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Verkehrsunfall – Beweislast bei unstreitigen Vorschäden – Zulässigkeit Schadensschätzung

AG Rendsburg – Az.: 41 C 254/17 – Urteil vom 31.01.2019

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Streitwert wird auf 2.546,30 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Verkehrsunfall.

Der Kläger ist Eigentümer eines Pkw BMW 530 d, amtl. Kennzeichen …. Das Fahrzeug wies Vorschäden an der Stoßstange in Form von Kratzern auf.

Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer eines roten Sprinters, amtl. Kennzeichen ….

Am 18. März 2016 parkte der Kläger seinen Pkw in einer Parkbucht auf einem Gelände des Edeka in der …. Der Kläger hatte seinen Pkw rückwärts in die Parkbucht eingeparkt.

Es kam zu einem Unfall, dessen Hergang und dessen Folgen zwischen den Parteien im Streit stehen.

Mit Anwaltsschreiben vom 4. August 2016 machte der Kläger Ansprüche bei der Beklagten geltend. Die Beklagte lehnte unter dem 12. August 2016 eine Zahlung ab.

Der Kläger beziffert seine – streitigen – Schäden wie folgt:

Nettoschaden (unter Berücksichtigung einer Wertverbesserung für Lack): 1.783,05 €

Kosten für Erstellung eines Gutachtens: 493,25 €

Kostenvoranschlag: 50,00 €

Unfallpauschale: 25,00 €

Zu den Einzelheiten der klägerisch geltend gemachten Schadenspositionen wird auf das eingereichte Gutachten des Sachverständigenbüros … vom 10.05.2017 … verwiesen.

Der Kläger behauptet, der bei der Beklagten versicherte Pkw sei beim Rückwärtsfahren aus der gegenüberliegenden Parkbucht mit dem Pkw des Klägers kollidiert. Hierdurch sei der klägerische Pkw auf den hinter dem klägerischen Pkw parkenden Pkw der Zeugin … geschoben worden und zwar dergestalt, dass der Pkw des Klägers auf die Anhängerkupplung des Pkw der Zeugin … geschoben worden sei. Die Vorschäden am klägerischen Fahrzeug seien durch das Gutachten in Form des Abzugs für Wertverbesserungen in Höhe von 58,78 € ohne Umsatzsteuer berücksichtigt.

Der Kläger hat Klage zum hiesigen Gericht mit dem Antrag erhoben, die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Geldbetrag in Höhe von 2.023,24 € nebst gesetzlich vorgesehenen Zinsen ab dem 12. August 2016 sowie einen weiteren Geldbetrag für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 € nebst gesetzlichen Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Kläger beantragt nunmehr, die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Geldbetrag in Höhe von 2.346,30 € nebst gesetzlich vorgesehenen Zinsen ab dem 12. August 2016 sowie einen weiteren Geldbetrag für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 € nebst gesetzlichen Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm auch alle weiteren materiellen Schäden an seinem Kraftfahrzeug, BMW, Fahrzeug-Ident-Nr.: …, die aus dem Unfallereignis vom 18. März 2016 resultieren, zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klage ist am 20. Dezember 2016 zugestellt worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … und Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen …, welcher das Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 8. Januar 2019 erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Terminprotokoll vom 8. Juni 2017 (Bl. 61-64 d.A.) und das Gutachten des Sachverständigen … (Bl. 106 ff. d.A.) sowie auf das Terminsprotokoll vom 8. Januar 2019 (Bl. 198-201 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 2.346,30 €.

Ein solcher Anspruch folgt nicht aus den §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1, 4 VVG.

Das Gericht kann dahinstehen lassen, wie sich der Unfall im Einzelnen zugetragen hat. Es ist nicht möglich, hier einen Schaden zu schätzen (§ 287 ZPO), da der Kläger die sach- und fachgerechte Beseitigung der Vorschäden nicht konkret dargelegt und bewiesen hat (KG, Urteil vom 29. Juni 2009, Az.: 12 U 146/08, Rn. 2 – juris).

