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Verkehrssicherungspflicht für Wasserstraße

AG Regensburg – Az.: 4 C 1495/15 BSch – Urteil vom 02.08.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger gesamtschuldnerisch 95 %, die Klägerin zu 1 weitere 5 %.

Die Kosten der Streithelferin und die durch den Streitbeitritt verursachten Kosten hat die Streithelferin zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

Die Beklagte ist Eigentümerin der Bundeswasserstraße ‚Donau‘. Auf dieser Wasserstraße fuhr der Kläger zu 2 als verantwortlicher Schiffsführer am 02.09.2011 gegen 12:50 Uhr mit dem Schubverband der Klägerin zu 1 bestehend aus Tankmotorschiff [TMS] … bergwärts. Im Bereich Winzer bei Donau-km 2263.300 führte ein Manöver des Klägers zu 2 dazu, dass der Schubverband durch die Strömung ans rechte Ufer gedrückt wurde und dort außerhalb der Fahrrinne auf Kies festkam. Nachdem das TMS vom TSL abgekoppelt war, konnte es freigefahren und etwa 100 m flussabwärts am linken Ufer vor Anker gelegt werden.

Der Kläger zu 2 benachrichtigte die Wasserschutzpolizei und die Beklagte. Außerdem wahrschaute er auf Kanal 10 ständig die durchgehende Schifffahrt mit der Aufforderung, den festgefahrenen TSL mit der gebotenen Vorsicht langsam zu passieren.

Verkehrssicherungspflicht für Wasserstraße
(Symbolfoto: Von Leonid Andronov/Shutterstock.com)

Mitarbeiter der Beklagten und Beamte der Wasserschutzpolizei veranlassten Messungen, wie tief der TSL in dem Kiesgrund festlag, sowie Peilungen der Fahrrinne und veranlassten den Kläger zu 2, die Buganker fallen zu lassen, eine Ankerwache aufzustellen und die Havariebeleuchtung in Form eines roten über einem weißen Licht zu setzen.

Der TSL wurde sodann von mehreren Berg- und Talfahrern passiert.

Nach Einbruch der Dunkelheit näherte sich das Fahrgastkabinenschiff [FGKS] … der Streithelferin zu 2, welches vom Streithelfer zu 1 geführt wurde und sich auf der Bergfahrt nach Regensburg befand. Das Vorschiff des TSL kam frei und wurde von der Strömung über Steuerbord in die Fahrrinne gedreht, wo es mit seinem Steuerbordvorschiff mit der Backbordseite des FGKS kollidierte, welches an das felsige linke Ufer geriet und dort infolge einer Grundberührung Leck schlug.

Sowohl am TSL als auch am FGKS entstanden nicht unerhebliche Schäden. Die Kaskoversicherung des TSL erbrachte dementsprechend Leistungen und trat ihre dadurch auf sie übergegangenen Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin zu 1 ab.

Die Kläger behaupten, es seien der Klägerin zu 1 ein Sachschaden in Höhe von 10.912,90 € und Sachverständigenkosten in Höhe von 18.855,30 € entstanden.

Bei den von den Mitarbeitern der Beklagten veranlassten Maßnahmen habe es sich um Anordnungen/Anweisungen gehandelt. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil die angeordneten Maßnahmen unzureichend gewesen seien und eine Schifffahrtsstraßensperrung oder das Ausbringen von Wahrschauflößen hätte erfolgen müssen. Wäre die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen, hätte die Begegnung mit dem FGKS nicht zu einem Schadensereignis geführt.

Die Kläger b e a n t r a g e n :

1.) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1 einen Betrag in Höhe von 29.768,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

2.) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu 1 und den Kläger zu 2 hinsichtlich sämtlicher bisher entstandener und zukünftiger etwaiger Ansprüche der Schiffseignerin des Fahrgastschiffes …, der Firma … und des Reiseveranstalters … sowie dessen Kunden, die sich zur Unfallzeit auf dem Fahrgastschiff … befunden haben, aus dem Schadensereignis in Form der Kollision zwischen dem Tankschubleichter … und dem Fahrgastschiff … vom 02.09.2011 bei Donau-Km 2236,300 freizustellen.

