AG Hannover – Az.: 552 C 7861/20 – Urteil vom 20.01.2021
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 891 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 27 % und die Beklagte zu 73 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
4. Der Streitwert wird auf 1.220 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Rückzahlungsansprüche aus einem Reisevertrag geltend.
Die Klägerin buchte am 21.02.2020 für sich und ihren Lebensgefährten eine Flugpauschalreise nach Mexiko in der Zeit vom 15.03. – 27.03.2020. Im Reisepreis inbegriffen waren die Flüge von Leipzig über Frankfurt nach Cancun und zurück sowie 12 Übernachtungen im …. Leistungen. Der Reisepreis betrug 4.392,00 €.
Aufgrund der Corona-Pandemie konnte der Rückflug am 27.03.2020 nicht mehr durchgeführt werden und die Klägerin wurde mit ihrem Lebensgefährten stattdessen bereits am 21.03.2020 zurückbefördert.
Mit Schreiben vom 24.03.2020 forderte die Klägerin die Beklagte persönlich zur Rückzahlung des anteiligen Reispreises auf. Die Beklagte bot daraufhin einen Gutschein in Höhe von 1.305 € an und lehnte darüberhinausgehende Ansprüche ab. Daraufhin mahnte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Rückzahlung des Reisepreises an, wodurch außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 326,31 € entstanden sind. Die Beklagte überwies 1.305 € am 30.06.2020 an die Beklagte.
Die Klägerin behauptet, es seien während ihres Aufenthalts nicht alle 6 Restaurants geöffnet gewesen. Vielmehr habe es sich lediglich um einen Notbetrieb gehandelt. Aufgrund von Personalmangel seien die Spezialitätenrestaurants geschlossen und das Buffetangebot beschränkt gewesen. Da diese Situation nach Mitteilung durch die Reiseleitung nicht abänderbar gewesen sei, sei nach Ansicht der Klägerin ein Abhilfeverlangen entbehrlich gewesen und eine Minderung von 15 % des Reisepreises sei angemessen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.220 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 2.525 € vom 08.04. – 30.06.2020 und aus einem Betrag in Höhe von 1.220 € seit dem 01.07.2020 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von einer Forderung ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 326,31 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe eventuelle Nichtöffnungen der Restaurants vor Ort nicht gerügt, obwohl eine Reiseleitung vor Ort gewesen sei, so dass die Beklagte auch keine Möglichkeit gehabt habe Abhilfe zu schaffen. Bezüglich der geltend gemachten Minderungsansprüche für den pandemiebedingten Abbruch der Reise ist die Beklagte der Meinung, dass der Hin- und Rückflug bei der Berechnung des Tagesreisepreises herauszurechnen sei. Die Transportkosten hätten für beide Reisenden zusammen 1.260 € betragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch nur in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Minderung des Reisepreises gemäß § 651 m Abs. 1 BGB für 6 Tage, da der Rückflug aufgrund der Corona-Pandemie bereits am 21.03.2020 erfolgen musste und daher die restlichen 6 Übernachtungen nicht mehr am Urlaubsort verbracht werden konnten. Für diese Tage ist die Beklagte zur Zahlung des vollen Tagesreisepreises verpflichtet. Dabei berechnet sich der Tagesreisepreis anhand des Gesamtreisepreises. Entgegen der Ansicht der Beklagten werden die Transportkosten gerade nicht herausgerechnet. Dass dadurch die Beförderungskosten betroffen sind, selbst wenn diese Leistung mangelfrei erbracht wurde, ist ohne Belang. Denn der Reisende bringt die Flugkosten auf, um im entfernten Land jene anderen Leistungen entgegenzunehmen. Sind diese mangelhaft, so sind die Flugkosten umso höhere verlorene Investitionen, je höher sie gewesen sind; der Nutzen der Reise ist insoweit insgesamt eingeschränkt (Tonner in MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 651 m, Rn. 9 m.w.N.). Der Tagesreisepreis errechnet sich daher vorliegend wie folgt:
Gesamtreisepreis 4.392 €: 12 Nächte: 2 Personen = 183 € Tagesreisepreis
Daraus folgt ein Minderungsanspruch in Höhe von 2.196 € für 6 Nächte für 2 Personen. Da die Beklagte vorgerichtlich bereits 1.305 € gezahlt hat, ist dieser Betrag in Abzug zu bringen. Mithin ergibt sich ein Restanspruch in Höhe von 891 €. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 BGB. Verzug trat aufgrund der Mahnung der Klägerin vom 24.03.2020 am 08.04.2020 ein.
II.
