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Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine infektionsschutzrechtliche Verordnung

OVG Lüneburg – Az.: 13 MN 116/20 – Beschluss vom 28.04.2020

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine infektionsschutzrechtliche Verordnung
Symbolfoto: Von KlavdiyaV /Shutterstock.com

I. Der am 23. April 2020 eingereichte Normenkontrolleilantrag des Antragstellers mit dem durch Auslegung (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) ermittelten Begehren, die in § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), angeordnete Schließung aller öffentlichen und privaten Sportanlagen bis zum 6. Mai 2020 im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO insoweit vorläufig außer Vollzug zu setzen, als sie das private Golfspiel auf Golfplätzen verbietet, bleibt ohne Erfolg.

Der Antrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.). Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 – 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

1. Der Antrag ist zulässig.

a) Der Eilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJG statthaft. Die (4.) Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 – 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. – juris Rn. 16 ff.).

b) Das Rubrum ist durch die Eingangsverfügung vom 23. April 2020 von Amts wegen berichtigt worden. Der Antrag ist gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).

c) Auch an der Antragsbefugnis des Antragstellers entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestehen keine Zweifel. Die angegriffene Vorschrift der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 ordnet die Schließung aller öffentlichen und privaten Sportanlagen an. Das lässt es möglich erscheinen, dass der Antragsteller, der Mitglied eines Golfclubs in A-Stadt ist, in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz) verletzt ist.

d) Der inhaltliche beschränkte Antrag auf nur teilweise Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 der Verordnung ist auch zulässig. Der Antragsteller begehrt insoweit keine Normergänzung, sondern greift die Norm nur insoweit an, als er sich von ihr in seinen Rechten verletzt ansieht. Im Rahmen der Prüfung der Begründetheit ist es sodann Aufgabe des Normenkontrollgerichts zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang die Norm aufrechterhalten werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass eine Teilunwirksamkeit bzw. Teilwirksamkeit der angefochtenen Regelung von vornherein nicht in Betracht kommt, sind nicht ersichtlich.

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind im Rahmen der sog. „Doppelhypothese“ diejenigen Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 – BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 – 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 – 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 – 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze bleibt der Antrag auf vorläufige (teilweise) Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 in der Sache ohne Erfolg. Dabei kann es offen bleiben, ob die ausnahms- und unterschiedslose Sperrung aller öffentlichen und privaten Sportanlagen notwendig im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist.

Unterstellt, die angegriffene ausnahmslose Anordnung der Schließung von Sportanlagen in § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 wäre rechtswidrig und gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO zumindest in dem vom Antragsteller angefochtenen Umfang für unwirksam zu erklären, so fehlte es im vorliegenden Fall dennoch an einem gewichtigen Nachteil, aufgrund dessen es im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO „dringend geboten“ (unaufschiebbar) wäre, die Norm vorläufig außer Vollzug zu setzen. Denn es mangelt im Hinblick auf die begehrte einstweilige Anordnung jedenfalls an einem Eilbedürfnis (d.h.: an einem „besonderen Außervollzugsetzungsinteresse“).

Aus der bloßen Schließungswirkung der angefochtenen Norm, die der Antragsteller insbesondere wegen der beim Golfsport als Individualsportart gegenüber anderen Sportarten, insbesondere Mannschaftssportarten, deutlich verringerten Infektionsrisiko für rechtswidrig hält, und der daraus resultierenden Betroffenheit der Rechtssphäre des Antragstellers folgt ein Eilbedürfnis nicht ohne Weiteres. Die Antragsbegründung enthält lediglich abstrakte und generelle Überlegungen zu Besonderheiten von Golfplätzen und des Golfspiels als solchen, insbesondere zum fehlenden Infektionsrisiko und zum gesundheitlichen Nutzen des Golfsports. Auch wird ein Vergleich zu anderen Sportarten und zu Regelungen in anderen europäischen Ländern gezogen. Es fehlt hingegen jeder konkrete Bezug zu dem Golfclub in A-Stadt, dessen Mitglied der Antragseller zu sein angibt. Schon die Mitgliedschaft in diesem Golfclub hat er nicht glaubhaft gemacht. Dass er in dem überschaubaren Zeitraum der restlichen Geltungsdauer der Norm bis zum 6. Mai 2020, 24.00 Uhr (vgl. § 13 Satz 1 der Verordnung) überhaupt beabsichtigt, auf dem Geländes seines Golfclub oder auch anderenorts Golf zu spielen, und dass er in diesem Zeitraum auf eine derartige, der Freizeitgestaltung zuzuordnende Spielmöglichkeit in besonderem Maße angewiesen wäre, ist nicht einmal ansatzweise vorgetragen worden. Das reicht – zumal bei einem Antragsteller, der selbst Rechtsanwalt und mit den Anforderungen aus § 47 Abs. 6 VwGO vertraut ist – nicht aus.

Allerdings weist der Senat den Antragsgegner darauf hin, dass das Verbot einer Tätigkeit der Rechtfertigung bedarf, nicht deren Ausübung. Die Frage, ob eine Tätigkeit (lediglich) als Freizeitaktivität einzuordnen ist, sagt nichts über die Notwendigkeit eines Verbots im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG aus. Entscheidend ist insoweit maßgeblich die Infektionsgefährdung. Erst bei einer Infektionsgefährdung kann der Frage, ob eine Tätigkeit dennoch notwendig ist, eine Bedeutung zugemessen werden. Der Senat geht davon aus, dass nach Ablauf der Geltungsdauer derzeitigen Regelung jedenfalls eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Sportarten anhand des jeweiligen Infektionsrisikos erfolgen wird. Über die Geltungsdauer der der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 hinaus ließe sich eine ausnahms- und unterschiedslose Sperrung sämtlicher Sportstätten auch bei Berücksichtigung der aufgrund der weiterhin unklaren Tatsachengrundlage und des dynamischen Infektionsgeschehens anzuerkennenden behördlichen Einschätzungsprärogative nur schwer rechtfertigen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 – 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. – juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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