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CoronaVO – befristete Untersagung des Betriebs von Prostitutionsstätten

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg – Az.: 1 S 3396/20 – Beschluss vom 12.11.2020

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 15.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im vorliegenden Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO – und parallel in einem Hauptsacheverfahren (1 S 3395/20) – gegen § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 23.06.2020 in der Fassung der Sechsten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 01.11.2020, die am 02.11.2020 in Kraft trat.

Sie betreibt eine Prostitutionsstätte in Baden-Württemberg. Sie macht geltend, durch die in § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO angeordnete Betriebsschließung werde verfassungswidrig in ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen. Die Vorschriften in §§ 28, 30 IfSG seien keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage, da sie dem Parlamentsvorbehalt nicht genügten. Der Beschluss der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten vom 28.10.2020 verstoße gegen Art. 110 GG. Denn entgegen der Zuständigkeitsordnung stehe es den Ländern vollkommen frei, über steuerfinanzierte Haushaltsmittel des Bundes zu verfügen. Die Gefährdungseinschätzung des Verordnungsgebers trage das absolute Verbot von Prostitutionsstätten jedenfalls nicht mehr. Die Kontaktnachverfolgung könne in Prostitutionsstätten besser gesichert werden als bei der Prostitutionsausübung in Hotels und privaten Apartments. Durch die Nutzung von Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution in Prostitutionsstätten entstehe im Hinblick auf Aerosole keine erhöhte Ansteckungsgefahr, da auch solche Zimmer regelmäßig gelüftet werden könnten. Das für Prostitutionsstätten entwickelte Hygienekonzept genüge den infektionsschutzrechtlichen Anforderungen. Zudem verstoße die ausnahmslose Schließung von Prostitutionsstätten gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Vergleich zu der ohne Einschränkungen erlaubten Prostitution außerhalb von Prostitutionsstätten.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Die angegriffene Vorschrift beruhe auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage und entspreche den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO in der Besetzung mit drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO). Die Besetzungsregelung in § 4 AGVwGO ist auf Entscheidungen nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht anwendbar (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.12.2008 – GRS 1/08 – ESVGH 59, 154).

Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Antrag ist zulässig.

Ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig, wenn ein in der Hauptsache gestellter oder noch zu stellender Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO voraussichtlich zulässig ist (vgl. zu dieser Voraussetzung Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 47 Rn. 387) und die gesonderten Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO erfüllt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Die Statthaftigkeit des Antrags in der Hauptsache folgt aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 4 AGVwGO. Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Dazu gehören Verordnungen – wie hier – der Landesregierung.

b) Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt.

c) Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Es genügt dabei, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheint (ausf. dazu Senat, Urt. v. 29.04.2014 – 1 S 1458/12 – VBlBW 2014, 462 m.w.N.). Nach diesem Maßstab besteht die Antragsbefugnis. Es ist möglich, dass die Antragstellerin jedenfalls in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.

d) Für den Antrag in der Hauptsache und den nach § 47 Abs. 6 VwGO liegt auch ein Rechtsschutzinteresse vor. Denn insoweit könnte die Antragstellerin mit einem Erfolg dieser Anträge ihre Rechtsstellung jeweils verbessern.

2. Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist aber nicht begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ist danach der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Ergibt diese Prüfung, dass ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich begründet wäre, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der streitgegenständlichen Satzung oder Rechtsvorschrift zu suspendieren ist. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug der Rechtsvorschrift vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 – 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381; Beschl. v. 16.09.2015 – 4 VR 2/15 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.08.2016 – 5 S 437/16 -, juris m.w.N.; Beschl. v. 13.03.2017 – 6 S 309/17 – juris). Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (BVerwG, Beschl. v. 18.05.1998 – 4 VR 2/98 – NVwZ 1998, 1065).

An diesen Maßstäben gemessen ist der Antrag der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung ihres Schriftsatzes von heute nicht begründet. Der Erfolg des Normenkontrollantrags, der sich gegen § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO richtet, ist offen (a). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten (b).

a) Die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache sind offen.

Zwar können infektionsschutzrechtliche Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus auf Ermächtigungsgrundlagen aus dem 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes gestützt und auch gegen sog. Nichtstörer gerichtet werden (aa). Eine Verletzung des Zitiergebots des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG durch die CoronaVO liegt voraussichtlich nicht vor (bb). Offen ist jedoch, ob die angefochtene Vorschrift des § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt (cc). Davon abgesehen dürfte ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vorliegen (dd-gg).

aa) Für die Regelungen in § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO besteht eine ausreichende Rechtsgrundlage in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG. Wenn – wie im Fall des Coronavirus unstreitig – eine übertragbare Krankheit festgestellt ist, können nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit durch eine Verordnung der Landesregierung getroffen werden. Mit solchen repressiven Bekämpfungsmaßnahmen gehen zulässigerweise auch stets präventive Wirkungen einher, solche präventiven Folgen sind gerade bezweckt. Daher ist die Landesregierung insbesondere nicht auf Maßnahmen nach § 16 oder § 17 IfSG beschränkt. Dabei ermächtigt § 28 Abs.1 IfSG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers zu Maßnahmen auch gegenüber Nichtstörern (vgl. ausf. zum Ganzen Senat, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 S 925/20 – juris; Beschl. v. 23.04.2020 – 1 S 1003/20 -; je m.w.N.).

bb) Die Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG verstößt nicht gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Insbesondere fallen berufsregelnde Gesetze nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht unter das Zitiergebot (vgl. auch hierzu bereits Senat, Beschl. v. 09.04.2020 und v. 23.04.2020, je a.a.O.).

cc) Ob die angefochtene Vorschrift in § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt, ist offen.

