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Corona-Sonderzahlung – Pfändbarkeit

AG Konstanz – Az.: K 42 IK 73/16 – Beschluss vom 11.03.2021

Der Antrag der Schuldnerin auf Pfändungsschutz nach § 765a ZPO vom 22.01.2021 wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Schuldnerin stellt Antrag nach § 765a ZPO (AS 261). Der Treuhänder wurde gehört und lehnt eine Freigabe der Sonderzahlung ab (AS 285, Schreiben vom 01.02.2021). Die Schuldnerin führt zur Begründung u.a. das AG Zeitz an. Hierbei ist jedoch festzustellen, dass die Entscheidung des AG Zeitz zu einer Vollstreckungssache ergangen ist, nicht zu einem insolvenzrechtlichen Sachverhalt. Gem. § 292 InsO findet § 36 Abs. 1 S.1, Abs. IV InsO jedoch Anwendung (Landgericht Hamburg Beschl. v. 25.07.2016, Az.: 326 T 36/15).

Hingegen (hier nicht der Sachverhalt) ist bei der Einlegung von Rechtsbehelfen gegen das Vollstreckungsverbot nach § 89 InsO die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nur im laufenden Verfahren gegeben, in der WVP nicht (LG Köln 14.08.2003,19 T 92/03, NZI 2003, 669; LG Hamburg 14.07.2009, 301 AR 8/09, ZInsO 2009, 1707; AG Göttingen 02.10.2006, 74 IN 351/05, NZI 2006, 714 (715); Häsemeyer Insolvenzrecht Rn. 26.44 in Fn. 104; Mü-Ko-InsO/Breuer/Flöther Rn. 41; FK-InsO/Ahrens § 294 Rn. 30; aA LG Offenburg 14.03.2000, 4 T 38/00, NZI 2000, 277 (278); Jaeger/Eckhardt Rn. 90; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht Kommentar, 4. Auflage 2020, § 89 InsO). Diese Konstellation liegt indes nicht vor.

Folglich bleibt zu differenzieren, ob das Insolvenzgericht oder das Prozessgericht zuständig ist. Das Insolvenzgericht bleibt zuständig für Fragen der Vollstreckung und ob ein Gegenstand der Vollstreckung unterliegt. Streiten Schuldner und Verwalter/Treuhänder über die Massezugehörigkeit an sich, liegt nach allgemeiner Anschauung die Zuständigkeit des Prozessgerichts vor. Die Differenzierung fällt im vorliegenden Sachverhalt schwierig. Bei Anträgen auf Einschränkung oder Erweiterung der Pfändbarkeit der Bezüge während der Wohlverhaltensperiode ist gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 das Insolvenzgericht für die Entscheidung zuständig (Schmidt, Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 8. Auflage 2021, § 292 InsO, Rn. 7). Nimmt man – wovon das Gericht im vorliegenden Fall ausgeht – nun an, dass eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts gegeben ist, es also nicht um die Massezugehörigkeit an sich, sondern um die Vollstreckung geht, tritt ein weiteres Problem auf. § 850k Abs. 4 ZPO erfasst nicht die Corona-Sonderzahlung, auch nicht als sonstiges Einkommen i. S. d. § 850i ZPO. Daher ist, wie vorliegend zu Recht davon ausgegangen, nur der § 765a ZPO denkbar.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist das Insolvenzgericht analog §§ 36 Abs. 4, § 148 Abs. 2 Satz 2 zuständig bei Vollstreckungsschutzanträgen nach § 765a ZPO (BGH ZInsO 2014, 687 Tz. 11; BGH ZInsO 2011, 134; BGH ZInsO 2008, 1383). Die Norm ist über § 4 InsO im Insolvenzverfahren grundsätzlich anwendbar, jedenfalls soweit dies zur Erhaltung von Leben und Gesundheit des Schuldners oder naher Angehöriger erforderlich ist, z.B. bei Suizidgefahr wegen Verlust der Wohnung (BGH ZInsO 2008, 1383). Der Masse kraft Gesetz zugewiesene Vermögensgegenstände können ihr allerdings über § 765a ZPO nicht entzogen werden (BGH ZInsO 2008, 40).

