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Verkehrsunfall im Rahmen eines Wendemanövers – Verursachungs- und Verschuldensbeiträge

Unfall-Urteil: Haftungsquote nach Abbiegevorgang und zu später Reaktion

Im Rahmen des Urteils OLG Düsseldorf, Az.: I-1 U 55/14, wurde die Berufung der Klägerin gegen ein vorheriges Urteil abgewiesen, und ihr wird lediglich ein Anspruch auf 50 % ihrer unfallbedingten Vermögenseinbußen zuerkannt. Der Unfall, verursacht durch ein fehlerhaftes Wendemanöver des klägerischen Fahrzeugs und einen gleichzeitigen Überholversuch der Beklagten, resultiert aus beidseitigen Verkehrspflichtverletzungen, wobei keine Partei die alleinige Schuld trägt.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Im Rahmen eines Wendemanövers kam es zu einem Verkehrsunfall, bei dem beide Parteien Verkehrspflichtverletzungen begingen.
  • Das OLG Düsseldorf bestätigte eine Haftungsverteilung von 50 % zu Lasten beider Unfallbeteiligten.
  • Sowohl der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs als auch die Beklagte missachteten wesentliche Verkehrssicherheitspflichten.
  • Die gerichtliche Entscheidung beruht auf einer detaillierten Analyse der Unfallsituation und der beidseitigen Verschuldensbeiträge.
  • Eine Revision wurde nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
  • Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
  • Die Urteile sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
  • Die Entscheidung verdeutlicht die Bedeutung der Einhaltung von Verkehrssicherheitspflichten und der sorgfältigen Beobachtung des Verkehrs.

Verkehrsunfall durch Fehlverhalten

Tägliche Unfälle auf den Straßen sind leider keine Seltenheit und haben oft gravierende rechtliche Folgen. Besonders Wendemanöver stellen eine potenzielle Gefahrenquelle im Straßenverkehr dar. Die Beteiligten müssen hier äußerste Vorsicht walten lassen, um Zusammenstöße zu vermeiden.

Gelingt dies nicht, kommt es häufig zu Konflikten über die Frage der Schuldzuweisung. Entscheidend sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls und das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer. Eine professionelle rechtliche Einordnung ist für die Beteiligten meist unerlässlich, um ihre Interessen bestmöglich zu wahren.

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➜ Der Fall im Detail


Verkehrsunfall beim Wendemanöver: Sorgfaltsanforderungen und Haftungsquoten

Beim Versuch eines Wendemanövers auf einer Straße kam es zu einem Zusammenstoß zwischen einem Kastenwagen und einem überholenden Fahrzeug. Das Gericht musste klären, inwiefern die Beteiligten die Sorgfaltspflichten missachteten und wie die Verantwortlichkeiten zu gewichten sind. Der Fahrer des Kastenwagens hat laut Gericht mehrfach gegen die strengen Sorgfaltsanforderungen verstoßen. Dies führte dazu, dass das Gericht eine geteilte Haftung anerkannte, wobei die Schuldzuweisungen auf beiden Seiten zu finden waren.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht wies die Berufung der Klägerin zurück und bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, wonach der Fahrer des Kastenwagens und die Beklagte zu 1 jeweils 50 % der Schuld am Unfall tragen. Der Kastenwagenführer hatte ein Wendemanöver eingeleitet, ohne die erforderlichen Sorgfaltsmaßnahmen zu beachten, insbesondere ohne sich über die Annäherung des rückwärtigen Verkehrs zu vergewissern. Die Beklagte zu 1 trug durch ihr Überholmanöver ebenfalls zur Unfallentstehung bei, da sie die Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht einhielt oder zu spät auf den Wendevorgang reagierte.

Rechtliche Implikationen

Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten bei der Durchführung von Wendemanövern sowie bei der Annäherung an solche Manöver im Straßenverkehr. Insbesondere wird die doppelte Rückschaupflicht hervorgehoben, die vor dem Einordnen und erneut vor dem Abbiegen zu beachten ist. Dieser Fall verdeutlicht, wie entscheidend die genaue Beachtung der Verkehrsregeln und -zeichen für die Vermeidung von Unfällen und die rechtliche Beurteilung von Unfallfolgen ist.

Die gerechte Verteilung der Haftungsquoten spiegelt das Versäumnis beider Parteien wider, den erforderlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen. Das Urteil betont die Notwendigkeit, dass alle Verkehrsteilnehmer die Verkehrsregeln strikt befolgen müssen, um die Sicherheit auf den Straßen zu gewährleisten und rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Wie wird die Schuld bei einem Verkehrsunfall während eines Wendemanövers festgestellt?

Bei der Feststellung der Schuld bei einem Verkehrsunfall während eines Wendemanövers werden verschiedene Aspekte berücksichtigt. Zunächst ist wichtig, dass der Fahrer, der das Wendemanöver durchführt, grundsätzlich eine erhöhte Sorgfaltspflicht hat. Gemäß § 9 Absatz 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO) muss sich der Fahrer so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies bedeutet, dass beim Wenden besondere Vorsicht geboten ist und gegebenenfalls ein Einweisen erforderlich sein kann.

Die Rechtsprechung tendiert dazu, dem wendenden Fahrzeug eine höhere Verantwortung zuzuweisen, da es durch das Wendemanöver den fließenden Verkehr beeinflusst und potenziell gefährdet. Ein Beispiel hierfür ist ein Urteil des Amtsgerichts München, das feststellt, dass der erste Anschein dafür spricht, dass der wendende Autofahrer den Unfall verschuldet hat, wenn es während des Wendemanövers zu einem Zusammenstoß mit einem von hinten kommenden Fahrzeug kommt, das den Wendenden links überholen wollte.