Es ist fraglich, ob Maßnahmen der Exekutive zur Bekämpfung der Corona-Pandemie noch mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts vereinbar sind, wenn die Maßnahmen bereits über einen längeren Zeitraum in Bezug auf dieselben Personen Grundrechtseingriffe bewirkt haben und weiter bewirken (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 S 925/20 – juris, und zuletzt BayVGH, Beschl. v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 -; jeweils m.w.N.). Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten zu entnehmen. Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers besteht insbesondere in mehrdimensionalen, komplexen Grundrechtskonstellationen, in denen miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Grundsätzlich können zwar auch Gesetze, die gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zu Rechtsverordnungen ermächtigen, den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Die Wesentlichkeitsdoktrin beantwortet daher nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich zu regeln ist. Sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie genau diese Regelungen im Einzelnen sein müssen (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.03.1989 – 1 BvR 1033/82 u.a. – BVerfGE 80, 1, 20; Beschl. v. 21.04.2015 – 2 BvR 1322/12 u.a. – BVerfGE 139, 19, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage etwa für die landesweite Schließung bestimmter Arten von privat betriebenen Dienstleistungsbetrieben und Verkaufsstellen durch eine Rechtsverordnung begründen (vgl. Senat, Beschl. v. 09.04.2020, a.a.O.) und zu langandauernden Eingriffen in grundrechtliche Freiheitsrechte durch die Exekutive ermächtigen (vgl. dazu BayVGH, Beschl. v. 29.10.2020, a.a.O.).

dd) Aus den vorgenannten Gründen stellt sich der Ausgang des Normenkontrollverfahrens in der Hauptsache gegenwärtig als offen dar. Darüber hinausgehende – überwiegende – Erfolgsaussichten weist der Normenkontrollantrag derzeit allerdings nicht auf. Insbesondere wird sich der Eingriff in das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) aller Voraussicht nach als verhältnismäßig erweisen.

Die angegriffene Vorschrift dürfte insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) sein.

Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit mit Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet und auch erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) noch gewahrt wird. Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann. Es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können. Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. dazu ausf. Senat, Beschl. v. 09.04.2020, a.a.O., und v. 30.04.2020 – 1 S 1101/20 -, je m.w.N.).

Diesen Anforderungen dürfte die angeordnete Schließung von Prostitutionsstätten gemäß § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO derzeit genügen.

(1) Mit der angefochtenen Bestimmung verfolgt der Verordnungsgeber ein legitimes Ziel (des Allgemeinwohls).

Der Verordnungsgeber der Sechsten Verordnung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 01.11.2020, mit der § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO eingeführt wurde, verfolgt mit § 1a ausweislich der Verordnungsbegründung (Begründung zu den wesentlichen Eckpunkten der Sechsten Änderungsverordnung, https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Coronainfos/201101_Begruendung_CoronaVO_Sechste_AenderungsVO_1.pdf, S. 2) das Ziel, physische Kontakte in der Bevölkerung vor dem Hintergrund des aktuellen Infektionsgeschehens um 75 % zu reduzieren. Zur Erreichung dieses Ziels enthält § 1a CoronaVO neben Regelungen zur Beschränkung von Kontakten im privaten Umfeld wie Feiern (vgl. § 1a Abs. 2 CoronaVO) in weiteren Absätzen Vorschriften, die darauf zielen, „[b]estimmte Einrichtungen, die darauf ausgerichtet sind, dass Menschen dort zusammenkommen,“ für einen begrenzten Zeitraum vorübergehend zu schließen oder einzuschränken. Der Verordnungsgeber hat sich hierbei dagegen entschieden, die Maßnahmen „auf wenige ausgewählte Bereiche und Einrichtungen mit einem besonders hohen Infektionsrisiko“ zu beschränken, weil dies seines Erachtens „angesichts des diffusen und lokal nicht eingrenzbaren Infektionsgeschehens weder mehr möglich noch ausreichend (ist), um eine weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhindern“ (Verordnungsbegründung, a.a.O., S. 3). Von den beschränkenden Maßnahmen „bewusst ausgenommen“ hat der Verordnungsgeber „Einrichtungen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt während der Pandemie und auch für die Zukunft der Gesellschaft und des Landes in besonderer Weise von essentieller Bedeutung sind, insbesondere die Bereiche ‚Kinderschutz‘, ‚Bildung‘ und ‚Kernbereiche der (nicht publikumsintensiven) Wirtschaft‘“ (Verordnungsbegründung ebd.).