Soweit die Klägerin darüberhinausgehend einen Minderungsanspruch für nicht geöffnete Restaurants gemäß § 651 m BGB geltend macht, besteht ein solcher nicht, da die Reise nicht mängelbehaftet im Sinne des Reiserechts gewesen ist.
Grundsätzlich trägt der Veranstalter eine umfassende verschuldensunabhängige Einstandspflicht für das Gelingen des vereinbarten Leistungsprogramms. Es kommt also weder auf ein Verschulden des Veranstalters noch darauf an, ob der Mangel aus seiner Sphäre stammt. Ebenso spielt es keine Rolle, ob ein Reisemangel durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht wurde. Das reisevertragliche Mängelgewährleistungssystem greift also bei allen möglichen Störungen Platz und hat einen dementsprechend weiten Anwendungsbereich. Nach dem sogenannten weiten Mangelbegriff liegt es im Risikobereich des Veranstalters, ob er in der Lage ist, die Leistung zu erbringen und er trägt die Gefahr des Nichtgelingens. Es spielt keine Rolle, worauf der Mangel letztendlich zurückzuführen ist. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Störungen Leistungen betreffen, die vom geschuldeten Leistungsprogramm umfasst sind. Dies kann unterdessen nicht bedeuten, dass der Veranstalter für jede erdenkliche Beanstandung mit dem gesamten Katalog an Gewährleistungsrechten haften musst. Vielmehr enthalten die Tatbestandsvoraussetzungen der einzelnen Mängelrechte selbst Einschränkungen, zum Beispiel § 651 n Abs. 1 BGB. Soweit eine Verletzung ausschließlich auf die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos zurückzuführen ist, findet deshalb das reisevertragliche Gewährleistungsrecht keine Anwendung. Der Veranstalter hat vielmehr nur für den reisespezifischen Gefahrenbereich seiner Unternehmenssphäre zu haften. Bei Störungen, welche nicht aus diesem Bereich stammen, fehlt es am Zurechnungszusammenhang zum Verhalten des Veranstalters (vgl. Führich, Reiserecht, 8. Auflage, §17, Rdnr. 13).
Bei der Corona-Pandemie und deren Auswirkungen handelt es sich nicht um eine reisespezifische Gefahr, sondern tatsächlich um ein allgemeines – weltweites – Lebensrisiko. Es handelt sich um ein weltweites Geschehen, ohne dass auf Vorerfahrungen zurückgegriffen werden konnte. Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass sich die Klägerin ganz zu Beginn der Pandemie am Urlaubsort aufhielt, so dass die Pandemiesituation für alle Beteiligten neu und überfordernd war. Da diverse Restaurants dennoch geöffnet hatten und die Beklagte daher um die Aufrechterhaltung des Betriebsablaufs bemüht war, müssen Einschränkungen wie die Schließung von Spezialitätenrestaurants und geringere Buffetauswahl als allgemeines Lebensrisiko hingenommen werden.
III.
Ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten besteht ebenfalls nicht. Die Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes sind nur dann ein adäquat-kausaler, erstattungsfähiger Schaden, wenn die Beauftragung aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH, Urt. v. 23.10.2003 – IX ZR 249/02, BGH, Urt. v. 18.1.2005 – VI ZR 73/04). Dabei ist es nicht zweckmäßig und erforderlich, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, wenn der Schuldner bereits auf eine eigene Mahnung des Gläubigers hin ernsthaft und endgültig erklärt hat, nicht zahlen zu wollen. In einem solchen Fall einer unmissverständlichen Zurückweisung der Ansprüche ist die zusätzliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes überflüssig. Aus objektiver Sicht des Gläubigers ist dann eine freiwillige Zahlung des Schuldners auch auf eine weitere, anwaltliche Zahlungsaufforderung hin unwahrscheinlich. Vielmehr ist dann alleine die sofortige Beauftragung mit der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche angezeigt (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1974 – IV ZR 2/72, MünchKomm/Ernst, 7. Aufl. 2016] § 286 Rz. 159).
Mit Schreiben vom 19.05.2020 hat die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche zum Teil anerkannt und in Form eines Reisegutscheins gezahlt, im Übrigen erfolgte jedoch eine endgültige Zurückweisung, wobei das Schreiben sehr detailliert dargelegt hat, warum Ansprüche nicht bestehen. Daher war das anwaltliche Aufforderungsschreiben vom 09.06.2020 nicht erforderlich. Vielmehr hätte direkt nach Ablehnung der Zahlung durch die Beklagte unbedingter Klageauftrag erteilt werden müssen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der festgesetzte Streitwert folgt aus der Zahlungsbegehr gemäß §§ 3 ZPO, 43, 48 GKG.