Allerdings kann es auch zu einer Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommen, insbesondere wenn dieser ein Überholmanöver bei unklarer Verkehrslage durchführt, da ein solches Verhalten grundsätzlich verboten ist. Die genaue Schuldzuweisung hängt von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab, einschließlich der Positionen der Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Unfalls, der Verkehrszeichen und -regeln sowie der Aussagen von Zeugen.

In einigen Fällen kann es auch zu einer vollständigen Schuldübernahme durch den nicht wendenden Fahrer kommen, wenn dieser beispielsweise durch ein riskantes Überholmanöver oder durch Nichtbeachtung von Verkehrsregeln den Unfall verursacht hat. Ein Gerichtsurteil des Landgerichts Wuppertal verdeutlicht, dass ein Fahrzeugführer, der durch ein Wendemanöver ein anderes Fahrzeug zum Ausweichen zwingt und dadurch einen Unfall verursacht, die volle Verantwortung tragen kann, selbst wenn es zu keiner direkten Berührung zwischen den Fahrzeugen kommt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schuldfrage bei einem Verkehrsunfall während eines Wendemanövers von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, darunter die Einhaltung der Verkehrsregeln durch die Beteiligten, die Umstände des Unfalls und die Beweislage. Die Gerichte bewerten jeden Fall individuell, wobei die allgemeinen Grundsätze der StVO und die Rechtsprechung zu ähnlichen Fällen als Orientierung dienen.

Kann die Installation einer Dashcam zur Klärung von Unfallsituationen beitragen?

Die Installation einer Dashcam kann tatsächlich zur Klärung von Unfallsituationen beitragen, indem sie als Beweismittel in zivilrechtlichen Haftpflichtprozessen verwendet wird. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 15. Mai 2018 (VI ZR 233/17) entschieden, dass Aufnahmen von Dashcams grundsätzlich als Beweismittel vor deutschen Gerichten zulässig sind. Dies bedeutet, dass die Aufzeichnungen einer Dashcam im Einzelfall herangezogen werden können, um den Hergang eines Unfalls nachzuvollziehen und etwaige Haftungsfragen zu klären.

Allerdings ist der Einsatz von Dashcams aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht per se rechtmäßig. Die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens verstößt gegen das Datenschutzrecht, da hierbei personenbezogene Daten – wie Kfz-Kennzeichen und Aufnahmen von Personen – verarbeitet werden, ohne dass dies zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) setzen voraus, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten nur zulässig ist, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

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Um den datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, empfehlen sich Dashcams, die nur anlassbezogen aufzeichnen, beispielsweise bei einer starken Verzögerung oder im Falle eines Unfalls. Solche Geräte, oft als Crashcams bezeichnet, zeichnen nur einen kurzen Zeitraum auf, der wieder überschrieben wird, wenn kein Unfallsensor oder Ähnliches ausgelöst wird. Diese Vorgehensweise minimiert die datenschutzrechtlichen Bedenken, da sie die permanente Überwachung und Speicherung personenbezogener Daten vermeidet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Dashcams ein nützliches Werkzeug zur Klärung von Unfallsituationen sein können, indem sie als Beweismittel in Gerichtsverfahren dienen. Gleichzeitig müssen jedoch die datenschutzrechtlichen Bestimmungen beachtet werden, um einen rechtskonformen Einsatz zu gewährleisten. Die technische Gestaltung der Dashcam sowie die Art und Weise ihrer Nutzung spielen dabei eine entscheidende Rolle.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 9 Abs. 5 StVO (Straßenverkehrs-Ordnung) – Sorgfaltspflichten beim Wenden
    Beim Wendemanöver müssen Verkehrsteilnehmer besondere Sorgfalt walten lassen, um andere nicht zu gefährden. Im vorliegenden Fall wurde diese Sorgfalt vom Fahrer des Kastenwagens nicht eingehalten, was einen entscheidenden Beitrag zum Unfall leistete.
  • § 1 Abs. 2 StVO – Grundregeln der Verkehrsteilnahme
    Verlangt von allen Verkehrsteilnehmern, ihre Fahrweise so anzupassen, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidlich, behindert oder belästigt wird. Die Nichtbeachtung dieser Regel durch eine der Parteien trägt zur Klärung der Schuldfrage bei.
  • § 3 Abs. 1 StVO – Geschwindigkeitsvorschriften
    Bestimmt, dass die Fahrgeschwindigkeit so zu wählen ist, dass der Fahrzeugführer sein Fahrzeug ständig beherrscht. Die Beklagte zu 1 hat möglicherweise diese Vorschrift missachtet, indem sie sich schneller als erlaubt dem Unfallort näherte.
  • § 529 Abs. 1 ZPO (Zivilprozessordnung) – Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung im Berufungsverfahren
    Legt fest, dass das Berufungsgericht grundsätzlich an die im ersten Verfahren festgestellten Tatsachen gebunden ist, es sei denn, es gibt konkrete Anhaltspunkte, die eine erneute Überprüfung erfordern. Dieser Paragraph unterstreicht die Bedeutung der Tatsachenfeststellung im vorliegenden Fall.
  • § 17 StVG (Straßenverkehrsgesetz) – Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen
    Regelt die Haftungsverteilung bei Schäden, die aus dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Im Kontext dieses Urteils ist die Haftungsquote von besonderer Bedeutung, da beide Parteien zum Unfall beigetragen haben.
  • § 18 StVG – Betriebsgefahr
    Betrifft die Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die durch den Betrieb des Fahrzeugs entstanden sind. Die Betriebsgefahr kann bei der Beurteilung der Haftungsverteilung nach einem Verkehrsunfall eine Rolle spielen, insbesondere wenn kein Verschulden festgestellt werden kann.


