Skip to content

Werkstattrisiko – Umfang

Gerichtsurteil: Werkstattrisiko und Reparaturkosten

Das Gericht hat entschieden, dass der Kläger Anspruch auf vollständige Erstattung der Reparaturkosten in Höhe von 1.275,49 € für sein Fahrzeug nach einem Verkehrsunfall hat. Dies schließt die umstrittenen Kosten für Fehlersuche, Radarsensor, Lackierung und Corona-Schutzmaßnahmen ein. Die Entscheidung beruht auf dem Prinzip des Werkstattrisikos, welches besagt, dass die Reparaturkosten auch bei unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeit der Werkstatt vollständig vom Schädiger zu tragen sind, sofern den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 331 C 11723/22   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Vollständige Erstattung der Reparaturkosten von 1.275,49 € an den Kläger.
  2. Inklusion von umstrittenen Positionen wie Fehlersuche, Radarsensor, Lackierung und Corona-Schutzmaßnahmen in die Erstattung.
  3. Anwendung des Werkstattrisikos, welches eine Erstattung auch bei unangemessenen Kosten vorsieht.
  4. Kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Klägers bezüglich der Werkstattwahl.
  5. Erstattungsfähigkeit der Kosten trotz fehlender direkter Kausalität zum Unfall.
  6. Subjektbezogene Schadensbetrachtung, die die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten berücksichtigt.
  7. Anerkennung der Reparaturkosten als notwendigen Herstellungsaufwand.
  8. Prozessrisiko liegt beim Schädiger, nicht beim Geschädigten.

Das Prinzip des Werkstattrisikos im Verkehrsrecht

Werkstattrisiko
(Symbolfoto: Gorodenkoff /Shutterstock.com)

In der Rechtsprechung rund um Verkehrsunfälle nimmt das Thema Werkstattrisiko eine zentrale Rolle ein. Es befasst sich mit der Frage, inwiefern die Kosten für die Reparatur eines unfallbeschädigten Fahrzeugs vollumfänglich vom Unfallverursacher zu tragen sind. Dabei spielen Faktoren wie Schadensersatz, Reparaturkosten und insbesondere die Angemessenheit der in Rechnung gestellten Beträge eine entscheidende Rolle. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei, inwieweit der Geschädigte Einfluss auf die Höhe der Reparaturkosten hat und ob ihm ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden hinsichtlich der gewählten Reparaturwerkstatt vorzuwerfen ist.

Diese grundlegenden juristischen Fragen werden insbesondere dann relevant, wenn es um strittige Positionen wie Rechnungshöhe, Sachverständigengutachten oder Corona-Schutzmaßnahmen in der Werkstatt geht. Das Gericht muss hier abwägen, inwiefern diese Posten erstattungsfähig sind und ob sie in direktem Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen. Erfahren Sie in der folgenden detaillierten Analyse eines aktuellen Urteils, wie diese Fragen vor dem Hintergrund des Werkstattrisikos behandelt und entschieden wurden. Ein spannender Einblick in die Anwendung und Tragweite des Verkehrsrechts erwartet Sie.

Rechtliche Klärung: Wer trägt die vollen Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall?

Im Falle eines Verkehrsunfalls im Januar 2022 in München standen die Parteien vor einer juristischen Auseinandersetzung hinsichtlich der Erstattung der Reparaturkosten. Nachdem das Fahrzeug des Klägers von einem Sachverständigen begutachtet wurde, entstanden Kosten in Höhe von 12.814,53 €. Diese wurden jedoch von der Reparaturwerkstatt mit 14.209,21 € berechnet, was zu einer Differenz von 1.275,49 € führte. Die Beklagte, bei der das Unfallfahrzeug haftpflichtversichert war, zahlte vorgerichtlich 12.933,71 €, lehnte jedoch die Übernahme der Differenz ab. Diese Nichtzahlung führte zu einer rechtlichen Auseinandersetzung um die restlichen Reparaturkosten.