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Das Ziel, physische Kontakte in der Bevölkerung vor dem Hintergrund des aktuellen Infektionsgeschehens um 75 % zu reduzieren, ist ein legitimes Ziel. Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 ist von der WHO als Pandemie eingestuft worden. Die bisherigen Erfahrungen in der Bundesrepublik und in anderen Staaten zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann. Entsprechend der aktuellen Einschätzung des dazu berufenen Robert-Koch-Instituts (vgl. Lagebericht vom 09.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-09-de.pdf?__blob=publicationFile), ist eine zunehmende Beschleunigung der Übertragungen des Coronavirus in der Bevölkerung zu beobachten. Die Inzidenz der letzten 7 Tage ist deutschlandweit auf 139 Fälle pro 100.000 Einwohner angestiegen. Seit Anfang September nimmt der Anteil älterer Personen unter den COVID-19-Fällen zu. Die 7-Tages-Inzidenz bei Personen über 60 Jahren liegt bei 94 Fällen/ 1000.000 Einwohner. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle hat sich in den vergangenen 2 Wochen von 1.362 Patienten am 26.10.2020 auf 3.005 Patienten am 09.11.2020 stark erhöht. Die berichteten R-Werte lagen seit Anfang Oktober stabil deutlich über 1. Aktuell liegt der R-Wert bei 1 oder knapp darunter, dies bedeutet, dass ein Infizierter im Schnitt ca. eine weitere Person ansteckt. Da die Zahl der infizierten Personen in Deutschland derzeit sehr hoch ist, bedeutet dies weiterhin eine hohe Zahl von Neuerkrankungen. Es steht zu befürchten, dass ab einer bestimmten Schwelle (in aktuellen wissenschaftlichen Einschätzungen wird die Zahl von weniger als 20.000 Neuinfektionen pro Tag in Betracht gezogen) die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verlorengeht. Bei Überschreitung des Schwellenwerts sind die Nachverfolgung einzelner Ausbrüche und strikte Isolationsmaßnahmen nicht mehr realisierbar und eine unkontrollierte Ausbreitung in alle Bevölkerungsteile einschließlich vulnerabler Gruppen zu befürchten (Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie zu einem wissenschaftlich begründeten Vorgehen gegen die Covid-19 Pandemie, 19.10.2020, https://www.g-f-v.org/sites/default/files/Stellungnahme%20John%20Snow%20Memorandum_Public_3.pdf).

Vor diesem Hintergrund hat sich der Verordnungsgeber – einem Beschluss der Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzlerin folgend – dazu entschlossen, weitergehende Maßnahmen zur Beschränkung des öffentlichen Lebens in Deutschlands am 28.10.2020 für die Zeit ab dem 02.11.2020 umzusetzen. Dem dient die in Streit stehende, ab dem 02.11.2020 geltende, Corona-Verordnung mit der im vorliegenden Verfahren angefochtenen Vorschrift. Der Verordnungsgeber ordnet darin in § 1a CoronaVO zeitlich bis zum 30.11.2020 begrenzt die Schließung zahlreicher Einrichtungen und Betriebe – darunter auch Prostitutionsstätten – sowie die Reduzierung privater Kontakte an. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Anzahl physischer Kontakte in der Bevölkerung signifikant zu reduzieren, um Infektionsketten zu unterbrechen und die weitere unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus abzubremsen. Der Verordnungsgeber hat sich entschieden, im Rahmen eines Gesamtkonzepts die Bereiche „Kinderschutz“, „Bildung“ sowie „Kernbereiche der (nicht publikumsintensiven) Wirtschaft“ von diesen Maßnahmen auszunehmen.

Mit den durch die Einschränkungen im Privatbereich sowie den umfassenden Schließungsanordnungen erwartbaren Kontaktreduzierungen soll die aufgrund des exponentiellen Anstiegs der Neuinfektionen in Gefahr stehende Überlastung des Gesundheitswesens abgewendet werden (Verordnungsbegründung a.a.O.). Hinzu kommt, dass die Fallverfolgung der Gesundheitsämter in Baden-Württemberg aufgrund der Vielzahl der Neuinfektionen in ca. 60 % der Fälle nicht mehr gelingt, was eine weitere unkontrollierte Ausbreitung zur Folge hat. Durch die Reduktion der Fallzahlen sollen auch die Gesundheitsämter wieder in die Lage versetzt werden, Infektionsketten nachzuvollziehen und damit wieder Kontrolle über das Infektionsgeschehen erlangen.

Legitimes Ziel der Regelung ist somit der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit jedes Einzelnen wie auch der Bevölkerung insgesamt, wofür den Staat gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG eine umfassende Schutzpflicht trifft (BVerfG, Beschluss vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 -, juris Rn. 13 f.).

(2) Die angefochtene Vorschrift stellt ein geeignetes Mittel dar, um die genannten legitimen Ziele zu erreichen.

Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann (vgl. nur Senat, Beschl. v. 09.04.2020, a.a.O., m.w.N.). Diese Voraussetzung erfüllt die angefochtene Vorschrift. Sie ist insbesondere dazu geeignet, Infektionsketten zu unterbrechen, das exponentielle Wachstum zu stoppen und die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verlangsamen.

Die Eignung der angefochtenen Bestimmung wird auch nicht durch das sinngemäße Vorbringen in Frage gestellt, dass Ausbruchsgeschehen in Prostitutionsbetrieben im Pandemieverlauf keine herausragende Rolle gespielt hätten. Denn die mit der angegriffenen Maßnahme bewirkte Reduzierung von Kontakten kann der Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus entgegenwirken. Auch die von der Antragstellerin angeführte „Gemeinsame Position von Wissenschaft und Ärzteschaft – Evidenz und Erfahrungswissen im weiteren Management der COVID-19-Pandemie berücksichtigen“ vom 29.10.2020 ist nicht dazu geeignet, die Eignung der von dem Antragsgegner in der angefochtenen Vorschrift ergriffenen Maßnahme in Frage zu stellen. Der Antragsgegner hat den ihm bei der Beurteilung der Eignung einer Maßnahme zustehenden Beurteilungsspielraum (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 u.a. – BVerfGE 90, 145, 172 f., und Senat, Beschl. v. 009.04.2020, a.a.O., jeweils m.w.N.) angesichts des oben skizzierten Stands des Infektionsgeschehens sowie der wissenschaftlichen Fachdiskussion aller Voraussicht nach nicht überschritten.

(3) Das Verbot in § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO ist zur Erreichung der von dem Verordnungsgeber verfolgten Ziele auch aller Voraussicht nach im Rechtssinne erforderlich.

Ein Gesetz ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können, wobei dem Gesetzgeber auch insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984, a.a.O., und v. 09.03.1994, a.a.O., jeweils m.w.N.).

