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Verkehrsunfall – Vorfahrtsverstoß des Schädigers an Stopp-Schild

OLG Hamm – Az.: I-7 U 104/19 – Urteil vom 11.05.2021

Der auf Ersatz des unfallbedingten immateriellen Schadens (Schmerzensgeld) gerichtete Klageantrag zu 1, der auf Ersatz des unfallbedingten materiellen Schadens in Form des Verdienstausfalls gerichtete Klageantrag zu 2 und der auf Ersatz notwendiger vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klageantrag zu 3 sind jeweils dem Grunde nach gerechtfertigt.

Im Übrigen wird auf die Berufung der Beklagten das am 15.11.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg (Az.: I-1 O 25/15) im Wege des Teilendurteils teilweise abgeändert und unter teilweiser Zurückweisung der Berufung der Beklagten wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten bleiben, soweit nicht durch Teilgrundurteil entschieden wurde, auf den auf Ersatz materieller unfallbedingter Schäden gerichteten Klageantrag zu 2 verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger einen Betrag von 10.115,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 8.665,13 EUR vom 21.02.2015 bis zum 05.08.2015, aus einem Betrag von 8.873,14 EUR vom 06.08.2015 bis zum 14.02.2016 und aus einem Betrag von 10.115,41 EUR seit dem 15.02.2016 zu zahlen.

Es bleibt festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen Schaden mit Ausnahme des im Zeitraum von Februar 2016 bis Dezember 2017 einschließlich entstandenen Verdienstausfallschadens und zukünftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 05.09.2014 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergangen sind.

Im Übrigen bleibt bzw. wird die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der am 00.00.1963 geborene Kläger nimmt die Beklagten aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 05.09.2014 in A auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.

Der Kläger war am 05.09.2014 wegen eines Bandscheibenvorfalls noch, und zwar bereits seit fast 6 Wochen krankgeschrieben; er hätte jedoch ab Sonntag, dem 07.09.2014, seine Tätigkeit als angestellter Berufskraftfahrer jedenfalls zunächst wieder aufgenommen, wäre es nicht zu dem streitgegenständlichen Unfall gekommen.

Dieser ereignete sich innerorts im Kreuzungsbereich B-Straße/C-Straße/D-Weg/E-Straße. Der Kläger näherte sich mit seinem Motorrad, einer Harley-Davidson mit dem amtlichen Kennzeichen XX-X 7, von seiner damaligen Wohnung in der Straße „F“ aus der Kreuzung über den G-Weg. Dieser beschreibt in seinem Verlauf eine Rechtskurve, in deren Scheitelpunkt von links der H-Weg einmündet. Diese Kreuzung beschreibt mithin ungefähr ein Y, in das der Kläger am oberen rechten Schenkel einfuhr. Aus der Fahrtrichtung des Klägers gesehen nach der Einfahrt in die Y-Kreuzung war das Verkehrsschild „Tempo 30“ verbunden mit dem Zeichen 112 (unebene Fahrbahn) aufgestellt, und zwar vor einer einzelnen künstlichen, der Verkehrsberuhigung dienenden Bodenwelle, die der Kläger mit seinem Motorrad überfuhr. Im weiteren Verlauf des G-Weges erfolgte weder eine ausdrückliche Aufhebung des Tempo 30-Gebots noch eine anderweitige Regelung zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Ca. 80 m hinter der Bodenwelle und 20 m vor der Unfallkreuzung mündet von links die I-Straße auf den G-Weg, der ab dann „C-Straße“ heißt. Der Kläger beabsichtigte, die folgende Kreuzung B-Straße/C-Straße/D-Weg/E-Straße geradeaus zu überqueren und auf der ansteigenden E-Straße weiter zu fahren. Der Beklagte zu 3 befuhr mit dem bei der Beklagten zu 1 versicherten Pkw VW Touareg mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX ###4 der Beklagten zu 2 die B-Straße. An der streitgegenständlichen Kreuzung steht für den Verkehr auf der B-Straße ein Stopp-Schild. Der Beklagte zu 3 beabsichtigte, die Kreuzung zu überqueren und geradeaus in den D-Weg zu fahren. Dabei übersah er den aus seiner Sicht von rechts kommenden Kläger. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision der Fahrzeuge.

Durch den Unfall erlitt das Motorrad des Klägers einen Totalschaden. Der von ihm beauftragte Sachverständige ermittelte einen Wiederbeschaffungswert von 13.900,00 EUR steuerneutral. Der Kläger konnte das beschädigte Motorrad für 4.200,00 EUR brutto weiterverkaufen. Ihm entstanden Gutachterkosten in Höhe von 1.157,22 EUR, die er am 20.11.2014 ausglich.

Der Kläger, der mit dem behelmten Kopf gegen das hintere Seitenfenster des Beklagtenfahrzeugs prallte, wurde bei dem Unfall nicht unerheblich verletzt. Er wurde deshalb mit dem Rettungswagen ins J-Krankenhaus in K verbracht. Dort wurden folgende Verletzungen festgestellt: Abschürfungen an der Hüfte rechts; Prellung, Verstauchung des Daumengelenks der rechten und der linken Hand; Prellung, Abschürfung der Haut am Ellenbogen rechts; Prellung der rechten und der linken Schulter; Hämatom am rechten Oberarm; HWS-Schleudertrauma mit Taubheitsgefühl in beiden Unterarmen und bis in die Finger, Prellung und 3 angebrochene Rippen links; Gehirnerschütterung, Übelkeit, Schwindelgefühl; Prellung, Abschürfung der Haut am rechten Knie; Prellung und Hämatom am rechten und linken Schienbein.

Ab dem 08.09.2014 begab sich der Kläger in die hausärztliche Behandlung zu Dr. L in A2 und wurde von diesem in der Folge mehrfach an verschiedene Fachärzte weiterverwiesen. Bildgebende Untersuchungen führten u.a. zu folgenden Diagnosen: Handgelenk links angebrochen; Erbsenkapselabriss an der rechten Seite des linken Handgelenks; Abriss der Rotatorenmanschette Schulter rechts; Schwellung der Hals- und Nackenmuskulatur; Prellung Knie rechts.

Vom 16. bis 18.10.2014 war der Kläger zur stationären Behandlung im J-Krankenhaus K, wo er wegen der Rotatorenmanschettenruptur operiert wurde (Neer’sche Plastik). Am 02.12.2014 wurde er im Klinikum K ambulant am linken Handgelenk operiert.

Wegen andauernder Kopfschmerzen, Bewegungs- und Ruheschmerzen in Hals- und Nackenmuskulatur sowie Taubheit in beiden Unterarmen wurde er durch Dr. M weiterbehandelt, zudem erfolgten physiotherapeutische Behandlungen in der Praxis N in A2.

Am 06.05.2015 führte Dr. O beim Kläger eine Arthroskopie des rechten Kniegelenks durch.

Seit Dezember 2014 leidet der Kläger zudem unter Ohrgeräuschen (Tinnitus aurium).

