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Verkehrsunfall – Querung eines Fußgängerweges mit Fahrrad

Haftungsfrage bei Kollision: Fahrrad trifft Auto am Zebrastreifen

Die zentrale Rechtsfrage in dem folgenden Urteil dreht sich um die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall, der sich an einem Fußgängerweg ereignet hat. Im Fokus steht die Klärung der Verantwortung zwischen einem Fahrradfahrer und einem Kraftfahrzeugführer im Kontext des Verkehrsrechts. Dabei wird insbesondere untersucht, wie die Regeln und Pflichten, die für die Querung eines Fußgängerweges gelten, auf die Beteiligten anzuwenden sind.

Das Kernthema umfasst somit die Analyse der Situation, in der ein Fahrrad einen Fußgängerüberweg, umgangssprachlich auch Zebrastreifen genannt, in der Nähe eines Kreisverkehrs quert, und es zu einer Kollision mit einem Pkw kommt. Die Einordnung der Haftung und die Bewertung des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer sind entscheidend für die Beurteilung des Falls.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 30 C 1164/21   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Gericht entschied, dass beide Parteien, die Fahrradfahrerin und die Pkw-Fahrerin, eine gewisse Verantwortung für den Verkehrsunfall am Fußgängerweg tragen und die Klage somit nur teilweise begründet ist.

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Der Unfall ereignete sich, als die Beklagte mit ihrem Fahrrad einen Fußgängerüberweg querte und mit einem Pkw kollidierte.
  2. Die Klägerin forderte Schadensersatz und Schmerzensgeld, da sie die Beklagte für den Unfall verantwortlich machte.
  3. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte schuldhaft gehandelt hat, indem sie den Überweg mit dem Fahrrad überquerte, ohne auf den Pkw zu achten.
  4. Die Beklagte konnte sich nicht auf ein Vorrecht nach § 26 Abs. 1 StVO berufen, da sie nicht zu Fuß unterwegs war.
  5. Die Klägerin muss sich eigene Verkehrsverstöße und die Betriebsgefahr ihres Kfz zurechnen lassen.
  6. Das Gericht berücksichtigte, dass es an dieser Stelle nicht unüblich ist, dass Fahrradfahrer den Fußgängerüberweg überfahren.
  7. Der Schädiger muss die Reparaturkosten und Mietwagenkosten erstatten und trägt das sogenannte Werkstattrisiko.
  8. Die Klägerin hat teilweise Anspruch auf Schadensersatz, jedoch nicht in vollem Umfang.

Unfallhergang: Fahrradfahrerin trifft auf Pkw

Im Mittelpunkt des vorliegenden Falls steht ein Verkehrsunfall, der sich ereignete, als eine Fahrradfahrerin einen Fußgängerweg querte. Die Beklagte fuhr mit ihrem Fahrrad über einen Fußgängerüberweg, der neben einem Kreisverkehr verlief. Sie hielt zunächst an und verständigte sich durch Blickkontakt mit einem Zeugen, der signalisierte, dass er sie passieren lassen würde. Als sie sich in der Mitte des Überwegs befand, nahm sie erstmals den Pkw der Klägerin wahr. Der Ehemann der Klägerin, der den Pkw fuhr, bremste offensichtlich nicht und es kam zu einem Zusammenstoß.

Rechtliche Auseinandersetzung und Schuldfrage

Haftungsfrage bei Kollision: Fahrrad trifft Auto am Zebrastreifen
(Symbolfoto: Ground Picture /Shutterstock.com)

Die rechtliche Auseinandersetzung entstand, weil die Klägerin Schadensersatz und Schmerzensgeld von der Beklagten verlangte. Das rechtliche Problem lag in der Frage, wer die Schuld an dem Unfall trägt und inwiefern die Beklagte für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden kann. Hierbei spielte die Betrachtung der Verkehrsregeln und der Umstände des Unfalls eine entscheidende Rolle.

Gerichtsurteil: Teilweise Begründung der Klage

Das Gericht entschied, dass die Klage teilweise begründet ist. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte schuldhaft gehandelt hat, indem sie mit ihrem Fahrrad über den Fußgängerüberweg fuhr, ohne auf den einbiegenden Pkw Rücksicht zu nehmen. Sie konnte sich nicht auf ein Vorrecht nach § 26 Abs. 1 StVO berufen, da sie nicht zu Fuß unterwegs war. Allerdings musste sich die Klägerin auch eigene Verkehrsverstöße und die Betriebsgefahr ihres Kfz zurechnen lassen.