Das vorliegende Urteil

OLG Düsseldorf – Az.: I-1 U 55/14 – Urteil vom 24.02.2015

Die Berufung der Klägerin gegen das am 18. März 2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet.

Ihre Anspruchsberechtigung geht keinesfalls über den ihr durch das Landgericht zuerkannten Umfang von 50 % ihrer unfallbedingten Vermögenseinbußen hinaus. Es steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Fahrer des klägerischen Kastenwagens Mercedes-Benz XXX, der Zeuge XXX, in mehrfacher Hinsicht den strengen Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht geworden ist, die er auf der XXX-straße in XXX in Höhe des Hauses Nr. XX bei einem Wendeversuch zu beachten hatte. Ohne Erfolg versucht die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung, den streitigen Sachverhalt so darzustellen, als beruhe der Zusammenstoß auf dem alleinigen Verschulden der mit dem Überholvorgang befasst gewesenen Beklagten zu 1.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung hat sich das fragliche Kollisionsereignis im Wesentlichen so zugetragen, wie es die Beklagte zu 1. bei ihrer informatorischen Befragung durch das Landgericht geschildert hat. Danach hatte der Zeuge XXX erst zu einem Zeitpunkt zu dem Wendemanöver in die linksseitige Einfahrt zum Haus Nr. XX angesetzt, als die Beklagte zu 1. ihren Überholvorgang bereits eingeleitet hatte. Die Entstehung des Schadensereignisses ist demnach maßgeblich auf ein Beobachtungsverschulden des Zeugen zurückzuführen. Die Beklagte zu 1. wurde von dem plötzlichen Linksabbiegen des Kastenwagens ihres Unfallgegners von der rechten Straßenseite aus zu einem Zeitpunkt überrascht, als sie sich bereits gefährlich dicht dem klägerischen Fahrzeug angenähert hatte. Diese Feststellung lässt sich im Hinblick auf die unfallanalytischen Ausführungen im Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen, des Dipl.-Ing. XXX, vom 31. Juli 2013 treffen.

Zwar ist nach den gutachterlichen Ausführungen ebenfalls erwiesen, dass die Beklagte zu 1. schuldhaft zu der Entstehung des Zusammenstoßes beigetragen hat. Denn sie hat die Möglichkeit zu einer räumlichen Vermeidbarkeit des Zusammenstoßes mit dem klägerischen Fahrzeug vertan, welches im Moment des Schadensereignisses am linken Fahrbahnrand entweder bereits zum Stillstand gekommen war oder sich dort nur noch ganz langsam fortbewegte. Sie hatte sich entweder schneller als mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h dem Kollisionsort genähert oder sie hatte aufgrund eines Aufmerksamkeitsverschuldens zu spät auf den Anblick des Wendevorganges mit der Einleitung einer Vollbremsung reagiert. In jedem Fall geht der ihr anzulastende Verursachungs- und Verschuldensbeitrag keinesfalls über die durch das Landgericht festgesetzte Haftungsquote von 50 % der Unfallschäden hinaus.

Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:

I.

Gemäß § 529 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 152, 254, 258).

Derartige Zweifel sind hinsichtlich des durch das Landgericht festgestellten Hergangs des Schadensereignisses im Wesentlichen nicht gegeben. Danach steht außer Zweifel, dass der Zeuge XXX in unfallursächlicher Weise die strengen Sorgfaltsanforderungen nicht beachtet hat, die er nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 StVO zu wahren hatte. Diese Feststellung ist auch unter Berücksichtigung der Aussagen zu treffen, die der Zeuge selbst sowie sein Beifahrer, der Zeuge XXX, gemacht haben. Nach dem unfallanalytischen Gutachten ist erwiesen, dass der Zeuge XXX vor Einleitung des Wendevorganges sich weder über die Annäherung des bevorrechtigten rückwärtigen Verkehrs vergewissert hatte, noch hatte er sich in der erforderlichen Weise straßenmittig eingeordnet. Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob er seine Abbiegeabsicht rechtzeitig mit Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers angekündigt hatte.

Im Hinblick auf das Ergebnis des unfallanalytischen Gutachtens, gegen das die Klägerin keine fundierten Richtigkeitseinwendungen geltend macht, lässt sich der Hergang des Kollisionsereignisses genauer rekonstruieren als durch das Landgericht angenommen. Danach kam es erst zu dem Zusammenstoß, als entsprechend den Bekundungen der Zeugen XXX und XXX der Kastenwagen der Klägerin bereits entsprechend der Unfallrekonstruktionszeichnung des Sachverständigen in Höhe der Zufahrt zu dem Gebäude Nr. XX in abbiegetypischer Schrägstellung am linken Straßenrand entweder bereits zum Stillstand gekommen war oder sich dort nur noch mit ganz langsamer Geschwindigkeit fortbewegte. Dann ist die Beklagte zu 1. mit der rechten vorderen Ecke des durch sie gesteuerten Pkw Renault Clio gegen die Fahrertür des Kastenwagens im linken unteren Bereich gestoßen, wie sich aus den durch den Sachverständigen reproduzierten Schadensbildern ergibt.

