Skip to content

Verkehrsunfall – Reparaturkostenabrechnung auf Basis der kalkulierten vor 6-Monats-Frist

Hälftige Haftung bei Verkehrsunfall: Berufungsverfahren endet ohne Erfolg

Das Landgericht Rottweil bestätigte mit seinem Urteil vom 07.02.2024 (Az.: 1 S 46/23) die Entscheidung des Amtsgerichts Freudenstadt, wonach die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen wurden. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden gegeneinander aufgehoben, und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wurde unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Im Kern drehte sich der Rechtsstreit um restliche Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall, wobei sowohl die Haftungsquote als auch die Abrechnungsbasis für den entstandenen Schaden strittig waren.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 S 46/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

; Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung und Anschlussberufung wurden zurückgewiesen, die Entscheidung des Amtsgerichts Freudenstadt bleibt somit bestehen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden gegeneinander aufgehoben.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wobei beiden Parteien die Möglichkeit gegeben wird, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.
  4. Revision wurde unter bestimmten Bedingungen zugelassen.
  5. Der Rechtsstreit fokussierte sich auf restliche Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall.
  6. Haftungsquoten und die Abrechnungsbasis des Schadens waren die Hauptstreitpunkte.
  7. Die Klägerin hat bereits teilweise Zahlungen von der Beklagtenseite erhalten, was die Höhe der weiter geforderten Ansprüche beeinflusste.
  8. Die Sechs-Monats-Frist für die Schadensregulierung und die Nutzung des beschädigten Fahrzeugs spielten eine wesentliche Rolle in der Urteilsfindung.

Schadenersatzabrechnung nach Verkehrsunfall: Die Bedeutung der Sechs-Monats-Frist

Verkehrsunfall: Reparaturkosten nach 6 Monaten
(Symbolfoto: Memory Stockphoto /Shutterstock.com)

Bei der Abrechnung von Verkehrsunfallschäden ist die Sechs-Monats-Frist ein entscheidender Faktor. Sie besagt, dass Geschädigte nicht verpflichtet sind, sechs Monate auf die Schadensregulierung zu warten. Besonders relevant ist diese Frist für die Abrechnung der Reparaturkosten auf Basis eines vor sechs Monaten kalkulierten Schadens. Die rechtzeitige Schadensregulierung innerhalb dieser Frist ist unerlässlich, um eine zügige Abwicklung zu gewährleisten und rechtliche Komplikationen zu vermeiden.

Wenn Sie Fragen zur Schadenersatzabrechnung nach einem Verkehrsunfall haben, zögern Sie nicht und fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.

Im Zentrum eines rechtlichen Tauziehens stand ein Verkehrsunfall, der sich am Nachmittag des 7. Mai 2022 in der Gemeinde W ereignete. Beteiligt waren ein VW-Transporter, geführt von einem Angestellten der Klägerin, und ein VW Golf, im Besitz der Beklagten Ziffer 1 und versichert bei der Beklagten Ziffer 2. Der Unfall führte zu einer komplexen Auseinandersetzung über die Abrechnung der Reparaturkosten, die schließlich vor dem Landgericht Rottweil endete.

Der Unfall und seine Folgen

Der Unfall ereignete sich, als der Fahrer des Transporters rückwärts an einer Garage vorbeifuhr, um eine Lieferung zu tätigen. Just in diesem Moment setzte der VW Golf aus der Garage zurück, woraufhin es zur Kollision kam. Die Klägerin, Eigentümerin des Transporters und Betreiberin eines Kurierunternehmens, machte Schadensersatzansprüche geltend. Sie verlangte die Erstattung der Reparaturkosten auf Basis eines von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens, das Kosten von insgesamt 8.411,75 € feststellte. Die Beklagte Ziffer 2 leistete eine Zahlung, die allerdings nur einen Teil des geforderten Betrags abdeckte, woraufhin die Klägerin rechtliche Schritte einleitete.

Juristische Auseinandersetzung und Ersturteil

Das Amtsgericht Freudenstadt wies die weitergehenden Ansprüche der Klägerin ab und bestätigte eine hälftige Haftungsteilung. Beide Parteien legten Berufung ein. Die Klägerin argumentierte, die Beklagten trügen die volle Schuld am Unfall, während die Beklagten eine zusätzliche Regulierung über den bereits gezahlten Betrag hinaus ablehnten.

Landgericht Rottweil bestätigt hälftige Haftung

Das Landgericht Rottweil wies sowohl die Berufung der Beklagten als auch die Anschlussberufung der Klägerin zurück und bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass beide Parteien eine Teilschuld trafen und daher eine hälftige Haftungsteilung angemessen sei. Besonders berücksichtigt wurde dabei die Frage der Vermeidbarkeit des Unfalls und die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt durch beide Fahrzeugführer.

Schlüsselargumente und gerichtliche Bewertung

Ein kritischer Punkt in der Auseinandersetzung war die Frist von sechs Monaten, innerhalb derer die Klägerin ihre Ansprüche auf Basis der kalkulierten Reparaturkosten geltend machte. Das Gericht stellte klar, dass die Sechs-Monats-Frist kein Hindernis für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen darstellt, solange das Fahrzeug weiterhin genutzt wird. Diese Interpretation stärkt das Integritätsinteresse der Geschädigten und ermöglicht eine flexiblere Handhabung von Schadensersatzforderungen nach einem Verkehrsunfall.