Der Erforderlichkeit der streitgegenständlichen Anordnung steht vorliegend ebenfalls nicht der Einwand der Antragstellerin entgegen, dass von Prostitutionsbetrieben ausgehende Ansteckungsgefahr gegenüber anderen Infektions-umfeldern keine hervorgehobene Rolle spiele. Unbeschadet des Umstands, dass die diesbezügliche Auswertung des Robert Koch-Instituts zum Infektionsgeschehen lediglich auf dem Datenstand vom 11.08.2020 beruht (vgl. Epidemiologisches Bulletin 38/2020 vom 17.09.2020, S. 6) und dass es fraglich ist, ob für Prostitutionsstätten nach der langen Schließung überhaupt belastbare Daten vorhanden sind, liegt nach den derzeit bekannten, durch das RKI ausgewerteten Daten derzeit ein zumeist diffuses Infektionsgeschehen, mit zahlreichen Häufungen im Zusammenhang mit privaten Feiern im Familien- und Freundeskreis, in Gemeinschaftseinrichtungen, Alten- und Pflegeheimen sowie im beruflichen Bereich vor. Aktuell können 75 % der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus keiner bestimmten Infektionsquelle zugeordnet werden (vgl. Lagebericht RKI v. 03.11.2020 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-03-de.pdf?__blob=publicationFile). Folglich sind Infektionsumfelder in vielen Fällen nicht mehr eindeutig zuordenbar, damit lassen sich auch empirische Nachweise, welche Bereiche tatsächlich hohe Infektionsgefahren bergen und somit „Treiber der Pandemie“ wären, nicht mehr belastbar erbringen. Damit sind auch zielgenaue Eingriffe nicht mehr möglich.

Wie sich in den letzten Wochen gezeigt hat, waren trotz der in weiten Bereichen entwickelten Hygienekonzepte und der allgemeinen in der CoronaVO angeordneten Hygienemaßnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot, Teilnahmeverbote, Datenerhebung zur Kontaktnachverfolgung) viele Infektionen nicht zu verhindern, das Coronavirus konnte sich auch außerhalb von sog. „Hotspots“ in beinahe allen Teilen des Bundesgebiets ausbreiten und hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt wieder zu einem exponentiellen Wachstum geführt.

Nach diesem Sachstand sind damit auch die von der Antragstellerin aufgezeigten alternativen Maßnahmen insbesondere aus dem Bereich der von ihr bereits umgesetzten Hygienevorgaben nicht ebenso effektiv wie ein Betriebsverbot, mit dem eine Infektion vor Ort sicher ausgeschlossen werden kann.

(4) Die Betriebsuntersagung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Eingriffszweck und Eingriffsintensität stehen voraussichtlich in einem angemessenen Verhältnis zueinander.

Der Antragsgegner verfolgt mit den oben beschriebenen Zielen den Schutz von hochrangigen, ihrerseits den Schutz der Verfassung genießenden wichtigen Rechtsgütern. Die Vorschrift dient, wie gezeigt, dazu, – auch konkrete – Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen abzuwehren. Die angefochtene Norm bezweckt zugleich, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland durch die Verlangsamung des Infektionsgeschehens sicherzustellen. Der Antragsgegner kommt damit der ihn aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich treffenden Schutzpflicht nach.

Der Senat misst den von dem Antragsgegner verfolgten Eingriffszwecken ein sehr hohes Gewicht bei. Er geht insbesondere davon aus, dass die Gefahren, deren Abwehr die angefochtene Vorschrift dient, derzeit in hohem Maße bestehen und das derzeit bereits bestehende exponentielle Wachstum in kurzer Zeit weiter ansteigen kann. Das RKI führt in seiner „Risikobewertung zu COVID-19“ (Stand 26.10.2020) unter anderem aus:

„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit und in angrenzenden Ländern Europas nimmt die Anzahl der Fälle rasant zu. Seit Ende August (KW 35) werden wieder vermehrt Übertragungen in Deutschland beobachtet.

Der Anstieg wird durch Ausbrüche, insbesondere im Zusammenhang mit privaten Treffen und Feiern sowie bei Gruppenveranstaltungen, verursacht. Bei einem zunehmenden Anteil der Fälle ist die Infektionsquelle unbekannt. Es werden wieder vermehrt COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gemeldet und die Zahl der Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen, hat sich in den letzten zwei Wochen mehr als verdoppelt. Nach wie vor gibt es keine zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig. Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch.“ (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, zuletzt abgerufen am 05.11.2020).

Diese Einschätzung des RKI beruht auf einer Auswertung der zurzeit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und ist inhaltlich nachvollziehbar. Sie gibt dem Senat Anlass, die vom Antragsgegner mit § 1a Abs. 1 CoronaVO verfolgten Zwecke mit einem sehr hohen Gewicht in die gebotene Abwägung einzustellen. Dies rechtfertigt es gegenwärtig zweifellos, weiterhin auch normative und mit Grundrechtseingriffen verbundene Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen.

Die dem entgegenstehenden – grundrechtlich geschützten – Belange der Antragstellerin, die für die Beurteilung der Zumutbarkeit der angefochtenen Bestimmung und des mit ihr bewirkten Grundrechtseingriffs zu berücksichtigen sind, weisen ein beachtliches Gewicht auf. Die von den Schließungen betroffenen Einrichtungen werden dadurch in vielen Fällen spürbare wirtschaftliche Einbußen erleiden, die sie ohne Kompensationsmaßnahmen auch existentiell treffen können. Auch die Antragstellerin hat für ihren konkreten Einzelfall – wenn auch in Höhe und Auswirkung teils unsubstantiiert, so doch – im Kern glaubhaft dargelegt, dass von der angefochtenen Vorschrift wirtschaftlich erheblich betroffen wird.