Werkstattrisiko: Kern der juristischen Debatte

Im Zentrum der juristischen Debatte stand das sogenannte Werkstattrisiko. Dabei geht es um die Frage, ob und inwieweit der Geschädigte eines Verkehrsunfalls für die Entscheidungen der Reparaturwerkstatt, insbesondere hinsichtlich der Kostenhöhe, verantwortlich ist. Der Kläger vertrat die Ansicht, dass ihm die volle Höhe der Reparaturkosten zusteht, während die Beklagte diese Ansicht mit Verweis auf angeblich überhöhte und unnötige Reparaturpositionen bestritt. Die Beklagte argumentierte, dass bestimmte Reparaturmaßnahmen, wie die Kosten für „Corona-Schutzmaßnahmen“ oder die Behandlung des Radarsensors, nicht notwendig oder überhöht waren.

Gerichtsurteil: Vollständige Erstattung der Reparaturkosten

Das Amtsgericht München entschied in seinem Urteil vom 03.02.2023 (Az. 331 C 11723/22), dass der Kläger einen Anspruch auf den vollen Betrag der Reparaturkosten hat. Das Gericht bestätigte, dass das Werkstattrisiko auf Seiten der Klagepartei liegt. Dies bedeutet, dass der Geschädigte, sofern ihm kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden hinsichtlich der Reparaturwerkstatt vorzuwerfen ist, Anspruch auf volle Erstattung der Reparaturkosten hat, auch wenn diese im Vergleich zu üblichen Kosten unangemessen hoch erscheinen.

Entscheidungsgrundlage des Gerichts: Bewertung des Werkstattrisikos

Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Kläger auf Basis eines privaten Sachverständigengutachtens gehandelt hatte und keine erkennbaren Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden vorlagen. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die vom Kläger geltend gemachten Kosten für Positionen wie „Fehlersuche/Fehlerspeicher löschen“, „Radarsensor“ und „Lackierung“ sowie die „Corona-Schutzmaßnahmen“ gerechtfertigt waren. Das Gericht erkannte an, dass der Kläger keinen Einfluss auf die Durchführung und Kosten der Reparaturmaßnahmen hatte und somit schutzwürdig ist.

Die rechtliche Bewertung dieses Falles gibt einen wichtigen Einblick in die Anwendung des Werkstattrisikos und unterstreicht die Bedeutung des Sachverständigengutachtens bei der Ermittlung der Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall. Dieses Urteil dient als Orientierungshilfe für ähnliche Fälle, in denen die Angemessenheit der Reparaturkosten nach einem Unfall strittig ist.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet „Werkstattrisiko“ im Kontext von Verkehrsunfällen und Reparaturkosten?

Der Begriff „Werkstattrisiko“ bezieht sich auf das Risiko, dass die tatsächlichen Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall höher ausfallen als ursprünglich geschätzt oder dass die Reparaturarbeiten unsachgemäß oder unwirtschaftlich durchgeführt werden. Dieses Risiko wird grundsätzlich vom Schädiger getragen, nicht vom Geschädigten.

Wenn der Geschädigte sein Fahrzeug zur Reparatur an eine Fachwerkstatt übergibt, sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger vollumfänglich ersatzfähig, selbst wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt im Vergleich zu dem, was für eine entsprechende Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind.

Sollte die Werkstatt unnötige Reparaturarbeiten vorgenommen oder nicht vorgenommene Leistungen abgerechnet haben, hat der Schädiger die Möglichkeit, Rückgriffsansprüche gegen die Werkstatt geltend zu machen. Der Geschädigte kann eine mögliche Differenz von der Werkstatt zurückfordern, falls sich herausstellt, dass die tatsächlichen Reparaturkosten höher sind als ursprünglich geschätzt.

Es ist zu berücksichtigen, dass die Reparaturwerkstatt nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten im Sinne des § 278 BGB ist. Daher kann der Geschädigte, der als Privatperson mangels entsprechender Fachkenntnis handelt, nicht für mögliche Fehler oder überhöhte Kosten einer Werkstatt haften.

Die Schädigerseite hat gegenüber dem Geschädigten die Reparaturkosten auch dann voll auszugleichen, wenn diese oberhalb der üblichen Vergütung liegen oder weitere Einwendungen zur Höhe bestehen.


Das vorliegende Urteil

AG München – Az.: 331 C 11723/22 – Urteil vom 03.02.2023

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.275,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 13.04.2022 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 13.04.2022 zu bezahlen.

2. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Streitwert wird auf 1.275,49 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall am 18.01.2022 in München.

Beteiligt war das Kraftfahrzeug des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen … sowie das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen …

Die alleinige Haftung der Beklagten für die Schäden aus dem Unfallereignis ist zwischen den Parteien unstreitig.

Streit besteht hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit restlicher Reparaturkosten.

Der Kläger ließ das Klägerfahrzeug zunächst von einem Sachverständigen begutachten. Dieser hat erforderliche Reparaturkosten in Höhe von 12.814,53 € ermittelt. Nach Erhalt des Sachverständigengutachtens ließ der das Klägerfahrzeug anhand der Vorgaben des Gutachtens reparieren. Die Reparaturwerkstatt berechnete hierfür 14.209,21 € brutto.

Die Beklagte zahlte hierauf vorgerichtlich einen Betrag in Höhe von 12.933,71 €.

Die Differenz in Höhe von 1.275, 49 € macht der Kläger nebst Zinsen geltend.

Daneben macht der Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.275,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 13.04.2022 zu bezahlen.

Hilfsweise: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.275,49 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 13.04.2022 Zug-um-Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers wegen angeblicher Überzahlung aus dem mit der Reparaturwerkstatt … anlässlich des Unfalls vom 18.01.2022 geschlossenen Werkvertrag gegen die Autohaus …, vertreten durch die Geschäftsführerin … zu zahlen.

Benötigen Sie Hilfe vom Anwalt? Schildern Sie uns Ihr Anliegen und fordern online unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger restliche vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 80,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 13.04.2022, hilfsweise seit Rechtshängigkeit, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt: Klageabweisung.

Die Beklagte trägt vor, am Klägerfahrzeug sei nur ein Reparaturschaden in Höhe von 12.933,71 € entstanden. In der Rechnung enthaltene Kosten für die Position „Fehlersuche/Fehlerspeicher löschen“ sei überhöht. Es wird bestritten, dass der Radarsensor beschädigt worden war. Geschraubte und leicht montierbare Bauteile werden im ausgebauten Zustand lackiert, wodurch sich die Lackvorbereitungszeit vermindern würde. In Abzug zu bringen seien auch die Kosten für „Corona Schutzmaßnahmen“. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die nicht beglichene Rechnung der Reparaturwerkstatt keine Indizwirkung für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten entfalte.

Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Die Parteien haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1PflVG aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis in Höhe von 1.275,49 €.

Die Haftung dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

Streit besteht nur über restliche Reparaturkosten.

Nach Ansicht des Gerichts kann der Kläger restliche Reparaturkosten in Höhe von 1.275,49 € von der Beklagten verlangen.

Der Kläger hat sein Fahrzeug unstreitig reparieren lassen.

Der Klagepartei stehen die vollen aus der Anlage K 2 hervorgehenden und von der Werkstatt in Rechnung gestellten Kosten für die Fahrzeuginstandsetzung und damit auch die strittigen Kosten für die Positionen „Fehlersuche/Fehlerspeicher löschen“, „Radarsensor“, „Lackierung“ und der abgerechneten „Corona-Schutzmaßnahmen“ zu.

Das Gericht erachtet die geltend gemachten Abzüge insgesamt als unberechtigt bzw. umgekehrt den Rechnungsbetrag als vollumfänglich erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB.

Hintergrund dessen ist das für die Klagepartei streitende Werkstatt- bzw. Prognoserisiko, das auch in der hier streitgegenständlichen Konstellation anzuwenden ist.

Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (Auswahl oder Überwachungs-)Verschulden trifft, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt im Vergleich zu dem, was für eine entsprechende Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1974 – VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 186, juris Rn. 12); in einem solchen Fall gegebenenfalls bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen den Werkstattbetreiber spielen nur insoweit eine Rolle, als der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs deren Abtretung verlangen kann.

Weil der Kläger sein Fahrzeug vorliegend unstreitig im „…“ reparieren lies und den Schaden konkret abrechnet, waren weitere Ausführungen zur Erstattungsfähigkeit der abgerechneten Positionen nicht veranlasst. Denn die Klagepartei durfte den von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Betrag für erforderlich halten: „Diese tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten unangemessen sind.“ (so Landgericht München I, Urteil vom 30.11.2015, Az. 19 O 14528/12).

