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Reitunfall – Beweislast – Schaden auf tierische Natur des Pferdes zurückzuführen

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 4 U 19/10 .- Urteil vom 14.12.2011

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 14. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die gegnerische Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn C… D… auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des Insolvenzschuldners gegen die Streithelferin aus einer Tierhalterhaftpflichtversicherung in Anspruch.

Der Inanspruchnahme liegt ein Schadensereignis in Gestalt eines Reitunfalls vom 7. September 2002 zugrunde:

An diesem Tag hatte die damals 17-jährige Klägerin gemeinsam mit der Tochter des Insolvenzschuldners, der Zeugin H… D…, einen mehrstündigen Reitausflug in der Umgebung von T… unternommen. Die Klägerin ritt bei diesem Ausflug das Pferd P…, ein 11jähriges englisches Vollblut, das die Zeugin H… D… von ihrem Großvater geschenkt bekommen hatte und das auf dem Hof des Insolvenzschuldners eingestellt war.

Gegen Ende des Ausfluges ereignete sich unter Umständen, deren Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind, ein Unfall dergestalt, dass die Klägerin in Höhe einer Weggabelung, in deren Mitte sich seinerzeit eine Eiche befand, vom Pferd fiel und sich insbesondere eine schwere Kopfverletzung zuzog. Das Pferd P… trug in Zusammenhang mit dem Unfall eine Verletzung am vorderen oberen rechten Bein im Bereich des Übergangs zum Rumpf am Buggelenk mit einem Durchmesser von ca. 10 cm davon.

Aufgrund der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen, wegen deren Einzelheiten auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen wird, ist die Klägerin bis heute linksseitig gelähmt, hat Sprechstörungen und ist sowohl auf den Rollstuhl als auch in vielfältiger Weise auf fremde Hilfe angewiesen.

Reitunfall - Beweislast - Schaden auf tierische Natur des Pferdes zurückzuführen
Symbolfoto: Von Steve Horsley/Shutterstock.com

Die Klägerin hat behauptet, sie sei – insoweit unstreitig – im Galopp und ohne Reithelm geritten. Auf Höhe eines Abzweigs sei P… plötzlich durchgegangen und habe sie durch eine Drehung nach rechts abgeworfen. Die Zeugin H… D… sei hinter ihr geritten. Sie habe das Pferd nicht herumgerissen und beide Tiere seien auch nicht miteinander kollidiert. Die Verletzung des Pferdes P… sei bei dem Unfall selbst entstanden. Aus der durch den Zeugen I… gefertigten Unfallskizze sei erkennbar, dass die Geschädigte an der Weggabelung links an der Eiche habe vorbeireiten wollen, dass Pferd dann jedoch nach rechts gezogen und sie abgeworfen habe.

Der Beklagte und die Streithelferin haben den Unfallhergang bestritten; sie haben insbesondere in Abrede gestellt, dass die spezifische Tiergefahr des Pferdes P… ursächlich für den Unfall geworden ist. Sie haben die Auffassung vertreten, der Klägerin sei unter verschiedenen Gesichtspunkten (z.B. wegen Reitens im Galopp auf sandiger Strecke) ein Mitverschulden zur Last zu legen. Ein Mitverschulden treffe diese jedenfalls deshalb, weil sie keinen Reithelm getragen habe; mit Reithelm hätte die Klägerin keine oder jedenfalls keine derart gravierenden Kopfverletzungen davongetragen. Sie haben die Einrede der Verjährung sowohl in Bezug auf die ursprüngliche Klageforderung als auch in Bezug auf die Klageerweiterung erhoben. Schließlich haben der Beklagte und die Streithelferin sich unter verschiedenen Gesichtspunkten darauf berufen, es bestehe kein Versicherungsschutz für den streitgegenständlichen Unfall.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C… D… und H… D… und sodann die Klage abgewiesen. Es hat dahinstehen lassen, ob der Reitunfall auf der Verwirklichung der sog. spezifischen Tiergefahr beruht und die insoweit beweispflichtige Klägerin diesen Umstand bewiesen habe. Der Anspruch bestehe bereits deshalb nicht, weil sich die Klägerin ein so überwiegendes Mitverschulden entgegenhalten müsse, dass die in Betracht kommende Gefährdungshaftung des Pferdehalters dahinter zurücktrete.

Derjenige, der die Obhut über ein Tier übernommen habe, müsse die Vermutung des § 834 BGB gegen sich gelten lassen, dass ihn ein Verschulden treffe und dieses Verschulden für den Schaden ursächlich geworden sei. Dies gelte auch im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses. Es obliege infolgedessen der Klägerin die Verschuldens- und Verursachungsvermutung zu widerlegen.