Diese Beeinträchtigungen sind der Antragstellerin aber bei der gebotenen Abwägung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumutbar. Ihren Belangen gegenüber stehen die ebenfalls gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener, für die der Staat nach Art. 2 Abs. 2 GG eine Schutzpflicht hat, und die damit verbundene Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands. Zum Überwiegen dieser Belange trägt derzeit bei, dass zur Abmilderung der zu erwartenden wirtschaftlichen Einbußen weitgehende Kompensationsmaßnahmen vorgesehen sind. In der die Beschlüsse der Ministerpräsidenten vom 29.10.2020 flankierenden Begründung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie heißt es hierzu:

„Die Bundesregierung erweitert die Hilfsangebote in Form von Zuschüssen für Unternehmen, Selbstständige und Einrichtungen, die durch die am 28.10.20 für den Monat November 2020 beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie besonders betroffen sind. Es werden kurzfristig für diese Unternehmen zusätzliche, am Umsatzausfall während des Lockdown orientierte Hilfen bereitgestellt, die die bestehenden Unterstützungsprogramme, insbesondere das Fixkosten-Zuschussprogramm der Überbrückungshilfe II, ergänzen. Die Bundesregierung arbeitet unter Hochdruck daran, die Beantragung, effiziente Bearbeitung und Auszahlung dieser neuen zusätzlichen Hilfen so schnell wie möglich durchführbar zu machen. Weitere Informationen dazu folgen.

Die neuen Hilfen werden zusätzlich zu den laufenden Überbrückungshilfen angeboten. Die von den Corona-bedingten Maßnahmen/Schließungen betroffenen Unternehmen können in jedem Fall die Überbrückungshilfe II beantragen. Das Antragsverfahren ist seit dem 21. Oktober 2020 möglich.“ (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Coronavirus/coronahilfe.html, abgerufen am 03.11.2020)

Aktuell hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hierzu auf seiner Website ausgeführt:

„Für die außerordentliche Wirtschaftshilfe gelten folgende Rahmenbedingungen:

1. Gesamtvolumen: Die außerordentliche Wirtschaftshilfe wird ein Finanzvolumen von voraussichtlich ca. 10 Milliarden Euro haben.

2. Antragsberechtigung: Antragsberechtigt sind direkt von den temporären Schließungen betroffene Unternehmen, Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen und indirekt betroffene Unternehmen nach folgender Maßgabe:

Direkt betroffene Unternehmen: Alle Unternehmen (auch öffentliche), Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen, die auf der Grundlage des Beschlusses des Bundes und der Länder vom 28. Oktober 2020 erlassenen Schließungsverordnungen der Länder den Geschäftsbetrieb einstellen mussten. Hotels zählen als direkt betroffene Unternehmen.

Indirekt Betroffene Unternehmen: Alle Unternehmen, die nachweislich und regelmäßig 80 Prozent ihrer Umsätze mit direkt von den Schließungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen erzielen.

Verbundene Unternehmen – also Unternehmen mit mehreren Tochterunternehmen oder Betriebstätten – sind dann antragsberechtigt, wenn mehr als 80 Prozent des verbundweiten Gesamtumsatzes auf direkt oder indirekt betroffene Verbundunternehmen entfällt. Erstattet werden bis zu 75 Prozent des Umsatzes der betroffenen Verbundunternehmen. Dies betrifft etwa eine Holdinggesellschaft, die sowohl Restaurants (geschlossen) und Einzelhandelsunternehmen (weiter geöffnet) hält – hier wird die Nothilfe gezahlt, wenn die Restaurants zu mehr als 80 Prozent des Umsatzes der Holdinggesellschaft beitragen.

3. Welche Förderung gibt es? Mit der Novemberhilfe werden Zuschüsse pro Woche der Schließungen in Höhe von 75 Prozent des durchschnittlichen wöchentlichen Umsatzes im November 2019 gewährt bis zu einer Obergrenze von 1 Mio. Euro, soweit der bestehende beihilferechtliche Spielraum des Unternehmens das zulässt (Kleinbeihilfenregelung der EU).

Zuschüsse über 1 Millionen Euro bedürfen für die Novemberhilfe noch der Notifizierung und Genehmigung der EU-Kommission. Die Bundesregierung ist derzeit in intensiven Gesprächen mit der Europäischen Kommission, um eine solche Genehmigung für höhere Zuschüsse zu erreichen.

Soloselbstständige können als Vergleichsumsatz alternativ zum wöchentlichen Umsatz im November 2019 den durchschnittlichen Wochenumsatz im Jahre 2019 zugrunde legen. Bei Antragsberechtigten, die nach dem 31. Oktober 2019 ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen haben, kann als Vergleichsumsatz der durchschnittliche Wochenumsatz im Oktober 2020 oder der durchschnittliche Wochenumsatz seit Gründung gewählt werden.

4. Anrechnung erhaltener Leistungen: Andere staatliche Leistungen, die für den Förderzeitraum November 2020 gezahlt werden, werden angerechnet. Das gilt vor allem für Leistungen wie Überbrückungshilfe oder Kurzarbeitergeld.

5. Anrechnung von erzielten Umsätzen im Monat November: Wenn im November trotz der grundsätzlichen Schließung Umsätze erzielt werden, so werden diese bis zu einer Höhe von 25 Prozent des Vergleichsumsatzes nicht angerechnet. Um eine Überförderung von mehr als 100 Prozent des Vergleichs-Umsatzes zu vermeiden, erfolgt bei darüberhinausgehenden Umsätzen eine entsprechende Anrechnung.