Diese Erkenntnis ändert allerdings nichts an der Feststellung, dass dem Zeugen XXX mindestens ein hälftiger Verursachungs- und Verschuldensanteil an der Entstehung des Schadensereignisses zu zuweisen ist. Nachdem er vor der Einleitung des Abbiegevorganges seiner doppelten Rückschaupflicht nicht nachgekommen war, leitete er auf der engen XXX-straße in Höhe des Hauses Nr. XX trotz der gefährlich dichten Annäherung der Beklagten zu 1. einen Wendevorgang ein, obwohl er aufgrund des geschlossenen Haustores absehen konnte, dass er mit dem Kastenwagen über die Hälfte der Fahrbahnbreite blockieren werde.

II.

Unbegründet ist der Einwand der Klägerin, das Landgericht sei fehlerhaft von der Annahme ausgegangen, die Beklagte zu 1. habe den Überholvorgang bereits zu einem Zeitpunkt eingeleitet, als der Zeuge XXX noch nicht mit dem Linksabbiegen begonnen habe; deshalb könne dem Zeugen kein Verstoß gegen seine zweite Rückschaupflicht angelastet werden. Darüber hinaus verfängt nicht das Argument der Klägerin, die Beklagte zu 1. habe sich mit 40 bis 50 m hinreichend weit hinter dem Kastenwagen befunden, als der Linksabbiegevorgang eingeleitet worden sei. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung steht außer Zweifel, dass der fragliche Zusammenstoß maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass der Zeuge XXX seiner doppelten Rückschaupflicht nicht nachgekommen ist. Andernfalls hätte er bemerkt, dass ihn das geplante Wendemanöver auf einen Kollisionskurs zu der überholenden Beklagten zu 1. brachte und er hätte von dem Fahrmanöver Abstand genommen.

1. Als wendender Verkehrsteilnehmer war der Zeuge XXX den strengen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO unterworfen. Danach muss sich ein Fahrzeugführer bei dem Wendevorgang so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Wendevorgang war zwangsläufig mit einem Linksabbiegen in Richtung der Zufahrt zu dem Haus Nr. XX verbunden. Deshalb war der Zeuge nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO verpflichtet, die gebotene doppelte Rückschau zu halten, um sich über die rückwärtige Verkehrssituation zu vergewissern. Er musste demnach vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr achten. Hinzu kamen die Verpflichtungen, sich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO straßenmittig einzuordnen sowie die Abbiege- bzw. Wendeabsicht rechtzeitig und deutlich anzukündigen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 StVO).

2. Bei einer Kollision eines wendenden Verkehrsteilnehmers mit einem im fließenden Verkehr befindlichen Kraftfahrzeug spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ersteren (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 9 StVO, Rdnr. 59 mit Hinweis auf BGH DAR 1985, 316 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 25. November 2014, Az.: I-1 U 25/14). Indes bedarf es im vorliegenden Fall noch nicht einmal der Heranziehung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis. Vielmehr steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Zeuge XXX weder vorkollisionär seiner doppelten Rückschaupflicht nachgekommen war, noch dass er bei Einleitung des beabsichtigten Fahrmanövers straßenmittig eingeordnet war. Das Wendemanöver war wegen der Straßenbreite von nicht mehr als sieben Metern nur unter Inanspruchnahme der Zufahrt zu dem Haus Nr. XX möglich. Da dort aber das Gebäudetor verschlossenen war, konnte der Zeuge von vornherein absehen, dass das Fahrmanöver nicht in einem Zug durchführbar war. Er musste demnach von dem Wendevorgang wegen der gefährlich dichten Annäherung der Beklagten zu 1. entweder gänzlich Abstand nehmen. Oder er musste die Beklagte zu 1. vorbei fahren lassen und sein Vorhaben so lange zurückstellen, bis eine Gefährdung des bevorrechtigten fließenden auf der XXX-straße ausgeschlossen war.

3. Das Landgericht hat seine Erkenntnis, der Zeuge XXX sei seiner doppelten Rückschaupflicht nicht nachgekommen, aus der Feststellung abgeleitet, die der Sachverständige XXX in seinem Gutachten vom 31. Juli 2013 dargelegt hat: Es erscheine aus technischer Sicht plausibel, dass das klägerische Fahrzeug noch nicht mit dem Abbiegen begonnen habe, als die Beklagte zu 1. zum Überholen bereits ausgeschert sei (Bl. 5 UA, Bl. 121 d.A. unter Hinweis auf die Seiten 23 und 25 des Gutachtens). Die durch den Sachverständigen angenommene Plausibilität der zeitlichen Vorrangigkeit der Einleitung des Überholvorganges vor Beginn des Wendemanövers erscheint auch aus der Sicht des Senats überzeugend. Als Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung ist konkret die Erkenntnis zu gewinnen, dass sich das fragliche Geschehen im Wesentlichen so zugetragen hat, wie es die Beklagte zu 1. bei ihrer informatorischen Befragung im Termin vom 12. März 2013 geschildert hat. Dies schließt allerdings die Annahme eines ihr anzulastenden Mitverschuldens an der Entstehung des Zusammenstoßes nicht aus. Die Bekundungen der Zeugen XXX und XXX lassen dagegen nicht die Feststellung zu, dass der erstgenannte Zeuge seine Sorgfaltspflichten als wendender Verkehrsteilnehmer beachtet hat.