Das KG (aaO, Rn. 3-5) führt aus:

„Ein Geschädigter kann selbst kompatible Schäden nicht ersetzt verlangen, wenn nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) auszuschließen ist, dass sie bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden sind (vgl. hierzu beispielhaft schon OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Februar 2006 – 1 U 148/05 – DAR 2006, 324).

Verkehrsunfall - Beweislast bei unstreitigen Vorschäden - Zulässigkeit Schadensschätzung
(Symbolfoto: Von Orathai Mayoeh/Shutterstock.com)

Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits zuvor vorhanden waren (vgl. hierzu BGHZ 71, 339), wofür er bei unstreitigen Vorschäden im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss (Senat, Beschluss vom 6. Juni 2007 – 12 U 57/06 – VRS 113, 421 = KGR 2008, 234 = NJOZ 2008, 765 = NZV 2008, 297).

Eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO kommt nämlich erst in Betracht, wenn der Kläger dargelegt und bewiesen hat, welcher eingrenzbare Vorschaden durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen fachgerecht beseitigt worden ist (Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2007 – 12 U 46/07 – NJW 2008, 1006 = MDR 2008, 142 = NZV 2008, 196 = KGR 2008, 333 = NJW – Spezial 2008, 267 = BeckRS 2008, 00332).“

Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht vollumfänglich an. Sie entsprechen auch der bereits zuvor geäußerten Rechtsansicht (Beschluss vom 5. Juli 2017, Bl. 71-73 d.A.).

Diesen Beweis hat der Kläger nicht geführt. Das Sachverständigengutachten des Sachverständigen … ist insoweit unergiebig. Es verbleiben erhebliche Zweifel, die zu Lasten des Klägers gehen.

Für die Überzeugung des Gerichts ist nach § 286 Abs. 1 ZPO nicht eine absolute Gewissheit erforderlich, sondern ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Dies ist nicht der Fall.

Der Sachverständige … hat ausgeführt, aus der vom Kläger eingereichten Kalkulation ergäben sich für den Frontschaden anteilige Reparaturkosten in Höhe von 1.512,11 € netto. Hierin sei der Vorteilsausgleich wegen der Vorschäden in Höhe von 58,78 € ohne Umsatzsteuer noch nicht berücksichtigt. Für die Heckreparatur sehe die Kalkulation anteilige Reparaturkosten in Höhe von 329,72 € netto vor (Bl. 112 f. d.A.).

Der Sachverständige habe Lackbeschädigungen im Frontbereich in Form von Kratz- und Schürfspuren am vorderen Stoßfänger in einer Höhenlage von 34 bis 62,5 cm feststellen können. Diese Beschädigungen erstreckten sich horizontal rund 16 bis 63 cm rechts der Mitte (Bl. 119 d.A.). Die Kratz- und Schürfspuren hätten unterschiedliche Ausprägungen und abweichende Richtungsverläufe innegehabt. Es seien auch Lackbeschädigungen an den Vertikalstreben des Kühlergrills festzustellen.

Am Heck, im Bereich des hinteren Diffusors habe er eine kleinflächige Verformung in einer Höhenlage von 42,5 cm feststellen können (Bl. 130 d.A.). In gleicher Höhe hätten sich links der Verformung schräg verlaufende Schürfspuren gezeigt. Es hätten sich nahe vertikale Schürfspuren mit geringer Höhenausdehnung in einer Höhenlage von rund 52 cm befunden.

Aufgrund der dem Sachverständigen vorgelegten Unfallschilderungen kommt er zu dem Ergebnis, nicht sämtliche Schürf- und Kratzspuren hätten durch das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug verursacht sein können. Es fehle insoweit teilweise an einer geometrischen Zuordnung. Auch die Anstreifrichtung sei teilweise nicht korrespondierend. Der Sachverständige nimmt dann näherungsweise eine Höhenkorrespondenz der Lackbeschädigungen vor (Abbildung 2 auf Seite 37 des Gutachtens, Bl. 143 d.A.).