Für Restaurants gilt eine Sonderregelung, wenn sie Speisen im Außerhausverkauf anbieten. Hier wird die Umsatzerstattung auf 75 Prozent der Umsätze im Vergleichszeitraum 2019 auf diejenigen Umsätze begrenzt, die dem vollen Mehrwertsteuersatz unterliegen, also die im Restaurant verzehrten Speisen. Damit werden die Umsätze des Außerhausverkaufs – für die der reduzierte Mehrwertsteuersatz gilt – herausgerechnet. Im Gegenzug werden diese Umsätze des Außerhausverkaufs während der Schließungen von der Umsatzanrechnung ausgenommen, um eine Ausweitung dieses Geschäfts zu begünstigen. Beispiel: Eine Pizzeria hatte im November 2019 8.000 Euro Umsatz durch Verzehr im Restaurant und 2.000 Euro durch Außerhausverkauf. Sie erhält daher 6.000 Euro Novemberhilfe (75 Prozent von 8.000 Euro), d. h. zunächst etwas weniger als andere Branchen (75 Prozent des Vergleichsumsatzes). Dafür kann die Pizzeria im November 2020 deutlich mehr als die allgemein zulässigen 2.500 Euro (25 Prozent von 10.000 Euro) an Umsatz mit Lieferdiensten erzielen, ohne dass eine Kürzung der Förderung erfolgt.

6. Antragstellung: Die Anträge können in den nächsten Wochen über die bundeseinheitliche IT-Plattform der Überbrückungshilfe gestellt werden (www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de). Die elektronische Antragstellung muss hierbei durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer erfolgen. Die Auszahlung soll über die Überbrückungshilfe-Plattform durch die Länder erfolgen.

Für Soloselbständige, die nicht mehr als 5.000 Euro Förderung beantragen, entfällt die Pflicht zur Antragstellung über einen prüfenden Dritten. Sie werden unter besonderen Identifizierungspflichten direkt antragsberechtigt sein.“

(https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/11/20201105-ausserordentliche-wirtschaftshilfe-november-details-der-hilfe-stehen.html)

Hinzu kommt in der gebotenen Abwägung der Umstand, dass die von der Antragstellerin beanstandete Maßnahme – wie der Verordnungsgeber in der Begründung zur Verordnung ausdrücklich betont (a.a.O., S. 7) und in § 21 Abs. 3 CoronaVO normiert hat – zeitlich begrenzt wurde und die angefochtene Vorschrift mit Ablauf des 30.11.2020 außer Kraft tritt. Die Schließung von Betrieben unterliegt als dauerhaft eingreifende Maßnahme der Verpflichtung der Landesregierung zur fortlaufenden Überprüfung, insbesondere wie wirksam die Maßnahmen im Hinblick auf eine Verlangsamung der Verbreitung des Coronavirus sind und wie sich die Schließungen für die betroffenen Betriebe auswirken. Die Landesregierung ist dieser Verpflichtung seit Beginn der Pandemie jedenfalls ganz überwiegend nachgekommen (ähnlich zu anderen betrieblichen Schließungsanordnungen OVG Bln.-Bdbg., Beschl. v. 23.03.2020 – 11 S 12/20 – juris; BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611 – juris). Offenkundig werden neue medizinische und epidemiologische Erkenntnisse fortlaufend in den Entscheidungsprozess des Verordnungsgebers einbezogen.

In der gebotenen Zusammenschau dieser Gesichtspunkte und insbesondere vor dem Hintergrund der oben genannten finanziellen Kompensationsmaßnahmen erweisen sich die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Antragstellerin derzeit als angemessen (verhältnismäßig i.e.S.).

Der Verordnungsgeber wird allerdings künftig gehalten sein, besonders kritisch im Blick zu behalten, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Maßnahmen das verfolgte Ziel tatsächlich erreichen und ob das Gesamtkonzept der Infektionsschutznahmen in der Corona-Verordnung weiterhin in sich stimmig ist. Unter Berücksichtigung der Entwicklung der Infektionszahlen sowie der daraus gegebenenfalls resultierenden Belastung des Gesundheitswesens, wird er vor dem Hintergrund der bereits bewirkten Grundrechtseingriffe fortlaufend besonders gründlich zu bewerten haben, ob die getroffenen Maßnahmen noch angemessen sind oder ob die Infektionsketten und die Infektionsgefahr auch mit milderen Eingriffen als beherrschbar angesehen werden können. Er wird dabei insbesondere zu berücksichtigen haben, dass die in § 1a CoronaVO angeordneten Maßnahmen nun – nach den bereits im Frühjahr 2020 erlassenen und größtenteils zwischenzeitlich wieder aufgehobenen Betriebsschließungen sowie der durchgängigen erhöhten Hygieneerfordernisse – bereits zum zweiten Mal und hier auch wieder für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum erlassen wurden und den Betroffenen dadurch erneut Opfer abverlangt werden.

ee) In der durch § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO angeordneten zeitlich befristeten Schließung von Prostitutionsstätten liegt voraussichtlich gegenwärtig noch kein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG in seiner Ausgestaltung als Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Dieses Recht vermittelt lediglich einen Bestandsschutz. Es schützt nicht bloße Gewinn- und Umsatzchancen sowie tatsächliche Gegebenheiten (vgl. BVerfG, Urt. v. 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11 -, BVerfGE 143, 246-396, juris Rn. 372; im Einzelnen Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Februar 2020, Art. 14 Rn. 204 ff. m.w.N.). Selbst wenn die angefochtene Vorschrift als Inhalts- und Schrankenbestimmung einzuordnen wäre, würde sie sich derzeit aus den oben genannten Gründen voraussichtlich als verhältnismäßig erweisen.

ff) Ein Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG der Antragstellerin dürfte ebenfalls aus o.g. Gründen (dd) verhältnismäßig sein.

gg) Auch der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist voraussichtlich nicht verletzt. Er gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt“ (vgl. stRspr; vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 05.10.1993 – 1 BvL 34/81 – BVerfGE 89, 132 <141>). Weiterhin ist der allgemeine Gleichheitssatz auch dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfG, Beschl. v. 18.07.2005 – 2 BvF 2/02 – BVerfGE 113, 167 m.w.N.).