Fazit: Verantwortung und Ersatzfähigkeit

Das Gericht begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass die Beklagte ihr Fahrrad in bestimmungsgemäßer Weise als Fahrrad benutzt hat und nicht als Roller. Zudem wurde festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin mit einem Fehlverhalten der Beklagten hätte rechnen müssen, da es an dieser Stelle nicht unüblich ist, dass Fahrradfahrer den Fußgängerüberweg überfahren.

Weitere wichtige Informationen betreffen die Ersatzfähigkeit des geltend gemachten Betrages für die Reparaturkosten und die Mietwagenkosten. Das Gericht entschied, dass der Schädiger das sogenannte Werkstattrisiko trägt und die Kosten für die Reparatur und den Mietwagen erstatten muss.

Das Fazit des Urteils ist, dass beide Parteien eine gewisse Verantwortung für den Unfall tragen. Die Klägerin hat teilweise Anspruch auf Schadensersatz, jedoch nicht in vollem Umfang. Das Urteil verdeutlicht die Komplexität von Verkehrsunfällen und die Notwendigkeit, alle Umstände und geltenden Verkehrsregeln zu berücksichtigen, um eine gerechte Entscheidung zu treffen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was besagt § 26 Abs. 1 StVO bezüglich des Vorrechts an Fußgängerüberwegen?

Gemäß § 26 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) haben Fahrzeuge, mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen, an Fußgängerüberwegen den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Fahrzeuge dürfen nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren und müssen, wenn nötig, warten.

Dies bedeutet, dass Fahrer, die sich einem Fußgängerüberweg nähern, ihre Geschwindigkeit reduzieren müssen, um Fußgängern und Rollstuhlfahrern, die den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Wenn es notwendig ist, müssen die Fahrzeuge sogar warten, um den Fußgängern das sichere Überqueren der Straße zu ermöglichen.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass diese Regelung nicht für Schienenfahrzeuge gilt. Das bedeutet, dass Straßenbahnen und andere Schienenfahrzeuge nicht verpflichtet sind, an Fußgängerüberwegen anzuhalten.

Darüber hinaus dürfen Fahrzeuge nicht auf den Überweg fahren, wenn sie auf ihm warten müssten, wenn der Verkehr stockt. An Überwegen ist das Überholen ebenfalls nicht erlaubt. Wenn die Markierung über einen Radweg oder einen anderen Straßenteil führt, gelten diese Vorschriften entsprechend.

Fußgänger und Rollstuhlfahrer sind verpflichtet, den Schutzweg nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug und für den Lenker überraschend zu betreten. Sie müssen den Schutzweg „auf geradem Weg“ überqueren und so, dass der Fahrzeugverkehr nicht gefährdet oder übermäßig behindert wird.


Das vorliegende Urteil

AG Würzburg – Az.: 30 C 1164/21 – Endurteil vom 24.05.2022

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.261,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 28.07.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 367,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 28.07.2021 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 41% und die Beklagte 59% zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 3.831,30 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall zwischen einem Pkw und einem Fahrrad.

Der Unfall ereignete sich am 02.03.2021 gegen 9:45 Uhr im Bereich der Einmündung des B. Rings in den R. Ring in W..

Unfallbeteiligt war der Pkw der Klägerin, der zum Unfallzeitpunkt von ihrem Ehemann geführt wurde, sowie die Beklagte als Radfahrerin.

Der Ehemann der Klägerin befuhr den Kreisverkehr und wollte in den R. Ring ausfahren.

Parallel zum Kreisverkehr verlief ein Fahrradweg.

Hinter diesem Fahrradweg, am Beginn des R. Rings, war ein Fußgängerüberweg eingerichtet.

Die Beklagte kam mit ihrem Fahrrad aus Richtung M1. Straße und befuhr mit ihrem Fahrrad den Fußgängerüberweg entgegen der Fahrtrichtung des Kreisverkehrs. Dabei kam es zur Kollision mit dem Pkw.

Der genaue Unfallhergang blieb umstritten.

Mit Schreiben vom 12.03.2021 (Anlage K4) machte die Klägerin gegenüber der Haftpflichtversicherung der Beklagten ihre bezifferten Ansprüche geltend unter Fristsetzung bis zum 01.04.2021.

Die Zahlungsaufforderung wurde wiederholt mit Schreiben vom 18.05.2021 unter Fristsetzung bis zum 01.06.2021 (Anlage K5)

Mit Schreiben vom 26.05.2021 wurde die Regulierung abgelehnt.