Sobald der Geschädigte sein Fahrzeug zwecks Reparatur an die Reparaturwerkstatt übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welcher ansonsten einen Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde. Dem Geschädigten sind auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen.

Vorliegend hat der Kläger seinen Schaden konkret abgerechnet und sein Fahrzeug unstreitig nach Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens auf Basis dieses Gutachtens in einer markengebundenen …Werkstatt reparieren lassen.

Die im einzelnen streitigen Positionen sind allesamt erstattungsfähig. Das Gericht kann ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden nicht feststellen.

Im Einzelnen:

Bereits im Privatgutachten des Klägers war die Position „Auslesen des Datenspeichers“ abgerechnet. Deshalb durfte der Kläger den von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Betrag insoweit unproblematisch für erforderlich halten.

Auch die abgerechneten Positionen für „Rammschutz aus- und eingebaut“, „Radarsensor eingestellt“, „Radarsensor aus- und eingebaut“ und „Steuergerät ersetzt“ durfte der Kläger nach Ansicht des Gerichts für erforderlich halten, auch wenn diese Position im Privatgutachten nicht enthalten waren. Denn unstreitig ist, dass der Werkstattbetrieb über einen Serviceberater mitteilte, dass der Radarsensor nach der Reparatur nicht eingestellt werden konnte, weshalb es notwendig war, das Steuerungsgerät auszutauschen. Für den Kläger ist nicht erkennbar, ob dies technisch nachvollziehbar ist, weshalb ihm insofern kein Verschulden vorzuwerfen ist. Weiter sei darauf hingewiesen, dass Reparaturerweiterungen per se keinen begründeten Anlass für Zweifel an der Richtigkeit der abgerechneten Positionen geben, weil ein Sachverständigengutachten nur die wahrscheinlichen Reparaturkosten prognostiziert. Es ist nicht untypisch, dass bei Durchführung der Reparatur weitere Arbeiten erforderlich werden, sodass der Kläger hier – insbesondere wegen des Hinweises der Reparaturwerkstatt – schutzwürdig erscheint.

Nach Ansicht des Gerichts durfte der Kläger auch die Kosten der „Lackierung“ erforderlich halten. Dass – so der Vortrag der Beklagtenseite – geschraubte und leicht montierbare Bauteile im ausgebauten Zustand und nicht am Fahrzeug lackiert werden und sich dadurch die Lackierzeit von 3,1 Stunden auf einen Zeitbedarf von 2,5 Stunden reduziert ist für den Kläger selbst bei unterstellter Richtigkeit des Vortrags nicht erkennbar und begründet keinen Anlass, an der Richtigkeit der abgerechneten Position zu zweifeln.

Auch aus der inhaltlichen Natur der Abzüge, soweit sie die „Corona-Kosten“ betreffen, ergibt sich hier nichts anderes.

Mit dem Argument, dass Kosten dieser Art den Gemeinkosten des Betriebs zuzuordnen sind, weil sie gerade auch das Werkstattpersonal schützen sollen, kann die Beklagte das erkennende Gericht nicht überzeugen. Vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters aus drängt es sich auf, dass der Mehraufwand für eine im Interesse des Infektionsschutzes erfolgende Desinfektionsmaßnahme und die hiermit verbundenen Kosten von einer Kfz-Werkstatt, die als gewinnorientiertes Unternehmen betrieben wird, an den Kunden weitergegeben werden. Daher kann sich die Beklagtenseite nicht auf den Standpunkt stellen, der Kläger hätte erkennen können, dass Kosten dieser Art nicht anfallen bzw. dass sie nicht gesondert berechnet werden. Es sei auf die zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls bzw. der entsprechenden Fahrzeuginstandsetzung gegebene Pandemie-Situation hingewiesen. Desinfektionsmaßnahmen bei in Betracht kommenden Kontaktflächen zur Vermeidung einer Schmierinfektion von politischer und wissenschaftlicher Seite aus Gründen der Vorsorge (werden und) wurden empfohlen.

