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Opferentschädigung nach Schönheitsoperation

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Az.: L 10 VG 6/07

Urteil vom 21.05.2008

Vorinstanz: Sozialgericht Aachen, Az.: S 3 VG 163/04, Entscheidung vom 21.12.2006

Nachinstanz: Bundessozialgericht, Az.: B 9 VG 18/08 B


Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.12.2006 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu 6/10.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Anerkennung von Schädigungsfolgen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) hat.

Die am 00.00.1954 geborene Klägerin ließ sich im Jahre 2000 zwei Mal vom Gynäkologen Dr. B operieren. Es handelte sich um kosmetische Eingriffe in Form einer Fettabsaugung am 13.01.2000 und der operativen Korrektur einer Fettschürze verbunden mit einer weiteren Fettabsaugung am 20.06.2000. Zum Zeitpunkt der Operationen litt die Klägerin an einer Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, einer Lungeninsuffizienz, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Nach dem ersten Eingriff im Januar 2000 traten bei der Klägerin Komplikationen in Form von Nachblutungen und Kreislaufproblemen auf. Trotzdem entließ B. die Klägerin gegen deren Willen aus seiner ärztlichen Obhut. In der Folge entwickelte sich unter anderem ein großer Bluterguss im Bauchfettgewebe, welcher schließlich aufplatzte und zu einem 5 x 5 cm großen Hautdefekt führte. Am 20.06.2000 versuchte B. mittels der zweiten Operation eine Korrektur der bestehenden Fettschürze bei der Klägerin vorzunehmen und saugte weiteres Fett ab. Auch nach diesem Eingriff kam es zu erheblichen Komplikationen. Die Klägerin wurde auf eigenen Wunsch in das Universitätsklinikum B1 verbracht. Dort verblieb sie mehrere Wochen und musste sich einer Revisionsoperation unterziehen, bei der unter anderem abgestorbenes Gewebe entfernt wurde. Danach befand sie sich noch drei Wochen in stationärer medizinischer Rehabilitation.
Das Landgericht Aachen verurteilte B. wegen des operativen Eingriffs vom 13.01.2000 wegen vorsätzlich gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten sowie zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten für den zweiten Eingriff vom 20.06.2000 (rechtskr. Urteil vom 17.07.2002 – 61 KLs /42 Js 1109/00 -). Wegen dieser Taten und weiterer zahlreicher zum Nachteil anderer Patienten in ähnlicher Weise begangener Delikte wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren gebildet.

Am 22.11.2003 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt B1 Entschädigungsleistungen nach dem OEG. Das Versorgungsamt zog daraufhin das Strafurteil des Landgerichts vom 17.07.2002 bei. Anschließend lehnte es mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.01.2004 den Antrag ab. Zwar habe das Landgericht den B. auf Grund der an der Klägerin vorgenommenen Eingriffe wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dennoch lägen die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz nicht vor. § 1 OEG verlange einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff. Unter einem solchen Angriff sei ein Einwirken in feindseliger Willensrichtung zu verstehen, der unmittelbar auf den Körper des Angegriffenen ziele. Hierfür sei erforderlich, dass dem Verhältnis des Täters zu seinem Opfer objektiv eine feindselige Tendenz innewohne. Das OEG bezwecke ausschließlich die Entschädigung von Kriminalitätsopfern, die vom Staat trotz des von diesem in Anspruch genommenen Gewaltmonopols im Einzelfall nicht ausreichend geschützt werden könnten. Der Staat schütze seine Bürger vor Kriminalität durch seine Polizeikräfte. Nur wenn dieser Polizeischutz im Einzelfall versage, greife das OEG ein. Vorliegend handele es sich um einen mehrfachen Kunstfehler des B., der naturgemäß nicht durch den polizeilichen Schutz gedeckt sei, so dass es an einer feindseligen Tendenz im Sinne des OEG fehle. Den hiergegen eingelegten, aber nicht begründeten Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster (Abteilung 00 – Landesversorgungsamt) mit Bescheid vom 22.06.2004 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 21.07.2004 fristgerecht Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, die operativen Eingriffe des B. stellten vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe im Sinne des OEG dar.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2004 zu verurteilen, für die Zeit ab Antragstellung Versorgung nach dem OEG nach einer MdE von mindestens 25 v.H. zu gewähren, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten festzustellen, dass bei ihr Gesundheitsstörungen vorliegen, die ursächlich durch schädigenden Ereignisse im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hervorgerufen worden sind.

Das seinerzeit beklagte Land Nordrhein-Westfalen hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat vorgetragen, dass die im Rahmen der Operationen begangenen ärztlichen Kunst- und Behandlungsfehler lediglich fahrlässig vorgenommen worden seien. Der Vorwurf des Vorsatzes ergebe sich ausschließlich daraus, dass der Arzt den ihm obliegenden Aufklärungspflichten bewusst nicht nachgekommen sei. Es handele sich dabei um eine reine Unterlassung, aus der sich die für eine Entschädigung nach dem OEG erforderliche feindselige Willensrichtung nicht entnehmen lasse.