Ebenfalls bereits seit Dezember 2014 ist der Kläger zudem wegen psychischer Probleme, insbesondere Angstzuständen und Zukunftsängsten in Behandlung. Am 19.12.2014 hatte er insoweit ein Therapiegespräch bei Frau P in Q, die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierte. Er litt demzufolge u.a. unter Schlafstörungen, einer depressiven Wesensveränderung, Antriebslosigkeit und sozialem Rückzug. In der Zeit vom 10.08. bis 14.09., vom 21.09. und 25.09. sowie vom 26.10. bis zum 24.11.2015 war er jeweils an 4 von 5 Tagen in der psychischen Tagesklinik der LWL im J-Krankenhaus K in Therapie. Dazwischen, nämlich vom 16.-19.09.2015, wurde der Kläger wegen eines erlittenen (zweiten) Herzinfarktes stationär im Krankenhaus behandelt. Ihm wurde ein neuer Stent gesetzt, was infolge der qualitativ minderwertigen Beschichtung des ihm bereits 2008 nach einem ersten Herzinfarkt gesetzten Stents erforderlich war. Er absolvierte im Nachgang eine vierwöchige ambulante Reha-Maßnahme. Vom 31.05. bis 28.06.2016 ließ sich der Kläger in der Klinik R wegen der Diagnosen Agoraphobie, rezidivierende depressive Störung, Cerviobrachialgie, Gonarthrose, Meniskopathie und Tinnitus aurium behandeln. Die Entwicklung der Angststörung wurde von den dort behandelnden Ärzten im Abschlussbericht sowohl mit dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall als auch den beiden Herzinfarkten in Verbindung gebracht.

Seit dem Unfall ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Nachdem Lohnfort- und Krankengeldzahlungen Ende Januar 2016 ausgelaufen waren, meldete der Kläger sich zunächst arbeitslos. Rückwirkend zum 01.06.2016 wurde ihm eine monatliche Rente in Höhe von netto 816,15 EUR wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Aufgrund der damit verbundenen Einkommensverluste hat der Kläger Schulden angehäuft und letztlich seine Wohnung aufgeben müssen. Er lebt seitdem auf einem Campingplatz.

Die Beklagte zu 1 zahlte vorprozessual auf anwaltliche Aufforderung unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 65 % zu Gunsten des Klägers und Annahme eines Gesamtschadens von 7.682,22 EUR zunächst 5.000,00 EUR an den Kläger. Davon entfielen nach ihrer Tilgungsbestimmung anteilig 195,00 EUR auf das von der Beklagten zunächst in Höhe von 300,00 EUR für angemessen erachtete Schmerzensgeld und 4.805,00 EUR auf materielle Schäden. Zudem zahlte sie auf die vom Kläger nach einem Gegenstandswert von bis zu 30.000,00 EUR unter Zugrundelegung der vollen Haftung der Beklagten mit 691,33 EUR bezifferten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten einen Betrag von 492,54 EUR. Nach Zustellung der Klageschrift vom 26.01.2015 zahlte sie im März 2015 weitere 2.000,00 EUR als Vorschuss auf das Schmerzensgeld.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, an der Unfallstelle habe im Unfallzeitpunkt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gegolten. Trotz sofort eingeleiteter Vollbremsung und des Versuchs, auszuweichen, habe er den Zusammenstoß mit dem Beklagtenfahrzeug nicht mehr abwenden können. Der Unfall sei allein auf einen Vorfahrtsverstoß des aufgrund des für ihn geltenden Stopp-Schildes wartepflichtigen Beklagten zu 3 zurückzuführen. Er ist der Ansicht, die Beklagten hafteten zu 100 %.

Verkehrsunfall - Vorfahrtsverstoß des Schädigers an Stopp-Schild
(Symbolfoto: RecCameraStock/Shutterstock.com)

Sämtliche oben dargestellten Diagnosen seien auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen. Wegen dieser Unfallfolgen sei er seit dem Unfall durchgängig in ärztlicher Behandlung. Zudem sei es zu weiteren Unfallfolgen gekommen. An der rechten Schulter habe sich ein Morbus Sudeck entwickelt. In den Daumengliedern sei unfallbedingt eine Arthrose entstanden bzw. aktiviert worden. Er leide darüber hinaus unfallbedingt unter Angstzuständen, Zukunftsängsten und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er habe schwere Depressionen, leide unter Schlafstörungen, einer depressiven Wesensveränderung, Nervosität, Lichtempfindlichkeit, sozialem Rückzug und Magenproblemen durch die ständige Medikamenteneinnahme. Inzwischen habe sich ein Tourette-Syndrom mit multiplen Tics entwickelt. Daher seien auch psychische Behandlungen unfallbedingt erforderlich. Die Entwicklung eines Tinnitus im Dezember 2014 sei ebenfalls kausal auf das Verkehrsunfallereignis vom 05.09.2014 zurückzuführen. Er sei zudem unfallbedingt dauerhaft erwerbsunfähig

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe gegen die Beklagten aufgrund dieser Unfallfolgen ein Schmerzensgeld zu, das er in der Klageschrift im Hinblick auf ungewisse Zukunftsaussichten zunächst als Teilbetrag mit nicht unter 10.000,00 EUR geltend gemacht hat. Mit Schriftsatz vom 01.09.2015, den Beklagten zugestellt am 04.01.2017, hat der Kläger seine Klage um einen Feststellungsantrag erweitert, mit dem insbesondere auch die Haftung der Beklagten für noch nicht vorhersehbare immaterielle Schäden rechtskräftig festgestellt werden sollte. Im Hinblick darauf hat er, wie er im Senatstermin vom 11.05.2021 nochmals klargestellt hat, zugleich von der offenen Teilklage Abstand genommen und mit dem Antrag zu 1 fortan die Zahlung eines uneingeschränkten Schmerzensgeldes in Bezug auf alle diejenigen Schadensfolgen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte, verlangt.

Der Kläger hat weiter behauptet, ihm seien durch den Unfall auch erhebliche materielle Schäden entstanden. Neben dem Motorrad mit einem Wiederbeschaffungsaufwand von 9.700,00 EUR seien auch seine Motorradkleidung und weitere Gegenstände mit einem Zeitwert von 1.220,00 EUR irreparabel zerstört worden. Vom 05.09. bis 31.12.2014 habe er eine private Haushaltshilfe benötigt, weil er unfallbedingt nicht in der Lage gewesen sei, sich selbst zu versorgen. Die Haushaltshilfe habe für ihn gekocht, aufgeräumt, sei einkaufen gegangen und habe nach Bedarf auch die Körperpflege vorgenommen. Bei einem Stundenlohn von 15,00 EUR brutto sei ihm dadurch insgesamt ein Schaden von 2.242,50 EUR entstanden. Zudem habe er einen erheblichen Verdienstausfall erlitten: Sein durchschnittlicher Bruttolohn habe vor dem Unfall 2.310,00 EUR betragen, das ihm gezahlte Krankengeld aber lediglich 1.435,00 EUR. Daraus folge bis zum 31.01.2015 bereits ein Schaden von 4.155,30 EUR und bis zum 31.01.2016 ein weiterer Verdienstausfallschaden von 10.497,60 EUR.

Weiterhin sei ihm ein weiterer Schaden für Zuzahlungen zu Medikamenten und Physiotherapie, den Aufenthalt im J-Krankenhaus, den Eigenanteil zur Reha, Fahrtkosten für Fahrten zu Ärzten und Therapien und die Abmeldekosten für das Motorrad in Höhe von insgesamt 3.023,06 EUR entstanden, den der Kläger in Höhe von 365,41 EUR bereits mit der Klageschrift, in Höhe von weiteren 208,01 EUR mit klageerweiterndem Schriftsatz vom 10.07.2015, in Höhe von weiteren 1.222,27 EUR mit Schriftsatz vom 16.12.2015 und in Höhe von 1.227,37 EUR klageerweiternd mit Schriftsatz vom 04.05.2016 geltend gemacht hat. Er habe insgesamt 4.885 km für Fahrten zu Ärzten und Therapien zurückgelegt. Insoweit sei er, soweit er aufgrund von Medikamenteneinnahmen nicht in der Lage gewesen sei, selbst zu fahren, von Bekannten gebracht worden. Unter Zugrundelegung einer Kilometerpauschale von 0,30 EUR seien ihm insoweit Aufwendungen von 1.465,50 EUR entstanden. Er habe zudem Abmeldekosten für sein Motorrad von 18,70 EUR sowie nicht unerhebliche Zuzahlungskosten für Medikamente und Therapien gehabt.