Fazit

Das Urteil des Landgerichts Rottweil verdeutlicht die Bedeutung einer sorgfältigen Beweisführung und die Notwendigkeit, alle relevanten Faktoren, wie die Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und die Vermeidbarkeit des Unfalls, zu berücksichtigen. Es bestätigt zudem die Rechtsauffassung, dass die Sechs-Monats-Frist für die Abrechnung von Schadensersatzansprüchen auf Basis der Reparaturkosten keine absolute Barriere darstellt.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was bedeutet die Sechs-Monats-Frist bei der Reparaturkostenabrechnung?

Die Sechs-Monats-Frist bei der Reparaturkostenabrechnung nach einem Verkehrsunfall bezieht sich auf die Nutzungsdauer des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur. Wenn ein Geschädigter nach einem Unfall die Reparaturkosten von der gegnerischen Versicherung ersetzt haben möchte, ohne das Fahrzeug tatsächlich reparieren zu lassen (fiktive Abrechnung), muss er in der Regel nachweisen, dass er das Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiterhin nutzt. Dies dient als Indiz dafür, dass der Geschädigte ein Interesse an der Integrität des Fahrzeugs hat, also daran, das Fahrzeug in einem verkehrssicheren Zustand zu erhalten und weiter zu nutzen.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Geschädigter die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs verlangen kann, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt. Dies gilt auch dann, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigen. Die Sechs-Monats-Frist hat dabei keine direkte Auswirkung auf die Fälligkeit des Anspruchs, sondern dient als Beweismittel für das Integritätsinteresse des Geschädigten.

Wenn der Geschädigte das Fahrzeug vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist verkauft, kann dies gegen ein vorhandenes Integritätsinteresse sprechen. In solchen Fällen kann die Versicherung die Zahlung der vollen Reparaturkosten verweigern, da der Geschädigte nicht nachweisen kann, dass er das Fahrzeug tatsächlich weiter nutzen wollte.

Zusammengefasst bedeutet die Sechs-Monats-Frist, dass ein Geschädigter, der nach einem Unfall Schadenersatz für Reparaturkosten beansprucht, in der Regel das Fahrzeug sechs Monate lang weiter nutzen muss, um sein Integritätsinteresse zu belegen und die fiktiven Reparaturkosten erstattet zu bekommen.

Inwiefern trägt die Nutzungsdauer eines Fahrzeugs nach einem Unfall zur Schadensersatzberechnung bei?

Die Nutzungsdauer eines Fahrzeugs nach einem Unfall ist ein wichtiger Faktor bei der Schadensersatzberechnung, insbesondere wenn es um die fiktive Abrechnung der Reparaturkosten geht. Bei der fiktiven Abrechnung werden die Reparaturkosten auf Basis eines Gutachtens erstattet, ohne dass eine tatsächliche Reparatur stattfinden muss. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgelegt, dass ein Geschädigter die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs verlangen kann, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt. Diese Sechs-Monats-Frist dient als Nachweis des Integritätsinteresses des Geschädigten, also des Interesses, das Fahrzeug in einem verkehrssicheren Zustand zu erhalten und weiter zu nutzen.

Die Sechs-Monats-Frist hat keine direkte Auswirkung auf die Fälligkeit des Anspruchs, sondern fungiert als Beweismittel für das Integritätsinteresse. Wenn der Geschädigte das Fahrzeug vor Ablauf dieser Frist verkauft, kann dies gegen ein vorhandenes Integritätsinteresse sprechen und die Versicherung kann die Zahlung der vollen Reparaturkosten verweigern.

Zusätzlich kann der Geschädigte bei Nichtnutzung des Fahrzeugs aufgrund eines Unfalls eine Nutzungsausfallentschädigung geltend machen. Diese Entschädigung wird für die Zeit gewährt, in der das Fahrzeug nicht benutzbar ist, und soll den geldwerten Vermögensnachteil ausgleichen, der durch den Ausfall des Fahrzeugs entsteht.

Benötigen Sie Hilfe vom Anwalt? Schildern Sie uns Ihr Anliegen und fordern online unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.

Insgesamt ist die Nutzungsdauer des Fahrzeugs nach einem Unfall also ein entscheidender Faktor für die Höhe des Schadensersatzes, den der Geschädigte beanspruchen kann.

Was versteht man unter einem unabwendbaren Ereignis im Kontext von Verkehrsunfällen?

Unter einem „unabwendbaren Ereignis“ im Kontext von Verkehrsunfällen versteht man ein Ereignis, das auch bei Anwendung der größtmöglichen Sorgfalt und Einhaltung aller Verkehrsregeln nicht verhindert werden konnte. Dieser Begriff ist im § 17 Abs. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) verankert und spielt eine zentrale Rolle bei der Frage der Haftung nach einem Verkehrsunfall. Ein unabwendbares Ereignis impliziert nicht die absolute Unvermeidbarkeit eines Unfalls, sondern bezieht sich auf Situationen, in denen ein Schaden durch ein Ereignis entsteht, das selbst bei äußerster möglicher Sorgfalt nicht abgewendet werden kann.

Für die Anerkennung eines Ereignisses als unabwendbar ist erforderlich, dass sowohl der Halter als auch der Fahrer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Das bedeutet, dass sie sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben müssen, der erhebliche fremde Fehler und alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigt und seine Geschwindigkeit entsprechend anpasst oder sogar anhält, um einen Unfall zu vermeiden.