Den ursprünglich zusätzlich gestellten Feststellungsantrag, mit dem die Beklagte verpflichtet werden sollte, der Klägerin zu 1 auch alle weiteren bisher entstandenen und zukünftig entstehenden Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, hat die Klagepartei zurückgenommen.

Die Beklagte b e a n t r a g t : Klageabweisung.

Sie beruft sich hinsichtlich der an die Klägerin zu 1 (rück-)abgetretenen Ansprüche, die auf den Kaskoversicherer übergegangen waren, auf Verjährung und bestreitet die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten und die Sachschadenshöhe.

Bei den von ihrem Personal getroffenen Veranlassungen habe es sich um Empfehlungen an den Kläger zu 2 gehandelt und nicht um Anordnungen. Die Beklagte sei nicht verkehrssicherungspflichtig für die Fahrzeuge der Kläger. Vielmehr seien die Kläger selbst verkehrssicherungspflichtig, weil sie durch schuldhaftes Festfahren die gefahrenbegründende Situation mitgeschaffen hätten.

Die Beklagte bestreitet, dass der TSL nicht fest genug lag, da vorherige Turnversuche erfolglos waren, mehrere andere Schiffe die Unfallstelle mit angepasster Geschwindigkeit problemlos passiert hätten und es keine Änderung des Wasserstands gegeben habe.

Der Unfall sei auf das viel zu schnelle Vorbeifahren des FGKS in viel zu engem Abstand zurückzuführen.

Hinsichtlich des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze, auch der Streithelfer, und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Unter dem Aktenzeichen 4 UR II 3/11 (hinzuverbunden: 4 UR II 4/11) wurde vor dem Amtsgericht Regensburg ein Verklarungsverfahren zur Unfallursache durchgeführt, welches beigezogen wurde. Auf das dort erholte schriftliche Sachverständigengutachten und das Protokoll zur mündlichen Ergänzung dieses Gutachtens sowie die protokollierten Zeugenaussagen wird Bezug genommen.

Die streitverkündete Eignerin des FGKS sowie dessen Schiffsführer sind dem Streit auf Seiten der Kläger beigetreten und haben ihrerseits den Klägern den Streit verkündet.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig.

Bei der Auslegung der Klageanträge ist dabei nicht am Wortlaut zu verhaften, sondern die Anträge sind vor dem Hintergrund der gesamten Klageschrift auszulegen. Danach ergibt sich, dass der Klageantrag zu 1 ausschließlich von der Klägerin zu 1 gestellt wird, da sich aus der Klagebegründung nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger zu 2 sich als Schiffsführer aus eigenem Recht Ansprüche gegen die Beklagte auf Ersatz des Sachschadens am Tankschubleichter der Klägerin zu 1 dieser gegenüber berühmt.

II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin zu 1 hat keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung gegen die Beklagte. Die Kläger haben demnach auch keinen Anspruch, von Forderungen Dritter freigestellt zu werden.

1. Die Beklagte hat keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

a) Die Kläger können sich nicht darauf berufen, die Beklagte habe die Anordnung von Maßnahmen unterlassen, die die Kläger selbst hätten durchführen können und müssen.

aa) Verkehrssicherungspflichtig sind nämlich auch die Kläger als Zustandsstörer.

bb) Für nautische Maßnahmen zur Sicherung ist (jedenfalls im Verhältnis zwischen Klagepartei und Beklagter) zunächst die Klagepartei selbst verantwortlich. Die Anordnungen/Anregungen der Beklagten entbinden den Kläger zu 2 nicht von seiner Verantwortung als Schiffsführer für zu ergreifende nautische Maßnahmen. Sie schließen auch weitergehende Sicherungsmaßnahmen nicht aus. § 29 Abs. 2 WaStrG sieht sogar ausdrücklich die Möglichkeit vor, von strompolizeilichen Anordnungen auf Antrag abzuweichen.

