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Verkehrsunfall – Mitverschulden Fahrradfahrer

LG Münster – Az.: 16 O 185/14 – Urteil vom 04.05.2018

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 25.000 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, die Beklagten zu 2) und 3) seit dem 26.06.2014, der Beklagte zu 1) seit dem 08.07.2014, abzüglich bereits gezahlter 6.000 EUR zu zahlen.

Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.813,57 EUR für den entstandenen Haushaltsführungsschaden für die Zeit vom 05.04.2011 bis 30.04.2014 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin 2/3 ihrer künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 05.04.2011, ##:## Uhr in N, Höhe Hausnummer ### bis ###, zu ersetzen, sofern dieser nicht auf die Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

Die Beklagten werden ferner als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.954,46 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 40 %, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 60 %.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar

Tatbestand

Die Klägerin als Fahrradfahrerin macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 05.04.2011 gegen ##:## Uhr in N gegen den Beklagten zu 1) als Fahrer, die Beklagte zu 2) als Halter und die Beklagte zu 3) als Haftpflichtversicherer eines PKW T1 mit dem damaligen amtlichen Kennzeichen ##-## ### geltend.

Am Unfalltag befuhr die Kläger die I1Straße mit ihrem Fahrrad zunächst ordnungsgemäß auf dem rechten Fahrradweg stadteinwärts. Kurz vor der Kreuzung I1Straße/GStraße wechselte sie die Straßenseite und befuhr (unzulässiger Weise) den Radweg der Gegenfahrbahn. An diesem Abschnitt der I1 Straße befindet sich das Gebäude mit der Hausnummer ###, in dem die Beklagte zu 2) ihren Firmensitz hat. Das Gebäude verfügt über einen großen Innenhof, der über eine Einfahrt zur I1Straße zu erreichen ist. Beim Ein- und Ausfahren in bzw. aus dem Innenhof müssen der Geh- und Radweg sowie eine Busspur überquert werden. Der Beklagte zu 1) wollte am Unfalltag gegen 10:40 Uhr das Firmengelände der Beklagten zu 2) mit deren PKW verlassen, es kam zu Kollision mit der fahrradfahrenden Klägerin, die auf die Busspur stürzte und sich Verletzungen, neben Prellungen u.a. eine Tibiakopffraktur links, zu zog.

In der Folge leistete die Beklagte zu 3) Beträge von insgesamt 6.175 EUR (Einzelheiten Klageschrift S. 8 und zur Verrechnung Schriftsatz vom 24.11.2014 S. 5 GA 42). Rückwirkend ab dem 01.09.2012 bis jedenfalls zum 30.06.2015 erhielt die Klägerin eine Rechte wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 378,91 EUR monatlich (Rentenbescheid Anlage K 6).

Am 12.11.2012 brach sich die Klägerin den Vorfuß.

Die Beklagte zu 3) teilte unter dem 09.12.2013 mit, ihrer Ansicht nach sei das Schadensereignis angemessen reguliert.

Der Sachschaden am PKW der Beklagten zu 2) wurde vom Haftpflichtversicherer der Klägerin zu einer Quote von 1/3 reguliert.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin weitergehende Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Beklagten.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1) habe es verabsäumt, das sich unmittelbar vor ihm abspielende Verkehrsgeschehen zu beobachten. Er habe mit von Fuß- und Radfahrern von rechts rechnen müssen und hafte ihr zu 100 %. Gegen ihn spreche der Beweis des ersten Anscheins, § 10 StVO, der ein Höchstmaß an Sorgfalt im Zuge des Einbiegevorgangs fordere. Ein Mitverschulden ihrerseits komme nicht in Betracht, sie habe keinen Verursachungsbeitrag gesetzt. Zum Zeitpunkt der Kollision habe sie sich unmittelbar vor dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) befunden. Der Beklagte zu 2) sei durch Blickkontakt zu einem vom links kommenden Fahrradfahrer abgelenkt gewesen. Es wäre auch zu dem Unfall gekommen, wenn sie ihr Fahrrad geschoben hätte.