Den ihr danach obliegenden Entlastungsbeweis habe die Klägerin nicht geführt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei vielmehr davon auszugehen, dass die Klägerin sich in erheblichem Maße sorgfaltspflichtwidrig verhalten habe. Sie hätte ohne weiteres erkennen können und müssen, dass ein Galoppieren auf einem relativ schmalen Waldweg erhebliche Gefahren berge. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei P… um ein temperamentvolles, schnelles Pferd gehandelt habe, das besonderes, wenn es allein im Gelände geritten worden sei, bisweilen nervös und schwierig gewesen sei. Es spreche einiges dafür, dass das Pferd aufgrund der Länge des Ausritts, zum Zeitpunkt des Unfalls bereits 3 bis 4 Stunden, ermüdet gewesen sei. Hinzu komme, dass es offenbar das Gelände im Bereich der Unfallstelle nicht gekannt habe. Schließlich erweise es sich auch als Verstoß gegen die zu erwartende Sorgfalt, dass die Klägerin auf einem relativ schmalen Waldweg in schnellem Galopp ohne Reithelm unterwegs gewesen sei. Das sich hieraus ergebende erhebliche Gefahrenpotential insbesondere für Kopfverletzungen, wie sie die Klägerin erlitten habe, liege auf der Hand. Die Frage der Üblichkeit des Tragens eines Reithelms zum Unfallzeitpunkt bedürfe keiner Klärung.

Gegen dieses, ihr am 21. Januar 2010 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 11. Februar 2010 eingelegten und am 24. Februar 2010 begründeten Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageziel in vollem Umfang weiter verfolgt.

Sie macht geltend, das Landgericht hätte seine Hinweispflicht verletzt, soweit es erstmals in seinem Urteil den Haftungsmaßstab des § 834 BGB herangezogen habe. Es habe auch nicht berücksichtigt, dass die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 6. April 2006 ihre Eigenschaft als Tierhüterin bestritten habe. § 834 BGB könne auch nicht zur Anwendung kommen, da die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls minderjährig gewesen sei und ihre sorgeberechtigte Mutter weder von der Tatsache Kenntnis gehabt habe, noch eingewilligt oder eine nachträgliche Genehmigung dahin erteilt habe, dass die Klägerin P… reiten dürfe.

Die Klägerin sei aber auch nicht Tierhüterin. Dies gelte insbesondere, weil die Klägerin während des gesamten Ausritts in Begleitung der Eigentümerin des Pferdes gewesen sei; insoweit fehle es auch an der für einen Tierhüter erforderlichen Selbständigkeit.

Die Klägerin habe ferner die erforderliche Sorgfalt beim Reiten des Pferdes beachtet. Der Waldweg sei nicht schmal gewesen; ein vier Meter breiter Waldweg sei durchaus geeignet, darauf im Galopp zu reiten. Die Schlussfolgerung des Landgerichts, das Pferd sei ermüdet gewesen, sei nicht nachvollziehbar und treffe nicht zu. Die zeitweilige „Zickigkeit“ des Pferdes könne nicht allein der Klägerin angelastet werden. Dass die Klägerin ohne Helm geritten sei, sei für die Sorgfaltspflicht des § 834 BGB nicht relevant; sondern lediglich im Rahmen eines Mitverschuldens zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils der 1. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 14. Januar 2010 den Beklagten zu verurteilen,

1. an die Klägerin aus der dem Insolvenzschuldner zustehenden Forderung gegen die F… als Haftpflichtversicherer zu zahlen

a) ein angemessenes Schmerzensgeld,

b) einen angemessenen Geldbetrag als Fortkommensschaden,

c) Schadensersatz für materielle Schäden in Höhe von 129.840,07 €

nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit Rechtshängigkeit,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr aus der dem Insolvenzschuldner zustehenden Forderung gegen die F… als Haftpflichtversicherer alle weiteren immateriellen und materiellen Schäden, die aus dem Reitunfall vom 7. September 2002 künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Der Beklagte und seine Streithelferin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen mit näheren Ausführungen das Urteil des Landgerichts. Sie machen insbesondere weiterhin geltend, die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis dafür, dass sich bei dem Unfall die spezifische Tiergefahr des Pferdes verwirklicht habe, nicht geführt. Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass die Mutter der Klägerin über deren Ausritt auf dem Pferd P… und dessen Herkunft keine Kenntnis gehabt habe. Die Klägerin sei auch in keiner Weise von den Weisungen der Zeugin H… D… als Eigentümerin des Pferdes abhängig gewesen. Sie halten auch weiterhin an ihrer Auffassung fest, der Anspruch sei verjährt.

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Der Senat hat die Ermittlungsakte 381 Js 35553/5 der Staatsanwaltschaft Neuruppin beigezogen. Ferner hat er gemäß Beweisbeschluss vom 4. August 2010 (Bl. 633 f. d.A.) durch Vernehmung der Zeugen H… D… und K… I… sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 24. November 2010 (Bl. 648 ff. d.A.) und vom 9. November 2011 (Bl. 770 ff. d.A.) und das schriftliche Gutachten des Sachverständigen M… L… vom 23. März 2011 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung gemäß § 833 S. 1 BGB i.V.m. § 157 VVG in der bis zum 31. Dezember 2007 gültigen Fassung (Art. 1 Abs. 2 EGVVG).

1.

Allerdings greift die erhobene Einrede der Verjährung nicht durch.

Die dreijährige Regelverjährung des § 195 BGB n.F. begann für sämtliche hier geltend gemachten Ansprüche mit Ablauf des 31. Dezember 2002 und hätte regulär mit Ablauf des 31. Dezember 2005 geendet. Die Verjährung war indes gemäß § 203 Satz 1 BGB in dem Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis wenigstens zum 28. November 2005, d.h. für mindestens zwei Jahre, 10 Monate und 28 Tage gehemmt und endete daher frühestens mit Ablauf des 28. November 2008. Zuvor war dem Beklagten jedoch selbst der Klageerweiterungsschriftsatz vom 20. Oktober 2008 zugegangen – er hat hierauf bereits unter dem 28. Oktober 2008 erwidert.

