OLG Bamberg
Az.: 2 Ss OWi 195/12
Beschluss vom 09.03.2012
I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 7. November 2011 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 07.11.2011 wegen einer am 17.06.2011 fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h zu einer Geldbuße verurteilt. Daneben hat es gegen den Betroffenen wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes ein (Regel-)Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Zur Begründung wird auf die auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung der Verteidigung im Ergebnis zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg Bezug genommen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Unabhängig davon, ob der Betroffene gehalten gewesen wäre, in der Hauptverhandlung entsprechende Beweisanträge zu stellen, erweisen sich die beiden geltend gemachten Aufklärungsrügen – auf Einholung eines Sachverständigengutachten/Einnahme eines Augenscheins einerseits bzw. weitere „Einvernahme“ des Betroffenen andererseits – bereits deshalb als unzulässig, weil das Rechtsbeschwerdegericht aufgrund des Vortags in der Rechtsbeschwerdebegründung nicht in die Lage versetzt wird, zu prüfen, weshalb sich das Amtsgericht gedrängt sehen musste, eine weitere Beweiserhebung durchzuführen. In beiden Fällen stützt sich die Beschwerdebegründung darauf, der Zeuge bzw. der Betroffene habe in der Hauptverhandlung etwas anderes ausgesagt, als es das Amtsgericht festgestellt habe. Mit dieser Begründung ist eine Aufklärungsrüge nicht zulässig, weil sich das Rechtsbeschwerdegericht nicht über das Verbot der Rekonstruktion der Beweisaufnahme hinwegsetzen darf (Cirener NStZ-RR 2012, 65, 70 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 14.04.2011 – 4 StR 571/10 = StraFo 2011, 229 f. = StV 2011, 453 f. = NStZ 2011, 590 f.).
2. Bei der Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge stehen dem Senat nur die schriftlichen Urteilsgründe zur Verfügung.
a) Gegen den Schuldspruch bestehen – worauf die Generalstaatanwaltschaft zutreffend hinweist – keine rechtlichen Bedenken. Soweit mit der Rechtsbeschwerde auch geltend gemacht wird, „ein fahrlässiges Verhalten war dem Betroffenen deshalb schon nicht vorzuwerfen, weil ein über das normale Augenblicksversagen hinausgehender Fall vorliege“, erweist sich dies als unzulässiger Angriff gegen die Feststellungen.
b) Auch der Rechtsfolgenausspruch ist im Ergebnis nicht zu beanstanden:
aa) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts erfüllt der hier vorliegende Geschwindigkeitsverstoß die Voraussetzungen für einen Regelfall nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV. Gegen den Betroffenen wurde am 10.06.2010, rechtskräftig seit 29.06.2010, wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h (Tatzeit: 15.04.2010) eine Geldbuße von 120 € verhängt. Wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 28 km/h (Tatzeit: 09.09.2009) wurde gegen den Betroffenen am 27.08.2010, rechtskräftig seit 11.09.2010, eine Geldbuße von 300 € verhängt. Bei der verfahrensgegenständlichen Tat am 17.06.2011 kam es zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h. Bei solchen Zuwiderhandlungen ist regelmäßig ein beharrlicher Pflichtverstoß i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, bei dem ein Absehen vom Fahrverbot nur bei Vorliegen wesentlicher Besonderheiten in Betracht kommt.
bb) Insoweit ist der Rechtsbeschwerde allerdings zuzugeben, dass das Amtsgericht sich hier fehlerhaft nicht mit dem Vorliegen eines sogenannten Augenblicksversagens auseinandergesetzt hat. Auch bei Vorliegen einer beharrlichen Pflichtverletzung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV kann es an der individuellen Vorwerfbarkeit fehlen, wenn der Verstoß nur auf einfacher/leichter Fahrlässigkeit beruht (König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Aufl. § 25 StVG Rn. 23). Trotz der gewichtigen Indizwirkung hat sich der Bußgeldrichter jedenfalls dann mit der Frage des Vorliegens einer leichten Fahrlässigkeit auseinander zu setzen, wenn aufgrund der Einlassung des Betroffenen dazu Anlass besteht (Burmann/Heß/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 22. Aufl. § 25 StVG Rn. 18 m.w.N).
cc) Das war hier grundsätzlich der Fall. Denn nach der im Urteil wiedergegebenen und im Rahmen der Sorgfaltswidrigkeitsprüfung hinsichtlich des Schuldspruchs auch teilweise berücksichtigten Einlassung des Betroffenen, die Geschwindigkeitsbeschränkung an dieser Stelle sei ihm nicht bekannt gewesen, das auf der rechten Fahrbahnseite befindliche Verkehrszeichen sei durch einen LKW verdeckt gewesen, beide Verkehrszeichen (also auch das auf der linken Seite angebrachte) seien direkt an der Kreuzung und in großer Höhe angebracht, wegen des auf der rechten Seite stehenden LKW und Gegenverkehrs habe er das linke Zeichen nicht wahrgenommen, lag es jedenfalls nicht fern, dass das Übersehen des auf der linken Seite angebrachten Verkehrszeichens auf leichter Fahrlässigkeit beruhte. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht hinreichend deutlich, dass sich der Tatrichter einer solchen Möglichkeit bewusst war.