Nur wenn bindende hoheitliche Anordnungen eigene Sicherungsbemühungen des Klägers zu 2 verhindert oder gar konterkariert hätten, wäre die Verantwortlichkeit der Klägerseite hierdurch beschränkt worden. Dazu ist jedoch nichts vorgetragen oder ersichtlich.

cc) Soweit man das Ausbringen der tonnenschweren Anker mit einem Hilfsschiff für möglich, erforderlich und zumutbar erachten wollte, so obläge diese Maßnahme an erster Stelle den Klägern. Wenn aber die Kläger selbst eine Sicherungsmaßnahme unterlassen haben, für die sie verantwortlich wären, können sie dies nicht der Beklagten vorwerfen.

dd) Gleiches gilt für eine etwaige Leinensicherung an Land, falls man diese für möglich, erforderlich und zumutbar erachtete.

ee) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus einem etwaigen überlegenen Wissen der Beklagten herleiten. Es ist bereits nicht vorgetragen, aufgrund welchen konkreten überlegenen Wissens die Beklagte anders als der Kläger zu 2 hätte vorhersehen können und müssen, dass der festgefahrene Tankschubleichter aufschwimmen könnte. Pauschal auf etwaige Detailinformationen zu „Strömungsverhältnissen“, „Flussquerschnitt“ und „Sohlbeschaffenheit“ zu verweisen, genügt insoweit nicht, da weder vorgetragen noch ersichtlich ist, welche konkreten Schlussfolgerungen für weitere Verkehrsicherungsmaßnahmen daraus zu ziehen wären.

Darüber hinaus erschiene zweifelhaft, ob das Personal der Beklagten vor Ort entsprechende Spezialkenntnisse hatten oder aus welchem Grund die Beklagte verpflichtet gewesen sein sollte, derartige Spezialkenntnisse am Havarieort an einem Freitagnachmittag vorzuhalten.

Es könnte ohnehin nur auf Spezialinformationen ankommen, mit denen der Kläger zu 2 als Streckenpatentinhaber nicht rechnen konnte und musste. So ist eine Sohlbeschaffenheit aus Kies nicht ungewöhnlich. Falls diese entscheidende Bedeutung für die Frage zu ergreifender Verkehrssicherungsmaßnahmen gehabt haben sollte, müsste sich der Kläger zu 2 die Frage gefallen lassen, warum er dies auch ohne genaue Kenntnis nicht sicherheitshalber zugrunde gelegt hat. Soweit ein Verkehrssicherungspflichtiger nämlich keine genauen Informationen besitzt, muss er sicherheitshalber von allen nicht vollkommen unwahrscheinlichen Annahmen diejenige zugrunde legen, die die weitestgehenden Sicherungsmaßnahmen erfordert. Auch insoweit könnten sich die Klagepartei angesichts ihrer eigenen Verkehrssicherungspflicht nicht darauf berufen, die Beklagte habe Maßnahmen unterlassen, die sie selbst hätte ergreifen können und müssen.

– Letztendlich kommt es darauf jedoch nicht an, weil gar nicht vorgetragen ist, welches überlegene Wissen der Beklagten vorhanden gewesen sein sollte und welche Maßnahmen erst dieses Wissen erforderlich gemacht hätte.

b) Die Kläger können sich nicht darauf berufen, die Beklagte habe die alleinige Verantwortung für die Verkehrssicherung übernommen.

Insoweit kann dahinstehen, ob die Mitarbeiter der Beklagten gegenüber dem Kläger zu 2 hoheitliche Anordnungen oder lediglich Anregungen ausgesprochen haben. Inhaltlich decken sich die Anordnungen/Anregungen weitestgehend mit den ohnehin von jedem Schiffsführer zu beachtenden Verhalten (z. B. Havariebeleuchtung, Ankerwache, Wahrschau). Umstände, aus denen eine Verantwortungsübernahme für die Verkehrssicherung (auch gegenüber der Klagepartei) hervorgehen könnten, wurden nicht vorgetragen und erscheinen (jedenfalls was den nautischen Bereich anbelangt) fernliegend.