Auch der Vorfußbruch vom 12.11.2012 sei unfallkausal verursacht. Unfallbedingt könne sie sich in der Wohnung nur mit Gehilfen bewegen. Auf dem nächtlichen Weg zur Toilette sei sie mit den Gehhilfen ins Straucheln geraten und mit dem Fuß gegen den Türstock gestoßen, wodurch der Bruch entstanden sei.

Ihr seien Sachschäden in Höhe von insgesamt 375 EUR entstanden (Schäden Hollandrad, Lederhose, Handtasche, zzgl. Kostenpauschale in Höhe von 25 EUR, Einzelheiten siehe Klageschrift S 5), deren Geltendmachung sie sich vorbehält. Sie sei vor dem Unfall gesund gewesen und nunmehr erheblich beeinträchtigt. Neben der Tibiakopffraktur sei Unfallfolge ein degeneratives Wirbelsäulenleiden, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine posttraumatische Belastungsstörung, verbunden mit hochgradiger Depression. Die Tibiakopffraktur sei operativ mit einer doppelten Schraubenosteosynthese behandelt worden. Deren im weiteren Verlauf geplante Entfernung sei misslungen, weil die Schraubköpfe „rundgedreht“ waren und sich nicht fassen ließen. Sie befänden sich noch heute im linken Bein der Klägerin, sie sei nun in hohem Maße gehbehindert. So betrage die schmerzfreie Gehstrecke maximal 5 Minuten, das Treppensteigen sei schwer eingeschränkt, Yogaübungen seien nicht mehr durchführbar, in der Wohnung könne sie sich nur noch mit dem Rollstuhl oder einem Gehstock bewegen, sie sei stark wetterfühlig, seit dem Unfall bestünden Kopfschmerzen sowie Schlaflosigkeit, durch das Gehen am Rollator schmerzten beide Schultern, sie habe brennende Schmerzen und Taubheit an beiden Füßen, Rücken- und Nackenschmerzen; sie müsse täglich 90 mg Cymbalta einnehmen, sie habe keine Ausdauer mehr beim Heben der Arme, leide unter einer Schwindelsymptomatik, habe morgens einen Anlaufschmerz im linken Kniegelenk und der Lendenwirbelsäule und sei insgesamt nicht mehr in der Lage, ihren Haushalt alleine zu führen.

Wie ärztlich zutreffend festgestellt sei sie wie folgt Erwerbsunfähig (gewesen):

  • vom 05.04.2011 bis 20.04.2011: 100 %
  • vom 21.04.2011 bis 01.10.2011: 80 %
  • vom 02.10.2011 bis 25.04.2012: 30 %
  • vom 26.04.2012 bis 30.04.2012: 100 %
  • vom 01.05.2012 bis 31.05.2012: 50 %
  • ab dem 01.06.2012 bis auf weiteres: 30 %.

Zudem sei sie zu 40 % schwerbehindert (Vortrag unter Verweis auf Gutachten Klageschrift S. 7 f).

Verkehrsunfall - Mitverschulden Fahrradfahrer
(Symbolfoto: Von Kzenon/Shutterstock.com)

Die dargelegten Unfallfolgen seien adäquat kausal verursacht, weswegen die Beklagten vollumfänglich ersatzpflichtig seien.

Sie hält angesichts ihrer behaupteten nachhaltigen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld von insgesamt 40.000 EUR für mindestens angemessen. Ihre Hobbys Yoga und Radfahren könne sie nicht mehr ausüben, sei auf den Rollator angewiesen und müsse darüber hinaus eine Beinmanschette zur Stabilisierung des verletzten Beins tragen. Sie könne ihren Haushalt nicht mehr alleine führen und sei nahezu ein Pflegefall. Ihr Leben sei wegen der behaupteten Unfallfolgen (Wirbelsäulenleiden, Schmerzsyndrom, Depression, Schwerbehinderung) weitgehend zerstört. Schmerzensgelderhöhend, so die Klägerin, wirke sich die fahrlässige Unfallverursachung des Beklagten zu 1), der nicht ein Mindestmaߠ an Aufmerksamkeit auf das, was sich vor seinem Fahrzeug abspielte, habe walten lassen.

