeit i. S. d. § 3 Abs. 1 StVO in die Kreuzung gefahren wäre.

Im Kreuzungsbereich herrschte zum Unfallzeitpunkt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h. Dass der Beklagte diese Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h nicht eingehalten hatte kann diesem aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ausweislich des festgestellten der Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalts zum Unfallhergang nicht beweiskräftig nachgewiesen werden. Vielmehr ist basierend auf den Feststellung des Sachverständigen gerade nicht ausschließbar, dass der Beklagte zu 1) mit einer Geschwindigkeit von lediglich 50 km/h oder einer geringeren Geschwindigkeit unmittelbar vor der Kollision gefahren ist.

Aufgrund der der Entscheidung zu Grunde gelegten Feststellungen lassen sich auch keine ausreichend sicher festgestellten Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Beklagte zu 1) eine Geschwindigkeit im Bereich von 29-37 km/h gefahren hatte, bei der er den Unfall eine rechtzeitige Reaktion unterstellt hätte vermeiden können. Vielmehr kann insoweit nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte mit einer Geschwindigkeit über 29 – 37 km/h gefahren war, bei der er den Unfall bereits nicht mehr hätte verhindern können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, als der Sachverständige nicht ausschließen konnte, dass der Beklagte zu 1) wie von ihm behauptet vor der Kollision eine (nicht spurzeichnende) Bremsung durchgeführt hatte.

Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 1) bei der Annäherung auf die Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von lediglich 29-37 km/h hätte fahren dürfen sind vorliegend nicht ersichtlich.

Entscheidend ist insoweit, dass sich ein vorfahrtsberechtigter Verkehrsteilnehmer wie vorliegend der Beklagte zu 1) grundsätzlich darauf verlassen, dass andere Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten. Diese Regel gilt nicht nur, wenn der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer auf einer bevorrechtigten Straße fährt, sondern auch dann, wenn ihm das Vorfahrtsrecht deshalb zusteht, weil er von rechts kommt (vgl. BGH NJW 1985, 2757; OLG Karlsruhe a. a. O.). Der Vertrauensgrundsatz gilt daher insbesondere auch in den Fällen einer sogenannten „halben Vorfahrt, also dann, wenn an einer Einmündung die Regel „rechts vor links“ gilt, so dass ein Kraftfahrer wie der Beklagte zu 1) zwar die Vorfahrt der Fahrzeuge beachten muss, die von rechts kommen, seinerseits aber den Vorrang vor den von links kommenden Fahrzeugen hat (vgl. KG Berlin, NZV 2002, 79; OLG Karlsruhe a. a. O.).

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich ein Kraftfahrer in der Situation des- Beklagten zu 1) in der unmittelbaren Annäherung an den Kreuzungsbereich üblicherweise vorrangig nach rechts orientiert, um die Vorfahrt der von rechts kommenden Fahrzeuge beachten zu können. Bei einem solchen Verhalten konnte der Beklagte zu 1) nicht gleichzeitig nach links schauen, und daher das Fahrzeug der Klägerin nicht rechtzeitig bemerken. Das Verhalten der Kl. wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn man generell bei Kreuzungen mit Rechts-vor-links-Regelung eine Verpflichtung der Kraftfahrers annehmen würde, anzuhalten, um auch auf denkbare Vorfahrtsverletzungen von nicht bevorrechtigten Kraftfahrzeugen achten zu können. Eine solche Verpflichtung gibt es nach den Regelungen der StVO jedoch nicht. Ein solches Verhalten ist im Straßenverkehr auch nicht üblich und nicht zu erwarten (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 2012, 229).

Da der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die erforderliche Sorgfalt beim Queren der Kreuzung nicht beachtet hat und diesem Verstoß gegen die Vorfahrtsregeln nach § 8 StVO ein besonderes Gewicht zukommt, während ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1) nicht festgestellt werden kann, führt eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu einer vollen Haftung der Klägerin. Dieses Ergebnis entspricht den Grundsätzen der Rechtsprechung bei Vorfahrtsverletzungen, wenn dem erheblichen Verschulden des wartepflichtigen Fahrzeugführers kein (nachgewiesener) schuldhafter Verkehrsverstoß des anderen Fahrzeugführers gegenübersteht. Die einfache (nicht erhöhte) Betriebsgefahr des Kraftrades des Beklagten zu 1) führt nicht zu einer Reduzierung der Haftung (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.).

Dementsprechend ist die Klage im Ergebnis sowohl gegen den Beklagten zu 1) als auch gegen die Beklagte zu 2) abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 2 ZPO.

 

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