4. Plausibel ist die auch zeichnerisch anschaulich dargestellte Erläuterung des Sachverständigen, die nach links orientierte Schrägstellung des Pkw Renault Clio auf der Fahrbahn in der Kollisionsposition in Verbindung mit dem Lenkeinschlag nach links lasse den Rückschluss darauf zu, dass die überholende Beklagte zu 1. einen Ausweichversuch als Reaktion auf das nach links in ihre Fahrlinie hinein abbiegende Klägerfahrzeug eingeleitet habe (S. 23 des Gutachtens). Zwar hat nach den Erkenntnissen des Sachverständigen das Verteidigungsvorbringen der Beklagten keine Bestätigung gefunden, der Abbiegevorgang sei spät erst in einer Phase eingeleitet worden, als der Pkw Renault Clio die Höhe des Kastenwagens Mercedes-Benz Viano erreicht gehabt habe. Jedoch steht die Unfallrekonstruktion des Sachverständigen in Übereinstimmung mit der eigenen Schilderung der Beklagten zu 1., während ihres Überholvorganges sei der Unfallgegner so plötzlich nach links abgebogen, dass auch ihr spontaner Ausweichversuch nach links die Kollision nicht mehr habe vermeiden können (Bl. 56 d.A.). Der Sachverständige hat ausgeführt, die durch die Beklagte zu 1. beschriebene vorkollisionäre kritische Phase sei räumlich ca. 3,5 bis 4 m vor der Unfallstelle zu verorten (S. 23 des Gutachtens). In zeitlicher Hinsicht hat er einen Abstand von 3,5 bis 4 Sekunden vor dem Zusammenstoß angesetzt (S. 24 des Gutachtens).

5. Zeuge XXX hat bei seiner Vernehmung nachdrücklich bekundet, die rückwärtige Wahrnehmung der Beklagten zu 1. überhaupt nicht wahrgenommen zu haben („Ich habe wirklich nichts hinter mir gesehen“; Bl. 107 d.A.). Da die Beklagte zu 1. nun wahrlich nicht wie aus dem „Nichts“ hinter dem Kastenwagen Mercedes-Benz Viano aufgetaucht ist, lässt die Darstellung des Zeugen XXX die Feststellung zu, dass er sich vor Einleitung des Abbiegevorganges überhaupt nicht über den bevorrechtigten rückwärtigen Verkehr gekümmert hatte. Sein Erklärungsversuch, es könne auch sein, dass die Beklagte zu 1. „überhaupt von rechts gekommen“ sei (Bl. 107 d.A.), ist eine durchsichtig falsche Schutzbehauptung.

III.

Die Beklagten machen darüber hinaus ohne Erfolg geltend, nach dem Sachverständigengutachten habe sich der durch die Beklagte zu 1. gesteuerte Pkw im Moment des Beginns des Linksabbiegevorganges noch ca. 40 bis 50 m von der Unfallstelle entfernt befunden und sie hätte bei einer Weiterfahrt in Geradeausrichtung hinter dem linksseitig zum Stillstand gekommenen klägerischen Fahrzeug vorbei einfach geradeaus weiterfahren können. Zwar trifft es zu, dass der Sachverständige als Sachverhaltseventualität die Möglichkeit aufgezeigt hat, 5 bis 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß habe sich der Pkw Renault Clio noch ca. 40 bis 50 m von der Unfallstelle entfernt befunden (S. 25 des Gutachtens). Daraus kann die Klägerin jedoch aus mehreren Gründen nichts zu ihren Gunsten herleiten.

1. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige bezogen auch auf diese Ausgangssituation die Feststellung getroffen hat, der Zeuge XXX habe bei einer Rückschau die Annäherung der bevorrechtigten Beklagten zu 1. erkennen können (S. 25 des Gutachtens).

2. Darüber hinaus hat der Sachverständige die Einschlägigkeit der Ausgangsentfernung von 40 bis 50 m von der Prämisse abhängig gemacht, dass sich der Pkw Renault Clio mit einer konstanten Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 30 km/h auf den Kastenwagen Mercedes-Benz Viano zubewegte (S. 25 des Gutachtens). Für den Fall, dass die Beklagte zu 1. anfänglich langsamer gefahren sein sollte und erst im Zuge des Überholvorganges noch beschleunigt hatte, hat er nicht ausgeschlossen, dass sie schon näher an die Unfallstelle herangerückt und bereits nach links zum Überholen ausgeschert war – und zwar noch ehe ihr späterer Unfallgegner mit dem Abbiegen nach links begonnen hatte (S. 25 des Gutachtens).

3. Sachlich falsch ist der Einwand der Klägerin, eine Beschleunigung des Pkw Renault im Zusammenhang mit der Einleitung des Überholvorganges sei dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen. Das Gegenteil ergibt sich aus der ausführlichen und glaubhaften Schilderung des Geschehensablaufes durch die Beklagte zu 1. anlässlich ihrer informatorischen Anhörung.