Anders als die Beklagtenseite meint, bedarf es auch keiner Vereinbarung über die Vergütungsfähigkeit der Desinfektionskosten. Denn der vom Geschädigten erteilte Reparaturauftrag umfasst sämtliche Schritte, die im Rahmen der Instandsetzung notwendig werden. Der Geschädigte schuldet Entgelt für die Instandsetzung insgesamt und nicht für jeden einzelnen dabei vorgenommenen Arbeitsschritt.

Schließlich war der Hinweis der Beklagtenseite, die Corona-Schutzmaßnahmen seien nicht durchgeführt worden, als Einwand ins Blaue hinein zu werten. Nach Ansicht des Gerichts würde das Werkstattrisiko aber auch vor einem solchen Einwand schützen, weil der Geschädigte gerade keinen Einfluss darauf hatte, dass entsprechende Maßnahmen durchgeführt werden oder nicht und es für ihn auch an der Erkennbarkeit fehlt.

Dass die abgerechneten Positionen nicht kausal auf den streitigen Verkehrsunfall beruhen würden, kann das Gericht nicht erkennen. Ohne das streitgegenständliche Unfallgeschehen wäre keine Reparaturbedürftigkeit entstanden und demgemäß auch nicht die Notwendigkeit, im Rahmen der Instandsetzungsmaßnahmen Vorsorge zum Infektionsschutz zu treffen. Mit der Verursachung des Verkehrsunfalls hat der Schädiger für den Geschädigten die Gefahr, dass Kosten dieser Art entstehen werden, auch adäquat kausal hervorgerufen.

Zuletzt erachtet das Gericht die Erhöhung der Reparaturkosten insgesamt, gegenüber dem Privatgutachten als noch nicht derart gravierend, dass der Kläger an der Richtigkeit der Reparatur durch die ausgewählte …-Vertragswerkstatt zweifeln müsste. Denn der von der Werkstatt abgerechnete Betrag liegt nicht derart weit von den prognostizierten Kosten des Sachverständigen entfernt, dass sich daraus ein Auswahlverschulden hergeleitet werden könnte (Siehe dazu BGH, Urteil vom 26.04.2022, Az. VI ZR 147/21, der annimmt, dass eine rund 15 % höhere Reparaturrechnung ein Auswahlverschulden allein nicht belegt).

Streitig war zwischen den Parteien besonders, ob die Grundsätze des Werkstattrisikos auch dann angewendet werden können, wenn die Reparaturrechnung bisher noch nicht (vollständig) beglichen wurde.

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist eine Indizwirkung auch in dieser Konstellation angebracht.

Der erforderliche Herstellungsaufwand bestimmt sich nämlich nicht allein nach Art und Ausmaß des Schadens, sondern auch nach den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Behebung des eingetretenen Schadens (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90). Insoweit ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung zu Grunde zu legen: Der Geschädigte, der nach Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der Höhe der erforderlichen Reparaturkosten entsprechend dieses Gutachtens Reparaturauftrag erteilt und sich sodann gemäß der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Reparaturwerkstatt deren Werklohnanspruch ausgesetzt sieht, soll am Risiko, dass die Reparaturkosten dass tatsächlich zur Wiederherstellung erforderliche Maß übersteigen, nur in dem Maße beteiligt werden, in welchem er hierauf tatsächlich Einfluss nehmen kann. Daran anknüpfend kommen dem Geschädigten die Vorteile der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nicht zugute, wenn er auch im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten bei sorgfältiger Prüfung der Reparaturrechnung hätte erkennen können, dass hier überhöhte Positionen bzw. nicht zur Behebung des unfallbedingten Schadens erforderliche Positionen in Rechnung gestellt werden oder wenn ihn in sonstiger Weise ein Auswahlverschulden hinsichtlich der Reparaturwerkstatt trifft. Letzteres ist aus Sicht des angerufenen Gerichts hier nicht hinreichend dargetan.

Der dargelegten subjektbezogenen Schadensbetrachtung liegt eine Risikobewertung zu Gunsten des Geschädigten zugrunde. Diese greift nach Auffassung des erkennenden Gerichts in gleicher Weise, ob nun der Geschädigte die Rechnung bereits begleichen hat oder nicht. Der Geschädigte ist unzweifelhaft einem Werklohnanspruch ausgesetzt. Er kann in Anspruch genommen und verklagt werden und soll am Risiko, dass die Reparatur nicht richtig, unwirtschaftlich oder sonst fehlerhaft durchgeführt wurde nicht beteiligt werden.