Die Beklagten haben erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der Unfallstelle habe zum Unfallzeitpunkt lediglich 30 km/h betragen. Insoweit wirke das im Straßenverlauf des vor der Unfallstelle liegenden G-Wegs aufgestellte Zeichen 112 (unebene Fahrbahn) in Verbindung mit dem Zeichen 274 mangels Aufhebung fort. Der Beklagte zu 3 habe ordnungsgemäß am Stopp-Schild gehalten und sei erst in die Kreuzung eingefahren, als diese frei gewesen sei, wobei die Sicht für ihn aufgrund von Laternenmasten allerdings eingeschränkt gewesen sei. Der Kläger sei mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kreuzung gefahren. Ihn treffe daher eine Mithaftung.

Der vom Privatsachverständigen des Klägers ermittelte Wiederbeschaffungswert für das Motorrad sei überhöht, angemessen sei ein Mittelwert von 10.000,00 EUR, was zu einem Wiederbeschaffungsaufwand von lediglich 5.800,00 EUR führe. Seinen Verdienstausfall könne der Kläger nur nach der Nettolohnmethode berechnen. Die Erforderlichkeit einer Haushaltshilfe habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines unfallanalytischen Rekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen T vom 30.11.2015 einschließlich zweier Ergänzungsgutachten vom 09.03.2016 und vom 20.09.2016, eines Wertgutachtens des Sachverständigen S vom 04.07.2019 sowie dreier medizinischer Gutachten, nämlich eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. U vom 06.08.2018, eines HNO-ärztlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. V vom 02.10.2018 nebst Ergänzungsgutachten vom 20.12.2018 und eines fachorthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. W vom 06.06.2017, einschließlich mündlicher Erläuterung der Gutachten der Sachverständigen Dr. U und Prof. Dr. W.

Sodann hat es der Klage zum ganz überwiegenden Teil stattgegeben.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagten hafteten dem Kläger zu 100 % für die Folgen aus dem Verkehrsunfall vom 05.09.2014. Der Unfall sei für den Kläger zwar nicht unabwendbar gewesen, die einfache Betriebsgefahr seines Motorrades trete aber hinter dem schweren Verkehrsverstoß des Beklagten zu 3 vollständig zurück. Es sei von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h am Unfallort auszugehen, die der Kläger – wie das eingeholte Sachverständigengutachten ergeben habe – nicht überschritten habe. Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h habe ausschließlich in Kombination mit dem Gefahrenzeichen 112 (unebene Fahrbahn) gegolten, was zur Folge habe, dass sie mit dem zweifelsfreien Ende der Gefahrenstelle ihrerseits geendet habe. Das sei nach dem Passieren der Bodenwelle der Fall gewesen. Der Beklagte zu 3 habe die Vorfahrt des Klägers nicht beachtet und gegen § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVO verstoßen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen T hätte er das herannahende Motorrad erkennen und seine Querungsabsicht zurückstellen können. Sofern seine Sicht teilweise eingeschränkt gewesen sei, hätte er sich langsamer in die Kreuzung hineintasten müssen.

Dem Kläger stehe wegen der erlittenen Beeinträchtigungen ein angemessenes Schmerzensgeld von 35.000,00 EUR zu, wovon lediglich Zahlungen der Beklagten von 2.195,00 EUR in Abzug zu bringen seien. Die vom Kläger geltend gemachten Verletzungen und Beeinträchtigungen hätten sich bis auf den Tinnitus, der nicht auf den Unfall zurückzuführen sei, sämtlich bestätigt. Der orthopädische Sachverständige Prof. Dr. W habe eine Rotatorenmanschettenruptur rechts, eine traumatische SL-Bandläsion rechtes Handgelenk mit TFCC-Läsion und Synovialitis, eine Verletzung der Halswirbelsäule mit teilweise Ausstrahlung in Arme und Finger und eine Rippenfraktur rechts festgestellt. Als mittelbare Unfallfolgen hätten sich ein Morbus Sudeck und eine Arthrose in den Handgelenken entwickelt. Vorschädigungen an Handgelenken und Halswirbelsäule sowie der Rotatorenmanschette seien nicht zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, der Unfall habe zu einer richtungsweisenden Veränderung geführt. Zudem habe der Sachverständige Dr. U auch die psychischen Folgen einer anhaltenden Schmerzbeeinträchtigung, einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung als anhaltende Persönlichkeitsstörung und einer schweren Depression festgestellt. Infolge des Unfalltraumas habe sich zudem ein Tourette-Syndrom mit ständigen multiplen motorischen und vokalen Tics und motorischer Hyperaktivität entwickelt. Außerdem sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers dauerhaft aufgehoben. Bis zum 31.12.2014 sei er in der Haushaltsführung stark eingeschränkt gewesen und habe auch Hilfe bei der körperlichen Pflege benötigt.

Der vom Kläger behauptete Wiederbeschaffungsaufwand des Motorrads sei vom Gutachter S bestätigt worden. Die Kosten der Haushaltshilfe sowie der Zuzahlungen zu Medikamenten, Physiotherapie, Reha- und Krankenhausaufenthalt und die Abmeldekosten für das Motorrad seien substantiiert dargelegt, das Bestreiten der Beklagten angesichts der vorgelegten Belege nicht erheblich. Auch Fahrtkostenersatz stehe dem Kläger zu. Hinsichtlich des Verdienstausfalls müsse allerdings mit der Nettolohnmethode gerechnet werden, da der Kläger trotz entsprechenden Hinweises nicht dargelegt habe, inwieweit er Sozialversicherungsbeiträge erspart und sich seine Steuerlast in der maßgeblichen Zeit nach dem Unfall verringert habe. Bis zum 31.01.2016 sei dem Kläger insoweit ein Schadenersatzbetrag von 5.115,46 EUR zuzusprechen. Auch stehe ihm ein Ersatzanspruch bezüglich der Gutachterkosten und der Kostenpauschale zu. Lediglich hinsichtlich der Motorradkleidung und der sonstigen Gegenstände sei die Klage mangels Substantiierung abzuweisen.

Schließlich sei die Haftung der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden festzustellen, weil der Eintritt weiteren Zukunftsschadens drohe.

Hiergegen richten sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel der vollständigen Klageabweisung weiterverfolgen. Sie wiederholen ihre Auffassung, die zulässige Geschwindigkeit am Unfallort habe 30 km/h betragen. Die entsprechende Anordnung vor der Bodenwelle sei nie aufgehoben worden. Sie könne auch nicht automatisch nach der Bodenwelle enden, da insbesondere für Ortsunkundige, erst recht im Dunkeln, nicht erkennbar sei, wie viele Bodenwellen es gebe und wann die Gefahrenstelle passiert sei. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass sich das Zeichen „unebene Fahrbahn“ auf den damals schlechten Zustand der Straße, die unstreitig im Sommer 2015 saniert worden ist, bezogen habe. Ergänzend tragen sie nunmehr vor, die Bodenwelle sei erst im Rahmen dieser Sanierungsmaßnahmen errichtet worden. Bei Einhaltung einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h hätte der Kläger den Unfall vermeiden können, weshalb ihm ein Mitverschulden anzurechnen sei.