Erst recht ist nichts dafür ersichtlich, dass die Mitarbeiter der Beklagten Verkehrssicherungsmaßnahmen der Kläger unterbunden oder konterkariert hätten.

c) Der Beklagten ist auch nicht vorzuwerfen, Verkehrssicherungsmaßnahmen unterlassen zu haben, die nur sie hätte ergreifen können, wie das Ausbringen von Wahrschauflößen/Tonnen oder der Sperrung der Schifffahrt.

aa) Es kann dahinstehen, ob vor der Kollision des TSL mit dem FGKS das Ausbringen von Wahrschauflößen überhaupt zeitlich möglich gewesen wäre.

Jedenfalls war dies im Rahmen der Verkehrssicherung nicht erforderlich. Der festgefahrene Tankschubleichter war aufgrund der Decksbeleuchtung klar und bereits von weitem zu erkennen. Abgesehen davon wurde die Schifffahrt sowohl vom Kläger zu 2 als auch von der Schleuse Kachlet gewahrschaut und über den festgefahrenen Tankschubleichter informiert. Dieser führte überdies als Havariebezeichnung ein rotes über einem weißen Licht, so dass keinerlei Zweifel bestanden, dass schädliche Einwirkungen wie Sog und Wellenschlag zu vermeiden waren.

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Ein Wahrschaufloß hätte daher über die bereits anderweitig erfolgte Wahrschau hinaus keine Bedeutung gehabt. Die zur nautischen Sorgfalt verpflichteten Schiffsführer waren ohnehin gehalten, Kurs und Geschwindigkeit so zu wählen, dass es zu keiner Gefährdung kommen konnte. Aufgrund des von den Streithelfern vorgelegten Gutachtens („Bericht 4274“) der **** [SVA] steht im Übrigen fest, dass eine Vorbeifahrt auf demselben Kurs wie vom FGKS gewählt mit einer angepassten Geschwindigkeit von 4,5 km/h über Grund (also ca. 9 km/h durchs Wasser) nicht zum Aufschwimmen geführt hätte. Es wäre somit unverhältnismäßig, die Fahrrinnenbreite bei Felsen am gegenüberliegenden Ufer weiter einzuschränken und den nautischen Handlungsspielraum sorgfältiger Schiffsführer zu verringern.

Dagegen muss sich eine Verkehrssicherungsmaßnahme nicht daran ausrichten, dass Schiffsführer sich sorgfaltswidrig verhalten. Darauf dass ein Schiff den Havaristen zu nah und dabei mit zu hoher Geschwindigkeit passiert, mussten sich die Verkehrssicherungsmaßnahmen somit nicht einstellen.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Beklagten bewusst war (bzw. jedenfalls bewusst hätte sein müssen), dass durch jedes fahrende Fahrzeug Sog und Wellenschlag entstehen.

Dass die Beklagte die Möglichkeit eines Loskommens grundsätzlich bedacht hat, liegt in der Natur der Sache, denn beispielsweise allein schon durch Wasserstandsänderungen kann ein festgefahrenes Schiff freikommen. Dass die Beklagte das Verbleiben einer Ankerwache und das vorsorgliche Fallenlassen der Buganker angeordnet/angeregt hat, indiziert somit nicht, dass sie mit der konkreten Gefahr eines jederzeitigen Freikommens gerechnet hat oder auch nur rechnen musste.

Vor diesem Hintergrund musste die Beklagte auch nicht – selbst wenn dies möglich gewesen wäre – einen Bereich vorhersehen, in welchen der etwa freikommende TSL sich ggfs. bewegen könnte, und diesen vorsorglich ganz sperren. Denn mit einem Freikommen war unter den normalen Umständen, auf die Verkehrssicherungsmaßnahmen anzupassen sind, jedenfalls im konkreten Zeitraum gar nicht zu rechnen.

bb) Die gleichen Erwägungen gelten für konkrete Anordnungen von Geschwindigkeiten oder einzuhaltender Abstände. Diesbezüglich obliegt den Schiffsführern die nautische Verantwortung und die Beklagte hat keinerlei überlegenes Wissen; im Gegenteil kommt es auf die jeweils konkreten Schiffe (Verdrängung, Maschinenleistung, Bugstrahlanlage…) an, welche Geschwindigkeit und welcher Kurs richtigerweise zu wählen ist.