dd) Das berührt indessen den Bestand der Rechtsfolgenentscheidung im Ergebnis nicht. Da insoweit alle erforderlichen Feststellungen getroffen wurden, kann der Senat selbst entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG). Dabei geht der Senat zugunsten des Betroffenen davon aus, dass das rechte Verkehrszeichen durch einen LKW verdeckt war und das Übersehen des auf der linken Seite angebrachten Verkehrszeichens auf leichter Fahrlässigkeit beruhte. Auch in diesem Fall ist allerdings nach Auffassung des Senates aufgrund einer Gesamtabwägung der Einzelfallumstände die Verhängung eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Pflichtverletzung geboten. Dies ergibt sich aus folgendem:
(1) Nach gefestigter Rechtsprechung der Obergerichte kann derjenige sich nicht auf „einfache Fahrlässigkeit“ berufen, wenn er die an sich gebotene Aufmerksamkeit in grob verkehrswidriger Weise unterlassen hat (König a.a.O. Rn. 20, 21, 23). Ein solcher Fall ist auch gegeben, wenn der Verkehrsteilnehmer nicht nur die durch das Verkehrszeichen 274 angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h sondern auch die normalerweise innerörtlich zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h in nicht unerheblicher Weise überschritten hat (OLG Bamberg, Beschluss vom 01.06.2010 3 Ss OWi 814/10 [bei juris] = VRR 2010, 350 [Deutscher] = VA 2010, 193 [Ls]; König a.a.O.; Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 3. Aufl. Rn. 1026, 984 jew. m.w.N). Hier wurde bei dem Betroffenen innerhalb der Ortschaft eine Geschwindigkeit von 60 km/h festgestellt, was nach Abzug der Messtoleranz eine Überschreitung um 7 km/h ergibt. Auch wenn dem Betroffenen insoweit nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, ist die Überschreitung jedenfalls nicht als unerheblich anzusehen (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2004, 211 [für eine Überschreitung um 9 km/h]). Ob eine solche Überschreitung allein zur Bejahung des subjektiven Vorwurfs der Beharrlichkeit ausreicht, oder ob dies erst ab einer Überschreitung von mindestens 26 km/h der Fall sein kann (krit. insoweit Burhoff/Deutscher Rn. 1026 m.w.N), bedarf keiner Entscheidung, weil hier noch weitere Aspekte hinzukommen:
(2) Zum einen war der Betroffene bereits vor dem eigentlichen Geschwindigkeitsverstoß nach seiner eigenen Einlassung (Abbiegen in eine ihm unbekannte Straße, haltender LKW auf der rechten Seite unmittelbar im Kreuzungsbereich, Gegenverkehr im Kreuzungsbereich) zu einer erhöhten Aufmerksamkeit auch hinsichtlich der in der unbekannten Straße geltenden Geschwindigkeit verpflichtet, zumal er – wie § 39 Abs. 1a StVO zeigt – nicht ohne weiteres darauf vertrauen konnte, dass in der ihm unbekannten Straße die innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h galt. Zum anderen kann die Vorahndungslage nicht unberücksichtigt bleiben. Der Betroffene ist innerhalb eines Jahres vor der verfahrensgegenständlichen Tat bereits zweimal wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mindestens 26 km/h rechtskräftig vorgeahndet, zuletzt nur etwa 9 Monate vor der verfahrensgegenständlichen Tat. Darüber hinaus hat er vier weitere Vorahndungen wegen eines Verkehrsverstoßes, drei davon betreffen Geschwindigkeitsüberschreitungen, wobei in einem Fall ein Fahrverbot verhängt und auch vollstreckt wurde. Dies zeigt, dass es der Betroffene mit der Einhaltung der Vorschriften des Straßenverkehrs, insbesondere der Geschwindigkeitsregeln, nicht so genau nimmt. Unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles ist der Senat der Auffassung, dass trotz der entlastenden Umstände (leicht fahrlässiges Übersehen des Verkehrszeichens, keine Vorsatztat) die Verhängung des Regelfallfahrverbotes angezeigt ist.
ee) Die schriftlichen Urteilsgründe tragen auch die Verneinung einer unzumutbaren Härte. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ist erst dann das Absehen von der Anordnung eines nach § 25 Abs. 1 StVG gebotenen Fahrverbots aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG in Erwägung zu ziehen, wenn der Betroffene Tatsachen substantiiert und verifizierbar vorträgt, die die Annahme einer Gefahr für seine wirtschaftliche Existenz in ihrer gegenwärtigen Form selbst für den Fall „greifbar“ erscheinen lassen, dass der Betroffene alle ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, die geboten erscheinen, die Auswirkungen eines – hier nur einmonatigen – Fahrverbots gering zu halten (BVerfG NJW 1995, 1541). Solche Tatsachen hat das Amtsgericht nicht feststellen können. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Rechtsbeschwerdevorbringen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.