Der Senat hält an seinen Rechtsausführungen zu Ziffer II. 2. im Beschluss vom 21. August 2008 (Bl. 283 ff. d.A.) fest, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Die dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch:

Insbesondere können der Beklagte und seine Streithelferin nicht mit Erfolg geltend machen, die Klägerin sei nicht schutzwürdig, da ihre gesetzliche Vertreterin mit ihrem Schreiben vom 5. Dezember 2002 an die Streithelferin selbst die Verhandlungen beendet habe, so dass es dem Haftpflichtversicherer nicht zuzumuten sei, über die Ansprüche zu entscheiden und so ggf. erst eine Klage des Geschädigten zu provozieren.

Mit dem Schreiben vom 5. Dezember 2002 sind Verhandlungen zwischen dem Insolvenzschuldner und der Klägerin schon deshalb nicht abgebrochen worden, weil mit diesem Schreiben überhaupt keine Erklärung gegenüber dem Insolvenzschuldner abgegeben worden ist, sondern allein gegenüber der Streithelferin des Beklagten. Soweit der Insolvenzschuldner und die Vertreterin der Klägerin die Fortführung ihrer Verhandlungen konkludent vom Ergebnis der Prüfung durch die Streithelferin abhängig gemacht haben, bedeutet dies nicht etwa, dass die Verhandlungen nunmehr im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Streithelferin geführt wurden.

Die Streithelferin ist durch das vorgenannte Schreiben selbst oder das Ausbleiben der in diesem Schreiben angekündigten Mitteilung ausführlicher Informationen zum Unfallhergang auch nicht an einer weiteren Prüfung der Ansprüche oder deren zeitnahem Abschluss gehindert worden. Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Streithelferin die Klägerin über deren Prozessbevollmächtigte zur Vorlage weiterer Unterlagen aufgefordert und damit selbst zu erkennen gegeben hat, dass sie die Berechtigung des Anspruchs weiterhin (und trotz des Schreibens vom 5. Dezember 2002) prüfte.

Es erschließt sich nicht, weshalb es einem Haftpflichtversicherer nicht zumutbar sein soll, die Prüfung von Ansprüchen abzuschließen – und sei es auch mit der Begründung, ihm lägen keine hinreichenden Tatsachen für die Annahme einer Haftung seines Versicherungsnehmers vor und dieses Ergebnis dem Versicherungsnehmer mitzuteilen.

2.

Entscheidende Voraussetzung für den im vorliegenden Verfahren allein streitgegenständlichen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn C… D… aus § 157 VVG a.F. auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des Insolvenzschuldners gegen die Streithelferin als Haftpflichtversicherer ist das Bestehen eines Schadensersatzanspruches der Klägerin gegen den Insolvenzschuldner aus § 833 S. 1 BGB.

Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. April 2009 zum Az. IX ZR 23/08. Der Bundesgerichtshof verneint in dieser Entscheidung die Frage, ob einem Geschädigten gegen den Insolvenzverwalter über das Vermögen des haftpflichtversicherten Schädigers ein Anspruch auf Ersatz des Schadens oder auf Feststellung der entsprechenden Ersatzpflicht zusteht, nachdem der Insolvenzverwalter die Deckungsansprüche des Insolvenzschuldners gegen den Haftpflichtversicherer aus der Masse freigegeben hat. Soweit der Bundesgerichtshof (a.a.O. Rn. 6) zur Begründung ausgeführt hat, der Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Insolvenzschuldner sei nicht Streitgegenstand, sondern nur Vorfrage des geltend gemachten Absonderungsrechts und zudem nur Insolvenzforderung, die den gegen den Insolvenzverwalter geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht rechtfertigen könne, hat der Bundesgerichtshof damit lediglich der Auffassung des Berufungsgerichts eine Absage erteilt, dieser Anspruch könne auch im Falle der Freigabe des Deckungsanspruches (noch) gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

Dies ändert nichts daran, dass die Klägerin als Geschädigte im vorliegenden Fall, in dem eine Freigabe des Deckungsanspruches durch den Beklagten nicht erfolgt ist, das Recht aus § 157 VVG a.F. auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des Insolvenzschuldners gegen den Haftpflichtversicherer – die Streithelferin – ohne Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren durch unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter – hier den Beklagten – geltend machen kann, freilich beschränkt auf die Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den Versicherer (vgl. dazu nur: BGH, Urteil vom 25. April 1989 – VI ZR 146/88 – Rdnr. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, § 110 VVG Rn. 17). § 157 VVG a.F. (nunmehr § 110 VVG) stellt gerade sicher, dass der geschädigte Dritte bei Insolvenz des Versicherungsnehmers mit seinem Haftpflichtanspruch nicht auf die Insolvenzquote verwiesen werden muss, sondern ein unmittelbares auf Zahlung gerichtetes Einziehungsrecht analog § 1282 BGB gegen den Versicherer erwirbt.

Das Absonderungsrecht aus § 157 VVG a.F. (§ 110 VVG n.F.) besteht nur, wenn dem Dritten ein Schadensersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer/Insolvenzschuldner zusteht (Schwintowski/Brömmelmeyer, a.a.O., Rn. 3). Das Bestehen des Haftpflichtanspruches ist deshalb als Vorfrage im Rahmen der auf § 157 VVG a.F. gestützten Klage zu klären.