Der aus Art. 3 Abs. 1 GG für den parlamentarischen Gesetzgeber folgende Maßstab gilt für die normsetzende Exekutive entsprechend. Allerdings ist der dem Verordnungsgeber zukommende Gestaltungsspielraum enger. Ein solcher besteht von vornherein nur in dem von der gesetzlichen Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen (Art. 80 Abs. 1 GG). Der Verordnungsgeber darf keine Differenzierungen vornehmen, die über die Grenzen einer formell und materiell verfassungsmäßigen Ermächtigung hinaus eine Korrektur der Entscheidungen des Gesetzgebers bedeuten würden. In diesem Rahmen muss er nach dem Gleichheitssatz im wohlverstandenen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung handeln und hat sich von sachfremden Erwägungen freizuhalten (BVerfG, Beschl. v. 23.07.1963 – 1 BvR 265/62 – BVerfGE 16, 332, 338 f.; Beschl. v. 12.10.1976 – 1 BvR 197/73 – BVerfGE 42, 374, 387 f.; Beschl. v. 23.06.1981 – 2 BvR 1067/80 – BVerfGE 58, 68, 79; Beschl. v. 26.02.1985 – 2 BvL 17/83 – BVerfGE 69, 150, 160; Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl., Art. 80 Abs. 1 GG Rn. 73). Der Verordnungsgeber soll das Gesetz konkretisieren und „zu Ende denken“, weiter gehen seine Befugnisse jedoch nicht. Er muss daher den Zweckerwägungen folgen, die im ermächtigenden Gesetz angelegt sind. Gesetzlich vorgegebene Ziele darf er weder ignorieren noch korrigieren (Senat, Beschl. v. 30.04.2020 – 1 S 1011/20 -; Nierhaus, in: BK, Art. 80 Abs. 1 GG Rn. 330, 336 [Stand: November 1998]).

Die Regelungen der Landesregierung in den auf § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG gestützten Corona-Verordnungen haben sich daher an den Zwecken dieser bundesgesetzlichen Verordnungsermächtigung auszurichten, wenn sie Ungleichbehandlungen vornehmen (Senat, Beschl. v. 20.05.2020 – 1 S 1442/20 – juris, und v. 30.04.2020, a.a.O.). Hieraus folgt, dass Ungleichbehandlungen grundsätzlich allein aus infektionsschutzrechtlichen Gründen erfolgen dürfen, da nur zu diesem Zweck die Verordnungsermächtigung erteilt ist. Denn § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG geben nur Befugnisse zu Schutzmaßnahmen aus Gründen des Infektionsschutzes, soweit und solange diese zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich sind (Senat, Beschl. v. 30.04.2020, a.a.O.).

Zu diesen infektionsschutzrechtlichen Gründen, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen können, treten überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls hinzu, die voraussichtlich Ungleichbehandlungen ebenfalls erlauben können. Solche überragend wichtigen Gründe des Gemeinwohls können beispielsweise für eine bevorzugte Öffnung des Einzelhandels für solche Güter – wie z.B. Lebensmittel – sprechen, die der unmittelbaren Grundversorgung der Bevölkerung dienen (Senat, Beschl. v. 20.05.2020, a.a.O., und v. 30.04.2020, a.a.O.; ähnlich OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 17.04.2020 – 11 S 22/20 – juris Rn. 25). Denn solche gegenständlich eng begrenzten Bevorzugungen bestimmter Einzelhandelsgeschäfte dürften im wohlverstandenen Sinn der dem Verordnungsgeber erteilten Ermächtigung liegen, da der Parlamentsgesetzgeber diese aller Wahrscheinlichkeit nach vorsehen würde, wenn er diese Frage selbst regelte (vgl. Senat, Beschl. v. 30.04.2020, a.a.O.). Ähnliches gilt für pädagogisch begründete Differenzierungen im Schulbereich (vgl. Senat, Beschl. v. 18.05.2020 – 1 S 1357/20 – juris).

Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dem Verordnungsgeber Differenzierungen aus anderen als infektionsschutzrechtlichen Gründen und überragend wichtigen Gründen des Gemeinwohls nach Art. 3 Abs. 1 GG gestattet sind, ist offen. Zweifelhaft ist insbesondere, ob beim Erlass infektionsschutzrechtlicher Verordnungen auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen sind, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (so NdsOVG, Beschl. v. 27.04.2020 – 13 MN 98/20 – juris Rn. 64). Dagegen spricht, dass solche Belange nicht infektionsschutzrechtlich begründet sind und auch kaum im wohlverstandenen Sinn der dem Verordnungsgeber erteilten infektionsschutzrechtlichen Ermächtigung liegen. Sie gehen vielmehr über diese Ermächtigung deutlich hinaus und würden – wären sie zulässig – dem Verordnungsgeber Differenzierungen jeder Art, z.B. aus Gründen der Wirtschaftspolitik, der Regionalförderung, des Umweltschutzes gestatten, mit der Folge, dass die nicht infektionsschutzrechtlich begründeten Differenzierungen letztlich im Belieben des Verordnungsgebers stünden (vgl. Senat, Beschl. v. 30.04.2020, a.a.O.).