a ) Danach hatte sie erst kurz vor dem Kollisionsereignis ihre Fahrt aufgenommen und eine Strecke von 100 bis 200 m mit der anfänglichen Geschwindigkeit von 20 km/h zurückgelegt. Sodann hatte sie ihrer weiteren Darstellung gemäß im Zuge der Einleitung des Überholvorganges „noch geringfügig beschleunigt“ (Bl. 56 d.A.). Diese Schilderung passt insofern zu den Angaben der Zeugen XXX und XXX, als diese übereinstimmend ausgesagt haben, man sei auf der Suche nach einer Wendemöglichkeit mit ca. 20 km/h gefahren (Bl. 106, 108 d.A.). Auf der XXX-straße gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h. Die Darstellung der Beklagten zu 1., bei Einleitung des Überholvorganges den Pkw Renault Clio geringfügig beschleunigt zu haben, lässt sich somit ohne weiteres mit der Annahme vereinbaren, dass sie entweder mit 30 km/h oder mit einem geringfügig höheren Tempo weiterfuhr. In jedem Fall hätte sie in Bezug auf den sich mit ca. 20 km/h fortbewegenden Kastenwagen auf eine hinreichende Überholgeschwindigkeit beschleunigt.

b ) Trifft somit die Prämisse des Sachverständigen hinsichtlich einer durchgehend konstanten Ausgangsgeschwindigkeit des Pkw Renault Clio von 30 km/h nicht zu, kann auch nicht die durch ihn bezeichnete Ausgangsdistanz von 40 bis 50 m zwischen den Fahrzeugen zu Beginn der Einleitung des Abbiegevorganges maßgeblich sein. Vielmehr ist eine kürzere Schlussentfernung in Ansatz zu bringen. Ein solcher Sachverhalt bestätigt sich durch die Unfallrekonstruktionszeichnung des Sachverständigen, derzufolge die Beklagte zu 1. als Reaktion auf einen dicht vor dem Pkw Renault Clio eingeleiteten Wendevorgang des Kastenwagens eine spontane Ausweichlenkung nach links vornahm.

4. Deshalb ist auch die seitens der Beklagten behauptete Ausweichmöglichkeit ausgeschlossen, die Beklagte zu 1. hätte in kollisionsvermeidender Weise unter Beibehaltung ihrer Geradeausrichtung einfach rechts an dem Heck des nach links abbiegenden klägerischen Fahrzeuges vorbeifahren können. Eine solche Möglichkeit wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn der Zeuge XXX mit einem hinreichenden zeitlichen und räumlichen Vorsprung vor der rückwärtigen Annäherung der Beklagten zu 1. den Linksabbiege- und Wendevorgang eingeleitet hätte. Ein solcher Geschehensablauf lässt sich indes nicht feststellen.

IV.

1. Darüber hinaus ist erwiesen, dass der Zeuge XXX den Linksabbiegevorgang entgegen § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO nicht aus einer straßenmittigen Ausgangsposition eingeleitet hatte.

a ) Dies ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus der Unfallrekonstruktionszeichnung des Sachverständigen in Verbindung mit seiner gutachterlichen Erläuterung (S. 21 des Gutachtens). Danach setzte der Abbiegevorgang vom rechten Rand der XXX-straße aus ein, ehe der Kastenwagen in einem engen Abbiegebogen seine Endposition in einer Schrägstellung auf der Fahrbahn in Höhe der verschlossenen Gebäudezufahrt erreichte. Der Kollisionskontakt zwischen den Fahrzeugen hatte einen Abstand von ca. 1,5 m von der linken Gehwegkante der XXX-straße aus gesehen (S. 20 des Gutachtens). Auch aus den Lichtbildern, welche die Klägerin als Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 14. September 2012 zu den Akten gereicht hat (Hülle Bl. 34 d.A.), wird deutlich, dass der Zeuge XXX den lichtbildlich gesicherten Endstand des klägerischen Fahrzeuges nicht hätte erreichen können, wenn er verkehrsordnungsgemäß den Abbiegevorgang von der Straßenmitte aus eingeleitet hätte. Denn dann hätte der Schrägstellungswinkel deutlich enger als in dem durch den Sachverständigen festgestellten Umfang von 55° ausfallen müssen.

b ) Bezeichnenderweise hat auch der Zeuge XXX bekundet, zu Beginn des Abbiegevorganges sei man „eher rechts gefahren, also normal“ (Bl. 109 d.A.). Die Darstellung des Zeugen XXX („Wenn man sich da links einordnen würde, würde man den Gegenverkehr behindern“) stellt sich eher als eine Schutzbehauptung dar. Der Prozessvortrag der Parteien bietet keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Zeuge bei Einleitung des Wendemanövers mit bevorrechtigtem Gegenverkehr konfrontiert war.

2. ) Zudem ist zweifelhaft, ob der Zeuge XXX entsprechend dem Erfordernis des § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO seine Linksabbiegeabsicht rechtzeitig angekündigt hatte.

a ) Zwar hat er ausgesagt, vor dem Abbiegen in die Einfahrt den Blinker gesetzt zu haben, weil er „das immer mache“ (Bl. 106 d.A.). Der Zeuge XXX will als Beifahrer darauf geachtet haben (“ … Ich bin sehr pingelig“), ob der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wurde. Nicht sonderlich überzeugend hat er ergänzt, es wäre ihm aufgefallen, wenn der Blinker nicht gesetzt worden wäre (Bl. 108 d.A.).

b ) Selbst wenn es zu einer Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers gekommen wäre, ließe sich jedenfalls nicht zweifelsfrei feststellen, dass dies so rechtzeitig erfolgt wäre, dass sich die Beklagte zu 1. auf das Fahrmanöver ihres späteren Unfallgegners hätte einstellen können.

