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Haftung bei Auffahrunfall an einer ampelgeregelten Kreuzung

AG Hanau, Az.: 35 C 182/15 (15), Urteil vom 28.06.2016

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner zu verurteilen, 1.535,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.07.2015 an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von Sachverständigenkosten in Höhe von 607,50 € gemäß Rechnung der Sachverständigenstelle vom 12.06.2015 freizustellen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 09.06.2015 in Hanau zu ersetzen, soweit diese nicht auf Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die … Rechtsschutzversicherung 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.09.2016, die Beklagte zu 1) bereits seit 17.09.2016, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers haben die Beklagten als Gesamtschuldner 54 % zu tragen, im Übrigen fallen sie der Beklagten zu 1) zur Last.

Die Beklagten tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu voll streckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 6.722,01 € festgesetzt.

Tatbestand

Haftung bei Auffahrunfall an einer ampelgeregelten Kreuzung
Symbolfoto: Sutichak/ Bigstock

Der Kläger und die Beklagte zu 1) machen wechselseitig Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend.

Am 09.06.2015 stand die Beklagte zu 1) und Widerklägerin (im Folgenden: Beklagte zu 1)) mit ihrem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw als erstes Fahrzeug auf dem linken Fahrstreifen der Straße „Kanaltorplatz“ vor der Kreuzung zur Straße „Am Steinheimer Tor“ in Hanau auf der linken von zwei Linksabbiegerspuren. Die Kreuzung ist mit einer Lichtzeichenanlage geregelt.

Als die Ampel auf grünes Licht umschaltete, fuhr die Beklagte zu 1) in die Kreuzung ein. Dort bremste sie ihr Fahrzeug bis zum Stillstand ab, wobei der Grund hierfür zwischen den Parteien streitig ist. Der Kläger und Widerbeklagte (im Folgenden: Kläger), der mit seinem Pkw hinter dem Fahrzeug der Beklagten zu 1) aus derselben Richtung kommend in die Kreuzung eingefahren war, fuhr mit seinem Fahrzeug auf das Beklagtenfahrzeug auf.

Nach dem Unfall setzte der Kläger eine handschriftliche Erklärung auf, welche die Beklagte zu 1) unterschrieb und wegen deren Einzelheiten auf Bl. 9 d.A. Bezug genommen wird.

Das Fahrzeug des Klägers wies vor dem Zusammenstoß einen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 2.900,00 € auf. Unter Berücksichtigung des Unfallschadens besteht noch ein Restwert von 1.320,00 €. Der Kläger macht mit dem Klageantrag zu 1) die Differenz der genannten Beträge unter Abzug einer Umsatzsteuerdifferenz nach § 25a UStG in Höhe von 69,60 € sowie eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € geltend.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, 1.535,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.07.2015 an ihn zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn von Sachverständigenkosten in Höhe von 607,50 € gemäß Rechnung der Sachverständigenstelle vom 12.06.2015 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 09.06.2015 in Hanau zu ersetzen, soweit diese nicht auf Dritte übergegangen sind oder noch übergehen;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die … Rechtsschutzversicherung 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, die Beklagte zu 1) habe abgebremst, da sie vor sich eine durchgezogene Linie und links ein Schild „Durchfahrt verboten“ gesehen und bemerkt habe, dass sie versehentlich in Richtung des linken Fahrstreifens der Straße „Am Steinheimer Tor“, der in die entgegengesetzte Fahrtrichtung führt, gefahren sei.

Die Beklagte zu 1) behauptet, sie habe sich bereits langsam fahrend über die Gegenfahrspuren bewegt. Für einen von hinten heranfahrenden umsichtigen Fahrer sei ihre zögernde Fahrweise erkennbar gewesen. Eine Schadenshöhe von mehr als 5.000,00 € brutto, wie sie sich aus dem Gutachten über die Schäden des Beklagtenfahrzeugs ergebe, zeige eine deutlich erhöhte Geschwindigkeit des Klägers. Der Kläger sei mittig auf das Heck des Beklagtenfahrzeugs aufgefahren. Sie habe nach dem Unfall unter Schock gestanden und sei vom Kläger bedrängt worden, ein Schuldeingeständnis zu unterzeichnen.

Am Fahrzeug der Beklagten zu 1) entstand ein Schaden, der Reparaturkosten in Höhe von 5.255,37 € nach sich zog. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Schaden an ihrem Fahrzeug entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 716,00 €. Sie macht darüber hinaus eine Wertminderung in Höhe von 500,00 €, einen Nutzungsausfallschaden von sieben Tagen zu jeweils 38,00 € in Höhe von insgesamt 266,00 €, eine Unkostenpauschale in Höhe von 30,00 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 662,24 € unter Abzug der von Seiten der Haftpflichtversicherung des Klägers geleisteten Zahlungen (3.153,22 € auf die Reparaturkosten, 300,00 € auf die Wertminderung, 429,60 € auf die Sachverständigenkosten, 15,00 € auf die Unkostenpauschale sowie 413,64 € auf die Rechtsanwaltskosten) geltend.