Unfallbedingt eingeschränkt sei sie in der Nach vom 11.11.2012 auf den 12.11.2013 bei einem nächtlichen Toilettengang gestürzt und habe sich den Vorfuß gebrochen.

Ihr stehe Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens zu. Sie bewohne mit ihrem erwachsenen Sohn, dem sie unterhaltspflichtig sei, einen Zweipersonenhaushalt mit vier Zimmern. Es ergebe sich – nach der Tabelle von Pardey – ein Haushaltsführungsschaden von 922 EUR pro Monat oder 30,73 EUR pro Tag, von denen 50 % auf sie entfielen. Insgesamt ergäben sich für den geltend gemachten Zeitraum 1.121 Tage á 30,73 EUR, mithin insgesamt auf sie entfallende 17.224,17 EUR.

Der Feststellungsantrag sei begründet, der weitere Heilungsverlauf noch nicht absehbar. Zudem hätten die Beklagten vorprozessuale Anwaltskosten im geltend gemachten Umfang zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen an sie

a.

ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 40.000 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins Rechtshängigkeit (Beklagte zu 2) und 3) seit dem 26.06.2014, Beklagten zu 1) seit dem 08.07.2014) abzüglich bereits gezahlter 6.000 EUR zu zahlen;

b.

einen weiteren Betrag in Höhe von 17.224,17 EUR für den entstandenen Haushaltsführungsschaden für die Zeit vom 05.04.2011 bis 30.04.2014 zu zahlen;

2.

festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 05.04.2011, ##:## in N, Höhe Hausnummer I1 Straße ### bis ### zu ersetzen, sofern dieser nicht auf die Sozialversicherungsträger übergegangen ist;

3.

die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 2.251,48 EUR freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, der Beklagte zu 1) habe mit dem verbotswidrigen Befahren des Radwegs durch die Klägerin nicht rechnen müssen und habe sie lediglich leicht fahrlässig übersehen.

Vorsorglich bestreiten die Beklagten materielle Schäden der Klägerin.

Bei dem Unfall habe die Klägerin unfallbedingt lediglich eine laterale Tibiakopffraktur links erlitten. Die weiter aufgeführten Beschwerden (Wirbelsäulenerkrankung, Depression etc.) seien unfallunabhängig. Die als Unfallfolgen behaupteten Beeinträchtigungen der Klägerin bestreiten die Beklagten, jedenfalls als Unfallfolgen, ebenso wie die Behauptung, vor dem Unfall sei die Klägerin gesund gewesen. Die Schwerbehinderung sei ganz, jedenfalls auch auf weitere unfallunabhängige Beschwerden (z.B. Bronchitis, chronisches Magenleiden) zurück zu führen. Zwar sei zutreffend, dass in der dafür vorgesehenen OP die Schrauben ohne größeren Eingriff nicht hätten entfernt werden können, Beeinträchtigungen der Klägerin ergäben sich daraus aber nicht. Dies werde auch durch das gerichtlich eingeholten fachchirurgische Sachverständigengutachten des Sachverständigen T2 vom 02.09.2013 sowie das Gutachten des I2 vom 24.06.2016 bestätigt. Die beklagten starken gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin seien durch den rein unfallchirurgischen Verlauf nicht zu erklären.

Die als Hobbys der Klägerin angegebenen Tätigkeiten Yoga und Radfahren bestreiten die Beklagten im Hinblick darauf, dass sie bei einer Untersuchung angegeben habe, ihre Hobbys seien Lesen und Fernsehen schauen.

Die Beklagten träfe jedenfalls keine 100% tige Haftung. Die Klägerin habe durch das verbotswidrige Befahren des Radwegs entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung gegen § 2 Abs. 4 StVO verstoßen. Dies führe zu einer Mithaftung von üblicherweise 33-35 %. Eine Haftungsquote über 2/3 sei keinesfalls gerechtfertigt.