Die Klägerin ließ nach Klageerhebung ihren Pkw reparieren (Anlage K6).

Die Klägerin trägt vor: Ihr Ehemann sei mit wenig mehr als Schrittgeschwindigkeit in den R. Ring eingebogen.

Zu diesem Zeitpunkt habe sich kein Radfahrer auf dem Radweg befunden.

Die Beklagte sei zunächst neben ihrem Rat am Rand des Fußgängerüberwegs gestanden.

Die Beklagte sei dann auf ihr Rad gestiegen und gegen die Fahrtrichtung über den Fußgängerüberweg gefahren.

Sie habe dabei Walkingstöcke in der Hand gehabt und habe deswegen nur einhändig fahren können.

Als der Ehemann der Klägerin die Beklagte aus seiner Sicht von links kommen sah, habe er sofort gebremst. Er sei auf den Zebrastreifen zum Stehen gekommen. Er habe jedoch einen Frontalzusammenstoß nicht mehr vermeiden können.

Der Klägerin seien folgende Schäden entstanden:

  • Reparaturkosten: 4.139,12 € (Anlage K6)
  • Wertminderung: 300 €
  • Mietwagenkosten für 3 Tage: 320 €.
  • Unkostenpauschale: 30 €.

Die Klägerin lasse sich ein Mitverschulden in Höhe von 20% anrechnen und mache deswegen nur 80% des Schadens geltend.

Insgesamt habe sie daher einen Anspruch in Höhe von 3.831,30 €.

Zudem bestehe ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe einer 1,3 Gebühr aus einem Gegenstandswert von 3.831,30 €.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1.

Die Beklagte wird verurteilt, 3.831,30 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus ab 28.07.2021 an die Klägerin zu bezahlen.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 453,87 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 28.07.2021 an die Klägerin zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Die Beklagte trägt vor:

Sie habe vor dem Fußgängerüberweg angehalten.

Sie habe sich mit dem aus ihrer Sicht von links kommenden Zeugen M2. M3. durch Blickkontakt verständigt.

Der Zeuge M3. habe deutlich gemacht, dass er sie über den Fußgängerüberweg fahren lassen wolle und warten würde.

Die Beklagte habe also vor den Fußgängerüberweg zunächst angehalten und sei nicht zügig in laufender Fahrt über den Fußgängerüberweg gefahren.

Als die Beklagte mit ihrem Fahrrad in der Mitte des Fußgängerüberwegs war, habe sie den Pkw erstmals wahrgenommen.

Der Ehemann der Klägerin habe offensichtlich nicht gebremst. Deswegen habe die Beklagte noch versucht, stehenzubleiben. Die Beklagte habe eine Kollision aber nicht mehr vermeiden können.

Sie sei dabei stets mit beiden Händen am Lenker gefahren. Die Walkingstöcke habe sie nicht in der Hand gehabt; diese seien quer über dem Lenker gelegen.

Im Übrigen hätte sich der Unfall nicht anders dargestellt, selbst wenn sie ihr Fahrrad über den Fußgängerüberweg geschoben hätte.

Der Ehemann der Klägerin habe nämlich mit Fußgängern rechnen müssen. Er habe auch damit rechnen müssen, dass Fahrradfahrer den Fußgängerüberweg überqueren.

Insgesamt hätte der Ehemann der Klägerin der Beklagten Vorfahrt gewähren müssen.

Ihn treffe ein Alleinverschulden am Unfall.

Ein etwaiges Mitverschulden der Beklagten würde vollständig hinter dem schweren Sorgfaltsverstoß zurücktreten.

Bezüglich der geltend gemachten Schadenspositionen sei zunächst die Wertminderung zu bestreiten.

Die geltend gemachten Mietwagenkosten seien übersetzt.

Die Unkostenpauschale werde lediglich in Höhe von 25 € ersetzt.

Das Gericht hat die Beklagte informatorisch angehört.

Das Gericht hatte Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen F. B. und M. M4.

Das Gericht hat weiterhin Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Sachverständigen A. V.. Diese hat ihr schriftliches Gutachten mit Datum vom 11.04.2022 erstattet.

Mit Zustimmung der Parteien wurde mit Beschluss vom 13.05.2022 in das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO übergegangen. Als Zeitpunkt, denn am Schluss der mündlichen Verhandlung entsprach und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten wurde der 20.05.2022 bestimmt. Termin zur Verkündung einer Entscheidung wurde bestimmt auf den 24.05.2022.