Die Beweislast für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses liegt beim Schadensverursacher. Er muss nachweisen, dass der Unfall durch das Ereignis in keiner Weise vermeidbar war. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Unfall durch eine plötzliche, unvorhersehbare Handlung eines anderen Verkehrsteilnehmers oder durch eine unerwartete, extreme Witterungsbedingung verursacht wurde, die auch bei größtmöglicher Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können.

Es ist wichtig zu verstehen, dass der Begriff des unabwendbaren Ereignisses eng ausgelegt wird und in der Praxis nur selten zur Anwendung kommt. Die Anforderungen der Rechtsprechung an das Vorliegen eines solchen Ereignisses sind hoch, und es wird eine umfassende Prüfung des Einzelfalls vorgenommen, um festzustellen, ob tatsächlich alle denkbaren Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wurden.


Das vorliegende Urteil

LG Rottweil – Az.: 1 S 46/23 – Urteil vom 07.02.2024

1. Die Berufung der Beklagten sowie die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt vom 19.07.2023, Az. 5 C 221/22, werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird gestattet, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei selbst Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird zugelassen, beschränkt auf die Berufung der Beklagten.

Beschluss

Der Streitwert wird für die Berufung auf 1.682,41 € und für die Anschlussberufung auf 1.559,60 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über restliche Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall, der sich am 07.05.2022 gegen ca. 14:30 Uhr in der Gemeinde W ereignet hat.

Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt Eigentümerin des VW-Transporters mit dem amtlichen Kennzeichen H, welcher auf sie zugelassen war. Die Beklagte Ziffer 1 war zum Unfallzeitpunkt Halterin des Fahrzeugs VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen F, welches bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversichert war. Die Klägerin betreibt ein Kurierunternehmen. Ihr angestellter Fahrer, der Zeuge C, fuhr mit dem VW-Transporter rückwärts in einem Abstand von etwa drei Metern an der Garage der Beklagten Ziffer 1 vorbei, um zu einer Abladestelle zu gelangen (vgl. zur Örtlichkeit die Lichtbilder auf Bl. 102 ff. Akte AG). Als das Fahrzeug sich vor der Garagenausfahrt befand, setzte der Beklagte Ziffer 3 zurück, um aus der Garage zu fahren. Hierbei kam es zum Zusammenstoß zwischen den Fahrzeugen. Die Klägerin hat außergerichtlich ein Sachverständigengutachten eingeholt, für das Kosten in Höhe von netto 874,50 € anfielen. Die Reparaturkosten betragen netto 7.212,25 €, der Wiederbeschaffungswert 11.500,00 € und der Restwert 6.200,00 €. Infolge einer Reparatur würde eine Wertverbesserung in Höhe von 800,00 € eingetreten. Die Klägerin hat über ihren Prozessbevollmächtigten mit E-Mail vom 23.05.2022 gegenüber der Beklagten Ziffer 2 auf Basis der Nettoreparaturkosten in Höhe von 7.212,25 €, einer Wertminderung in Höhe von 300,00 €, Sachverständigenkosten in Höhe von 874,50 € und einer Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 € Zahlung in Höhe von 8.411,75 € bis zum 30.05.2022 geltend gemacht. Mit Abrechnungsschreiben vom 12.07.2022 hat die Beklagte Ziffer 2 unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 % auf Basis eines unechten Totalschadens in Höhe von 4.453,79 €, Sachverständigenkosten in Höhe von 874,50 € und der Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 € insgesamt 2.676,65 € abgerechnet.

Die Klageschrift wurde den Beklagten Ziffer 1 und 2 am 09.09.2022 zugestellt.

Die Klägerin war erstinstanzlich der Auffassung, dass die Beklagte zu 100 % für den Unfall haften. Der Fahrer der Klägerin habe das Fahrzeug sofort gestoppt, habe die Kollision aber nicht verhindern können. Obwohl er sich während der Rückwärtsfahrt nach hinten orientiert habe, sei es ihm nicht möglich gewesen zu erkennen, dass aus der Garage ein Fahrzeug herausfahren werde. Die Kollision sei für den Fahrer der Klägerin unvermeidbar gewesen. Der Beklagte Ziffer 3 habe sich zwingend bei der Ausfahrt aus der Garage ausweisen lassen müssen. Die Klägerin lasse sich einen Abzug für Wertverbesserung in Höhe von 800,00 € anrechnen, so dass nach Bezahlung von 2.676,65 € dem Kläger weitere 4.935,10 € zustünden.

Die Klägerin beantragte vor dem Amtsgericht ursprünglich:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 4.935,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.09.2022 zu bezahlen.

Mit Schriftsatz vom 06.12.2022 (Bl. 54 ff. Akte AG) hat die Klägerin die Klage auf den Beklagten Ziffer 3 erweitert. In der Sitzung vom 21.12.2022 hat die Klägerin Klageantrag Ziffer 2 in Höhe von 308,60 € für erledigt erklärt, die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung angeschlossen.

Mit Schriftsatz vom 13.02.2023 (Bl. 85 Akte AG) hat die Klägerin Klageantrag Ziffer 1 in Höhe von 1.529,23 € und Klageantrag Ziffer 2 in Höhe von 145,60 € für erledigt erklärt.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten waren erstinstanzlich der Auffassung, dass über den regulierten Betrag hinaus keine Forderung der Klägerin mehr zu regulieren sei. Der Beklagte Ziffer 3 sei höchstens mit Schrittgeschwindigkeit aus der Garage gefahren. Er habe die Kollision nicht verhindern können. Aus der Unfallendstellung ergebe sich, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs zuvor mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Dieser sei auch unachtsam gewesen. Der Beklagte Ziffer 3 sei aus der Garage ausgefahren, als sich das klägerische Fahrzeug noch in weiter Entfernung befunden habe. In Bezug auf die Höhe, schulden die Beklagten allenfalls Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwandes, da zu bestreiten sei, dass die Klägerin ihr Fahrzeug weiter nutze. Außerdem sei am klägerischen Fahrzeug keine merkantile Wertminderung eingetreten.