Das von der Klägerin begehrte Schmerzensgeld halten die Beklagten – ebenso wie den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden – für deutlich übersetzt. So sei z.B. in der Haushaltsführung selbst bei Bettlägerigkeit noch eine Leitungsfunktion wahrnehmbar. Im Zeitraum 12.11.2012 bis 15.11.2013 sei eine etwaige Immobilität der Klägerin zudem auf den – unfallunabhängigen – Bruch des Vorfußes zurück zu führen.

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Eine Feststellungsinteresse bestehe nicht, da ein Endzustand eingetreten sei. Bezüglich der geltend gemachten Anwaltsgebühren sei die Gebührenhöhe von – unstreitig – 1,5 ebenso überhöht wie der in Ansatz gebrachte Streitwert. Ein Haushaltsführungsschaden sei nur bis zum 75. Lebensjahr in Ansatz zu bringen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen und die Einholung von schriftlichen Sachverständigengutachten der Sachverständigen T2 (Gutachten vom 18.08.2015 sowie vom 04.04.2017, GA hinten, und vom 20.12.2017, GA 220) und I2 (Gutachten vom 26.04.2016) sowie eine mündliche Erläuterung des Gutachtens im Termin vom 23.09.2016. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 28.11.2014 (GA 51 ff) und vom 23.09.2016 (GA 170) verwiesen.

Die Akte der Stadt N – ##.#.##-####.####.###.# – war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.

I. Der Klägerin steht der geltend Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach aus den §§ 7, 18, 11 StVG, 115 VVG, 823, 249, 253, 426 BGB zu.

Die Klägerin ist beim Betrieb des vom Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 3) pflichtversicherten Fahrzeugs der Beklagten zu 3) als Halter am Körper verletzt worden, sie erlitt – jedenfalls – eine laterale Tibiakopffraktur links.

II. Grundsätzlich umfasst der Anspruch der Klägerin auch den Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens wegen der unfallbedingten Vermehrung ihrer Bedürfnisse, §§ 11 StVG, 843 BGB.

Einen weitergehenden Erwerbsschaden, § 843 BGB wegen einer ev. Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem volljährigen Sohn verfolgt die Klägerin – anders als in der Klageschrift formuliert – tatsächlich nicht, was sich daraus ergibt, dass sie die Aufwendungen für die Haushaltsführung in der Anspruchsbegründung gleichmäßig auf sich und ihren Sohn verteilt.

III. Die Beklagte muss sich aber auf ihren Anspruch einen Mitverschuldensanteil anrechnen lassen, den die Kammer insgesamt mit 1/3 bewertet.

Zum einen ist zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie entgegen § 2 IV 2 StVO den für ihre Fahrbahnseite nicht freigegebenen Radweg benutzte. Zwar dient diese Vorschrift nicht dem Schutz des wartepflichtigen Querverkehrs, so dass der Radfahrer grundsätzlich sein Vorfahrtsrecht behält. Dennoch musste sie berücksichtigen, dass grundsätzlich wartepflichtige Autofahrer erfahrungsgemäß nicht mit entgegen der Fahrtrichtung kommenden Radfahrern rechnen und ihre Aufmerksamkeit dementsprechend nicht oder jedenfalls nur vermindert in diese Richtung lenken und selbst entsprechende Sorgfalt walten lassen (vgl. hierzu OLGR Hamm 1992, 392 m.w.N., zit nach juris). Mitverschuldenserhöhend ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angab, sie habe das vom Beklagten zu 1) geführte Fahrzeug kommen sehen und darauf vertraut, dass er stehen bleibe. In einer solchen Situation hätte es ihr aber zur Wahrung ihrer eigenen Belange oblegen, besonders vorsichtig zu fahren, mit dem Fehlverhalten des Autofahrers zu rechnen, sich ggf. bremsbereit zu halten und im Zweifel nicht auf ihr Vorfahrtsrecht zu bestehen. Tat sie das nicht, verursachte sie den Unfall in einem nach Wertung der Kammer mit einem Drittel zu bewertenden Umfang fahrlässig mit, § 254 BGB.