Das Sozialgericht (SG) hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Krankenunterlagen und Befundberichten von den die Klägerin behandelnden Ärzten und medizinischen Einrichtungen. Sodann hat es Gutachten von der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M (Gutachten vom 14.03.2006) sowie des Arztes für Innere Medizin und Gastroenterologie Dr. P (Gutachten vom 24.08.2006) eingeholt.
Mit Urteil vom 21.12.2006 hat das SG das Land NRW unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2004 verurteilt, die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung „Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich“ als durch ein schädigendes Ereignis im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hervorgerufene Gesundheitsstörung anzuerkennen. Den darüber hinausgehenden Antrag auf Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 25 v.H. hat das SG abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die durch B. am 13.01.2000 und 20.06.2000 durchgeführten Operationen stellten

Vorsätzliche, rechtswidrige und tätliche Angriffe im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG dar. Die Eingriffe seien tatbestandlich Körperverletzungshandlungen i.S.d. § 223 StGB (vorsätzliche Körperverletzung) und § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung). Jeder ärztliche Heileingriff erfülle den äußeren Tatbestand einer Körperverletzung im Sinne von §§ 223, 229 StGB. Die Körperverletzungen seien rechtswidrig. Eine wirksame Einwilligung habe nicht vorgelegen. B. habe die Klägerin nicht über die spezifischen Risiken und Erfolgsaussichten der Eingriffe informiert. B. habe vorsätzlich gehandelt. Er habe es bewusst vermieden, die Klägerin auf Risiken und mögliche Komplikationen der geplanten Eingriffe hinzuweisen und sie über seine Befähigung zur Durchführung der Operationen getäuscht. Es handele sich bei den Eingriffen jeweils um einen tätlichen Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Darunter sei eine in feindseliger Willensrichtung und in strafbarer Weise unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung zu verstehen. Auch eine gewaltfreie Vorgehensweise schließe einen tätlichen Angriff nicht aus. Eine Einwirkung, welche unmittelbar auf den Körper der Klägerin wirke, sei mit den Eingriffen vom 13.01.2000 und 20.06.2000 gegeben. Diese Einwirkung sei auch in objektiv feindseliger Willensrichtung erfolgt. Grundsätzlich hätten alle Eingriffe, die in die körperliche Integrität einer anderen Person eingriffen, die Tendenz, diese Person zum bloßen Objekt herab zu würdigen und missachteten damit deren Persönlichkeit. Sie seien somit als feindselig anzusehen. Hiervon abweichend seien Eingriffe in die körperliche Integrität, die als regelrecht ausgeführte ärztliche Maßnahmen erfolgten und denen eine Einwilligung des Betroffenen zu Grunde liege, regelmäßig nicht als tätlicher Angriff in diesem Sinne zu bewerten. Insoweit fehle es normalerweise an der objektiv feindseligen Willensrichtung. Denn zum einen handele der Arzt in der Regel mit der Absicht zu heilen. Zum anderen sei derjenige, der zu einem ärztlichen Eingriff auf Grund ordnungsgemäßer Aufklärung seine Einwilligung erteile, nicht bloßes Objekt, sondern begebe sich auf Grund einer bewussten Entscheidung nach Abwägung aller maßgeblichen für und gegen den Eingriff sprechenden Gesichtspunkte in die Hände des Arztes. Anders liege der Fall hier. B. habe die Klägerin bewusst und aus finanziellen Motiven über die Risiken des Eingriffs getäuscht und habe sie so dazu veranlasst, die Einwilligung zu den Eingriffen zu erteilen. Es sei B. bei der Durchführung beider operativer Eingriffe bewusst gewesen, dass eine rechtswirksame Einwilligung nicht vorgelegen habe und die Klägerin sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die Eingriffe entschieden hätte. Dieses Verhalten des B. stelle eine gravierende Missachtung der Persönlichkeit der Klägerin dar. Durch sein vorsätzliches Vorgehen habe B. die Klägerin zu einem bloßen Objekt seines Willens gemacht und daran gehindert, sich und ihre körperliche Integrität zu schützen. Die Auffassung des Beklagten, nach der das OEG nur der Entschädigung solcher Kriminalitätsopfer diene, die der Staat durch Polizeischutz nicht habe ausreichend schützen können und nach der ärztliche Kunstfehler „naturgemäß“ nicht durch polizeilichen Schutz gedeckt würden und somit nicht durch das OEG entschädigt werden könnten, greife nicht durch. Für eine derartig einschränkende Auslegung fänden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte. Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG scheide beim Vorliegen eines vorwerfbaren ärztlichen Behandlungsfehlers zwar regelmäßig aus, jedoch nur deswegen, weil es sich fast immer um fahrlässig begangene Delikte (fahrlässige Körperverletzung/fahrlässige Tötung) handele. Der Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns sei einem Arzt aber dann zu machen, wenn dieser bewusst einen Patienten bei der Aufklärung über den Eingriff täusche. Die Klägerin habe durch den Angriff auch unstreitig eine gesundheitliche Schädigung erlitten und leide noch heute an den gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung. Bei ihr liege in Folge des schädigenden Eingriffs als Gesundheitsstörung ein „Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich“ mit einer MdE von 10 v. H. vor. Diese seien vom Beklagten als Schädigungsfolge anzuerkennen.