Nachdem die Klägerin replizierend die Zulassungsbescheinigung Teil I eingereicht und vorgetragen hat, dass sich daraus ergebe, dass das Fahrzeug noch im Eigentum der Klägerin stehe, auf sie zugelassen sei und genutzt werde, hat die Beklagte duplizierend vorgetragen, dass der weiteren Regulierung nunmehr daraufhin die kalkulierten Reparaturkosten zugrunde gelegt werden. Insoweit hat die Beklagte Ziffer 2 mit Schreiben vom 27.12.2022 (Anlage B1, Bl. 75 Akte AG) eine erneute Abrechnung gegenüber der Klägerin vorgenommen und auf den in Klageantrag Ziffer 1 geltend gemachten Schaden 1.529,23 € und auf den in Ziffer 2 geltend gemachten Schaden weitere 145,60 € reguliert.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 09.08.2023 (AS 130 ff. Akte AG) festgestellt, dass der Klageantrag Ziffer 1 in Höhe von 1.529,23 € und der Klageantrag Ziffer 2 in Höhe von 145,60 € erledigt sind und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Amtsgericht hat die Teilerledigung als Antrag auf Feststellung umgedeutet, dass der Rechtsstreit in dieser Höhe erledigt sei und diesen für begründet erachtet, da die Beklagten keine weiteren Einwände erhoben hätten. Im Übrigen geht das Amtsgericht von einer hälftigen Haftungsteilung aus, weshalb es die weiteren Ansprüche abgewiesen hat.

Gegen dieses Urteil vom 09.08.2023, welches den Beklagten am 09.08.2023 zugestellt wurde, wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung vom 31.08.2023, welche sie mit Schriftsatz vom 09.11.2023 begründeten. Sie machen geltend, dass zunächst zutreffend wegen eines unechten Totalschadens reguliert worden sei, da die Klägerin lediglich das Privatgutachten vorgelegt habe. Sie habe aber nicht erklärt, ob sie ihr Fahrzeug reparieren lasse oder es im unreparierten Zustand verkaufe. Dies sei erstmals in der Klageschrift vom 16.08.2022 der Fall gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Frist von sechs Monaten aber noch nicht abgelaufen gewesen. Zudem sei die Weiternutzung von der Beklagten in der Klageerwiderung bestritten worden. Erst nachdem der Zeuge C im Termin die Weiternutzung bestätigt habe, sei auf Basis der kalkulierten Reparaturkosten reguliert worden. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.02.2023 die Klage teilweise für erledigt erklärt hat, sei dieser Schriftsatz nicht bei den Beklagten bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten eingegangen. Wäre der Schriftsatz zugegangen, hätten sich die Beklagten der Teilerledigung angeschlossen und beantragt, die Kosten auch des erledigten Teils der Klage der Klägerin aufzuerlegen. Da zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Frist von sechs Monaten noch nicht abgelaufen gewesen sei, sei auch eine Abrechnung auf Basis der kalkulierten Reparaturkosten noch nicht möglich gewesen. Der Beklagtenvertreter erklärte jedoch nicht ausdrücklich die Zustimmung zur Erledigung.

Die Beklagten beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt – 5 C 221/22 –, zugestellt am 09. August 2023, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung mit Schriftsatz vom 28.11.2023 beantragt die Klägerin, das Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt wie folgt abzuändern:

1. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 1.559,60 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin Anwaltshonorar in Höhe 72,80 € zu bezahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagten zu 70 % für den Unfall haften. Die vom Amtsgericht angenommene Haftungsquote von 50 % sei unzutreffend, weil es nur auf die Frage der Unvermeidbarkeit abgestellt habe. Das schuldhafte Verhalten des Beklagten Ziffer 3 sei mit 70 % zu bewerten, das des Zeugen Cabral mit 30 %. Da sich der Beklagte Ziffer 3 von seiner Garage aus in den Verkehr bewegt habe, sei § 10 StVO zumindest analog anzuwenden. Dem Zeugen Cabral sei vorzuwerfen, dass er nicht mit Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Die angenommene Haftung von 50 % sei daher unzutreffend. Die Klägerin habe ihren Schaden auf der Basis der fiktiven Reparaturkosten mit 7.611,75 € beziffert. Hierauf habe die Beklagte Ziffer 2 am 13.07.2022 einen Betrag in Höhe von 2.239,40 € bezahlt. In der Klageschrift sei versehentlich eine Zahlung der Beklagten Ziffer 2 in Höhe von 2.676,65 € gemäß Ihrem Abrechnungsschreiben vom 12.07.2022 vorgetragen worden. Dieser Vortrag sei falsch. Am 28.12.2022 habe die Beklagte Ziffer 2 weitere 1.529,23 € bezahlt, so dass bei einer Haftungsquote von 70 % die ursprünglich begründete Forderung der Klägerin 5.328,23 € betragen habe, und tatsächlich noch der mit der Anschlussberufung geltend gemachte Betrag in der Hauptsache offen sei.