Das vom Gericht in Ansatz gebrachte Schmerzensgeld sei übersetzt. Soweit das Gericht die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes mit dem Eintritt anhaltender Persönlichkeitsstörungen begründe, fehle es an einer exakten Diagnose der Krankheit nach einem anerkannten Diagnoseschlüssel. Dieser sei aber zwingende Voraussetzung der Berücksichtigung.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 22.01.2020 (Bl. 432 ff. d.A.) Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung beantragen die Beklagten, die Klage unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, mit der Maßgabe, dass der Feststellungsantrag bezüglich des Verdienstausfallschadens für den Zeitraum von Februar 2016 bis Dezember 2017 einschließlich in der Hauptsache für erledigt erklärt wird.

Die Beklagten haben sich der darin liegenden teilweisen Erledigungserklärung angeschlossen. Hintergrund für die übereinstimmende Erledigung ist, dass der Kläger zwischenzeitlich vor dem Landgerichts Arnsberg zwei Klagen auf Zahlung von Verdienstausfall wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls gegen die Beklagten erhoben hat. Die erste Klage umfasst die Monate Februar 2016 bis Dezember 2016 (I-1 O 386/20), die zweite die Monate Januar 2017 bis Dezember 2017 (I-1 O 545/20).

Im Wege der Anschlussberufung beantragt der Kläger, das Urteil des Landgerichts Arnsberg teilweise abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 42.805,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.02.2015 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Er verweist darauf, dass auch das Regulierungsverhalten der Beklagtenseite, die bis heute nur marginale Beträge gezahlt habe, schmerzensgelderhöhend berücksichtigt werden müsse. Die Bagatellisierung seiner Verletzungen durch die Beklagten habe nicht unerhebliche Auswirkungen auf seine psychische Situation. Insbesondere, dass er seinen gesamten Besitzstand verloren habe und gezwungen sei, auf einem Campingplatz zu leben, belaste ihn.

Im Wege der Anschlussberufung macht der Kläger ein über das vom Landgericht ausgeurteilte weitere Schmerzensgeld von 32.805,00 EUR hinausgehendes Schmerzensgeld in Höhe weiterer 10.000,00 EUR geltend. Insbesondere die psychischen Folgen, die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit sowie die starke Einschränkung des selbständigen Handelns und die Entwicklung des Morbus Sudeck und des Tourette-Syndroms rechtfertigten ein Schmerzensgeld von insgesamt 45.000,00 EUR; abzüglich der unstreitig gezahlten 2.195,00 EUR ergebe sich daher ein offener Anspruch in Höhe von 42.805,00 EUR. Auf den erstinstanzlichen als unfallkausal behaupteten Tinnitus stützt der Kläger sein Begehren nicht mehr.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vortrags des Klägers wird auf den Anschlussberufungsschriftsatz vom 18.02.2020 (Bl. 442 ff. d.A.) Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger im Termin vom 11.05.2021 persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk vom 11.05.2021 (Bl. 472-477 d.A.) verwiesen.

Mit Auflagen- und Beweisbeschluss vom selben Tage (Bl. 470, 471 d.A.) hat der Senat beschlossen, weiteren Beweis zur Unfallkausalität der geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen und der Erwerbsunfähigkeit des Klägers durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu erheben.

II.

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig.

Die Berufung der Beklagten hat jedenfalls in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang keinen Erfolg und war daher insoweit unter teilweiser Aufrechterhaltung der erstinstanzlichen Entscheidung im Wege des Teilendurteils zurückzuweisen. Im Übrigen konnte eine abschließende Entscheidung über den Erfolg von Berufung und Anschlussberufung mangels Entscheidungsreife lediglich zur Höhe noch nicht ergehen.

Der Senat hat deshalb von der nach §§ 301, 304 ZPO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, insoweit durch Teilgrund- und mit Blick auf die vollständige Entscheidungsreife hinsichtlich des Feststellungsantrages zu 4 sowie der mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemachten materiellen Schäden mit Ausnahme des Verdienstausfallsschadens durch Teilendurteil zu entscheiden.

Im Einzelnen:

1.

Die Klage ist insgesamt zulässig.

a)

Soweit der Kläger mit der Anschlussberufung den Klageantrag zu 1 von einem unbezifferten in einen bezifferten Schmerzensgeldantrag geändert hat, ist dies gem. §§ 263, 264 Nr. 2 ZPO zulässig.

b)

Am Feststellungsinteresse des Klägers i.S.d. § 256 ZPO bestehen, nachdem die Parteien den Rechtsstreit über den Feststellungsantrag (Klageantrag zu 4) im Hinblick auf den mit den beiden vor dem Landgericht Arnsberg rechtshängigen Klagen auf Verdienstausfall im Zeitraum Februar 2016 bis Dezember 2017 (I-1 O 386/20 und I-1 545/20) übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, mit Blick auf weitere materielle und zukünftige immaterielle Schäden keine Bedenken.

2.

Auf der Basis des erstinstanzlich fehlerfrei festgestellten Unfallhergangs steht dem Kläger auch nach Auffassung des Senats dem Grunde nach ein Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu 2 aus §§ 7 Abs. 1, 11 StVG, gegen den Beklagten zu 3 aus §§ 18 Abs. 1, 11 StVG und gegen die Beklagte zu 1 aus §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG zu.

a)

Unzweifelhaft sind Rechtsgüter des Klägers (Gesundheit und Eigentum) beim Betrieb i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG des vom Beklagten zu 3 geführten, von der Beklagten zu 2 gehaltenen und bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs VW Touareg mit dem amtliche Kennzeichen XX-XX ###4 verletzt worden. Ein Fall höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG lag ersichtlich nicht vor.

b)

Eine Unabwendbarkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 StVG machen die Beklagten – wie schon die vorgerichtliche Regulierung nach einer Quote von 65 % zu ihren Lasten belegt – zu Recht nicht geltend; denn unabwendbar ist nur ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt, die insbesondere die Einhaltung der geltenden Verkehrsvorschriften beinhaltet, nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“ (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 17 StVG Rn. 22; Senat, Urteil vom 03.06.2016 – 7 U 14/16, juris Rn. 23). Zur äußersten Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente. Den Beweis für die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens muss jeweils die Partei führen, die sich darauf beruft (König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 23).

aa)

Der Beklagte zu 3 war vor der Einfahrt in den Kreuzungsbereich aufgrund des für ihn geltenden Stopp-Schildes gegenüber dem von rechts kommenden Kläger wartepflichtig. Nach den – von den Parteien nicht angegriffenen – überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen T hätte er den auf der bevorrechtigten Straße herannahenden Kläger erkennen und seine Querungsabsicht zurückstellen können (vgl. S. 11 des Gutachtens T vom 30.11.2015). Soweit seine Sicht abhängig von seiner Halteposition teilweise durch Lampenmasten eingeschränkt gewesen sein sollte, hätte er den Unfall nach den sachverständigen Feststellungen jedenfalls bei einem näheren Heranfahren an die Haltelinie vermeiden können (vgl. S. 6 des Gutachtens T vom 20.09.2016), was von einem wartepflichtigen Idealfahrer unzweifelhaft zu erwarten gewesen wäre.

bb)

Für den Kläger war selbst unter Zugrundelegung einer vom Sachverständigen T ermittelten maximalen Ausgangsgeschwindigkeit von 52 km/h die Kollision technisch unvermeidbar. Ob gleichwohl eine Unabwendbarkeit für den Kläger ausscheidet, weil er den Unfall durch Reduzierung der Geschwindigkeit auf lediglich 30 km/h nach den sachverständigen Feststellungen hätte vermeiden können (vgl. S. 3, 4 des Gutachtens T vom 20.09.2016) und ein ortskundiger Idealfahrer eine solche Geschwindigkeitsreduzierung – wie das Landgericht meint – wegen eingeschränkter Einsehbarkeit des Kreuzungsbereichs für den wartepflichtigen Verkehr vorgenommen hätte, kann dahinstehen; denn die nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge führt hier jedenfalls zugunsten des Klägers zu einer 100 %igen Haftung der Beklagten (s. nachfolgend unter c)).

