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Verkehrsunfall zwischen Pkw und E-Bike bei Auffahren auf Fahrbahn

LG Münster – Az.: 11 O 79/16 – Urteil vom 24.11.2017

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 27.09.2015 gegen 13:38 Uhr auf der L … in T ereignete.

Der damals 80-jährige Kläger befuhr mit seinem Pedelec gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Zeugin O, dem Zeugen C1 und dessen Ehefrau, der Zeugin C2, den aus seiner Sicht rechten Seitenstreifen der L … ortsauswärts in Fahrtrichtung F. Zuvor war die Radfahrergruppe aus der I-Straße auf die L … abgebogen. Dort waren sie von dem Zeugen T, der mit seinem Fahrzeug ebenfalls die L … ortsauswärts befuhr, gesehen worden.

Der Zeuge C1 führte die Radfahrergruppe an, ihm folgte der Kläger, sodann folgten die weiteren Zeuginnen. Der Kläger beabsichtigte, in der Nähe des Hauses I-Straße … nach links in die W-Straße abzubiegen. Zu diesem Zweck fuhr er auf die Hauptfahrbahn auf, um auf die Linksabbiegerspur zu gelangen und abzubiegen. Dabei kam es zur Kollision mit dem sich von hinten nähernden Fahrzeug des Beklagten zu 2), Typ Opel Corsa, amtliches Kennzeichen ST-…-…, das bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist.

Mit vorgerichtlichen Schreiben vom 25.11.2015 forderte der Kläger die Beklagte zu 1) erfolglos zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz i.H.v. 3222,80 EUR bis zum 07.12.2015 auf.

Der Kläger behauptet, vor ihm sei bereits der Zeuge C1 auf die Fahrbahn aufgefahren und habe im Zeitpunkt des Unfalls bereits die Linksabbiegerspur befahren. Die Kollision habe sich kurz vor Erreichen der Linksabbiegerspur ereignet. Der Beklagte zu 2) sei zudem mit höherer Geschwindigkeit als der zugelassenen Geschwindigkeit von 100 km/h gefahren. Aufgrund des Unfalls sei er schwer verletzt worden. Er habe eine Gehirnerschütterung und eine Platzwunde am Kopf erlitten, Prellungen im Beckenbereich, ein Ödem am Gesäß links und eine Prellung am linken kleinen Finger. Der Kläger sei zweimal in stationärer Behandlung gewesen. Als weitere Folge des Unfalls seien Kribbel-Parästhesien und ein Kribbeln im linken Arm aufgetretenen. Zudem sei bis heute eine Nervenstörung in beiden Beinen vorhanden, die sich in Gangunsicherheit und Schwindel zeige. Er hält deshalb ein Schmerzensgeld von 5000 EUR für angemessen. Zudem macht er unter näherer Darlegung einen Haushaltsführungsschaden, den er mit 1589,60 EUR bemisst, geltend sowie einen Sachschaden an seinem Fahrrad i.H.v. 1692,80 EUR. Des Weiteren begehrt er Nutzungsausfall i.H.v. 1560 EUR, eine Kostenpauschale von 20 EUR und Kosten für einen Kostenvoranschlag für die Reparaturkosten i.H.v. 15 EUR.

Nachdem der Kläger zunächst mit seinem Antrag zu 1) die Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 2500 EUR und weitere Schäden geltend gemacht hat, beantragt er nunmehr,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 9877,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.12.2015 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 27.09.2015 in Steinfurt entstehen werden soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, der Kläger habe den Seitenstreifen verlassen und sei auf die Fahrbahn aufgefahren, ohne auf den rückwärtigen Verkehr zu achten und ohne ein Handzeichen zu geben.

Das Gericht hat den Kläger und den Beklagten zu 2) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C1 und C2, O und T sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen T1 vom 08.06.2017. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.01.2017 und 03.11.2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

I. Der zulässige Antrag zu 1) ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz zu. Dieser ergibt sich weder aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG (i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 1 PflVG i.V.m. § 421 BGB) noch aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 1 BGB (i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 1 PflVG i.V.m. § 421 BGB) oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 5 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4, 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. c, Abs. 2 a, 1 Abs. 2 StVO (i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 1 PflVG i.V.m. § 421 BGB).

Unabhängig davon, ob die haftungsbegründenden Voraussetzungen einer Haftung vorliegen, scheitert ein Anspruch des Klägers jedenfalls an seinem überwiegenden Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 9 StVG).

1. Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die Fahrbahn unter Verstoß gegen § 10 S. 1 und S. 2 StVO befahren hat.