Die Beklagten haben hierauf erwidert, dass § 10 StVO nicht greife, da es an der Unfallstelle keine Fahrbahn im Sinne des § 10 StVO gebe. Es handele sich vielmehr um eine einheitliche Verkehrsfläche, auf der beide Unfallbeteiligte rückwärts aufeinander zugefahren seien. Die Beklagte Ziffer 2 habe ausweislich ihres als Anlage B 5 beigefügten Abrechnungsschreibens vom 12.07.2022 vorgerichtlich einen Betrag in Höhe von 2.676,65 €, wie von der Klägerin in der Klage vorgetragen, bezahlt. Wenn die Klägerin in ihrer Anschlussberufung vortragen lasse, es sei tatsächlich nur ein Betrag in Höhe von 2.239,40 € bezahlt worden, werde diese Behauptung bestritten.

Die Kammer hat am 17.01.2024 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2024 (Bl. 89 ff. eAkte) sowie auf die eingereichten Schriftsätze und das Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt vom 09.08.2023 Bezug genommen.

II.

Sowohl Berufung als auch Anschlussberufung sind zulässig, jedoch unbegründet und daher zurückzuweisen.

1.

Das Amtsgericht hat zutreffend festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich Klageantrag Ziffer 1 in Höhe von 1.529,23 € und hinsichtlich Klageantrag Ziffer 2 in Höhe von 146,60 € erledigt hat.

a)

Bleibt die Teilerledigungserklärung einseitig, stellt dies einen Antrag dar, die Erledigung der Hauptsache festzustellen, was eine regelmäßig wegen § 264 Nr. 2 ZPO als zulässig anzusehende Klageänderung darstellt (Thomas/Putzo, 44. Auflage 2023, § 91a ZPO, Rn 32).

Dabei kann unterstellt werden, dass der Schriftsatz der Klägerseite vom 23.02.2023 (Bl. 85 d.A.), in dem die Teilerledigung erklärt wurde, nicht an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten weitergeleitet wurde. Die Beklagten erlangten jedenfalls mit der Zustellung des Urteils vom 09.08.2023 hiervon Kenntnis. Bis zuletzt – auch nicht konkludent – wurde keine entsprechende prozessuale Erklärung abgegeben.

b)

Die Feststellungsklage ist auch begründet, da die Hauptsache in diesem Umfang erledigt ist.

aa)

Die Feststellungsklage ist begründet, wenn die erledigenden Tatsachen unbestritten, zugestanden oder bewiesen sind. Außerdem muss die Klage zur Zeit des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen sein (BGH NJW 19, 2544). Ferner muss sie durch ein nach Rechtshängigkeit eintretendes erledigendes Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden sein (BGH NJW-RR 23, 139).

bb)

Unstreitig hat die Beklagte Ziffer 2 am 28.12.2022 und damit nach Rechtshängigkeit der Klage Teilzahlungen auf die Hauptforderung in Höhe von 1.529,23 € und auf den Klageantrag Ziffer 2 in Höhe von 145,60 € geleistet.

cc)

Die Klage war auch hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils zur Zeit des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet.

Ist der Reparaturaufwand höher als der Wiederbeschaffungsaufwand, jedoch niedriger als der Wiederbeschaffungswert, so kann der Geschädigte die Netto-Reparaturkosten ansetzen, wenn er den reparierten Gegenstand mindestens noch sechs Monate weiternutzt und ggf. verkehrssicher (teil-)reparieren lässt (BGH, NJW 2006, 2179; BGH, NJW 2008, 1941).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Geschädigte aber nicht darauf verwiesen werden, Schadensersatzansprüche erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist geltend zu machen, da es sich bei der Sechs-Monats-Frist weder um eine Fälligkeitsvoraussetzung noch um eine eigene Anspruchsvoraussetzung handelt (LG Köln, Beschluss vom 14.07.2017, Az.: 11 S 444/16, BeckRS 2017, 122898). Sie ist vielmehr Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse und hat damit beweisrechtliche Bedeutung (BGH, NJW 2009, 910). Durch den Ablauf der Sechs-Monats-Frist ist der Beweis geführt, dass das Integritätsinteresse der Klägerin von Anfang an bestand. Die Frist als eigenständige Anspruchsvoraussetzung zu verstehen, verbietet sich schon deshalb, weil nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund eine Erweiterung der sich aus §§ 823 Abs. 1 BGB bzw. 7 Abs. 1 StVG i.V.m. 249 BGB, 271 BGB ergebenden Anspruchsvoraussetzungen durch die Rechtsprechung angezeigt sein könnte. Dies würde auch zu einer für die Mehrzahl der Geschädigten unzumutbaren Regulierungspraxis führen. Diese müssten, obwohl sie ihr Fahrzeug ordnungsgemäß reparieren ließen oder lassen wollen, bis zu sechs Monate auf die Zahlung eines Großteils der ihnen zustehenden Ersatzforderung warten. Insoweit belastet es den Haftpflichtversicherer auch nicht unzumutbar, wenn er bei sofortiger Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs das Solvenzrisiko hinsichtlich eines etwaigen Rückforderungsanspruchs trägt, sofern der Haftpflichtversicherer innerhalb der Sechs-Monats-Frist zahlt (BGH, NJW 2009, 910).