Dass das klägerseits geltend gemachte Absonderungsrecht auf Befriedigung aus der Versicherungsforderung, d.h. versicherungsrechtlich betrachtet aus dem Deckungsverhältnis, gerichtet ist, bestimmt lediglich die Rechtsfolge des Anspruchs auf Absonderung, nicht jedoch dessen Voraussetzungen.

Einen anderen Schluss lässt auch das beklagtenseits in Bezug genommene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 1956 (- VI ZR 223/54 – VersR 1956, 620) nicht zu. Dieses Urteil spricht vielmehr gerade für die hier vertretene Auffassung. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof lediglich klargestellt, dass die Klage, soweit sie den dortigen Erstbeklagten betraf, nach Aufnahme des Rechtsstreits durch den Konkursverwalter über das Vermögen des Erstbeklagten als Klage gerichtet auf abgesonderte Befriedigung aus dem Deckungsanspruch auszulegen war und daran auch die Beendigung des Konkursverfahrens durch Zwangsvergleich nichts änderte. In Bezug auf das Bestehen des Anspruchs selbst hat sich der Bundesgerichtshof nur mit der Frage des Bestehens eines Schadensersatzanspruches der dortigen Kläger gegen den haftpflichtversicherten Erstbeklagten befasst.

Darauf, ob der Deckungsanspruch besteht, kommt es im Rahmen einer auf § 157 VVG a.F. gestützten Klage nicht an. Für die Anwendung der Grundsätze zum vorweggenommenen Deckungsprozess besteht – entgegen der Auffassung des Beklagten – kein Raum. Diese Grundsätze besagen, dass Tatsachen, die Voraussetzung für den Haftpflichtanspruch sind, auch bereits in einem vor dem Haftpflichtprozess geführten Deckungsprozess ohne Bindung an die Behauptungen des Dritten zum Bestehen des Haftpflichtanspruches zu prüfen sind, soweit sie (als doppelt relevante Tatsachen) auch für den zeitlichen und räumlichen Umfang des Versicherungsschutzes und für Ausschlüsse von Bedeutung sind (vgl. dazu nur: Prölss/Martin-Lücke, VVG, 28. Aufl., § 100 Rn. 48). Zum einem handelt es sich bei der vorliegenden Klage nicht um den Deckungsprozess, sondern um den Haftpflichtprozess, der lediglich infolge der Insolvenz des Versicherungsnehmers mit dem Ziel der abgesonderten Befriedigung geführt wird. Zum anderen handelt es sich bei den zwischen den Parteien in Bezug auf den Deckungsanspruch streitigen Tatsachen auch nicht um dieselben Tatsachen, die für den Haftpflichtanspruch aus § 833 S. 1 BGB von Bedeutung sind.

Man mag allenfalls erwägen können, ob eine auf § 157 VVG a.F. gestützte Klage – etwa unter dem Gesichtspunkt eines mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses – unzulässig ist, wenn das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsverhältnisses, das eine Entschädigungsforderung des Insolvenzschuldners begründen könnte, von vornherein nicht in Betracht kommt. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Es ist vielmehr unstreitig, dass zwischen dem Insolvenzschuldner und der Streithelferin ein Versicherungsvertrag geschlossen worden ist, der auch seine Haftung als Tierhalter umfasste. Streitig sind lediglich der Umfang des Versicherungsschutzes in seinen Einzelheiten sowie die Frage, ob die Streithelferin leistungsfrei geworden ist. Diese Fragen wären jedoch – auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses – nicht im Haftpflichtprozess, sondern erst in einem gegen die Streithelferin zu führenden Deckungsprozess zu klären. Erst in diesem Verfahren würde sich auch die Frage stellen, ob die Entscheidung über den Haftpflichtanspruch gemäß § 154 abs. 1 VVG a.F. (§ 106 VVG n.F.) Bindungswirkung für das Deckungsverhältnis entfaltet.

3.

Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch aus § 833 S. 1 BGB gegen den Insolvenzschuldner nicht zu. Sie hat weder zu beweisen vermocht, dass ihre Verletzung „durch ein Tier“ – hier: durch das Pferd P… – verursacht wurde, noch hat sie die nach § 834 BGB analog gegen sie sprechende Vermutung, dass sie ein Verschulden trifft und dieses Verschulden für den Schaden ursächlich geworden ist, widerlegt.

2.

Der Klägerin steht ein Anspruch aus § 833 S. 1 BGB i.V.m. § 116 SGB X gegen den Insolvenzschuldner nicht zu. Sie hat weder zu beweisen vermocht, dass die Verletzung der Geschädigten „durch ein Tier“ – hier: durch das Pferd P… – verursacht wurde, noch hat sie die nach § 834 BGB analog gegen die geschädigte Reiterin sprechende Vermutung, dass diese ein Verschulden trifft und dieses Verschulden für den Schaden ursächlich geworden ist, widerlegt.

a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats nicht fest, dass die (Erst-)Verletzung der Geschädigten i.S.d. § 833 BGB durch das Pferd P…, dessen Halter der Insolvenzschuldner unstreitig war, verursacht wurde. Dies geht zu Lasten der Klägerin, die die Beweislast dafür trägt, dass der Schaden auf die tierische Natur zurückzuführen ist (BGH, Urteil vom 6. März 1990 – VI ZR 246/89 – Rdnr. 29; OLG Koblenz, Urteil vom 21. April 1998 – 3 U 899/97 – Rdnr. 29; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12. Juni 2002 – 7 U 172/01 – Rdnr. 7; OLG Köln, Urteil vom 08. November 2002 – 1 U 22/02 – Rdnr. 13; OLG Hamm, Urteil vom 24. Januar 2000 – 13 U 166/99 – Rdnr. 23).

