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Pauschalreisevertrag – Rückzahlungsanspruch nach Kündigung bei Vulkanausbruch

LG München I – Az.: 6 S 8944/18 – Beschluss vom 30.10.2018

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 24.05.2018, Az. 133 C 21869/15, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dieser Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.885,30 € festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten über die Folgen eines Vulkanausbruchs für eine vom Kläger bei der Beklagten gebuchten Pauschalreise, die vom 15.03.2015 bis 27.03.2015 in Costa Rica hätte stattfinden sollen und von der der Kläger sich durch Kündigung gelöst hat. Hinsichtlich weiterer Details des Sachverhaltes wird gemäß § 540 ZPO auf das Urteil des Amtsgerichts verwiesen. Nach erstinstanzlicher Verurteilung zur Rückzahlung von 4.885,30 Euro nebst zugehöriger Zinsen erstrebt die Beklagte mit der Berufung die Aufhebung des Urteils erster Instanz samt Klageabweisung, der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Die Kammer ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und auch sonstige Gründe, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung gebieten würden, nicht ersichtlich sind.

Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis der Kammer vom 04.09.2018 (Bl. 164/167 d.A.) Bezug genommen. Zu den Einwendungen der Beklagten im Schriftsatz vom 02.10.2018 (Bl. 168/171 d.A.) gegen die Bewertung im Hinweisbeschluss vom 04.09.2018 ist im Detail folgendes auszuführen:

1. Im Ansatz noch zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen vom 25.11.2015, Abl. 2015, L 326/1 erst ab 01.07.2018 anzuwenden ist (vgl. hierzu auch Münchener Kommentar zum BGB, Buch 2, Recht der Schuldverhältnisse, 7. Auflage 2017, Abschnitt 8, Titel 9. Die neue Pauschalreise-Richtlinie Rz 54). Das hat die Kammer im Hinweisbeschluss bereits berücksichtigt. Vor diesem Zeitpunkt ist nationales Recht anzuwenden. Dennoch ist bei der Beurteilung, ob § 651j BGB (a.F.) als ergänzungsbedürftige Regelung anzusehen und die sog. „Tschernobyl“-Entscheidung des BGH anzuwenden ist, zu berücksichtigen, dass sowohl die nachfolgende obergerichtliche Rechtsprechung als auch die weitere Entwicklung der gesetzlichen Vorschriften diese Entscheidung nicht übernommen haben. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine – von der Literatur hart kritisierte – Einzelfallentscheidung des BGH, bei der von der vom Gesetz vorgezeichneten Lösung zu Lasten des Reisenden abgewichen wird, um eine differenziertere Verteilung von Umweltrisiken zu ermöglichen (vgl. hierzu Münchener Kommentar zum BGB, aaO, § 651j Rz 31). Dieses Urteil darf jedoch nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass bei einer Kündigung wegen höherer Gewalt grundsätzlich die Hälfte der Kosten vom Reisenden zu tragen sind (vgl. Münchener Kommentar, aaO). Demgemäß verliert der Reiseveranstalter – wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat – bei wirksamer Kündigung wegen höherer Gewalt gemäß §§ 651j I, 651e III 1 BGB den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, der bereits bezahlte Reisepreis ist zurückzuerstatten.

2. Zu Unrecht greift die Beklagte die Bewertung des Amtsgerichts an, dass hier eine Kündigung wegen höherer Gewalt möglich gewesen sei. Die Beklagte setzt dabei lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle der Bewertung des Amtsgerichts. Damit kann sie nicht gehört werden, vielmehr hält die Kammer die Beurteilung des Amtsgerichts auf der infolge umfassender Beweiserhebung gewonnenen Tatsachengrundlage für zutreffend.

a) Die Beklagte bagatellisierte zunächst im Rechtsstreit den damaligen Ausbruch, indem sie ihn als „nur sehr klein“ (Schriftsatz vom 15.01.2016, Seite 2 = Bl. 23 d.A.) bezeichnete. In vollkommener Umkehrung ihrer Argumentation versucht sie nun aus dem Umstand, dass es – wie auch der Sachverständige Dr. K…. ausführte – bereits 29.10.2014, und somit ca. 5 Wochen vor Buchung der Reise, einen größeren Ausbruch gegeben hat, abzuleiten, dass solche großen Vulkanausbrüche den Kenntnishorizont jedes Reisenden bildeten, so dass eine Kündigung wegen höherer Gewalt nicht mehr möglich gewesen sei. Schon diese völlige Umkehrung der eigenen Argumentation zeigt, dass es der Beklagten nicht darauf ankommt, sich mit den tatsächlichen Umständen, die zur Kündigung durch den Kläger führten, angemessen auseinander zu setzen, sondern sie lediglich eigene Rückzahlungsansprüche um jeden Preis verhindern will. Dagegen behauptet nicht einmal die Beklagte, dass sie den maßgeblichen Kenntnishorizont des Klägers vor der Buchung durch entsprechende Warnhinweise auf auch schwere mögliche Beeinträchtigungen durch örtlich aktive Vulkane zu prägen versuchte. Solches wäre der Beklagten allerdings, wenn sie Rücktritte des Reisenden wie hier vermeiden will, ohne weiteres zuzumuten (Münchener Kommentar zum BGB/Tonner, Rn. 11 zu § 651j BGB).