Für den Kläger galt beim Auffahren auf die Fahrbahn vom Seitenstreifen, um links abzubiegen, der Sorgfaltsmaßstab aus § 10 StVO. Der Kläger befuhr zunächst den Seitenstreifen. Dieser ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 StVO nicht Bestandteil der Fahrbahn und somit „anderer Straßenteil“ im Sinne des § 10 StVO. Er hatte sich somit beim Auffahren auf die Fahrbahn so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Verkehrsunfall zwischen Pkw und E-Bike bei Auffahren auf Fahrbahn
(Symbolfoto: Von Spic/Shutterstock.com)

Dieses Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs hat der einfahrende Kläger nicht gewahrt. Eines Rückgriffs auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises bedarf es insoweit nicht. Für das Gericht steht fest, dass der Kläger seine Absicht aufzufahren weder durch ein Handzeichen angekündigt noch sich hinreichend umgeschaut hat. Dies ergibt sich bereits aus den eigenen Bekundungen des Klägers im Rahmen seiner persönlichen Anhörung. So gab der Kläger an, dass er die ganze Zeit beide Hände am Lenkrad hatte. Dies schließt ein Handzeichen aus. Zwar gab er an, nach hinten geschaut zu haben, seinen Kopf konnte er dabei indes lediglich um 80 … drehen. Dies reicht ersichtlich nicht aus, um eine Gefährdung des rückwärtigen Verkehrs bei Auffahrt auf eine Landstraße, bei der eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gilt, auszuschließen.

2. Es streitet der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der in Rede stehende Unfall unter Verletzung des Vorfahrtrechts durch den Kläger verursacht wurde. Wahrt der Einfahrende das Vorfahrtrecht des fließenden Verkehrs nicht und kommt es deshalb in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren in die Fahrbahn zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften (BGH, NJW-RR 1991, 536). So liegt der Fall hier.

Der erforderliche zeitliche und räumliche Zusammenhang des Einfahrvorgangs zu dem Unfallgeschehen ist gegeben. Dies gilt unabhängig davon, wo genau auf der Fahrbahn sich der Kläger im Zeitpunkt der Kollision befand, da ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit seinem Auffahren auch nach seinem Vortrag gegeben ist, da es unmittelbar nach dem Auffahren auf die Fahrbahn zu der Kollision kam.

3. Angesichts dessen oblag es dem Kläger, den Anschein durch einen Gegenbeweis zu erschüttern. Hierzu hätte er die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs darlegen und beweisen müssen. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen allerdings des vollen Beweises (BGH, NJW 1991, 230, 231). Das Gericht muss also aufgrund der Beweiswürdigung zur vollen Überzeugung von der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen Ablaufs gelangen (vergleiche nur OLG Hamm, Beschluss vom 08.01.2016, 9 U 125/15, abrufbar unter juris). Hiervon ausgehend hat der Kläger den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht entkräften können.

Der Kläger hätte durch eine Rückschau das herannahende Fahrzeug des Beklagten zu 2) erkennen können. Dies steht für das Gericht aufgrund des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen T1 fest. Dieser stellte für das Gericht überzeugend und nachvollziehbar fest, dass unter Berücksichtigung der konkreten Sichtmöglichkeit an Ort und Stelle das Unfallgeschehen für den Kläger stets vermeidbar war, da bereits beim Einbiegen von der I-Straße auf die L … der PKW des Beklagten zu 2) bei Blickzuwendung nach links deutlich erkennbar war. Diese und die weiteren Ausführungen des Sachverständigen beruhen auf einer gründlichen Auswertung der zur Verfügung stehenden Materialien insbesondere den Lichtbilder der Schäden nach der Kollision. Die vom Sachverständigen ermittelten Ergebnisse sind plausibel und in sich schlüssig. Der Sachverständige ist auch von den richtigen Tatsachen ausgegangen.