Die Klägerin hat spätestens mit der Klageschrift dargelegt, das Fahrzeug weiter zu nutzen. Die Beklagten stellen in der Berufungsbegründung selbst darauf ab, dass der Zeuge C im Termin vom 21.12.2022 bestätigt hat, dass sich das Fahrzeug weiterhin im Besitz der Klägerin befindet und benutzt wird. Der Klägerin war es daher lediglich bis dahin noch nicht gelungen den ihr obliegenden Beweis eines Weiterbenutzungswillens zu führen (AG Trier, NJW-RR 2008, 185; LG Rottweil, 1 S 58/15 – zitiert nach juris). Eine zeitweise Beweisnot der Klägerin steht der Fälligkeit des einmal begründeten Anspruchs jedoch nicht entgegen. Folglich ist es das Prozessrisiko der Beklagten, dass sie den begründeten und fälligen Anspruch nicht bereits vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist ausgeglichen haben. Vorliegend hätten die Beklagten daher zunächst auf Basis der Netto-Reparaturkosten leisten müssen und hätte sich hinsichtlich des oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwands liegenden Anspruchsteils mit einem Rückforderungsvorbehalt versehen dürfen, was vorliegend jedoch nicht geschehen ist. Wird dann die Sechs-Monats-Frist vom Geschädigten nicht eingehalten und liegt auch kein sonstiger Ausnahmefall vor, besteht später die Möglichkeit eines Regresses des Kfz-Haftpflichtversicherers, der die Reparaturkosten unter Rückforderungsvorbehalt an den Geschädigten gezahlt hat (BGH, NJW 2009, 910). Denn bei Nichteinhaltung der Sechs-Monats-Frist hat der Geschädigte keinen Anspruch auf die Netto-Reparaturkosten, sondern lediglich auf den Wiederbeschaffungsaufwand.

Die Kammer folgt der vom Oberlandesgericht Stuttgart im Beschluss vom 19.04.2022 (Anlage B4) vertretenden Auffassung im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 2009, 910) nicht. Soweit in dem Beschluss auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.05.2006 (BGHZ 168, 43) Bezug genommen wird, lag dieser zugrunde, dass der Geschädigte das Fahrzeug zwar zunächst weiter genutzt hat, es dann aber nach ca. vier Monaten unrepariert veräußert hat. Der Entscheidung ist zwar zu entnehmen, dass eine Weiterbenutzung für regelmäßig sechs Monate erforderlich ist. Der Bundesgerichtshof führt aber gerade nicht aus, dass der Geschädigte vor Ablauf dieser Frist daran gehindert ist, seinen Schaden fiktiv auf Basis des Netto-Wiederbeschaffungsaufwand geltend zu machen. Vielmehr ist die tatsächliche Weiternutzung lediglich ein Indiz für das erforderliche Integritätsinteresse (OLG München, Urteil vom 19.12.2023, 24 U 3811/23 e, Rn. 23).

2.

Auch die vom Amtsgericht angenommene Mithaftung der Klägerin im Umfang von 50 % ist nicht zu beanstanden. Ebenso ist die von der Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz behauptete geringere außergerichtliche Zahlung seitens der Beklagten Ziffer 2 nicht zu berücksichtigen.

a)

Der Klägerin steht kein weiterer Zahlungsanspruch auf die Hauptforderung in Höhe von 1.559,60 € aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG zu.

aa)

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG liegen vor, da das klägerische Fahrzeug beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs beschädigt wurde.

b)

Ausgehend vom Maßstab des § 17 Abs. 3 StVG war der Unfall für keine der Parteien unvermeidbar. Eine Alleinhaftung der Gegenseite aufgrund einer Unvermeidbarkeit des Unfalls kommt daher nicht in Betracht.

aa)

Die Verpflichtung zum Schadensersatz ist nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Kraftfahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hat. Für die Frage der Unvermeidbarkeit nach § 17 Abs. 3 StVG ist maßgeblich, ob ein Idealfahrer, der vorausschauend, umsichtig, reaktionsschnell, defensiv und rücksichtsvoll fährt, die Kollision hätte vermeiden können, weil er schon gar nicht in die entsprechende Situation gekommen wäre oder jedenfalls die Kollision durch ein entsprechendes Verhalten hätte verhindern können (vgl. z.B. BGH, Urteil v. 17.03.1992, Az. VI ZR 62/91 Kaufmann, in Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 25. Kapitel, Rn. 114 ff.). Derjenige, der sich auf die Unvermeidbarkeit beruft, hat den Beweis dafür zu erbringen.

bb)

Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Fischer, welcher sein Gutachten nachvollziehbar und widerspruchsfrei erstattet hat, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass das Unfallgeschehen für beide Fahrzeuglenker vermeidbar gewesen ist. Die Kammer macht sich die Ausführungen des Sachverständigen zu eigen und schließt sich diesen nach eigener Prüfung im Ergebnis an.

Nach den getroffenen Feststellungen war die Sicht für beide Fahrzeuglenker durch Grünbewuchs eingeschränkt und die Fahrzeuge somit je nach eingehaltener Fahrgeschwindigkeit erst 1,5 bis 2 Sekunden vor der Kollision gegenseitig sichtbar. Aufgrund der Garagenwand hatte der Fahrzeuglenker des Beklagtenfahrzeugs erst kurz nach dem klägerischen Fahrzeug Sicht auf das entsprechende Fahrzeug.

Um auf eine Gefahrsituation entsprechend reagieren zu können, war es nach den Feststellungen des Sachverständigen daher erforderlich, eine Fahrgeschwindigkeit von Schrittgeschwindigkeit (4 bis 6 km/h) einzuhalten, um das Fahrzeug innerhalb einer Wegstrecke von 1,2 bis 2 m zum Stillstand zu bringen. Hätten im vorliegenden Fall beide Fahrzeuglenker Schrittgeschwindigkeit eingehalten, hätten beide Fahrzeuglenker den Unfall vermeiden können.