Es kann zwar sachliche Gründe für Ungleichbehandlungen und Differenzierungen geben, die weder im Infektionsschutzrecht wurzeln noch überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls darstellen. Das kann insbesondere in Betracht kommen, wenn es nach einem umfassenden sog. Lockdown um die teilweise Wiedergestattung bisher untersagter Tätigkeiten geht (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 30.04.2020, a.a.O.), oder wenn – wie im Kern hier – zur Vermeidung eines erneuten vollständigen Lockdowns darüber zu entscheiden ist, welche Teilbereiche des wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Lebens eingeschränkt werden und welche Teilbereiche davon einstweilen ausgenommen werden sollen. In solchen Fallkonstellationen können unter Umständen verschiedene, infektionsschutzrechtlich gleichwertige Lösungen in Betracht kommen (vgl. Senat, Beschl. v. 30.04.2020, a.a.O.), unter denen der parlamentarische Gesetzgeber willkürfrei und ohne sonstigen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auswählen könnte. Offen ist jedoch, ob solche weitergehenden Auswahlmöglichkeiten auch dem Verordnungsgeber offenstehen, der in dem gewaltenteilenden Rechtsstaat von Verfassungs wegen von vornherein über einen erheblich geringeren Gestaltungsspielraum (auch) bei der Entscheidung über Ungleichbehandlungen von Grundrechtsträgern verfügt.

Diese Frage stellt sich im Hinblick auf Prostitutionsstätten jedoch voraussichtlich nicht (vgl. hingegen zu anderen Betrieben Senat, Beschl. v. 06.11.2020 – 1 S 3388/20 – [Gaststätte], Beschl. v. 06.11.2020 – 1 S 3386/20 [Hotel], Beschl. v. 06.11.2020 – 1 S 3382/20 – [Fitnessstudio]).

Prostitutionsstätten gemäß § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO befristet zu schließen, den Einzelhandel jedoch von den derzeitigen Betriebsuntersagungen auszunehmen, verstößt voraussichtlich nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn die Erbringung sexueller Dienstleistungen in Prostitutionsbetrieben ist notwendigerweise auf engsten Körperkontakt ausgerichtet und begründet daher gegenüber dem Einzelhandel eine erhöhte Infektionsgefahr. Die Prostitution ist auf sexuelle Erregung gerichtet, die mit einer deutlich gesteigerten Atemfrequenz und daher mit einem erhöhten Aerosolausstoß verbunden ist. Zudem findet sie in geschlossenen Räumen statt, in denen typischerweise erhöhte Infektionsgefahren bestehen (vgl. bereits Senat, Beschl. v. 31.08.2020 – 1 S 2455/20 – m.w.N. aus der Rspr. des Senats). Aufgrund dieser erheblich höheren Infektionsgefahr in Prostitutionsbetrieben im Vergleich zum Einzelhandel sind Einzelhandel und Prostitution im Rahmen der Prüfung des Gleichheitssatzes bereits keine im Wesentlichen gleichen Sachverhalte. Die durch § 1a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 CoronaVO bewirkte Ungleichbehandlung dürfte daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein.

Auch eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Verhältnis zur Erbringung sonstiger sexueller Dienstleistungen, die außerhalb des Anwendungsbereichs von § 2 Abs. 3 ProstSchG stattfindet, vermag der Senat weiterhin nicht zu erkennen. Dass z.B. das Empfangen einer Prostituierten in der eigenen Wohnung oder in einem Hotel nicht verboten ist, rechtfertigt sich damit, dass der Staat aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht in die Intimsphäre seiner Bürger eindringen möchte (so auch Nds. OVG, Beschl. v. 09.06.2020 – 13 MN 211/20 -, juris Rn. 47). Im Übrigen dürfte von „Hausbesuchen“ grundsätzlich eine niedrigere Infektionsgefahr ausgehen, als von der Nutzung der selben Räumlichkeit von einer Vielzahl von wechselnden Kunden (vgl. bereits Senat, Beschl. v. 13.07.2020 – 1 S 1907/20 -).

b) Nach der im Hinblick auf die offenen Erfolgsaussichten erforderlichen Folgenabwägung kann der Senat ein deutliches Überwiegen der von der Antragstellerin geltend gemachten Belange gegenüber den von dem Antragsgegner vorgetragenen gegenläufigen Interessen derzeit nicht feststellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung erscheint daher nicht dringend geboten.

Der Senat unterstellt – ungeachtet des insoweit unsubstantiierten Vortrags – im vorliegenden Einzelfall, dass für die Antragstellerin erhebliche Auswirkungen im Raum stehen, die durch die einmonatige Schließung ihres Betriebs zu erwarten sind, und dies sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz erheblich treffen kann, ihre finanziellen Einbußen jedoch abgefedert werden. Aus den soeben dargelegten Gründen kommt allerdings den ebenfalls gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und der damit verbundenen Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands ein größeres Gewicht zu. Ein deutliches Überwiegen der von der Antragstellerin geltend gemachten Belange gegenüber den gegenläufigen Interessen des Antragsgegners vermag der Senat daher derzeit nicht festzustellen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 39 Abs. 1 GKG. Der Streitwert ist daher nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Da sich die Antragstellerin gegen die Schließung ihrer Prostitutionsstätte wendet, nimmt der Senat die Festsetzung des Streitwerts in Anlehnung an Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Danach ist für eine Gewerbeuntersagung der Streitwert nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens auf 15.000,– EUR festzusetzen. Der sich daraus ergebende Streitwert ist im vorliegenden Eilverfahren wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu reduzieren (vgl. auch insoweit Senat, Beschl. v. 13.07.2020, a.a.O.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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