Es lagen auch keine Anzeichen für die bevorstehende Vorfahrtsverletzung vor, die hier eine atypische Situation begründen könnten. Der Umstand allein, dass die Fahrradfahrergruppe auf dem Seitenstreifen fuhr, stellt keinen Umstand dar, der den Vertrauensgrundsatz auf Seiten des Beklagten zu 2), nachdem er sich darauf verlassen darf, dass diese sein Vorfahrtrecht beachten und ihn vorbei lassen werden ehe sie auf die Hauptfahrbahn einfahren, erschüttert. Dieser gab zudem im Rahmen seiner mündlichen Anhörung an, dass er nicht gesehen habe, wie die Radfahrergruppe auf die L … aufgefahren sei. Aus seiner Sicht gab es somit keine Anhaltspunkte dafür, dass diese die L … lediglich überqueren wollten. Anhaltspunkte für ein Überqueren der Straße ergeben sich auch nicht daraus, dass der Zeuge C1 die Straße bereits überquert hatte. Das Gericht vermochte im Rahmen der ihm nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO zustehenden freien Beweiswürdigung nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass der Zeuge C1 im Zeitpunkt der Kollision die Fahrbahn bereits überquert hatte und sich auf der Linksabbiegerspur befand. Das demnach erforderliche Beweismaß ist erreicht, wenn das Gericht von der Wahrheit überzeugt ist (BGH, NJW 1998, 2969, 2971). Dabei genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie gänzlich auszuschließen (BGH, NJW 1970, 746, 748; BGH, NJW 1998, 2969, 2971). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Zwar gaben die Zeugen C1 und C2 und die Zeugin O in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers an, dass der Zeuge C1 vor dem Kläger gefahren sei. Die Aussage des Klägers, dass er meine, dass dieser auch vor ihm auf den Linksabbiegerstreifen gefahren sei, wurde zwar durch seine Ehefrau, die Zeugin O, bestätigt, die Zeugen C1 und C2 vermochten dies jedoch nicht zu bestätigen. So gab der Zeuge C1 an, er selbst sei zur Zeit der Kollision nicht auf der Linksabbiegerspur gewesen. Auch die Zeugin C2 gab an, sie habe nicht gesehen, dass irgendjemand aus der Gruppe bereits vom Standstreifen auf die Fahrbahn gefahren sei als es zum Knall gekommen sei.

Das Gericht vermochte nicht zu entscheiden, welche der Aussagen zutrifft. Für die Aussage der Zeugen C1 und C2 spricht dabei, dass es der Zeuge C1 selbst war, der gefahren ist und der sich an sein eigenes Fahrverhalten möglicherweise noch am besten erinnert. Hinzu kommt, dass auch der Beklagte zu 2) und der Zeuge T sich nicht zu erinnern vermochten, dass bereits ein weiterer Fahrradfahrer auf die Fahrbahn aufgefahren war als es zu dem Unfall kam.

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4. Auf Seiten des Beklagten zu 2) ist kein schuldhafter Verstoß, der der Beklagten zu 1) zuzurechnen wäre, festzustellen.

a. Ein – wie vom Kläger behauptet – schuldhafter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO durch ein Überholen bei unklarer Verkehrslage scheidet bereits deshalb aus, da unter Überholen im Sinne dieser Vorschrift das tatsächliche Vorbeifahren auf derselben Fahrbahn zu verstehen ist (Heß in Burmann/Heß/Jahnke/Janker/Hühnermann, StVR, 24. Auflage 2016, § 5 StVO Rn. 6). Da es sich bei dem Seitenstreifen auf dem sich der Kläger befand indes nicht um einen Straßenteil als Teil der Fahrbahn handelt, liegt auch kein Überholen in diesem Sinne vor.

Aus demselben Grund scheidet auch ein Verstoß des Beklagten zu 2) gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO durch nicht Einhaltens ausreichenden Sicherabstandes beim Überholen aus.

b. Dem Kläger ist auch der Nachweis, dass der Beklagte mit einer höheren als der gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. c) StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren ist und es deshalb zu dem Unfall gekommen ist, nicht gelungen.

Der Beklagte zu 2) gab im Rahmen seiner mündlichen Anhörung an, er sei ca. 80/90 km/h gefahren als er die Radfahrergruppe gesehen habe und sei dann sogar noch etwas untergegangen, so auf 70 km/h. Der Sachverständige bestätigt, dass aus technischer Sicht eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nicht nachweisbar sei. Für den Beklagten zu 2) kann demnach unter Zugrundelegung der Warnposition bei Anfahrbeginn ab der Haltelinie und der Signalposition beim Überfahren der Fahrbahnmarkierung zwischen dem Seitenstreifen und der Geradeausspur eine Fahrlinie erarbeitet werden, bei der dieser aus einer Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h in einer Entfernung von rund 170 m auf den Einfahrvorgang der Radfahrer mit Gaswegnahme und einem leichten Ausweichen zur linken Fahrbahnseite reagierte. Etwa 4,5 Sekunden später als der Kläger dann vom Seitenstreifen auf die Fahrspur wechselte, reagierte der Beklagte zu 2) spontan mit einem Ausweichvorgang nach links und einer Vollbremsung, so dass er seine Geschwindigkeit bis zum Zusammenstoß auf etwa 70 km/h verzögern konnte. Zwar sei bei gleichem Reaktionsverhalten und der Annahme einer Relativgeschwindigkeit von 80 km/h aufzeigbar, diese Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sei jedoch nicht nachweisbar.