c)

Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang hängen nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, soweit sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (st. Rspr. vgl. BGH, NJW 2012, 1953; Senat, Beschluss vom 28.10.2020 – 7 U 58/20, BeckRS 2020, 46353 Rn. 26, beck-online).

aa)

Zu Lasten der Beklagten ist ein kausaler schuldhafter Vorfahrtsverstoß in das Abwägungsverhältnis einzustellen; denn der Beklagte zu 3 hat gegen § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (Zeichen 206), Abs. 2 StVO verstoßen. Er musste danach bei Einfahrt in den Kreuzungsbereich aufgrund des für ihn geltenden Stopp-Schildes anhalten und Vorfahrt gewähren. Er durfte erst weiterfahren, wenn er übersehen konnte, dass vorfahrtsberechtigter Verkehr weder gefährdet noch wesentlich behindert wurde. Diesen hohen Anforderungen ist der Beklagte zu 3 nicht gerecht geworden. Nach den zu Recht nicht angegriffenen überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen hätte er den herannahenden Kläger vor Einfahrt in den Kreuzungsbereich erkennen können (vgl. S. 11 des Gutachtens T vom 30.11.2015). Soweit der Beklagte zu 3 insoweit geltend macht, den Kläger offenbar aufgrund von Sichtbehinderungen durch Laternenmasten nicht gesehen zu haben, lässt dies den Vorfahrtsverstoß unberührt und berechtigte ihn insbesondere nicht, quasi „auf gut Glück“ in den Kreuzungsbereich einzufahren. Gem. § 8 Abs. 2 S. 3 StVO hätte er sich vielmehr – wie auch das Landgericht zutreffend erkannt hat – in die Kreuzung hineintasten müssen, bis die notwendige Übersicht gegeben war. Schon bei einem bloßen näheren Heranfahren an die Haltelinie – so der Sachverständige – wären die Sicht frei und der Unfall für den Beklagten zu 3 damit durch Vorfahrtsgewährung vermeidbar gewesen (vgl. S. 6 des Gutachtens T vom 20.09.2016).

bb)

Ein Verkehrsverstoß des Klägers ist demgegenüber nicht feststellbar.

Insbesondere hat der Kläger nicht die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten, als er sich – wie sachverständig überzeugend festgestellt und von den Parteien zu Recht nicht angegriffen – dem Kreuzungsbereich mit einer Geschwindigkeit zwischen 45 und 52 km/h genähert hat; denn – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – galt an der Unfallstelle eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, deren Überschreitung damit nicht bewiesen ist.

Innerhalb geschlossener Ortschaften gilt gem. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO grundsätzlich eine Beschränkung auf 50 km/h; eine andere, hier maßgeblich geringere, zulässige Höchstgeschwindigkeit muss durch Verkehrszeichen ausdrücklich angeordnet werden (vgl. § 39 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 StVO). Das war für die Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt nicht der Fall.

Die Beschränkung auf 30 km/h durch die Zeichenkombination 274 (zulässige Höchstgeschwindigkeit) und 112 (unebene Fahrbahn) auf dem G-Weg galt nur für die dortige Bodenwelle und nicht mehr für die aus der Fahrtrichtung des Klägers gesehen ca. 100 m dahinterliegende Unfallkreuzung. Durch Verkehrszeichen 274 können Geschwindigkeitsbegrenzungen ausschließlich für einzelne Straßen angeordnet werden, soll die Begrenzung für ein Gebiet gelten, so bedarf dies der Kennzeichnung durch die Verkehrszeichen 274.1/274.2 (geschwindigkeitsbegrenzte Zone) oder 325.1/325.2 (verkehrsberuhigter Bereich), die hier unstreitig nicht aufgestellt waren. Vielmehr lag lediglich eine streckenbezogene Geschwindigkeitsbegrenzung wegen unebener Fahrbahn ausschließlich in Form der künstlich angelegten Bodenwelle vor.

Dass die künstliche Bodenwelle erst im Rahmen der nach dem Unfall erfolgten Sanierung 2015 angelegt worden sei, wie die Beklagten mit der Berufung vortragen, ist bereits dadurch widerlegt, dass die Bodenwelle auf den unmittelbar nach dem Unfall gefertigten Bildern 1 und 3 (Bl. 7 und 8 der BA 190 Js 1273/14) sowie 2 und 4 (Bl. 16, 17 der BA 190 Js 1273/14) der Polizei in der Ferne andeutungsweise zu erkennen ist. Zweifelsfrei aber sind Bodenwelle und Beschilderung auf den vom Kreis K dem Sachverständigen zur Verfügung gestellten Lichtbildern aus 2013 und 2014 (Anlage E11 und 12 zum Gutachten des SV T vom 09.03.2016) abgebildet. Zudem bestehen auch keinerlei Zweifel an den entsprechenden persönlichen Angaben des Klägers zur Straßengestaltung zum Unfallzeitpunkt im Senatstermin (§ 286 ZPO).

Entgegen der Ansicht der Beklagten reichte die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht über den Bereich der Bodenwelle hinaus. Insbesondere bedurfte es keiner ausdrücklichen Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung für den Bereich nach Überfahren derselben. Gem. der Erläuterung 55 zu Anlage 2 zur StVO wird das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbegrenzung nämlich nicht gekennzeichnet, wenn das Verbotszeichen zusammen mit einem Gefahrenzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht. Das war hier nach Überfahren der künstlichen Bodenwelle entgegen der Ansicht der Beklagten der Fall. Soweit sie einwenden, für Ortsunkundige sei, erst recht im Dunkeln, nicht ohne weiteres erkennbar gewesen, wie viele Bodenwellen der Schilderkombination folgen würden, wann die Gefahrenstelle also passiert und die Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben war, verfängt diese Argumentation nicht: Es dürfte jedenfalls nach 40-50 m auch für Ortsunkundige deutlich gewesen sein, dass auf gerader Strecke keine weiteren Bodenwellen mehr folgten – zumal das Zeichen 112 entgegen der in § 40 Abs. 4 StVO vorgesehenen Möglichkeit gerade nicht mit einem Zusatzzeichen zur Länge der Gefahrstrecke verbunden war, Verkehrsteilnehmer also gerade nicht vor einer längeren Gefahrenstelle gewarnt wurden. Anders als die Beklagten meinen, bezog sich das Zeichen 112 (unebene Fahrbahn) auch nicht auf den aus den Bildern in den Anlagen E11 und E12 zum Gutachten T vom 09.03.2016 ersichtlichen schlechten Zustand der Fahrbahn. Das ergibt sich schon daraus, dass das Gefahrzeichen 112 gem. § 40 Abs. 3 StVO innerhalb der geschlossenen Ortschaft als Warnzeichen kurz vor der Gefahrenstelle aufzustellen ist. Ausweislich der Bilder in den Anlagen E11 und E12 war der Zustand der Straße aber bereits örtlich deutlich vor der angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung sanierungsbedürftig. Soll das Zeichen 112 auf den schlechten Zustand der Straße hinweisen, muss zudem die Länge der Gefahrenstelle auf einem Zusatzschild angegeben werden (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, StVO, § 40, Rn. 92), was hier nicht der Fall war.