Die Beklagte zu 1) behauptet, ihr Fahrzeug habe sich in der Zeit vom 19.06.2015 bis zum 24.06.2015 zur Behebung des Unfallschadens in der Reparaturwerkstatt befunden.

Die Beklagte zu 1) beantragt widerklagend,

den Kläger zu verurteilen, 3.118,15 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2015 an sie zu zahlen.

Der Kläger beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Wesentlichen begründet, die Widerklage ist unbegründet.

Die Beklagten sind als Gesamtschuldner verpflichtet, dem Kläger seinen gesamten Schaden zu ersetzen, der ihm anlässlich des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls entstanden ist, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 823 BGB – hinsichtlich der Beklagten zu 2) aus den genannten Vorschriften i. V. m. § 115 Abs. 1 Ziff. 1 VVG.

Bereits aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt sich, dass der Verkehrsunfall durch ein erhebliches Verschulden der Beklagten zu 1) verursacht wurde. Wie die Beklagten einräumen, fuhr die Beklagte zu 1) in den Kreuzungsbereich ein, als die Lichtzeichenanlage grünes Licht anzeigte, bremste ihr Fahrzeug aber, obwohl es keinen verkehrsbedingten Grund hierfür gab, im Kreuzungsbereich bis zum Stillstand ab. Damit verstieß sie gegen ihre sich aus § 4 Abs. 1 S. 2 StVO ergebende Pflicht, nicht ohne zwingenden Grund stark zu bremsen. Der Verstoß stellt sich hier als besonders gravierend dar, da der Abbremsvorgang mitten auf einer durch Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzung stattfand, die im Interesse des Verkehrsflusses und zur Abwendung einer Gefährdung für den kreuzenden Verkehr grundsätzlich zügig zu durchfahren ist.

Ein Verschulden des Klägers steht gegen demgegenüber nicht fest. Zwar ist der Verkehrsteilnehmer gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO verpflichtet, einen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten, der in der Regel so groß ist, dass auch dann hinter diesem angehalten, wenn plötzlich abgebremst wird. Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut („in der Regel“) ergibt, gilt dies aber nicht uneingeschränkt. So ist in der Rechtsprechung und der Literatur anerkannt, dass etwa beim Überqueren einer übersichtlichen Kreuzung bei grünem Licht der Nachfolgende nicht mit einem plötzlichen Bremsmanöver sondern nur mit einem allmählichen, verkehrsgerechten Bremsen des Vordermannes zu rechnen hat (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage, Rdn. 13 zu § 4 StVO mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden auf Seiten des Klägers ist damit nicht gegeben.

Ein konkreter Vortrag zu einer überhöhten Geschwindigkeit auf Seiten des Klägers liegt ebenso wenig vor wie dahingehende Beweisantritte.

Ob sich das Unfallereignis aus Sicht des Klägers als unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG darstellte, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Gegenüber der durch das grobe Verschulden der Beklagten zu 1) deutlich erhöhten Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs träte die einfache Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs im Rahmen einer gemäß § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der unterschiedlichen Verursachungsbeiträge vollständig mit der Folge zurück, dass eine Mithaftung des Klägers nicht gegeben wäre.

Die Schadenshöhe ist zwischen den Parteien unstreitig. Ihre Berechnung begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken. Im Hinblick auf die entstandenen Sachverständigenkosten haben die Beklagten den Kläger gem. § 249 BGB von der entstandenen Zahlungsverpflichtung freizustellen. Wie von den Beklagten nicht in Zweifel gezogen wurde, ist der Kläger auch berechtigt, die entstandenen Rechtsanwaltskosten für seine Rechtsschutzversicherung geltend zu machen.

Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Im Hinblick darauf, dass der Kläger eine Reparatur durchführen lassen will, hat er ein rechtliches Interesse an der begehrten Einstandspflicht der Beklagten, § 256 ZPO.

Der Zinsanspruch ist im zuerkannten Umfang gemäß den §§ 280, 286, 288 BGB begründet. Eine Verzinsungspflicht hinsichtlich des Freistellunganspruchs besteht auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhalts indessen nicht.

Aus dem oben zur Frage der Haftungsverteilung Gesagten ergibt sich umgekehrt auch, dass der Beklagten zu 1) ein Anspruch gegen den Kläger nicht zusteht, so dass die Widerklage abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 2 Ziff. 1, 100 Abs. 1, 2 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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