Durch ein Tier im Sinne des § 833 Satz 1 BGB ist eine Verletzung nur dann verursacht worden, wenn der Schaden (zumindest auch) auf die spezifischen oder typischen Gefahren der tierischen Natur zurückzuführen ist, die sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten äußern (vgl. nur: BGH, Urteil vom 6. März 1990 – VI ZR 246/89 – Rdnr. 27; zu den Begrifflichkeiten vgl. auch: Staudinger/Eberl-Borges, § 833 Rn. 37). Dass dies hier der Fall war, lässt sich mit der erforderlichen Gewissheit nicht feststellen. Auch nach Durchführung der Beweisaufnahme durch den Senat bleibt der Unfallhergang im Einzelnen ungeklärt. Insbesondere kann der Senat weder positiv feststellen, dass sich die Reiterin infolge tierischen Verhaltens ihre Verletzungen zuzog – etwa abgeworfen wurde, nachdem P… „durchgegangen“ war -, noch lässt sich das Gegenteil ausschließen.

aa) Der konkrete Unfallhergang wurde von niemandem beobachtet. Die Zeugin H… D… war sich sicher, dass sie ihre Freundin – die Geschädigte -, die mit P… ein ganzes Stück vorausgaloppiert war, „aus den Augen verloren“ habe und den Unfall als solchen nicht gesehen habe. Es besteht keinerlei Grund, an diesen Bekundungen zu zweifeln. Der Zeugin war noch immer anzumerken, wie nahe ihr das Erlebte ging, sie war gleichwohl sehr bemüht, zur Aufklärung beizutragen. Sie gab glaubhaft an, dass P… viel schneller war, als das von ihr gerittene Tier, das „von der fauleren Sorte“ war und „gerne gemütlich galoppierte“ und ihre Aussage, den Unfallhergang nicht gesehen zu haben, deckt sich mit ihren Angaben bei ihrer Vernehmung vor der Landgericht am 18. November 2009.

Soweit in dem Ermittlungsbericht des Zeugen K… I… die Rede davon ist, „das Pferd von S… soll dann nach links ausgebrochen und gegen den Baum gekommen sein“, lässt sich dies nicht mit Sicherheit auf entsprechende Beobachtungen der Zeugin H… D…, die als einzige Augenzeugin überhaupt in Betracht käme, zurückführen. Der Ermittlungsbericht gibt lediglich eine Zusammenfassung des Inhalts des Gesprächs mit dem in erster Instanz vernommenen Insolvenzschuldner wieder. Der Wortwahl lässt sich schon nicht entnehmen, ob es sich um die Wiedergabe einer bloßen Schlussfolgerung – des Insolvenzschuldners oder der Zeugin H… D… – oder einer gegenüber ihrem Vater geäußerten Schilderung eigener Beobachtungen der Zeugin handelt. Näheren Aufschluss hierzu gibt weder die Aussage des Zeugen K… I…, dieser konnte sich bei seiner Vernehmung durch den Senat an den gesamten Ermittlungsbericht nicht erinnern, noch diejenige des Insolvenzschuldners, C… D…. Der Zeuge C… D… sagte bei seiner Vernehmung durch das Landgericht am 18. November 2009 auf Vorhalt der Seiten 3 und 4 des Ermittlungsberichtes aus, dass, „wenn die Angaben so im Protokoll stehen, (…) meine Tochter mir das damals auch so gesagt haben“ werde. Die Unsicherheit, ob die entscheidende Passage im Ermittlungsbericht, „das Pferd von S… soll dann nach links ausgebrochen und gegen den Baum gekommen sein“, auf eigenen Wahrnehmungen der H… D… beruht oder auf Mutmaßungen zum Unfallhergang, wird damit nicht ausgeräumt. Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus den Bekundungen der letztgenannten Zeugin vor dem Senat. Die Zeugin hielt es zwar „für möglich, dass ich das so gesagt habe“, fügte indes hinzu, dass sie „natürlich, wie wir alle dann, gleich Mutmaßungen“ zum Unfallhergang angestellt habe.

bb) Der genaue Unfallhergang lässt sich auf Grundlage der wenigen feststehenden oder erwiesenen Anknüpfungstatsachen auch durch Sachverständigengutachten nicht rekonstruieren. Es lassen sich zwar von den denkbaren Varianten des Unfallhergangs einige wenige als außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit liegend ausschließen – so hält der Senat einen Unfallhergang dergestalt, dass die Reiterin das Pferd bewusst auf die Eiche gelenkt hat, mangels jeglicher Anhaltspunkte für eine Selbstschädigungsabsicht für ebenso ausgeschlossen wie einen solchen, bei dem P… bewusst gegen die Eiche galoppiert oder aber die geübte Reiterin „einfach so“ vom Pferd geglitten ist.