c. Auch ein Verstoß des Beklagten zu 2) gegen § 3 Abs. 2a StVO ist nicht nachgewiesen. Demnach muss sich der Fahrzeugführer gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Pflicht beurteilt sich nach der konkreten Verkehrssituation (BGH, NJW 1994, 2829, 2830). Auch wenn es keiner konkreten Anhaltspunkte für die Verkehrsunsicherheit bedarf, muss aber jedenfalls die Annäherung der geschützten Personen an die Fahrbahn bzw. die Gefahrsituation erkennbar sein (BGH, NZV 2002, 365; OLG Hamm, aaO). Befindet sich eine ältere Person in einer Lage, in der für sie nach der Lebenserfahrung aber keine Gefährdung zu erwarten ist, so braucht ein Kraftfahrer nicht allein schon wegen ihres höheren Alters ein Höchstmaß an Sorgfalt einzuhalten (BGH, NJW 1994, 2829). So liegt der Fall hier.

Allein die Annäherung an eine Gruppe von älteren Radfahrern für nicht dazu, dass der Beklagte zu 2) damit rechnen musste, dass diese das Geschehen nicht mehr vollständig übersehen und beherrschen können. Es ging auch nicht darum, dass der Kläger hier mit der Benutzung des Seitenstreifens altersbedingt überfordert gewesen wäre, sondern allein darum, den nachfolgenden Verkehr sorgfältig vor dem beabsichtigten Auffahren zu beachten. Dass er aufgrund seines Alters die konkrete Verkehrssituation nicht gefahrlos hätte beherrschen können, hat der Kläger nicht dargelegt.

d. Der Beklagte zu 2) hat auch nicht gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Insbesondere ist dem Kläger der Nachweis, dass das Auffahren auf die Fahrbahn für den Beklagten zu 2) erkennbar und die Kollision deshalb für ihn vermeidbar war, nicht gelungen.

Der Sachverständige führt dazu aus, dass der Spurwechsel rund 3,5 Sekunden vor der Kollision eingeleitet wurde. Die Absicht, auf die Fahrbahn aufzufahren, war nach etwa 1,5 Sekunden für den Beklagten zu 2) durch Überfahren der Fahrbahnmarkierung erkennbar. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Beklagte zu 2) ausweislich der Anlage A 20 aber nur noch ca. 11 m von dem Kläger entfernt. Ein rechtzeitiges Abbremsen war somit nicht möglich.

Dabei hat der Sachverständige wie sich aus der Anlage A 21 ergibt auch – wie vom Kläger behauptet – zugrundegelegt, dass der Kläger sich im Zeitpunkt der Kollision bereits auf der Fahrbahn in der Nähe der Linksabbiegerspur befand.

5. Die auf Seiten der Beklagten einzig verbleibende Betriebsgefahr des Beklagten zu 2) steht hinter dem groben Mitverschulden des Klägers vollständig zurück.

Dies ist immer dann der Fall, wenn der einfachen Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeughalters ein grob verkehrswidriges Verhalten eines Fahrradfahrers gegenübersteht (OLG Saarbrücken, NJW 2012, 3245, 3247). Die im Vordergrund stehende Schadensursache muss also ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellen. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei rechtfertigt ein objektiv grober Pflichtenverstoß für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr ist ein solcher Verstoß nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH, NJW 2009, 1482). So liegt der Fall hier.

Der Kläger hat, indem er blindlings vom Seitenstreifen auf die Fahrbahn aufgefahren ist, die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen, was vorliegend jedem verständlichen Verkehrsteilnehmer hätte einleuchten müssen (so für ähnliche Fälle auch OLG Saarbrücken, NJW 2012, 3245, 3247; OLG Hamm, aaO). Der Kläger hat seine entsprechende Absicht weder angekündigt noch hat er auf den hinter seinem Rücken herannahenden Verkehr geachtet. Dieser objektiv grobe Pflichtverstoß ist auch subjektiv schlechthin nicht entschuldbar. Die gegen elementare Verkehrsregeln verstoßene Fahrweise musste sich auch dem Kläger ohne weiteres aufdrängen.

II. Mangels Bestehens eines Rechtsverhältnisses ist auch der zulässige Antrag zu 2) unbegründet.

III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 10.877,40 EUR festgesetzt.

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