Nicht zuletzt ist zudem die Funktion der auf gerader Strecke einzigen künstlich angelegten Bodenwelle in den Blick zu nehmen. Diese diente ganz offenbar dazu, in Kombination mit der expliziten Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h die von der E-Straße hangabwärts geradeaus über die Straße C-Straße und den G-Weg, also aus der Gegenrichtung des Klägers kommenden Verkehrsteilnehmer zu veranlassen, ihre Geschwindigkeit vor der gefährlichen Y-Kreuzung zwischen G-Weg und H-Weg zu reduzieren. Entsprechendes galt für die Verkehrsteilnehmer in Gegenrichtung. Indem sie quasi zwangsläufig eben wegen der Existenz der Bodenwelle und der zusätzlichen Schilderkombination gehalten waren, ebenfalls die Geschwindigkeit herabzusetzen, trugen sie so für die Verkehrsteilnehmer in Gegenrichtung zur Verkehrssicherheit beim Einfahren in die Y-Kreuzung bei.

Somit ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers nicht bewiesen. Ausweislich der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ist nämlich von einer seitens der Beklagten bewiesenen Ausgangsgeschwindigkeit von maximal 45 km/h auszugehen.

Da die Kollision unter Zugrundelegung dieser zulässigen Geschwindigkeit für den Kläger technisch unvermeidlich war, stehen weitere Verkehrsverstöße nicht im Raum. Insbesondere hat der Kläger nicht entgegen § 1 Abs. 2 StVO verzögert reagiert. Ins Abwägungsverhältnis ist damit auf seiner Seite nur die Betriebsgefahr seines Motorrades einzustellen.

cc)

Diese tritt aber – so auch hier – im Abwägungsverhältnis nach gefestigter Rechtsprechung hinter dem Vorfahrtsverstoß des Beklagten zu 3 zurück.

Die Beachtung der Vorfahrt gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (Zeichen 206), Abs. 2 StVO gehört zu den Grundregeln des Straßenverkehrs. Eine Vorfahrtsverletzung ist generell als schwerwiegender Verkehrsverstoß zu bewerten. Im Grundsatz tritt in den Fällen der Vorfahrtsverletzung die einfache Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs hinter das Verschulden des Wartepflichtigen zurück (vgl. hierzu OLG Hamm, Hinweisbeschluss v. 24.7.2018 – 7 U 35/18, BeckRS 2018, 33853 Rn. 43, beck-online m.w.N.).

Soweit die Beklagten meinen, ein Idealfahrer hätte seine Geschwindigkeit bei Annäherung an die Kreuzung in jedem Fall so weit reduziert, dass er auf den Fahrfehler des Beklagten zu 3 unfallvermeidend hätte reagieren können, ergibt sich hieraus kein Anlass, vom Grundsatz abzuweichen. Eine solche Forderung überspannt vielmehr die Anforderungen vor dem Hintergrund, dass der Bevorrechtigte in der hier in Rede stehenden Situation als Ausgangspunkt auf die Beachtung seines Vorfahrtsrechts vertrauen darf. Er darf davon ausgehen, der Wartepflichtige werde ihm den Vorrang einräumen, solange keine Anzeichen dafür vorliegen, dass dieser ungeachtet des sichtbaren bevorrechtigten Verkehrs in die Kreuzung einfahren würde (vgl. zu einer vergleichbaren Situation auch OLG Hamm Urt. v. 16.1.2018 – 9 U 198/16, BeckRS 2018, 13383 Rn. 21, beck-online).

Dementsprechend ist es nicht zu beanstanden, dass der Kläger erst, dann aber unmittelbar abgebremst hat, als der gegnerische VW Touareg in den Kreuzungsbereich einfuhr.

Die Betriebsgefahr seines Motorrads tritt daher vollständig hinter dem Verschulden des Beklagten zu 3 zurück, was zur vollen Haftung der Beklagten dem Grunde nach führt.

3.

Der Höhe nach kann über die Ansprüche des Klägers aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang bereits abschließend entschieden werden, im Übrigen ist der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif.

a)

Über das dem Kläger zuzubilligende Schmerzensgeld sieht sich der Senat mangels Entscheidungsreife gehindert, abschließend zu entscheiden.

Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt nach gefestigter Rechtsprechung entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten war oder für die Zukunft erkennbar und objektiv vorhersehbar ist (OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2012 – 9 U 38/12, juris Rn. 34). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt, wobei etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen besonderes Gewicht zukommt (BGH, Beschluss vom 16.09.2016, VGS 1/16 m.w.N. – juris; OLG Hamm, Urteil v. 21.12.2012 – 9 U 38/12, juris Rn. 34).

Nach den Feststellungen des erstinstanzlich bestellten orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. W hat der Kläger infolge des Unfalls als sog. Primärverletzungen eine Rotatorenmanschettenruptur rechts, eine traumatische SL-Bandläsion rechtes Handgelenk mit TFCC-Läsion (Knorpelschaden) und Synovialitis (Schleimhautentzündung), eine Verletzung der Halswirbelsäule mit teilweiser Ausstrahlung in Arme und Finger und eine Rippenprellung rechts erlitten (vgl. insbesondere S. 22, 23 des Gutachtens W vom 06.06.2017 und S. 3 des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 06.03.2018, Bl. 235 d.A.). Es habe zwar eine Ausgangsschädigung der Schulter vorgelegen, es sei aber nicht feststellbar, dass die Rotatorenmanschette auch ohne das traumatische Ereignisse gerissen wäre (vgl. S. 2 des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 06.03.2018, Bl. 234R d.A.). Als mittelbare Unfallfolgen hätten sich zudem ein Morbus Sudeck und eine Arthrose in den Handgelenken entwickelt (vgl. S. 24 des Gutachtens W vom 06.06.20107 und S. 3 des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 06.03.2018, Bl. 235 d.A.). Diese überzeugenden Feststellungen, die auch das Landgericht seiner Würdigung zugrunde gelegt hat, greift die Berufung der Beklagten zu Recht nicht an.

Bislang nicht in vollem Umfang mit der notwendigen Gewissheit feststellbar sind aber die als unfallbedingt geltend gemachten schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigungen des Klägers. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lässt sich basierend auf den Ausführungen des erstinstanzlich eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachters Dr. U eine Unfallbedingtheit der von ihm diagnostizierten psychischen Beeinträchtigungen, namentlich eines Tourette-Syndroms, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung als anhaltende Persönlichkeitsstörung nach dem Unfalltrauma nicht begründen. Es wird schon nicht deutlich, ob es sich bei den diagnostizierten Beeinträchtigungen insoweit um nach dem Maßstab des § 286 ZPO festzustellende Primärverletzungen aufgrund des Unfallgeschehens oder um (nur nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu bewertende) mittelbare Folgen der erlittenen körperlichen Verletzungen handeln soll. Die Feststellung einer Primärverletzung unterliegt dem Strengbeweis des § 286 ZPO und erfordert die volle Überzeugung des Gerichts, während das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO (überwiegende Wahrscheinlichkeit) Anwendung findet, soweit es um die Frage geht, ob eine haftungsbegründende Primärverletzung weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen zur Folge hatte (haftungsausfüllende Kausalität; st. Rspr.; zuletzt: BGH, Urteil vom 29.01.2019 – VI ZR 113/17, juris Rn. 12). Dazu, von welchem Beweismaß hier auszugehen ist und welcher Überzeugungsgrad erreicht wird, verhält sich das Urteil des Landgerichts nicht. Aus dem vom Kläger zur Akte gereichten Bericht der Diplom-Psychologin Y vom 15.05.2018 ergibt sich diesbezüglich, dass sie aus der Perspektive der Behandlerin als Auslöser der bestehenden depressiven Symptomatik die schweren körperlichen und psychischen Folgen des Motorradunfalls und die als unsicher erlebte Zukunftsperspektive des Klägers, für deren Lösung er aufgrund seiner momentan defizitären Verhaltensausstattung, keine konstruktiven Lösungsansätze zur Verfügung habe, ansieht. Damit setzt sich der Sachverständige Dr. U nicht auseinander. Ausweislich des ebenfalls vom Kläger eingereichten ärztlichen Entlassungsberichts der Klinik R vom 28.06.2016 sind ursächlich für die Entwicklung der Angststörung des Klägers vermutlich drei Lebensereignisse, nämlich 2 Herzinfarkte und ein Verkehrsunfall, die mit einem starken Gefühl der Bedrohung, der Hilfslosigkeit und des Kontrollverlusts einhergegangen seien. Inwieweit die 2008 und 2015 unfallunabhängig erlittenen Herzinfarkte des Klägers (mit-)ursächlich für die jetzigen psychischen Beeinträchtigungen gewesen sind, zeigt das Gutachten des Sachverständigen Dr. U nicht auf. Insoweit bleibt auch unklar, ob und gegebenenfalls wann die Herzinfarkte auch ohne den streitgegenständlichen Unfall zur – sowohl im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung als auch der Berechnung des Verdienstausfalls zu berücksichtigenden – dauerhaften Erwerbsunfähigkeit geführt hätten.