Hinsichtlich des Schadens am Heck nimmt der Sachverständige eine Näherung dadurch vor, dass er zunächst unterschiedliche Modelle des VW Transporters untersucht. Insoweit sei näherungsweise eine Zuordnung zu einer Anhängervorrichtung im Heckbereich eines VW Transporters zur kleinflächigen Verformung am Heck des klägerischen Fahrzeugs möglich. Auch bei dieser Annahme ließen sich die Kontaktspuren mit den schräg ausgerichteten Kratzspuren dem Unfall nicht zuordnen (Bl. 146 f.). Hierbei sei unterstellt worden, dass sich das Fahrzeug des Klägers und der „Bully“, entsprechend der Angaben des Klägers, „längsachsenparallel“ in den Parkbuchten zueinander befunden hätten.

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Der mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2018 (Bl. 192 f. d.A.) und in der mündlichen Verhandlung am 08.01.2019 (Bl. 198 f.) seitens des Klägervertreters vorgebrachte Einwand zu einer möglicherweise nicht gegebenen „Längsachenparallelität“ der Fahrzeuge, also einer gegebenen Schrägstellung des „Bullys“, habe nach Angaben des Sachverständigen keinen Einfluss auf das erzielte Gesamtergebnis des Gutachtens. Auch bei einer nicht vorhandenen „Längsachsenparallelität“ sei eine Zuordnung zwischen dem Kugelkopf einer Anhängerzugvorrichtung und der kleinflächigen Deformation am Diffusor des Heckstocksfängers des Klägerfahrzeuges möglich, wobei sich die weiteren Schürf- und Schrammspuren auch bei einer schrägen Ausrichtung der Fahrzeuge nicht zuordnen ließen (Bl. 200). Hierbei müsse es sich entweder um einen Vor- oder Nachschaden handeln. Dieses beträfe auch die weiteren vertikalen Schürfspuren am Stoßfänger.

Insgesamt gelangt der Sachverständige so zu der Feststellung, es ließen sich näherungsweise Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 542,29 € netto (381,59 € + 160,70 €) möglicherweise dem Unfall zuordnen. Der Schaden am Stoßfänger vorn sei mit einer Wertverbesserung für die Lackierung in Höhe von 58,78 € nicht ausreichend berücksichtigt. Es seien aber keine markant eindeutigen zuzuordnenden Spurenlagen auszuwerten gewesen, so dass die im Gutachten beschrieben Zuordnung lediglich eine mögliche sei.

Das Gericht folgt den Ausführungen des Sachverständigen. Der Sachverständige hat sein Gutachten nachvollziehbar und überzeugend erstattet. Er ist als Diplom-Ingenieur für Fahrzeugtechnik und aufgrund seiner langjährigen gutachterlichen Tätigkeit in diesem Bereich besonders qualifiziert. In seinem auch mündlich erstatteten Gutachten hat er deutlich gemacht, dass er sich eingehend mit der Materie befasst und die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen genutzt hat. Insbesondere ist der Sachverständige von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die daraus gezogenen Konsequenzen logisch und widerspruchsfrei dargestellt. Auf die Fragen des Beklagtenvertreters zum Schriftsatz vom 12. Oktober 2018 (Bl. 192 f. d.A.) vermochte der Sachverständige nachvollziehbare Erklärungen abzugeben und legte seine Ergebnisse anhand einer erstellten Tischvorlage dar.

Bei dieser Sachlage ist dem Kläger der entsprechende Beweis nicht gelungen. Der Sachverständige konnte lediglich Näherungen und mögliche Zuordnungen vornehmen, die das Gericht nicht mit der nötigen Sicherheit überzeugen. Angesichts der umfangreichen Vorschäden und den hohen Abweichungen zwischen den vom Kläger ermittelten Reparaturkosten und den vom Sachverständigen näherungsweise ermittelten (vorne: 1.512,11 €zu 381,59 €; hinten: 329,72 € zu 160,70 €) bieten sich keinerlei Anknüpfungspunkte, um einen Schaden zu schätzen. Es liegen keine mit ausreichender Sicherheit abgrenzbaren Vorschäden vor.

Mangels Hauptanspruch kann der Kläger weder vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten noch Zinsen oder die begehrte Feststellung verlangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 3 ZPO. Den Feststellungsantrag bewertet das Gericht mit 200,00 €.

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