IV. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin unfallkausal erlittenen Verletzungen und des dargelegten Mitverschuldensanteils hält die Kammer ein noch zu zahlendes Schmerzensgeld von insgesamt 19.000 EUR für erforderlich und angemessen.

1. Die Klägerin trug wesentliche Unfallfolgen davon und ist in ihrer Lebensführung erheblich eingeschränkt.

So erlitt die Klägerin durch den Unfall eine Schienbeinkopffraktur und eine Innenbandruptur des linken Kniegelenks, die Fraktur wurde acht Tage nach dem Unfall operativ versorgt. Eine weitere Operation erfolgte im April 2012, der Versuch der Metallentfernung misslang. Die radiologischen Unfallfolgen in Bezug auf das Knie sind geringgradig, es ist allerdings mit einer posttraumatischen Kniearthrose zu rechnen. Die Klägerin entwickelte zudem eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Folgen so z.B. Schmerzen im gesamten Körper sowie – als Folge der Schmerzstörung – eine rezidivierende Depression. Für das linke Bein besteht eine deutlich herabgesetzte Gebrauchsfähigkeit, schon kurze Strecken sind für die Klägerin nicht zu bewältigen. Die Klägerin bewegt sich nur noch mit dem Rollstuhl/Rollator oder einem Gehstock, sie ist insgesamt in ihrer Lebensführung stark eingeschränkt und kann vor dem Unfall betriebene Hobbys, sei es Yoga oder Radfahren, heute nicht mehr ausüben. Im Jahr 2012 brach sich die Klägerin, unfallbedingt eingeschränkt, im Rahmen eines nächtlichen Toilettengangs den Vorfuß.

2. Dass die dargelegten Beeinträchtigungen auf das Unfallereignis zurück zu führen sind steht für die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere den Gutachten der Sachverständigen I2 und T2, und der persönlichen Anhörung der Klägerin, fest.

Der gerichtsbekannte und als Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie besonders sach- und fachkundige I2 hat zunächst nachvollziehbar und logisch ausgeführt, dass die von ihm diagnostizierte Schmerzstörung sich in ihrem jetzigen Bild ohne das Unfallereignis nicht entwickelt hätte, insoweit also ein Unfallzusammenhang besteht. In der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens hat er weiter dargelegt, dass die Schmerzstörung den Patienten zermürbt und in der Folge zur Depression führt. Diese somit unfallkausal entstandenen Folgen sind den Beklagten auch zuzurechnen. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin, wie die der Sachverständige im Einzelnen darlegt, deutlich eingeschränkt strukturell integriert ist und eine deutliche Vulnerabilität hinsichtlich einer psychischen Erkrankung zeigt, die einen großen Anteil an den heutigen Einschränkungen der Klägerin trägt und ihre psychische Reaktion ein deutliches Missverhältnis zu dem recht geringfügigen Unfallereignis aufweist. Denn grundsätzlich hat der Schädiger für seelisch bedingte Folgeschäden einer Verletzungshandlung auch dann einzustehen, wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder sonst wie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung oder besonderen Labilität des Verletzten zurück zu führen sind (siehe hierzu z.B. BGH NJW 1996, 2425). Eine unangemessene Erlebnisverarbeitung führt nur ausnahmsweise dann zu einem Haftungsausschluss, wenn das schädigende Ereignis geringfügig im Sinne einer Bagatelle ist und die psychische Reaktion des Verletzen im konkreten Fall wegen ihres groben Missverhältnisses zum Anlass schlechterdings nicht mehr verständlich ist (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, Vorb v § 249 Rz. 38 m.w.N.). Nach den Feststellungen des Sachverständigen I2 in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2017 ist letzteres aber vorliegend gerade nicht der Fall. Unter Berücksichtigung der Depression der Klägerin ist es vielmehr so, dass ihre Reaktion auf das Unfallereignis hergeleitet werden und aus ärztlicher Sicht auch durchaus nachvollzogen werden können, mithin verständlich sind. Auch erscheint das Primärereignis, ein Verkehrsunfall, in dem ein Kfz ein Fahrrad anfährt, auch nicht so geringfügig, dass eine Haftung ausgeschlossen wäre (vgl. hierzu BGH NJW 1998, 810).

Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Fachgutachtens des Sachverständigen I2 kommt dann auch der als Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Knappschaftskrankenhauses C, der Sachverständige T2 logisch nachvollziehbar und ohne dass die Kammer Zweifel an der Richtigkeit seiner Feststellungen hat zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin als Unfallfolge nicht nur ein Dauerschaden von 30 % am linken Kniegelenk verbleibt, sondern für das linke Bein im Alltag eine deutlich herabgesetzte Gebrauchsfähigkeit vorliegt die u.a. dazu führt, dass die geklagten Schmerzen vorliegen, schon kurze Strecken für sie nicht zu bewältigen sind und insgesamt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von über 50 % vorliegt.

Nach den Gutachten der medizinischen Sachverständigen steht für die Kammer allerdings weder fest, das eine unfallkausale posttraumatische Belastungsstörung der Klägerin gegeben ist noch das sie durch den Unfall an Polyneuropathie leidet. Für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung haben sich für den Sachverständigen I2 keine fachlichen Anhaltspunkte ergeben, die Entwicklung einer Polyneuropathie als Unfallfolge ergaben sich weder für ihn noch für den Sachverständigen T2; diesen Feststellungen ist auch die Klägerin nicht mehr substantiiert entgegen getreten.

3. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin durch den Unfall erlittenen Einschränkungen, nämlich neben der der Tibiakopffraktur und dem Bänderriss folgenden Krankenhausaufenthalten nebst zwei Operationen sowie eines erhöhten Arthroserisikos und der Dauerschädigung des linken Knies von 30 % eine erhebliche Veränderung ihres kompletten Lebens durch eine Schmerzstörung und die Depression, die im Ergebnis dazu führen, dass sie nicht nur ihre Hobbys nicht mehr ausführen kann, sondern zudem auch ihre gesamte Lebensführung von der Haushaltsführung bis zum Gehen auch nur kurzer Strecken stark einschränkt und die Nutzung von Hilfsmitteln wie Rollator und/oder Gehstützen erforderlich macht und zu einer (dauerhaften) Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % und ihrer Fähigkeit zur Haushaltsführung von 10-20 % sowie einer Schwerbehinderung führt, hält die Kammer auch unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion bei Abwägung aller Umstände, so auch des lediglich fahrlässigen Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1) und vergleichbarer Entscheidungen (unter Berücksichtigung des Mitverschuldens von 1/3 und der bereits erfolgten Zahlung der Beklagten in Höhe von 6.000 EUR) ein Schmerzensgeld von verbleibenden 19.000 EUR für erforderlich und angemessen.

V. Die Beklagten sind ferner als Gesamtschuldner verpflichtet, der Klägerin ihren Haushaltführungsschaden für die Zeit vom 05.04.2011 bis 30.04.2014 in Höhe von 2.813,57 EUR zu ersetzen.

1. Die Klägerin hat die Zeiten, in denen sie unfallbedingt eingeschränkt war, in der Klageschrift unter Beifügung u.a. eines für die Beklagte zu 3) eingeholten ärztlichen Gutachtens des UKM N im Einzelnen und ohne dass die Beklagte dies substantiiert bestritten hat dargelegt.