Folglich bedarf es der weiteren ergänzenden Beweisaufnahme, die der Senat mit Beschluss vom 11.05.2021 eingeleitet hat. Deren Ergebnis der bleibt abzuwarten.

b)

Aus demselben Grunde konnte der Senat auch über einen dem Kläger zuzusprechenden Verdienstausfallschaden der Höhe nach noch nicht entscheiden. Es bedarf zuvor der Klärung der Dauer einer unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit.

c)

Im Übrigen war der Rechtsstreit entscheidungsreif:

aa)

Zutreffend hat das Landgericht dem Kläger einen Anspruch in Höhe von 9.700,00 EUR als Wiederbeschaffungsaufwand für das zerstörte Motorrad zuerkannt. Das Motorrad des Klägers ist durch den Verkehrsunfall unstreitig irreparabel beschädigt worden; der Kläger hat zulässigerweise als Schaden den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) geltend gemacht. Die Beklagten haben erstinstanzlich insoweit lediglich den vom Kläger behaupteten Wiederbeschaffungswert von 13.900,00 EUR bestritten, der erzielte Restwert von 4.200,00 EUR war und ist unstreitig. Der erstinstanzlich bestellte Kfz-Sachverständige S hat den vom Kläger behaupteten Wiederbeschaffungswert nach einer Ebay-Recherche unter Berücksichtigung des Fahrzeugalters, der Laufleistung, der Besitzverhältnisse, des festgestellten Fahrzeugzustandes sowie von Sonderausstattungen und Zubehör bestätigt (s. Gutachten S vom 04.07.2019). Diese überzeugenden Ausführungen greift die Berufung zu Recht auch nicht an.

bb)

Weiterhin zutreffend hat das Landgericht dem Kläger den Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von ihm im Zeitraum vom 05.09. bis 31.12.2014 beauftragte Haushaltshilfe in Höhe von 2.242,50 EUR zugesprochen.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. W war der Kläger zumindest bis zum 31.12.2014 in seiner Haushaltsführungstätigkeit vollständig eingeschränkt (vgl. S. 3 des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 06.03.2018, Bl. 235 d.A.). Dies ergebe sich daraus, dass der rechte Arm nach der Operation wegen des unfallbedingten Abrisses der Rotatorenmanschette für 3 Monate nicht habe gebraucht werden können. Dies ist nachvollziehbar und überzeugend, denn nahezu alle Haushaltstätigkeiten setzen die Nutzbarkeit des (rechten) Arms voraus. Hinzu kommt, dass der Kläger bei dem Unfall auch Verstauchungen beider Daumengelenke erlitten hat und das linke Handgelenk im Dezember 2014 noch operiert werden musste. Dass der Kläger bis Ende 2014 daher nicht der Lage war, Haushaltstätigkeiten wie Kochen, Waschen, Einkaufen und Körperpflege vorzunehmen, ist glaubhaft. Der dafür benötigte Zeitaufwand kann im Rahmen von § 287 ZPO geschätzt werden. Nach Pardey (Der Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl. 2018) beläuft sich der Aufwand zur Haushaltsführung in einem Single-Haushalt für einen Mann auf 15 Stunden pro Woche. Hier hat der Kläger insgesamt einen Bedarf von 149,5 Stunden für 16,5 Wochen und damit nur ca. 9 Stunden je Woche geltend gemacht. Das ist keinesfalls übersetzt. Bei Einstellung einer Ersatzkraft konkretisiert sich der Schaden in deren Kosten, die einschließlich der abzuführenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu ersetzen sind (Vieweg in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 842, Rn. 125). Der vom Kläger gezahlte Stundenlohn von 15,00 EUR brutto ist insoweit nicht zu beanstanden, zumal die Beklagten auch nicht vortragen, dass der Kläger eine Haushaltshilfe für lediglich 9,00 EUR/h netto bzw. 10,71 EUR brutto, der bei fiktiver Abrechnung nach der hiesigen Rechtsprechung (Senat, Urteil vom 19.01.2016, 7 U 52/15 – juris Rn. 45; OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2012, 9 U 38/12 – juris Rn. 41) zugrunde zu legen ist, hätte organisieren können.

cc)

Soweit das Landgericht für die Positionen Zuzahlung zu Medikamenten, Physiotherapie, Aufenthalt im J-Krankenhaus, Eigenanteil Reha, Fahrtkosten und Abmeldekosten für das Motorrad dem Kläger insgesamt 3.023,06 EUR zuerkannt hat, was den Anträgen des Klägers entspricht, war das Urteil unter Teilabweisung der Klage teilweise abzuändern.

Dem Kläger steht insoweit lediglich ein Anspruch in Höhe von 1.795,69 EUR zu.

(1)

Die Klage ist nämlich unschlüssig, soweit der Kläger bezüglich der o.g. Positionen mit Schriftsatz vom 04.05.2016 die Zahlung weiterer 1.227,73 EUR beantragt hat. Denn bei der diesbezüglichen Klageerweiterung vom 04.05.2016 (Bl. 129 ff. d.A.) handelt es sich offensichtlich um eine versehentliche Doppeleinreichung des Erweiterungsschriftsatzes vom 16.12.2015 (Bl. 75 ff. d.A.). Der im Schriftsatz enthaltene Antrag zu 2 (Zahlung von 30.798,41 EUR) ist mit dem aus dem Schriftsatz vom 16.12.2015 identisch, erst in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 (vgl. S. 3 des Sitzungsprotokolls, Bl. 178 d.A.) hat der Kläger – offenbar auf Hinweis des Gerichts – den Antrag zu 2 nochmals um 1.227,73 EUR auf 30.026,14 EUR erweitert. Der Schriftsatz vom 04.05.2016 begründet diese Erweiterung jedoch nicht, sondern wiederholt nur die bereits unter dem 16.12.2015 geltend gemachten Ansprüche. Es werden gegenüber den bisherigen Anträgen weder weitere Fahrtkosten, noch weitere Medikamentenzuzahlungen oder Eigenanteile zu Reha-Maßnahmen geltend gemacht. Schlüssig dargelegt sind somit nur Ansprüche in Höhe von 1.795,69 EUR.