Dass bestimmte Geschwindigkeiten und bestimmte Seitenabstände jedenfalls für alle Schiffe zwingend einzuhalten gewesen wären und es bei einer entsprechenden Anordnung (unterstellt der Schiffsführer des FGKS hätte sie in jedem Fall befolgt) nicht zu einer Kollision gekommen wäre, ist weder ausreichend schlüssig vorgetragen noch ersichtlich.

Da diese Beurteilung von Abstand und Geschwindigkeit rein nautische Fragen sind, die allein auf einer rein nautischen Beurteilung der Einwirkungen auf den festgefahrenen TSL beruhte, bedeutete dies im Umkehrschluss ohnehin, dass auch der Schiffsführer des FGKS dieselbe Beurteilung hätte anstellen können und müssen. Dann wäre allerdings wiederum eine schifffahrtspolizeiliche Anordnung gar nicht erforderlich.

cc) Eine Schifffahrtssperre musste die Beklagte nicht verfügen. Eine solche wäre nur als letztes Mittel erforderlich und geboten, wenn auf andere Weise eine erhebliche Gefahr für die Schifffahrt nicht abgewendet werden kann. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine gefahrlose Passage der Havariestelle schlechterdings ausgeschlossen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dass die Beklagte eine solche zunächst kurzfristig angeordnet hatte, indiziert nicht, dass diese aufrechtzuerhalten war. Es war zu einer Festfahrung und einer anschließenden Kollision des TMS, dessen Manövrierfähigkeit durch eine zugesetzte Bugstrahlanlage beeinträchtigt war, mit einem weiteren Schiff (…) gekommen. Die Beklagte konnte zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen, ob eine gefahrlose Passage möglich war. Bei dieser Informationslage erscheint eine Sperrung der Wasserstraße naheliegend. Anschließend begab sich Personal der Beklagten aber vor Ort und verschaffte sich Kenntnis vom Lagebild. Außerdem wurde die Fahrrinne gepeilt und auf Hindernisse untersucht. Aufgrund der sich daraus ergebenen Informationslage erscheint die Aufrechterhaltung der Sperrung nicht verhältnismäßig.

Die problemlose Passage mehrerer Schiffe verdeutlicht im Übrigen, dass ein Grund für die Sperrung nicht vorlag. Dass es dabei nicht bloß einem glücklichen Zufall zu verdanken ist, dass es nicht zu einem Unfall gekommen ist, zeigt das seitens der Streithelferin vorgelegte (und somit als erweiterter Parteivortrag der Klageseite zu würdigende) SVA-Gutachten: Dieses beweist, dass eine Passage mit angepasster Geschwindigkeit nicht zu einem Aufschwimmen geführt hätte und eine gefahrlose Passage (selbst im vom FGKS gewählten, deutlich zu nah am Havaristen geführten Kurs) möglich war.

2. Selbst wenn man – wie nicht – eine objektive Verkehrssicherungspflichtverletzung annehmen wollte, wäre diese nach Überzeugung des Schifffahrtsgerichts nicht schuldhaft erfolgt.

Für die Frage, ob sehenden Auges (vorsätzlich) oder unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt gebotene Verkehrssicherungsmaßnahmen unterlassen wurden, kommt es auf die Erkennbarkeit ex ante et ex situatione an.