aa ) Ausweislich der Aussage des Zeugen XXX war er auf der XXX-straße in langsamer Fahrt mit ca. 20 km/h auf der Suche nach einer linksseitigen Hauseinfahrt, um von „dort dann zurückzusetzen und zu wenden“ (Bl. 106 d.A.). Unstreitig meinte er, in Höhe des Hauses Nr. 66 eine geeignete Grundstückszufahrt gefunden zu haben. Auf die Frage, wie lange er vor Eintritt des Kollisionsereignisses den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hatte, hat er zunächst geantwortet, das könne er nicht genau sagen (Bl. 107 d.A.). Seine ergänzende Darstellung, er habe „ungefähr zwischen 50 bis 100 m vorher den Blinker gesetzt“ (Bl. 107 d.A.), erscheint nicht glaubhaft.

bb ) Denn erfahrungsgemäß betätigt ein Verkehrsteilnehmer, der auf einem unübersichtlichen Straßenverlauf auf der Suche nach einer geeigneten Linksabbiegemöglichkeit in eine Hauszufahrt hinein ist, nicht schon vorsorglich auf eine längere Strecke den entsprechenden Fahrtrichtungsanzeiger, ohne zu wissen, an welcher Stelle er denn sein Vorhaben in die Tat umsetzen kann. Die Klägerin wiederholt in ihrer Berufungsbegründung ihr erstinstanzliches Vorbringen, demzufolge die Schinkelstraße mit linksseitig geparkten Fahrzeugen zugestellt war (Bl. 145 b d.A.). Die Unübersichtlichkeit der linken Seite der Schinkelstraße mit dort abgestellten Fahrzeugen aus der Annäherungsperspektive des Zeugen XXX aus einer Entfernung von ca. 100 m wird durch das seitens des Sachverständigen gefertigte Lichtbild Nr. 1 in der Fotoanlage zu seinem Gutachten anschaulich wiedergegeben. Folgt man der Darstellung der Beklagten zu 1., hatte sie an dem Kastenwagen keine Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers beobachtet („Das andere Fahrzeug hat den Blinker nicht gesetzt, sonst hätte ich nicht überholt“; Bl. 56 d.A.).

V.

1. Nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil ist der Beklagten zu 1. ein Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteil an der Entstehung des Schadensereignisses anzulasten. Sie hat entweder verspätet auf den Anblick das abbiegenden Kastenwagens durch Einleitung einer Abbremsung reagiert oder sie hatte sich von vornherein mit einer höheren Geschwindigkeit als dem zulässigen Maximaltempo von 30 km/h dem späteren Kollisionsort angenähert. In jedem Fall hätte sie bei Einhaltung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit der Unfallanalyse des Sachverständigen gemäß den Zusammenstoß bei Einleitung einer situationsadäquaten Gefahrenbremsung noch – wenn auch knapp – räumlich vermeiden können. Deshalb ist im Rahmen einer Wahlfeststellung von einem fahrlässigen, unfallursächlichen Verstoß der Beklagten zu 1. entweder gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StVO in Verbindung mit dem Zeichen 274.1 der lfd. Nr. 50 der Anlage 2 zur Straßenverkehrsordnung („Tempo 30-Zone“) oder von einem Reaktionsverschulden wegen der zu späten Einleitung einer Vollbremsung entgegen § 1 Abs. 2 StVO auszugehen. Zwar war nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Klagevorbringen auf der Schinkelstraße wegen eines regennassen Kopfsteinpflasters für die Beklagte zu 1. der Anhalteweg verlängert (Bl. 2 d.A.). Die Tatsache eines wegen einer ungünstigen Straßenoberfläche verlängerten Anhalteweges war indes ein die Betriebsgefahr des Pkw Renault Clio erhöhender Umstand , welcher die Beklagten nicht entlastet.

2. Der Sachverständige hat bei seiner Weg/Zeit-Analyse die ungünstige Straßenoberfläche dadurch angemessen berücksichtigt, dass er für das durch die Beklagte zu 1. gesteuerte Fahrzeug eine mittlere Verzögerung von nicht mehr als 5 m/sec² in Ansatz gebracht hat (S. 24 des Gutachtens). Die kritische Verkehrssituation, aufgrund der die Beklagte zu 1. hätte erkennen können, dass es bei einer ungebremsten Weiterfahrt beider Fahrzeuge zu einer Kollision kommen werde, setzte nach den Berechnungen des Sachverständigen 3,5 bis 4 Sekunden vor dem Zusammenstoß ein. Trotz der bremsungünstigen Straßenoberfläche hätte die Beklagte zu 1. aber nach den weiteren Erkenntnissen des Sachverständigen den Pkw Renault Clio innerhalb einer Zeitspanne von 2,5 bis 3 Sekunden (rechnerisch 2,7 Sekunden) kollisionsvermeidend zum Stillstand bringen können, wenn sie die zulässige Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h eingehalten und situationsadäquat auf den Anblick des Abbiegevorganges mit einer Vollbremsung reagiert hätte (S. 24 des Gutachtens).

3. Ein höheres Ausgangstempo als ein solches von 30 km/h hat der Sachverständige ausdrücklich als nicht beweisbar bezeichnet (S. 24 des Gutachtens). Deshalb muss es bei folgender Wahlfeststellung verbleiben: Entweder ist der der Beklagten zu 1. anzulastende Verursachungs- und Verschuldensanteil, sollte die Beklagte zu 1. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h eingehalten haben, in einem Reaktionsverschulden wegen einer verspäteten Einleitung der Vollbremsung zu sehen. Oder sie hatte im Zuge des Überholvorganges das vorgeschriebene Maximaltempo überschritten, so dass sie trotz der Gefahrbremsung und der Ausweichlenkung nach links nicht mehr in der Lage war, trotz einer Vollbremsung den Zusammenstoß räumlich zu vermeiden.