Nichts anderes ergibt sich aus der jüngeren Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten bei noch nicht beglichener Honorarrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 19.7.2016, Az. VI ZR 491/15 sowie jüngst BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674). Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebende Wertung, dass einer unbeglichenen Honorarrechnung im Falle einer Zession keine Indizwirkung zukomme, ist auf die hier im Raum stehende Fallkonstellation nicht übertragbar. Zwar trifft es zu, dass derjenige Aufwand, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist, nicht pauschal durch den in Rechnung gestellten Betrag abgebildet wird, sondern dem tatsächlich zur Befriedigung des Finanzierungsbedarfs des Geschädigten objektiv erforderlichen Geldbetrag zur Durchführung der Reparatur entspricht (BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674, 675). Unter Berücksichtigung der individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten bildet jedoch im hier zu entscheidenden Fall, wenn der Geschädigte nach Maßgabe eines Sachverständigengutachtens reparieren lässt, der in der Rechnung verlautbarte Betrag denjenigen Aufwand ab, der aus Sicht des Geschädigten zur Durchführung der Reparatur erforderlich ist. Der Geschädigte hat nämlich aufgrund des zuvor eingeholten Sachverständigengutachtens einen konkreten Anhaltspunkt, in welcher Größenordnung Reparaturkosten voraussichtlich anfallen werden und ist im Vertrauen hierauf eine vertragliche Verpflichtung zur Zahlung des Werklohns eingegangen.

Damit steht dem Kläger im Ergebnis ein weiterer Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1,275,49 € zu.

Die Anwendungen der Grundsätze des Werkstattrisikos auf die hier zu entscheidende Streitkonstellation schützt den Geschädigten und benachteiligt die Beklagte nicht unangemessen, weil diese nach Annahme des unstreitig abgegebenen Abtretungsangebots durch Annahmeerklärung Gelegenheit erhält, ihre Einwendungen gegenüber der Reparaturwerkstatt vorzutragen und Regress zu nehmen (Wegen des unstreitig abgegebenen Abtretungsangebotes war eine Zug-um-Zug-Verurteilung nicht angezeigt). Das insoweit bestehende Prozessrisiko ist dem Schädiger und nicht dem Geschädigten aufzuerlegen.

Der Klage war damit in der Hauptsache in vollem Umfange stattzugeben.

Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz von restlichen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 80,44 €.

Verzug bestand, wie von Beklagtenseite nicht bestritten, seit dem 13.04.2022, § 286 BGB. Die Beklagte hat mit Schreiben von diesem Tag weitere Zahlungen verweigert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Einbeziehung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Soforthilfe vom Anwalt!

Jetzt Hilfe vom Anwalt!

Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Beratungsanfrage bzw. Ersteinschätzung.

Ratgeber und hilfreiche Tipps unserer Experten.

Lesen Sie weitere interessante Urteile.

Unsere Kontaktinformationen.

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Hier finden Sie uns!

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

zum Kontaktformular

Ersteinschätzungen nur auf schriftliche Anfrage per Anfrageformular.

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Über uns

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!

Das sagen Kunden über uns
Unsere Social Media Kanäle

 

Termin vereinbaren

02732 791079

Bürozeiten:
Mo-Fr: 08:00 – 18:00 Uhr

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Rechtsanwälte Kotz. Mehr Infos anzeigen.

Ersteinschätzung

Wir analysieren für Sie Ihre aktuelle rechtliche Situation und individuellen Bedürfnisse. Dabei zeigen wir Ihnen auf, wie in Ihren Fall sinnvoll, effizient und möglichst kostengünstig vorzugehen ist.

Fragen Sie jetzt unverbindlich nach unsere Ersteinschätzung und erhalten Sie vorab eine Abschätzung der voraussichtlichen Kosten einer ausführlichen Beratung oder rechtssichere Auskunft.

Aktuelles Jobangebot

Juristische Mitarbeiter (M/W/D)
als Minijob, Midi-Job oder in Vollzeit.

mehr Infos