Wegen der übrigen Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie zu Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, auf das Behandlungsprotokoll sowie auf das schriftliche Sachverständigengutachten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

A.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch i.H.v. 2.261,23 € aus §§ 823 Abs. 1; 254 Abs. 1; 276 Abs. 1; Abs. 2 BGB.

I.

Die Beklagte hat als Fahrradfahrerin schuldhaft das Eigentum der Klägerin beschädigt und haftet daher nach § 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz.

Schuldhaft handelt nach § 276 Abs. 1; Abs. 2 BGB derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

Das war hier der Fall, da sie mit ihrem Fahrrad über den Fußgängerüberweg gefahren ist, ohne auf den einbiegenden Pkw der Klägerin Rücksicht zu nehmen. Die Beklagte kann sich in dieser Situation nicht auf ein Vorrecht nach § 26 Abs. 1 StVO berufen, da sie nicht zur Fuß unterwegs war.

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Anders als in der Entscheidung OLG Hamm, Urt. v. 17.07.2012 – 9 U 200/11 = JurBüro 2014, 163, war für die Beklagte kein „Vorfahrt gewähren“ ausgeschildert, m.a.W. es bestand keine Beschilderung, aufgrund derer die Beklagte gegenüber den ein-/ausfahrenden Fahrzeugen wartepflichtig gewesen wäre.

Allerdings haftet umgekehrt auch die Klägerin nach § 7 Abs. 1 StVG.

Die Klägerin muss sich nämlich im Rahmen der Abwägung nicht nur eigene Verkehrsverstöße, sondern auch die Betriebsgefahr ihres Kfz zurechnen lassen, auch wenn die Beklagte nur aus Verschulden haftet (statt vieler Oetker in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 254, Rn. 14 m.w.N.).

Im Rahmen der durchzuführenden Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile, die hier nach § 9 StVG, § 254 BGB zu erfolgen hat und nicht nach § 17 Abs. 1; Abs. 2 StVG, sind nur Umstände zu berücksichtigen, die unstreitig oder erwiesen sind (OLG Hamm, Urt. v. 17.07.2012 – 9 U 200/11, Rn. 23 – juris = JurBüro 2014, 163).

Zu Lasten der Beklagten war zu berücksichtigen, dass sie das Vorfahrtsrecht des Zeugen B. verletzt hat.

Da die Beklagte nicht auf dem Fahrradweg gefahren ist, geht es hier nicht um einen Verstoß des Zeugen gegen § 9 Abs. 3 StVO. Vielmehr hat die Beklagte vor seinem Pkw die Fahrbahn überquert, obwohl sie wartepflichtig war.

Die Beklagte kann sich nicht auf ein Vorfahrtsrecht nach § 26 Abs. 1 StVO berufen.

Denn sie ist nicht zur Fuß über den Fußgängerüberweg gegangen, sondern mit ihrem Fahrrad gefahren.

Dabei ist unerheblich, ob sie vor dem Wiederanfahren am Fahrbahnrand angehalten hat.

Das Gesetz spricht in § 26 Abs. 1 StVO ausdrücklich von zu Fuß gehenden. Die im Gesetz explizit genannte Ausnahme für Fahrer von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen liegt nicht vor.

Angesichts dieses klaren Wortlautes des Gesetzes überzeugt es nicht, wenn vereinzelt die Ansicht vertreten wird, dass der Vorrang an Fußgängerüberwegen nicht nur für Fußgänger, sondern auch für Radfahrer gelten soll, solange nur deren Überquerungsabsicht rechtzeitig erkennbar ist (so aber OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 35).

Es liegt auch keine Vergleichbarkeit mit der Entscheidung des KG, NZV 2005, 92 vor. Denn die Beklagte ist nicht – wie im dortigen Fall – mit ihrem Fahrrad über den Fußgängerüberweg „gerollert“. Vielmehr hat die Beklagte nach ihren eigenen Angaben in der informatorischen Anhörung, die zudem durch die glaubhaften Angaben des Zeugen M3. bestätigt wurden, ihr Fahrrad nicht als Roller genutzt. Sie ist nicht „gerollert“, sondern saß auf dem Fahrrad, hat die Pedale zumindest einmal durchgetreten, hatte beide Hände am Lenker und hat damit das Fahrrad in bestimmungsgemäßer Weise als Fahrrad benutzt (Asholt in: MüKo-StVR, § 26 StVO, Rn. 4).