Hinsichtlich des klägerischen Fahrzeuglenkers wurde die Schrittgeschwindigkeit mit einer vom Sachverständigen festgestellten Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h nicht eingehalten, weshalb das Unfallereignis für die Klägerin nicht unabwendbar war.

Hinsichtlich des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs hat der Sachverständige eine Geschwindigkeit von 6 bis 10 km/h festgestellt. Da die Beklagten für die eigene Unabwendbarkeit beweispflichtig sind, kann eine Geschwindigkeit von lediglich 6 km/h nicht zugrunde gelegt werden, da auch eine höhere Geschwindigkeit in Betracht kommt. Demnach ist auch für den Beklagten Ziffer 3 nicht nachgewiesen, dass er die erforderliche Schrittgeschwindigkeit eingehalten hat. Im Übrigen hat der Sachverständige festgestellt, dass der Beklagte Ziffer 3 bei entsprechender Orientierung nach hinten rechts das herannahende Fahrzeug der Klägerin hätte erkennen und das Unfallgeschehen durch Abbremsen vermeiden können.

c)

Ausgehend vom Maßstab des § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG haften die Parteien jeweils zu 50 %.

aa)

Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes hängt nach § 17 Abs. 2 und 1 StVG von einer Abwägung der Umstände im Einzelfall ab. Einzustellen sind zunächst die kausalen, unstreitigen bzw. bewiesenen Verursachungsbeiträge. Maßgeblich sind die Umstände des konkreten Unfalles, wie z.B. die Beschaffenheit und Masse des Kfz, die Geschwindigkeit, das konkrete Fahrmanöver, der Verstoß gegen Verkehrsregeln und subjektive Eigenschaften des Fahrers, z.B. das Fehlen eines Führerscheins oder alkoholisiertes bzw. übermüdetes Fahren. Neben der abstrakten Betriebsgefahr, die sich aufgrund der Eigenschaften des Kfz beurteilen lässt, ist das Verschulden ein maßgeblicher Aspekt bei der Abwägung. Wer einen schuldhaften Verkehrsverstoß begeht, haftet stärker als derjenige, der lediglich verspätet reagiert; wer aufgrund seines Verhaltens einen eine gesteigerte Sorgfalt zu beachten hat, haftet ebenfalls in größerem Umfang. Bei schwerwiegenden Verkehrsverstößen oder umgekehrt im Falle von minimalen Sorgfaltspflichtverstößen kann die Haftung sogar ganz zurücktreten. Eine schematische Quotenbildung verbietet sich jedoch (vgl. z.B. Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 17 StVG, Rn. 10 ff. m.w.N.).

bb)

Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass beiden Fahrzeuglenkern neben der abstrakten Betriebsgefahr jeweils auch ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO anzulasten ist.

Hierfür spricht bereits der Anscheinsbeweis. Denn im Falle eines Unfalls aufgrund einer Rückwärtsfahrt wird ein schuldhafter Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, wonach sich ein Fahrer beim Rückwärtsfahren so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, mittels eines Anscheinsbeweises angenommen, wenn das Fahrzeug, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis gehen soll, rückwärts fuhr und im Zeitpunkt der Kollision unstreitig oder nachweislich auch noch in der Rückwärtsbewegung war (vgl. BGH, 15.12.2016, VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098, Rn. 15; Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Auflage 2022, § 9 StVO, Rn. 69 m.w.N.).

Unstreitig befanden sich beide Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Kollision in Rückwärtsbewegung, weshalb der Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen die Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO greift.

cc)

Dem Beklagten Ziffer 3 ist darüber hinaus kein Verstoß gegen § 10 StVO anzulasten.

Nach Auffassung der Kammer liegen die Voraussetzungen des § 10 StVO nicht vor. Denn Einfahren im Sinne der Vorschrift ist die Fahrbewegung auf die Fahrbahn des fließenden Verkehrs. Der Einfahrende kommt aus einem Grundstück, einer Fußgängerzone, einem verkehrsberuhigten Bereich, von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein (BeckOK StVR/Grabow, 22. Ed. 15.01.2024, StVO § 10 Rn. 5-7).

Aufgrund der örtlichen Begebenheiten ist die Kammer der Auffassung, dass es sich bei der asphaltierten Fläche vor der Garage nicht um eine dem fließenden Verkehr dienenden Fahrbahn handelt.

Ob einer Fahrspur Straßencharakter zukommt, wird danach beurteilt, ob die baulichen Verhältnisse für den Verkehrsteilnehmer vertraute typische Straßenmerkmale erkennen lassen, wobei Unterschiede in der Gewichtung einzelner baulicher Merkmale, wie etwa Fahrbahnmarkierungen, Fahrspurbreite oder Asphaltierung bestehen (vgl. dazu näher Siegel, NJW 2019, 2502, 2503). In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung rückt dabei die Bedeutung der für den Verkehrsteilnehmer erkennbaren Funktion der Fahrspuren in den Vordergrund, wobei der Straßencharakter verneint wird, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindest auch zweckbestimmend ist (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2022, 1194 Rn. 22; OLG München, r+s 2020, 476 Rn. 6).