4. )

Es lässt sich allerdings nicht feststellen, dass die Beklagte zu 1. entgegen der Bestimmung des § 5 Abs. 2 Ziffer 1 StVO den Überholvorgang trotz unklarer Verkehrslage eingeleitet hat.

a ) Eine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Ziffer 1 StVO ist dann gegeben, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen nicht mit einem ungefährlichen Überholen rechnen darf, insbesondere wenn sich nicht sicher beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Urteil vom 16. Dezember 2014, Az.: I-1 U 25/14). Dabei schafft allein die Tatsache, dass ein vorausfahrendes Fahrzeug relativ langsam fährt und sich möglicherweise sogar rechts einordnet, für den nachfolgenden Verkehr noch keine unklare Verkehrslage dahingehend, dass dessen Fahrer gleich nach links abzubiegen oder sogar zu wenden beabsichtigt (Senat a.a.O.; Senat, Urteil vom 13. Dezember 2011, Az.: I-1 U 47/11; Senat, Urteil vom 25. Mai 2009, Az.: I-1 U 141/08 dort mit Hinweis auf OLG Celle, Schaden-Praxis 2005, 333; KG Berlin, KGR 2003, 3; Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 35). Um für den nachfolgenden Verkehr eine Ungewissheit im Sinne einer unklaren Verkehrslage zu schaffen, ist das Hinzutreten weiterer Umstände erforderlich. Dies ist etwa dann der Fall, wenn zu dem auffälligen Fahrverhalten des Voranfahrenden hinzu kommt, dass der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird, ohne dass dieser sich hinreichend nach links eingeordnet hat (Senat a.a.O.; Senat, Urteil vom 13. September 2011, Az.: I-1 U 47/11 mit Hinweis auf KG a.a.O.).

b ) Wie bereits ausgeführt, ist nicht ersichtlich, dass der Zeuge XXX entsprechend dem Gebot des § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO seine Abbiegeabsicht nach links rechtzeitig angekündigt hatte. Seine Aussage, bis zu 100 m vor dem späteren Kollisionsort den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt zu haben, ist aus den dargelegten Gründen nicht glaubhaft. Vielmehr erscheint ein Geschehensablauf plausibel, wonach er in Anbetracht der Unübersichtlichkeit wegen linksseitig auf der Schinkelstraße parkender Fahrzeuge die ihm für einen Wendevorgang passend erscheinende Hauszufahrt erst relativ spät erkannt und entsprechend nicht rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hatte. Hinzu kommt, dass er sich nachweislich entgegen § 9 Abs. 2 StVO nicht straßenmittig eingeordnet hatte. Dann steht aber außer Zweifel, dass die Beklagte zu 1. mit einem räumlichen und zeitlichen Vorsprung vor der Einleitung des Abbiegevorganges den Überholvorgang nicht in einer unklaren Verkehrslage begonnen hatte. Vielmehr wurde sie durch den Anblick des plötzlich links abbiegenden Kastenwagens, an welchem zuletzt noch der linke Blinker in Funktion gewesen sein mag, überrascht.

VI.

Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge für das Unfallereignis führt dazu, dass sich die Klägerin infolge des Annäherungsverschuldens des Zeugen XXX jedenfalls die Hälfte ihrer unfallbedingten Vermögenseinbußen anspruchsmindernd zurechnen lassen muss.

1. Bei der Abwägung aller unfallursächlichen Umstände gemäß §§ 17, 18 StVG kommt es insbesondere darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind nur unstreitige bzw. zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 506). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus welchen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, 231).

2. Der Zeuge XXX hatte im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Abbiege- und Wendevorgang jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Mit seinem Fahrmanöver, durch das der Kastenwagen für die nachfolgende, bevorrechtigte Beklagte zu 1. zu einem plötzlichen Frontalhindernis wurde, hat er die entscheidende Ausgangsursache für die Entstehung der Kollision gesetzt. Wegen der in mehrfacher Hinsicht gegebenen Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO hat er sich vorkollisionär grob fahrlässig verhalten. Die Tatsache, dass er die gefährlich dichte Annäherung des Pkw Renault Clio gar nicht gemerkt hatte, unterstreicht das Ausmaß seines leichtfertigen Verhaltens. Offensichtlich war er so auf die Suche nach einer geeigneten Wendemöglichkeit in der linksseitigen Häuserzeile der XXX-straße konzentriert, dass er den bevorrechtigten rückwärtigen Verkehr nicht beachtet hatte.

3. Demgegenüber ist der Beklagten zu 1. anzulasten, dass sie die Möglichkeit zur räumlichen Vermeidbarkeit der Kollision vertan hat, indem sich entweder schneller als mit der zulässigen Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h dem Unfallort genähert oder sie bei Einhaltung des zulässigen Tempos verspätet auf den Anblick des abbiegenden Kastenwagens reagiert hatte. Für den Fall einer unzulässig schnellen Annäherung der Beklagten zu 1. bleibt allerdings offen, in welchem Ausmaß sie das zulässige Höchsttempo überschritten hatte.

4. Im Ergebnis muss es deshalb bei der durch das Landgericht ausgesprochenen Haftungsverteilung verbleiben. Für eine Verschiebung der Quotierung zugunsten der Klägerin besteht auch unter Berücksichtigung ihres Berufungsvorbringens kein Anlass.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 1, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 6.292,24 EUR.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

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