Soweit die Klagepartei darauf abstellt, dass die Beklagte den Fußgängerüberweg in falscher Richtung befahren hat, ist dies irrelevant. Denn eine „falsche Richtung“ gab es für sie nicht. Eine vorgeschriebene Fahrtrichtung gibt es für den eigentlichen Kreisverkehr und auch für den parallel zum Kreisverkehr verlaufenden Radweg. Die Beklagte befand sich mit ihrem Fahrrad aber weder auf dem Kreisverkehr noch auf dem Radweg. Sie befand sich auf einem Fußgängerüberweg, der neben dem Radweg verlaufen ist. Dort gibt es keine vorgeschriebene „Fahrt“-Richtung.

Zu berücksichtigen war zulasten der Klägerin neben der Betriebsgefahr des Pkws, welche über der Betriebsgefahr des Fahrrades liegt (KG, NZV 2010, 254, 255), ein erheblicher Verstoß des Zeugen B. gegen § 1 Abs. 1; Abs. 2 StVO. Der Zeuge B. hatte zwar Vorfahrt. Jedoch hat er derart schwer gegen das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme verstoßen, dass er bzw. die Klägerin sich ein hälftiges Mitverschulden anrechnen lassen muss.

Wäre er nämlich aufmerksam gewesen, dann hätte er die Beklagte mit ihrem Fahrrad und ihre offensichtliche Absicht, den Fußgängerüberweg zu überqueren, erkennen können.

Der Zeuge B. war nach § 1 Abs. 2 StVO verpflichtet, den gesamten vor ihm liegenden Fahrbahnraum zu beobachten (OLG Hamm, NZV 1993, 66).

Wie die Sachverständigen dargelegt hat und wie es sich schon aus den Lichtbildern ergibt, befand sich die Beklagte in direkter Blickrichtung des Zeugen B.. Sie war zunächst am Fußgängerüberweg wie ein Fußgänger gestanden. An dieser Stelle der Haftungsabwägung muss also doch berücksichtigt werden, dass die Beklagte nicht in laufender Fahrt über den Fußgängerüberweg gefahren ist, sondern vorher angehalten hat und eine nicht unerhebliche Zeit gestanden hat, in der sie sich mit dem Zeugen M3. durch Blickkontakt verständigt hat. Selbst ohne seinen Kopf in nennenswerter Weise zu bewegen, hätte der Zeuge B. sie sehen können und müssen. Aus der Weg-Zeit-Berechnung der Sachverständigen folgt, dass eine Sichtbarkeit für mindestens 4 Sekunden gegeben war. Wenn die Beklagte im weiteren Verlauf über den Fußgängerüberweg gelaufen wäre (Zeuge B. konnte nicht wissen, dass sie stattdessen fahren würde), hätte der Zeuge anhalten müssen und sie passieren lassen müssen. Der Zeuge hätte sich mit seinem Pkw also in jedem Fall auf die Situation einstellen müssen und bremsbereit sein müssen.

Zudem musste der Ehemann der Klägerin mit einem Fehlverhalten der Beklagten rechnen. Es ist gerade an dieser Stelle leider nicht unüblich, dass Fahrradfahrer den Fußgängerüberweg überfahren, gerade auch gegen die Fahrtrichtung des Kreisverkehrs (OLG Hamm, NZV 1993, 66; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, § 1 StVO, Rn. 26).

Daher erscheint im vorliegenden Fall eine hälftige Schadensteilung angemessen (ebenso KG, NZV 2010, 254).

II.

Die Klägerin kann im Ausgangspunkt, also noch ohne Berücksichtigung der Haftungsquote, die vollen Reparaturkosten i.H.v. 4.139,12 € verlangen.

Insoweit hat sie nachgewiesen, dass ihr diese Kosten entstanden sind. Der Geschädigte genügt regelmäßig seiner Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit des verlangten Betrages durch Vorlage der Rechnung des von ihm mit der Schadensbeseitigung beauftragten Fachunternehmens. Ist dies der Fall, dann reicht ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des Rechnungsbetrages durch den Schädiger nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen.

Denn die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Aufwandes i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (BGH, VersR 2013, 1590; 2007, 560).

Zwar hat die Beklagtenseite hier detaillierte Einwendungen gegen die Reparaturrechnung und einzelne Positionen erhoben und bzgl. der Frage der Erforderlichkeit die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.

Allerdings ändert dies im vorliegenden Fall nichts an der Ersatzfähigkeit des geltend gemachten Betrages.