Vorliegend liegen die Voraussetzungen nach Auffassung der Kammer nicht vor. Denn anhand der Lichtbilder (Bl. 102 ff. Akte AG) ist erkennbar, dass sich die asphaltierte Fläche lediglich noch ein kleines Stück bis zum folgenden Hausgrundstück fortsetzt und dort offenbar endet. Fahrbahnmarkierungen fehlen gänzlich. Auch die Breite der asphaltierten Fläche lässt darauf schließen, dass die Fläche vor der Garage neben dem Erreichen des angrenzenden Hausgrundstücks primär dazu dient, in die Garage hineinzufahren und diese auch wieder verlassen zu können. Hierfür spricht auch, dass es zwischen der Garagenausfahrt und der asphaltierten Fläche keine Abgrenzung gibt. Die Fläche innerhalb der Garage geht scheinbar fließend in die asphaltierte Fläche über. Demnach handelt es sich nicht um eine Straße, welche dem Vorrang des fließenden Verkehrs dient, sondern um eine einheitliche Fläche, deren primärer Zweck es ist, Fahrzeuge zu rangieren und die Garage zu erreichen. Für diese Auslegung und gegen eine Verkehrsfläche i. S. v. § 10 StVO spricht im Übrigen auch das auf Bild 1 (Bl. 102 Akte AG) erkennbare private Hinweisschild.

Dieser Einordnung steht auch nicht entgegen, dass möglicherweise Fahrzeuge vom angrenzenden Grundstück aus die asphaltierte Fläche zur Ausfahrt nutzen könnten. Allein anhand der Lichtbilder ist bereits nicht zweifelsfrei feststellbar, ob Fahrzeuge von dort aus überhaupt auf die asphaltierte Fläche gelangen können. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, sieht die Kammer dies aufgrund der örtlichen Verhältnisse nicht als vordergründige Nutzung an. Folglich geht die Kammer davon aus, dass es sich um eine einheitliche Fläche handelt und der Beklagte Ziffer 3 gerade nicht im Sinne einer Fahrbewegung auf die Fahrbahn des fließenden Verkehrs eingefahren ist, als er seine Garage verlassen hat.

dd)

Unter Berücksichtigung dieser Umstände des Einzelfalls ist eine Haftung von jeweils 50 % gerechtfertigt.

d)

Die Klägerin kann sich in der Berufungsinstanz auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte Ziffer 2 außergerichtlich einen geringeren Geldbetrag als 2.676,65 € bezahlt haben soll.

Das Berufungsgericht ist grundsätzlich an die Feststellungen des Amtsgerichts nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Zu den Feststellungen in diesem Sinne zählen neben den Tatsachen, die in Würdigung erhobener Beweise als wahr oder unwahr festgestellt worden sind, auch die Wiedergabe des tatsächlichen mündlichen bzw. schriftlichen Vorbringens der Parteien in Gestalt eines Sach- und Streitstandes (Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 529 ZPO, Rn. 2).

Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies ist unter anderem der Fall, wenn das Erstgericht zu streitentscheidendem Parteivorbringen überhaupt keine Feststellungen getroffen hat, angebotene Beweise verfahrensfehlerhaft nicht erhoben wurden oder erhobene Beweise gar nicht oder fehlerhaft gewürdigt wurden. Bei Letzterem ist in erster Linie zu überprüfen, ob die Begründung der Entscheidung gegen die gesetzlichen Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt und nicht in sich widersprüchlich ist. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen können sich auch daraus ergeben, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Wertung des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme gelangt. Demgegenüber ist gerade nicht ausreichend, dass der Berufungskläger auf der Grundlage derselben Feststellungen lediglich zu einem anderen Ergebnis der Beweiswürdigung gelangt (vgl. z.B. Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 529 ZPO, Rn. 4 ff.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht eine Bindungswirkung an die Feststellungen des Erstgerichts. Denn die Klägerseite hat die außergerichtliche Zahlung durch die Beklagte Ziffer 2 in Höhe von 2.676,65 € selbst in der Klageschrift vorgetragen und auch durch Vorlage des Abrechnungsschreibens (Bl. 29 f. Akte AG) konkretisiert. Zweifel an deren Unrichtigkeit bestehen daher nicht.

e)

Demnach stehen der Klägerin keine weiteren Ansprüche zu.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war im Hinblick auf die abweichende Auffassung zum Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19.04.2022 (Anlage B4) beschränkt auf die zurückgewiesene Berufung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Soforthilfe vom Anwalt!

Jetzt Hilfe vom Anwalt!

Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Beratungsanfrage bzw. Ersteinschätzung.

Ratgeber und hilfreiche Tipps unserer Experten.

Lesen Sie weitere interessante Urteile.

Unsere Kontaktinformationen.

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Hier finden Sie uns!

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

zum Kontaktformular

Ersteinschätzungen nur auf schriftliche Anfrage per Anfrageformular.

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Über uns

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!

Das sagen Kunden über uns
Unsere Social Media Kanäle

 

Termin vereinbaren

02732 791079

Bürozeiten:
Mo-Fr: 08:00 – 18:00 Uhr

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Rechtsanwälte Kotz. Mehr Infos anzeigen.

Ersteinschätzung

Wir analysieren für Sie Ihre aktuelle rechtliche Situation und individuellen Bedürfnisse. Dabei zeigen wir Ihnen auf, wie in Ihren Fall sinnvoll, effizient und möglichst kostengünstig vorzugehen ist.

Fragen Sie jetzt unverbindlich nach unsere Ersteinschätzung und erhalten Sie vorab eine Abschätzung der voraussichtlichen Kosten einer ausführlichen Beratung oder rechtssichere Auskunft.

Aktuelles Jobangebot

Juristische Mitarbeiter (M/W/D)
als Minijob, Midi-Job oder in Vollzeit.

mehr Infos