Der Sachverständige M… L… konnte bei seiner Anhörung in dem Senatstermin am 9. November 2011 zwar nicht ausschließen, dass die typische Tiergefahr mitursächlich für das Unfallereignis war. Nach seinen Ausführungen lässt sich aber gleichfalls nicht ausschließen, dass sich der Unfall ereignete, ohne dass typisches Tierverhalten wenigstens mitursächlich war. Dass der Sachverständige über die Konstellation hinaus, dass das Pferd gestolpert ist und zu keiner – tiertypischen – Reaktion in der Lage gewesen sei, keine weiteren denkbaren Varianten eines Unfallhergangs ohne mitwirkendes tiertypisches Verhalten aufgezeigt hat, hat seinen Grund allein darin, dass er hierzu mangels Anknüpfungstatsachen nichts Belastbares sagen konnte („ich kann das nicht sagen, es war ja keiner dabei“). Auch seine Einschätzung, es sei wahrscheinlicher, dass die Reiterin zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Baum noch im Sattel saß und eher nach rechts als nach links vom Pferd herunterfiel, ist – ungeachtet des Beweiswertes, der dieser Angabe beizumessen wäre – für die Frage eines für den Unfall mitursächlichen tiertypischen Verhaltens nicht weiterführend. Hieraus lassen sich Rückschlüsse darauf, wie es zur Kollision mit der Eiche kam, nicht ziehen. Der Senat hat keine Bedenken, den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen zu folgen. An seiner Sachkunde bestehen keine Zweifel; der Sachverständige hat sich in dem Senatstermin am 9. November 2011 auch strikt an die Vorgabe des Senats gehalten, nur die feststehenden, in der terminsvorbereitenden Verfügung (Bl. 390 d.A.) aufgeführten Anknüpfungstatsachen zu berücksichtigen und weitere Aspekte wie beispielsweise die (streitige) Trabereigenschaft des Pferdes außen vor zu lassen.

cc) Die vorhandenen Zeugenaussagen und Spuren reichen auch in Zusammenschau als Indizien für einen Unfallhergang, der durch tiertypisches Verhalten mitverursacht wurde, nicht aus. So gibt es keinen konkreten Anlass für die Annahme, P… sei „durchgegangen“; nach Aussage der Zeugin H… D… war P… mit ihrer Reiterin deshalb so weit vorausgaloppiert, weil es das schnellere Pferd war. P… hatte zwar – nach Aussage der Zeugin H… D… – eine mehr als bei anderen Pferden ausgeprägte Neigung zum Hakenschlagen, andererseits war die Geschädigte eine langjährig aktive Reiterin, die dieses Pferd bereits des Öfteren geritten hatte.

Auch aus dem Umstand, dass dem Zeugen K… I… Wurzeln an der Unfallstelle nicht erinnerlich waren („Wurzeln sind mir nicht aufgefallen. Dazu kann ich jedenfalls heute nichts mehr sagen“), lassen sich keine belastbaren Rückschlüsse für oder gegen einen bestimmten Unfallhergang ziehen. Oberirdisch verlaufende Wurzeln, die in der näheren Umgebung zu einer Eiche auch keineswegs ungewöhnlich sind, ein Stein oder eine Bodenunebenheit, die das Pferd zum Stolpern hätten bringen können, hätten sich gleichwohl, vom Zeugen I… unentdeckt, unter dem Laub befinden können – nach den übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen I… und H… D… war der Waldweg seinerzeit laubbedeckt. Die vom Zeugen I… gefertigten und von ihm im Termin vom 24. November 2010 zur Verfügung gestellten Lichtbilder bestätigen, dass der Waldboden am Unfallort laubbedeckt war, geben indes keinen Aufschluss darüber, was sich (seinerzeit) unter dem Laub befand. Weitere Feststellungen hierzu zu treffen, ist auch deshalb nicht möglich, weil nach dem schriftlichen Sachverständigengutachten zwischenzeitlich die Eiche gefällt und einschließlich des Wurzelwerks entfernt wurde.

Der Senat lässt nicht außer Acht, dass sich die tierspezifische – und damit haftungsauslösende – Gefahr auch dann verwirklicht, wenn das Pferd aufgrund eines Stolperns über eine Wurzel o.ä. erschreckt und deshalb durchgeht; ein derartiger Unfallhergang ist indes ebensowenig sicher wie eine Konstellation, bei der das stolpernde Pferd vor der Kollision mit der Eiche keine Möglichkeit zu einem (tierspezifischen) Reagieren hatte.

b) Ist nach alledem nicht erwiesen, dass sich bei dem Unfallereignis vom 7. September 2002 die spezifische Tiergefahr verwirklicht hat, vermochte die Klägerin darüber hinaus die gegen die Geschädigte sprechende Vermutung, dass diese ein Verschulden an dem Reitunfall trifft, nicht zu widerlegen.

aa) Der Senat teilt die Rechtsansicht des Landgerichts, dass es der Geschädigten in analoger Anwendung des § 834 BGB obliegt, den Entlastungsbeweis zu führen.

(1) Wie der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 9. Juni 1992 (VI ZR 49/91) überzeugend ausgeführt hat, muss derjenige, der die Obhut über ein Tier übernommen hat, die Vermutung gegen sich gelten lassen, dass ihn ein Verschulden trifft und dieses Verschulden für den Schaden ursächlich geworden ist. Die Mitverschuldensprüfung muss sich am Haftungsmaßstab des § 834 BGB orientieren.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Geschädigte bei dem Ausritt am 7. September 2002 Tierhüterin im Sinne des § 834 BGB.