Denn über das oben gesagte hin aus hat der Schädiger auch die von der von ihm beauftragten Fachwerkstatt durchgeführten und in Rechnung gestellten Arbeiten zu ersetzen, selbst wenn diese nicht erforderlich oder unwirtschaftlich waren. Insoweit trägt der Schädiger das sog. Werkstattrisiko (OLG Bamberg, Urt. v. 12.11.2019 – 5 U 107/19; BGH, NJW 1975, 160). Es darf nämlich nicht außer Acht gelassen werden, dass den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensbehebung regelmäßig Grenzen gesetzt sind. Dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände der Werkstatt übergeben hat. Diese Grenzen bestimmen mit, was „erforderlich“ zur Schadensbehebung ist. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht entsprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz gewährten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen er Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen sind und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten (und wohl auch vom Schädiger) nicht kontrollierbaren Sphäre stattfinden muss.

Insoweit besteht kein Grund, dem Schädiger das Werkstattrisiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde. Die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gewährte Ersetzungsbefugnis ist kein Korrelat für die Überbürdung dieses Risikos auf ihn (OLG Bamberg, Urt. v. 12.11.2019 – 5 U 107/19; BGH, NJW 1992, 306; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, 248).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die Klägerin die geltend gemachten Reparaturkosten verlangen (OLG Bamberg, Urt. v. 12.11.2019 – 5 U 107/19). Die Klägerin hat ihr Fahrzeug in der Werkstatt zur Reparatur gegeben. Die streitigen Arbeitsschritte wurden dort durchgeführt und der streitige Betrag wurde ihr in Rechnung gestellt. Sie hat diesen Rechnungsbetrag weiterhin auch bezahlt. Selbst wenn die Reparaturrechnung nicht bezahlt worden wäre, würde nichts anderes gelten.

III.

Die entstandene Wertminderung nimmt das Gericht mit 175 € an.

Die Sachverständige hat sich in ihrem schriftlichen Gutachten in dieser Frage nicht exakt festlegen können. Sie hat vielmehr auf ihrer damaligen Informationsgrundlage eine Spanne von 50 € bis 300 € angegeben.

Da die Parteien auch diesbezüglich keine Ergänzungsfragen an die Sachverständige hatten, wurde die zu ersetzende Wertminderung auf Grundlage der Angaben der Sachverständigen unter Anwendung des § 287 ZPO auf den Mittelwert, also auf 175 € geschätzt.

IV.

Mietwagenkosten

Die Mietwagenkosten zählen grundsätzlich zum erstattungsfähigen Schaden.

Dabei kann der Geschädigte als erforderlichen Herstellungsaufwand nur Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Dies bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann. Inwieweit dies der Fall ist, hat der bei der Schadensberechnung nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter zu schätzen.

Zwischen den Parteien unstreitig ist die anzusetzende Mietwagenklasse 6 und die Mietdauer von 3 Tagen.

Im hiesigen Bezirk kommt als Schätzgrundlage die sog. F.-Liste zur Anwendung.

Danach ergibt sich ein mittlerer Tagespreis von 66,05 €. Für 3 Tage ergeben sich 198,16 €.

Abzüglich einer 10%igen Eigenersparnis verbleiben 178,34 €.

V.

Die Unkostenpauschale bei Verkehrsunfällen wird im hiesigen LG-Bezirk mit 30 € ersetzt.

VI.

Insgesamt ergibt sich damit ein Schaden i.H.v.:

  • Reparaturkosten: 4.139,12 €
  • Wertminderung: 175 €
  • Mietwagenkosten: 178,34 €
  • Unkostenpauschale: 30 €
  • Summe: 4.522,46 €

Nach Berücksichtigung einer Haftungsquote von 50% verbleiben 2.261,23 €.

Dieser Betrag ist wie beantragt ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, §§ 288; 291 BGB.

B.

Die Klägerin hat weiterhin einen Anspruch auf Ersatz von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten, allerdings nicht in der vollen geltend gemachten Höhe.

Im Grundsatz kann die Klägerin Ersatz auf Basis einer 1,3 Gebühr verlangen.

Zugrunde zu legen war ein Gegenstandswert von 2.261,23 €.

Die zu ersetzenden außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnen sich damit zu 367,23 €.

Der Betrag ist wie beantragt zu verzinsen ab Rechtshängigkeit, §§ 288; 291 BGB.

C.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 3; 92 Abs. 1; 709 S. 1 und S. 2 ZPO; § 48 Abs. 1 GKG.

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