Nach Auffassung des Schifffahrtsgerichts musste die Beklagte (über ihr Personal) nicht erkennen, dass es zu einem Freikommen kommen könnte:

a) Die Beklagte hat Peilungen angestellt und festgestellt, dass der TSL ausreichend tief im Flussgrund festgefahren war. Es war kein Ansteigen des Wasserspiegels zu erwarten.

b) Ferner haben mehrere Passagen von Schiffen stattgefunden, ohne dass es zu einem Aufschwimmen gekommen wäre. Dies ist jedenfalls ein Indiz gegen die subjektive Erkennbarkeit der Erfordernis weiterer Sicherungsmaßnahmen.

c) Die Berechnungen des SVA-Gutachtens belegt ferner, dass ein Aufschwimmen selbst bei einer Passage des FGKS mit einer Geschwindigkeit von 4,5 km/h über Grund nicht erfolgt wäre. Das Vertrauen darauf, dass es nicht zu einem Aufschwimmen kommen wird, war somit grundsätzlich auch sachlich gerechtfertigt.

d) Nicht zuletzt hat der gerichtliche Sachverständige bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren ausgeführt, dass er ebenfalls keine andere Sicherung ergriffen hätte („Bekanntgabe der Havarie, Funkbereitschaft, Anker fallen lassen, und Ankerwache, Peilen und Feststellen des Gewichts, Verfolgung der Pegelstände“). Wenn bereits ein erfahrener Sachverständiger nach eingehender Vorbereitung auf die Beweisfrage zu diesem Schluss kommen kann, indiziert dies, dass eine Erkennbarkeit eines weiteren Sicherungsbedürfnisses für das Personal der Beklagten ex ante et ex situatione subjektiv nicht zu erwarten war. Nachdem das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen in dieser Frage jedenfalls nicht erkennbar unrichtig ist, kann vom Personal der Beklagten in der Havariesituation jedenfalls nicht erwartet werden, dass es eine bessere Beurteilung vorzunehmen vermag, als ein vorbereiteter Gerichtssachverständiger, der sogar den konkreten weiteren Geschehensverlauf kennt.

e) Ein weiteres – wenn auch schwaches – Indiz für die fehlende Erkennbarkeit des Erfordernisses weiterer Sicherungsmaßnahmen ist, dass der Kläger zu 2 nicht protestiert und vom Personal der Beklagten nachdrücklich weitere Sicherungsmaßnahmen verlangt hat. Dies wäre im Fall erkennbar unzureichender Maßnahmen jedenfalls zu erwarten gewesen. Auch hätte der Kläger zu 2 die Schifffahrt weitaus eindringlicher gewahrschaut, wenn er der Auffassung gewesen wäre, die Sicherungsmaßnahmen seien unzureichend und ein Schadenseintritt (unter Einbeziehung seines TSL) wäre daher zu erwarten.

f) Vor diesem Hintergrund ist das Gericht daher der Überzeugung, dass das (ohnehin nach Auffassung des Gerichts nicht bestehende) Erfordernis etwaiger weitergehender verhältnismäßiger, zumutbarer und erreichbarer Sicherungsmaßnahmen für das Personal der Beklagten ex ante et ex situatione jedenfalls nicht erkennbar gewesen wäre, dieses daher die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht verletzt und somit auch nicht schuldhaft gehandelt hat.

3. Weil keine Ansprüche gegen die Beklagte bestehen, kann dahinstehen, ob diese Ansprüche (teilweise) bereits verjährt sind. Zwar umfasst ein Verjährungsverzicht grundsätzlich nur Ansprüche, die dem Empfänger der Verzichtserklärung im Zeitpunkt der Erklärung auch tatsächlich zustehen. Später im Rahmen einer Abtretung erworbene Ansprüche Dritter würden nach Auffassung des Gerichts von einem Verjährungsverzicht nur dann erfasst, wenn sie bei Erklärung des Verjährungsverzichts bereits wieder im Vermögen des Erklärungsempfängers waren.

Ob dies hier der Fall ist oder ob im Falle eines gesetzlichen Forderungsübergangs eine andere Beurteilung zu erfolgen hat, bedarf hier allerdings keiner Entscheidung.

4. Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird bis zum 15.09.2015 auf 739.768,20 €, anschließend auf 729.768,20 € festgesetzt.

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