Insoweit kommt es – auch dies hat der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung ausgeführt – nicht darauf an, ob der Geschädigte die Aufsicht über ein Tier im Rahmen eines Vertrages oder eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses übernommen hat. Für die Anwendung der Beweisregel des § 834 BGB reicht es aus, dass ein Reiter ein Pferd für eine eigenständige Nutzung zum Zwecke eines selbständigen Ausreitens erhalten hat und damit in Bezug auf den Unfallhergang wie ein Tierhüter Einfluss- und Aufklärungsmöglichkeiten gehabt hat.

Diese Voraussetzungen lagen bei dem Wanderritt der Geschädigten mit P… vor. Dass sie in Begleitung der Zeugin H… D…, der Eigentümerin des Pferdes, ausgeritten ist, rechtfertigt nicht die Annahme, es habe an der für einen Tierhüter erforderlichen Selbständigkeit gefehlt. Der gemeinsame Ausritt der befreundeten Reiterinnen lässt sich mit der Situation eines Kutschers, der in Begleitung des Tierhalters eine Kutsche führt und für den der Bundesgerichtshof die Eigenschaft als Tierhüter mangels Selbständigkeit verneint hat, nicht vergleichen. Der Aussage der Zeugin H… D… lässt sich keinerlei Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die Geschädigte während des Ausritts mit P… den Anweisungen der Eigentümerin des Pferdes unterworfen war.

(2) Der Anwendbarkeit der Beweisregel des § 834 BGB steht auch nicht entgegen, dass die geschädigte Reiterin zum Zeitpunkt des Ausrittes noch minderjährig war.

Die beschränkte Geschäftsfähigkeit Minderjähriger (§§ 106 ff. BGB) kann für die Anwendbarkeit der Beweisregel des § 834 BGB nicht bedeutsam sein, ist doch hierfür nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 1992 nicht einmal ein vertragliches Rechtsverhältnis erforderlich. Überdies knüpft die Stellung des Tierhüters nicht an eine rechtsgeschäftsähnliche Übernahme von Aufsichtspflichten über das Tier im Verhältnis zum Tierhalter oder -eigentümer an, sondern an die tatsächliche Wahrnehmung der selbständigen Steuerung des Tieres.

Dies rechtfertigt es, den Minderjährigenschutz bei der Anwendung der Beweisregel des § 834 BGB in der Weise zu berücksichtigen, dass es darauf ankommt, ob der Minderjährige aufgrund seiner Erfahrungen im Umgang mit einem entsprechenden Tier, d.h. sowohl in Bezug auf eine entsprechende Einsichtsfähigkeit in die Erforderlichkeiten der Steuerung als auch körperlich in der Lage war, selbständig die Einflussmöglichkeiten auf eine Steuerung des Tiers wahrzunehmen (vgl. OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 25. Februar 2009 – 4 U 210/08 – Rdnr. 8 ff.).

Gemessen an diesem Maßstab steht der Anwendbarkeit der Beweisregel des § 834 BGB nichts entgegen. Die zum Zeitpunkt des Reitunfalls bereits 17 ½ jährige Geschädigte verfügte über hinreichende Erfahrungen mit Pferden; sie war nach dem Vortrag der Klägerin seit ihrem siebten Lebensjahr aktive Reiterin, hatte jahrelang Reitstunden genommen und war bereits seit Jahren ohne Aufsicht ausgeritten. Sie kannte auch die Reitpferde des Insolvenzschuldners und war zudem mit der Zeugin H… D… bereits häufiger allein ausgeritten. Damit war sie aber ohne Zweifel in der Lage, eigenständig ihre Einflussmöglichkeiten auf die Steuerung des Pferdes wie ein Tierhüter wahrzunehmen.

bb) Den danach der Klägerin obliegende Nachweis, dass die Geschädigte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre, hat sie nicht führen können.

(1) Entgegen der Auffassung des Landgerichts verstieß das Reiten im Galopp auf dem mehr als vier Meter breiten unbefestigten Sandweg nicht gegen Sorgfaltspflichten in eigenen Angelegenheiten. Der Sachverständige hat sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei seinen mündlichen Erläuterungen überzeugend ausgeführt, dass Breite und Bodenbeschaffenheit des Waldweges an der Unfallstelle alle drei Gangarten zuließen; zu Galoppieren sei – wie der Sachverständige betonte – auch angesichts des Abzweigens von Seitenwegen unbedenklich. Soweit der Sachverständige L… in seinem schriftlichen Gutachten vom 23. März 2011 das Galoppieren auf einem asphaltierten Weg als nicht „horseman-like“ und gefährdend für Ross und Reiter angesehen hat, bleibt dies im vorliegenden Fall aus zweierlei Gründen als Mitverschuldensgesichtspunkt außer Betracht. Abgesehen davon, dass der Senat die Aussage der Zeugin H… D…, „als wir dann in den Wald kamen, sind wir galoppiert“ nicht dahin versteht, dass die Reiterinnen unmittelbar am Waldanfang – und damit noch auf dem asphaltierten Stück des Weges – in Galopp übergegangen sind, hätte sich die vom Sachverständigen aufgezeigte Gefährdung durch Galoppieren auf Asphalt jedenfalls nicht ausgewirkt, denn etwa 200 m vor der Unfallstelle ging der Weg in den zum Reiten in jeder Gangart geeigneten unbefestigten Sandboden, leicht mit Lehm durchzogen, über.