Corona-Sonderzahlung - Pfändbarkeit
(Symbolfoto: PhotoSGH/Shutterstock.com)

In vorliegender Sache liegt indes kein laufendes, eröffnetes Verfahren mehr vor, in dem über § 35 InsO der Begriff der Masse definiert und eine „Beschlagnahme“ zu Gunsten der Masse eintritt. Vielmehr befindet sich die Schuldnerin in der WVP in der dem Schuldner (grundsätzlich) wieder die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zusteht, eine „Masse“ gesetzlich nicht definiert und „beschlagnahmt“ ist. Daher erfolgt eine Leistung an den Treuhänder auch nur im Rahmen der (freiwilligen) Abtretungserklärung. Folglich liegt kein Akt der Vollstreckung vor, folglich könnte eine Anwendbarkeit eines „Vollstreckungsschutzes“ auch schwierig bis ausgeschlossen sein.

Letztlich bleibt dann jedoch zum Schluss auch noch die inhaltliche Frage, ob die geleisteten Gelder „geschützt“ werden müssen. Nur für Beschäftige der Pflege ist kraft ausdrücklicher Anordnung in § 150a SGB XI Abs. 8 S. 4 diese Prämie unpfändbar gestellt worden. Außerhalb dieser Gruppe ist es indes fraglich, ob ein Pfändungsschutz zu gewähren ist. Rechtsgrundlage für die Pfändung von Arbeitseinkommen sind die § 828 ff. ZPO. Arbeitseinkommen kann nur nach Maßgabe der §§ 850a ff. ZPO gepfändet werden. Dieser Anspruch des Schuldners gegen den Arbeitgeber auf Auszahlung des Arbeitseinkommens gem. § 362 BGB erlischt wiederum (wie vorliegend) mit Gutschrift auf dem Konto. Mit dem Erlöschen des Anspruchs des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber infolge Gutschrift auf dem Schuldnerkonto entsteht ein entsprechender Auszahlungsanspruch gegen die Bank. Wird hierauf im Wege der Zwangsvollstreckung durch einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss – bzw. eine entsprechende Verfügung im Wege der Verwaltungsvollstreckung – zugegriffen, dann richtet sich der Pfändungsschutz ausschließlich nach § 850k, wenn das Konto als Pfändungsschutzkonto geführt wird. In diesem Fall kann der Schuldner trotz Kontenpfändung ohne weitergehenden Antrag automatisch über monatliche Freibeträge, deren Höhe sich aus § 850c bzw. der Anzahl der Unterhaltsberechtigten ergibt, frei verfügen, die dann von einer etwaigen Pfändung nicht erfasst werden (§ 850k Abs. 1 S. 1 ZPO). Allerdings kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag einen von den Absätzen 1, 2 Satz 1 Nr. 1 und Absatz 3 abweichenden pfändungsfreien Betrag festsetzen. In diesem Fall gelten unter anderem die §§ 850a, 850b, 850c, 850d Abs. 1 und 2, die §§ 850e, 850f, 850g und 850i sowie die §§ 851c und 851d entsprechend. Fest steht, dass die Coronaprämie sich unmittelbar nicht unter eine der in Vorschrift in Bezug genommen Normen subsumieren lässt. Wie auch das Amtsgericht Zeitz richtigerweise ausführt, liegt kein Fall von § 850i vor, da die Norm nur Vergütungen erfasst, die kein Arbeitseinkommen darstellen, was bei der Sonderzahlung durch den Arbeitgeber gerade nicht der Fall ist: Diese ist „Bestandteil des Arbeitsentgeltes“ (Ahrens, NJW-Spezial 2020, 342). (1) Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Rückgriff auf § 765a ZPO, der einen Auffangrechtsbehelf darstellt und Gesichtspunkte zur Geltung bringt, „die über das in den gesetzlich ausdrücklich geregelten Vollstreckungsschutzvorschriften Vorgesehene hinausgehen“ überhaupt zulässig ist, insbesondere da (s.o.) gerade keine Pfändung vorliegt. Selbst bejaht man die Anwendbarkeit des § 765a ZPO in diesem Falle bleibt die Frage, ob die gezahlte Prämie wirklich pfandfrei wäre.

Eine Forderung ist grundsätzlich der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. Wann Forderungen nicht übertragbar sind, ergibt sich aus § 399 BGB. Das ist der Fall, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann oder wenn die Abtretung durch Vereinbarung mit dem Schuldner ausgeschlossen ist. Dies führt zur Unpfändbarkeit, wenn der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht erreicht werden kann.