Unter Berücksichtigung dieser Werte und der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen T2, der die Klägerin zu mindestens 50 % in der Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sieht und der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen I2 in der mündlichen Verhandlung von September 2016, der die Einschränkung der Klägerin in der Haushaltsführung auf Grund der Schmerzstörung mit 10 – 20 % bewertet, geht die Kammer für den Zeitraum vom 05.04.2011 bis zum 30.04.2014 nach Anhörung der Klägerin von einer im folgenden dargestellten Einschränkung in der Haushaltführung aus:

  • vom 05.04.2011 bis 30.04.2011: 100 % (stationärer Aufenthalt)
  • vom 01.05.2011 bis 01.10.2011: 50 %
  • vom 02.10.2011 bis 25.04.2012: 20 %
  • vom 26.04.2012 bis 30.04.2012: 100 % (weiterer stationärer Aufenthalt)
  • vom 01.05.2012 bis 31.05.2012: 50 %
  • ab dem 01.06.2012 bis auf weiteres: 15 %.

Dabei ergeben sich die Einschränkungen nicht nur aus der körperlichen Beeinträchtigung der Klägerin mit der Schmerzsymptomatik, die nicht nur z.B. das Einkaufen, sondern auch sämtliche weitere Tätigkeiten, wie Putzen und sogar Kochen erschweren, hinzu kommt die Depression der Klägerin, die sich – z.B. durch Antriebsarmut – ebenfalls im Haushalt auswirkt.

2. Die Kammer ist nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitpunkt zur Miete in einem Zweifamilienhaus mit einem Gartenanteil von 60 qm mit ihrem Sohn wohnte. Für die Haushaltsführung in einem solchen Zweipersonenhaushalt schätzt die Kammer einen wöchentlichen Stundenaufwand von ca. 26 h (Einkaufen ca. 4 h, Putzen ca. 4 h, Kochen und sonstige Mahlzeiten zubereiten 10 h, Gartenarbeit durchschnittlich über das Jahr 5 h, sonstiges 3 h), von denen die Hälfte, mithin 13 h, auf die Klägerin entfallen. Als angemessenes Entgelt geht die Kammer für die Haushaltstätigkeit von einem Stundenlohn von 8,50 EUR aus, so dass in der Woche für die Klägerin eine Betrag von 110,50 EUR, pro Tag ein Betrag von 15,79 EUR anfällt.

Es ergibt sich – unter Anwendung der jeweiligen oben dargelegten Quote der Minderung – folgende Berechnung:

  • vom 05.04.2011 bis 30.04.2011: 394,64 EUR  (stationärer Aufenthalt)
  • vom 01.05.2011 bis 01.10.2011: 1.215,50 EUR (50 % von 2431 EUR)
  • vom 02.10.2011 bis 25.04.2012: 650,39 EUR (20 % von 3251,94 EUR)
  • vom 26.04.2012 bis 30.04.2012: 63,16 EUR  (weiterer stationärer Aufenthalt)
  • vom 01.05.2012 bis 31.05.2012: 236,79 EUR (50 % von 473,58 EUR)
  • ab dem 01.06.2012 bis zum 30.04.2014: 1.659,87 EUR (15 % von 11.065,79 EUR)

gesamt 4.220,35 EUR, unter Anrechnung der Mitverschuldensquote der Klägerin verbleibt der tenorierte Betrag von 2.813,57 EUR.

VI. Der Feststellungsantrag ist ebenfalls in dem aus dem Tenor erkennbaren Umfang begründet.

Nach den durch die Kammer eingeholten Gutachten hat die Klägerin durch den Unfall Dauerschäden erlitten, die ersichtlich noch nicht ausgeheilt sind, so dass die wenn nicht sogar konkrete (Haushaltsführungsschaden) jedenfalls nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass in der Zukunft weitere, durch das vorliegende Urteil nicht abgedeckte Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten gegeben sind.

V. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 286 ff BGB, 92, 709 ZPO. Vorprozessuale Rechtanwaltsgebühren waren lediglich für die austenorierte Summe zuzusprechen, die geltend gemachte Gebühr erscheint angesichts der Komplexität der Angelegenheit nicht überhöht.

VI. Der Streitwert wird – nach den Angaben und Vorstellungen der Klägerseite – auf 84.873,37 EUR festgesetzt (Antrag zu 1 und 2 insgesamt 51.224,17 EUR, Antrag zu Ziff 3 bis 33.649,20 EUR).

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