Der Vorwurf, sich nicht wie ein besonnener und gewissenhafter Reiter verhalten zu haben, lässt sich auch nicht allein damit begründen, dass nach einem etwa 3-stündigen Wanderritt galoppiert wurde. Nach einem Ritt dieser Dauer – so der Sachverständige – ist „jedenfalls der „Stallübermut draußen“, d.h. die Energie des Tieres hat sich bereits ausreichend entladen, und ein Pferd ist auch nicht zwingend müde, dies hängt vielmehr vom Konditionszustand des Tieres ab. Hier legt der Senat die Einschätzung der reiterlich erfahrenen Zeugin H… D… zugrunde, dass beide Pferde zum Zeitpunkt des Übergangs in den Galopp, nachdem sie zuvor „überwiegend im Schritt“ gegangen waren, noch nicht müde gewesen seien.

Die Mutmaßungen des Beklagten und seiner Streithelferin, die geschädigte Reiterin habe das Tier herumgerissen, um eine Kollision mit dem von der Zeugin H… D… gerittenen Pferd zu vermeiden, oder die beiden Reiterinnen hätten ein Rennen veranstaltet, sind ebenfalls durch die Beweisaufnahme widerlegt. Nach der glaubhaften Aussage der Zeugin H… D… galoppierten die beiden Pferde zum Zeitpunkt des Unfalls nicht nebeneinander, die Geschädigte lag vielmehr mit P… weit voraus, aber dies nur deshalb, weil P… das schnellere Pferd war.

Widerlegt ist auch die Behauptung, der Insolvenzschuldner habe der Geschädigten das Pferd nur für einen Wanderritt im Schritt überlassen. C… D… war nach seiner Aussage vor dem Landgericht bewusst, dass es „üblicherweise auch mal“ vorkommt, dass das Pferd bei einem Wanderritt „etwas schneller oder auch einmal im Galopp“ läuft.

(2) Der Sachverständige konnte eine Mitwirkung reiterlichen Fehlverhaltens indessen nicht gänzlich ausschließen – was letztlich darin seine Ursache hat, dass der Unfallhergang nicht aufklärbar ist.

Die Einschätzung des Sachverständigen, das Reiten im Galopp sei auch bei einer Neigung des Pferdes zum Hakenschlagen unbedenklich, setzt voraus, dass der Reiter sich – subjektiv – als stark genug empfindet, mit dieser Eigenschaft umzugehen, und – objektiv – tatsächlich in der Lage ist, das Pferd an die reiterlichen Hilfen zu stellen und kontrolliert zu galoppieren. Auch wenn man die Reiterfahrung der Geschädigten sowie berücksichtigt, dass ihr P… und deren fehlenden Grundgehorsam bekannt waren, lässt sich doch nicht ausschließen, dass sie ihre reiterlichen Fähigkeiten – wie es nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen im Senatstermin vom 9. November 2011 bei Reitern in verstärktem Maße vorkommt – überschätzt hat und dadurch zum Unfall beigetragen hat. Es ist vor dem Hintergrund, dass P… nach Aussage deren Eigentümerin H… D… häufig unvermittelt eine andere Richtung eingeschlagen hat, etwa in einen anderen Weg abgebogen ist, keineswegs fernliegend, dass P… dieses Verhalten auch unmittelbar vor dem Unfall gezeigt hat – auf Höhe der Eiche mündete von links ein Weg ein – und die Geschädigte aus dem Galopp heraus dem Tier nicht (rechtzeitig) Gehorsam abverlangen konnte.

In diesem Zusammenhang lässt sich nicht ausschließen, dass das Reiten im Galopp auch deshalb eine besondere Herausforderung an die Reiterin darstellte, weil der vorhandene Grundungehorsam von P… möglicherweise durch das impulsive „Ziehen zum Stall“ noch verstärkt wurde. Dieser Impuls ist nach den Angaben des Sachverständigen nicht bei allen Pferden vorhanden und nicht bei allen Pferden gleichermaßen stark ausgeprägt. Auch bei zurückhaltender Würdigung der Aussage der Zeugin H… D…, der Unfallort liege in ca. 2 km Entfernung von S… und vor dort seien es noch weitere 3 km bis zum Stall gewesen, kann der Drang in den Stall dazu geführt haben, dass P… (noch) schwieriger zu handhaben war.

Die unter den Parteien heftig umstrittene Frage, welches Gewicht dem Reiten im Gelände ohne Reithelm zukommt, ist für die Sorgfaltspflicht des § 834 BGB nicht relevant. Die unstreitige Tatsache, dass die Geschädigte keine Reitkappe getragen hat, wäre lediglich im Rahmen eines Mitverschuldens bezogen auf das Ausmaß des Schadens zu berücksichtigen, die hier indes keiner Klärung bedarf.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß den §§ 43 Abs. 2, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG auf bis 650.000,- € (Schmerzensgeld: 300.000,- €; Fortkommensschaden: 156.000,- €; materielle Schäden: 129.840,07 €; Feststellungsantrag: 50.000,- €) festgesetzt.

 

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