(2)

An Fahrtkosten stehen dem Kläger insgesamt 1.221,25 EUR zu. Er hat durch Vorlage von Fahrtentagebüchern insgesamt 1.602 unfallbedingt gefahrene Kilometer zu Ärzten und Therapeuten belegt (s. Anlagenband, Anlagen zum Schriftsatz vom 01.06.16). Weiterhin hat er 49 Fahrten von je 67 km, also insgesamt 3.283 km, zur Tagesklinik der LWL durch Vorlage von Bescheinigungen (s. Bl. 80, 81 d.A.) dargetan. Insgesamt sind dem Kläger daher Fahrtkosten für 4.885 km unfallbedingt entstanden. Allerdings sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechend dem JVEG nur 25 Cent pro Kilometer erstattungsfähig (so auch OLG Hamm, Urteil vom 04.11.2016 – 9 U 135/15, BeckRS 2016, 113064 Rn. 27, beck-online).

Der Kläger kann die geltend gemachten Fahrtkosten auch in der o.g. Höhe verlangen, obwohl und soweit ihm ein finanzieller Schaden nicht entstanden ist, wenn er – wie er in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat glaubhaft angegeben hat – unter dem Einfluss starker Schmerzmittel nach dem Unfall nicht in der Lage war, ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen und daher von Freunden und Bekannten gefahren wurde, die ihm damit helfen wollten und keine Fahrtkostenerstattung von ihm verlangt haben (vgl. Berichterstattervermerk vom 11.05.2021, Bl. 475 d.A.). Solche fürsorglichen Leistungen dienten nämlich ersichtlich nicht dazu, den Schädiger zu entlasten, sondern sollten allein dem Geschädigten zugutekommen und unterliegen damit insgesamt nicht der Vorteilsausgleichung (vgl. hierzu Ebert in: Erman BGB, 16. Aufl. 2020, Vorbem v. § 249, Rn. 106; Grüneberg in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, Vor § 249, Rn. 82). Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Freunde des Klägers diesen in seiner gesundheitlich und auch wirtschaftlich schwierigen Situation unterstützen wollten, eine gewünschte Entlastung der Beklagten ist nicht ersichtlich.

(3)

Dem Kläger sind ausweislich des Einzahlungsbelegs vom 09.09.2014 zu erstattende Abmeldekosten für sein Motorrad von 18,70 EUR entstanden.

(4)

Zuzahlungen hat der Kläger in Höhe von insgesamt 324,58 EUR, Kosten für Reha-Maßnahmen in Höhe von insgesamt 200,97 EUR belegt.

Zutreffend hat das Landgericht das einfache Bestreiten der Beklagten in Bezug auf diese substantiiert vorgetragenen Schäden als unerheblich angesehen.

Mit Schriftsatz vom 10.07.2015 (Bl. 56, 57 d.A.) hat der Kläger weitere Kosten für Medikamentenzuzahlungen und Reha-Kosten in Höhe von 208,01 EUR geltend gemacht, die er nicht durch entsprechende Belege nachgewiesen hat. Ausweislich der Anlagen zum Schriftsatz vom 10.07.2015 (Bl. 58, 59 d.A.) hat er die Belege aber der Beklagten zu 1 übersandt, die den Erhalt und die inhaltliche Übereinstimmung mit den klageweise geltend gemachten Beträgen auch nicht bestritten hat. Insbesondere die geltend gemachten Eigenanteilkosten für Reha-Maßnahmen in Höhe von 19,00 EUR und 19,72 EUR entsprechen den bisherigen Kosten für diese Positionen. Diese Kosten sind daher bis zur Erreichen des insgesamt schlüssig dargelegten Schadensbetrages von 1.795,69 EUR erstattungsfähig.

dd)

Zutreffend hat das Landgericht die Beklagten weiterhin zur Erstattung der dem Kläger durch die Einholung des privaten Schadensgutachtens entstandenen Kosten in Höhe von 1.157,22 EUR verurteilt. Die Sachverständigenkosten gehören als Kosten der Schadensermittlung grundsätzlich zum ersatzfähigen Schaden. Da der Kläger in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat glaubhaft erklärt hat, die Sachverständigenkosten aus dem ersten Vorschuss gezahlt zu haben, was die Beklagten auch nicht bestritten haben, bestehen trotz erfolgter Abtretung insoweit auch keine Zweifel an seiner Aktivlegitimation.

ee)

Weiterhin steht dem Kläger die allgemeine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR zu.

ff)

Soweit das Landgericht die Klage im Hinblick auf die geltend gemachten Schäden an der beim Unfall getragenen Motorradkleidung und sonstiger beigeführter Gegenstände mangels Substantiierung der Zeitwerte der beschädigten Gegenstände abgewiesen hat, greift der Kläger das Urteil mit der Anschlussberufung nicht an.

gg)

Schließlich hat das Landgericht zutreffend berücksichtigt, dass die Ansprüche des Klägers durch die Zahlung der Beklagten zu 1 auf die materiellen Schäden in Höhe von insgesamt 4.805,00 EUR durch Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB untergegangen sind.

Von den derzeit feststellbaren Schäden in Höhe von 14.920,41 EUR waren dem Kläger somit 10.115,41 EUR zuzusprechen.

d)

In Bezug auf die mit dem Teilendurteil zugesprochenen Zahlungsansprüche in Höhe von 10.115,41 EUR stehen dem Kläger Rechtshängigkeitszinsen aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu, wobei der Zinsbeginn mit der jeweiligen Rechtshängigkeit der mit der Klageschrift und den einzelnen Klageerweiterungsschriftsätzen wie aus dem Tenor ersichtlich gestaffelt nach der jeweiligen Zustellung (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1, 2 ZPO) anzusetzen ist.

4.

Über den Klageantrag zu 3 (Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten) konnte durch den Senat dagegen noch nicht abschließend entschieden werden. Die Ersatzpflicht des Schädigers erstreckt sich zwar auf die durch Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs verursachten Kosten, namentlich die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Grüneberg in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 249 Rn. 56, 57). Dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger ist dabei aber der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (vgl. BGH, Urteile vom 05.12.2017 – VI ZR 24/17, NJW 2018, 935 Rn. 2, 7 f.; vom 09.012018 – VI ZR 82/17, NJW 2018, 937 Rn. 2 ff., 9 f.). Die berechtigte Schadensersatzforderung kann vorliegend mangels vollständiger Entscheidungsreife aber noch nicht bestimmt werden.

5.

Zutreffend hat das Landgericht schließlich die Haftung der Beklagten für sämtlichen weiteren materiellen Schaden und zukünftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 05.09.2014, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergangen sind, festgestellt. Die Feststellungsklage ist bereits begründet, wenn die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts aufgrund eines haftungsrechtliche relevanten Eingriffs besteht (BGH, Urteil vom 17.10.2017 – VI ZR 423/16). Das ist hier der Fall. Es ist nicht auszuschließen, dass dem Kläger bereits aufgrund seiner schweren körperlichen Verletzungen weitere, nicht vorhersehbare immaterielle Schäden drohen. Auszunehmen war insoweit lediglich der vom Kläger gesondert rechtshängig gemachte, im Zeitraum von Februar 2016 bis Dezember 2017 einschließlich entstandene Verdienstausfallschaden. Denn insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

6.

Dem Charakter des Teilgrund- und -endurteils zufolge war die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorzubehalten.

Soweit die Berufung der Beklagten durch Teilendurteil teilweise zurückgewiesen und das Urteil des Landgerichts teilweise neu gefasst worden ist, beruht die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2, 711 ZPO.

Das Verfahren ist im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH (VI ZR 211/21) anhängig.

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