Das Amtsgericht Zeitz – wohlgemerkt in einem Falle der Einzelzwangsvollstreckung (und nicht der freiwilligen Abtretung) führt hierzu aus, die Coronaprämie solle ausschließlich dem Empfänger zugutekommen. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn die Forderung der Tilgung von Altschulden dient. Hierfür mag die durch den Erlass des Bundesministeriums der Finanzen und auch die vom Bundesminister der Finanzen herausgegebene Zielrichtung aber nur bedingt sprechen, sofern verlautbart wurde, dass „das Bundesfinanzministerium sicherstelle, dass diese Prämien ohne den Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bei den Beschäftigten“ ankommen. Diese „Sicherstellung“ betrifft nämlich einerseits nur die (in der eigenen Disposition stehenden) Steuerfreiheit. Ob das Finanzministerium aufgrund eines Erlasses mittelbar die Pfändbarkeit einschränken kann, erscheint aber äußerst fraglich. Zu beachten ist nämlich, dass die Vollstreckungsgläubiger einen durch Art. 14 GG verfassungsrechtlich (!) verbürgten Anspruch auf effektive Zwangsvollstreckung haben. Dafür, dass der Steuergesetzgeber mit seinem Erlass hierin eingreifen wollte und kann, ergeben sich gerade keine Hinweise. Vielmehr wurde – umgekehrt – eine Pfändungsfreiheit gerade explizit nur isoliert für eine Personengruppe installiert, was im Umkehrschluss gerade die Pfändbarkeit für alle übrigen vermuten lässt. Und auch die Frage, ob die Prämie dem Schuldner ungekürzt zugutekommt, wenn auf sie im Wege der Zwangsvollstreckung zugegriffen wird, lässt sich nach hiesiger Ansicht uneingeschränkt bejahen: schließlich werden die Gläubiger befriedigt und diese Tilgungswirkung kommt dem Schuldner selbstredend unmittelbar zugute, indem sie ihn bilanziell „reicher“ macht, Forderungen gegen ihn nicht mehr oder nicht mehr in voller Höhe bestehen.

Folgerichtig hat nun auch das LG Dresden (LG Dresden, Beschluss vom 09.02.2021, 5 T 11/21, ZVI 2021, 127ff) entschieden, dass ein solcher Corona-Bonus, den der Arbeitgeber bezahlt hat, weder gemäß §§ 850a, 850k ZPO bzw. § 765a ZPO noch nach § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI unpfändbar sei. Die letztgenannte Vorschrift erfasse (s.o.) nur solche Zahlungen, die einmalig an Beschäftigte von Pflegeeinrichtungen während der Corona-Pandemie bezahlt werden. „Der Gesetzgeber habe bewusst darauf verzichtet, auch Boni außerhalb von Medizin und Pflege steuerfrei zu stellen. Mehrarbeit des Schuldners hätte der Arbeitgeber durch entsprechende Lohnzuschläge auszugleichen gehabt. Die Abführung an den Treuhänder stelle für den Schuldner auch keine sittenwidrige Härte i. S. d. § 765a ZPO dar, weil der Schuldner mit seiner Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO auch die Abführung eines solchen Bonus in Kauf genommen habe“, so das Gericht.

Wie im bereits entschiedenen Fall ist der Schuldner auch hier weder bei einer Pflegeeinrichtung beschäftigt, noch erhält sie den Bonus einmalig, sondern nach eigenen Angaben ging dieser wiederholt ein. Die Situation der Schuldnerin ist zudem mit der Lage der Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen während der Pandemie nicht zu vergleichen, die bei der Pflege unausweichlich mit einer Vielzahl von alten und kranken Personen in engem körperlichen Kontakt stehen und dabei wegen der hohen Ansteckungsgefahr fortwährend ihre eigene Gesundheit riskieren. Vielmehr reduzieren sich die Angaben der Schuldnerin (siehe Schreiben vom 17.2.2021 AS 293) auf geleistete Mehrarbeit. Der Corona-Bonus auch nicht nach § 850k Abs. 4 ZPO i. V. m. einer analogen Anwendung von § 850a Nr. 3 ZPO dem Pfändungsschutz. Eine ausdehnende Auslegung der Ausnahmevorschrift in § 850a Nr. 3 ZPO kommt nicht in Betracht (Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 850a Rz. 1). Vollstreckungsschutz kann die Schuldnerin auch nicht nach § 765a Abs. 1 ZPO beanspruchen (s.o.). Zum einen liegt bereits keine Vollstreckung vor, sondern eine freiwillige Abtretung. Zum anderen liegt auch kein Verstoß gegen die guten Sitten oder eine besondere Härte vor. Als Ausnahmevorschrift ist diese Regelung eng auszulegen und greift nur ein, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (Zöller/Stöber, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 765a Rz. 5 m. w. N.). Ein entsprechender Schutz war daher abzulehnen.

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