b) Der Sachverständige führt als mögliche Folgen des hier aufgetretenen Vulkanausbruchs vom 13.03.2015 samt Auswurf von Vulkanasche unter anderem Folgendes aus (Bl. 77/78 d.A.):

Pauschalreisevertrag – Rückzahlungsanspruch nach Kündigung bei Vulkanausbruch
(Symbolfoto: Von CharlieO/Shutterstock.com)

1. Beeinträchtigung der Sichtverhältnisse (bis hin zu totaler Dunkelheit auch tagsüber

2. schwierige Straßenverhältnisse durch Asche auf Asphalt

3. Gesundheitsprobleme durch das Einatmen feiner vulkanischer Asche sowie vulkanischer Gase.

Bei der Bewertung dieser möglichen Folgen ist in den Blick zu nehmen, dass eines der Hotels, das im Rahmen der gebuchten Reise aufgesucht werden sollte, nur ca. 6 km von dem ausgebrochenen Vulkan Turialba entfernt war und zudem der sogar ca. 80 km entfernte Flughafen von den örtlichen Behörden noch zeitweise komplett gesperrt wurde. Der Sachverständige Dr. K…. bezeichnete es als durchaus mögliche Folge dieses Ausbruchs, dass es in den Folgetagen zu weiteren Ausbrüchen mit erheblichen Folgewirkungen kommen würde (Gutachten, Seite 2), auch wenn eine sichere Vorhersage weiterer Ausbrüche nach aktuellem wissenschaftlichen Forschungsstand auch heute noch nicht möglich ist, es also zu solchen Folgeausbrüchen kommen kann, aber nicht muss. Schon deswegen war eine Kündigung, gestützt auf § 651j BGB a.F., durch den Kläger möglich.

c) Demgegenüber prägte der frühere Ausbruch des Turialba vom 29.10.2014 das Erwartungsbild des typischen Reisenden nicht. Der Sachverständige führte insoweit aus, dass es in Costa Rica mehrere aktive Vulkane gibt, bei denen es immer wieder auch zu kleineren Ausbrüchen kommt. Das ist also der prägende Erkenntnishorizont jedes Reisenden im Rahmen der ihm zuzumutenden üblichen Informationseinholung. Den hier relevanten Ausbruch ordnete der Sachverständige jedoch als größeren Ausbruch ein. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch die ausgeworfene Asche hielt er bei dem nur ca. 6 km entfernten Hotel, das der Kläger im Verlauf der Reise aufsuchen sollte, für möglich, wenn nicht die Asche vorher z.B. durch Regen ausgewaschen wird.

3. Ein Wechsel in das Urteilsverfahren um die von der Beklagten gewünschte Revisionszulassung zu ermöglichen, ist nicht geboten. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der sog. „Tschernobyl“-Entscheidung erging zum alten Reiserecht. Bei auslaufendem alten Recht kommt eine Revisionszulassung schon deswegen regelmäßig nicht mehr in Betracht, weil es nicht mehr für eine unbekannte Anzahl von noch zu entscheidenden – vielen – Fällen relevant ist (BGH, Beschluss vom 27,.03.2003 – V ZR 291/02). Dies gilt im Reiserecht mit den dortigen kurzen Fristen zur Durchsetzung von Ansprüchen der Reisenden besonders. Im Übrigen wurde bereits ausgeführt, dass der Rechtssatz der über 20 Jahre alten Entscheidung sowohl in der obergerichtlichen Rechtsprechung als auch in der Literatur in den folgenden Dekaden nur wenig Akzeptanz und Resonanz gefunden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird durch die Beschwer der Beklagten, § 47 GKG, durch das Urteil erster Instanz bestimmt, mithin durch die Verurteilung zur Zahlung erster Instanz in der Hauptsache, §§ 3, 4 Abs. 1 ZPO.

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