Mit der hiergegen fristgerecht eingelegten Berufung hält das Land NRW an seiner Auffassung fest, dass die Handlungen des B. (kosmetische Operationen) keine tätliche Angriffe im Sinne des OEG darstellen, auch wenn B. dafür strafrechtlich verurteilt worden sei. Vorsätzlich habe B. nur bezüglich der unterlassenen Aufklärung gehandelt, hinsichtlich der nachfolgenden Kunstfehler habe er nur fahrlässig gehandelt. Dies genüge nicht, um einen tätlichen Angriff im Sinne des OEG anzunehmen. Für das OEG gelte ein „qualifizierter Gewaltbegriff“. Die feindselige Willensrichtung sei neben Vorsatz und Rechtswidrigkeit ein weiteres Tatmerkmal. Diese Voraussetzung liege nicht vor. Den Eingriffen liege keine feindselige Willensrichtung zugrunde. Es sei nicht erkennbar, dass B. der Klägerin bei den eigentlichen Operationen rechtsfeindlich gesonnen gewesen sei. Aus den streitigen Heilbehandlungen könne nicht auf eine feindliche Gesinnung des B. geschlossen werden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.12.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich auf das als zutreffend erachtete Urteil des SG.

Soweit die Klägerin mittels der von ihr fristgerecht eingelegten Berufung neben der Anerkennung von Schädigungsfolgen zunächst auch Versorgung nach einer MdE von zumindest 25 v.H begehrt hat, ist dies nicht mehr Streitgegenstand. Angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat die Klägerin die Berufung im Verhandlungstermin vom 21.05.2008 zurückgenommen. Zudem hat der Beklagte die im erstinstanzlichen Urteil tenorierten Schädigungsfolgen im Verhandlungstermin unstreitig gestellt, meint allerdings weiterhin, dass die beiden von B. vorgenommenen operativen Maßnahmen nicht als rechtswidrige, tätliche Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG zu werten seien.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Befund- und Behandlungsberichten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L, des Internisten Dr. V, der Ärztin für Anästhesiologie Dr. N und des Arztes für plastische Chirurgie Dr. M1. Weiterhin hat der Senat einen Krankenhausbericht des Marienhospitals B1 vom 12.12.2006 über die Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 15.11. bis zum 24.11.2006 „wegen unklarer Bauchbeschwerden bei bekannter Colitis ulcerosa“ beigezogen. Sodann hat der Senat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. F (31.03.2008) sowie ein chirurgisches-sozialmedinisches Gutachten von Dr. X (14.03.2008) eingeholt. Auf den Inhalt der Gutachten wird verwiesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen nimmt der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Akten S 3 SB 163/0 und S 3 SB 55/03 des SG Aachen Bezug. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

I.

Die Berufung ist statthaft und im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Klägerin hat ihre Klage zutreffend zunächst gegen das Land NRW gerichtet. Das der Klägerin günstige Urteil des SG Aachen hat das Land NRW mit der Berufung angegriffen. Berufungsführer war mithin das Land NRW. Infolge von Artikel 1 des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (Eingliederungsgesetz), das Teil des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen (Straffungsgesetz) vom 30.10.2007 ist (GV. NRW S. 482), ist ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Berufungsführer ist seit dem 01.01.2008 nicht mehr das Land NRW sondern der Landschaftsverband Rheinland (LVR). Das Berufungsverfahren ist durch den Beteiligtenwechsel nicht unterbrochen worden und musste auch nicht ausgesetzt werden (Urteil des Senats vom 05.03.2008 – L 10 V 9/05 -; vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 21.11.2003 – L 4 (2) U 55/01 -; OVG NRW, Beschluss vom 19.04.2007 – 6 B 2649/06 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2007 – L 10 R 739/04 -). Soweit es die Durchführung des sozialen Entschädigungsrechts (SER) anlangt, ist das Eingliederungsgesetz zur Überzeugung des Senats zwar verfassungswidrig; es verstößt mehrfach gegen bundesrechtliche Vorgaben, nämlich gegen §§ 3 und 4 des Gesetzes zur Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung vom 12.03.1951 (ErrG), zuletzt geändert durch das Zweite Zuständigkeitslockerungsgesetz vom 03.05.2000 (BGBl I, 632, 635) i.V.m. Art. 125b Abs. 2 Grundgesetz (GG), u.U. auch gegen Art 85 GG (eingehend hierzu Senatsurteil vom 05.03.2008 – L 10 V 9/05 -). Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG scheidet angesichts der konkreten prozessualen Situation aus. An die Entscheidungserheblichkeit im Sinn des Art. 100 GG legt das BVerfG strenge Maßstäbe. Das Gericht muss im Ausgangsverfahren bei Ungültigkeit der Norm anders zu entscheiden haben als bei deren Gültigkeit (BVerfGE 98, 169, 99; BVerfGE 105, 61, 67). Grundsätzlich ist der Tenor der Entscheidung dafür maßgeblich, ob eine andere Entscheidung vorliegt (BVerfGE 44, 297, 300). Ausgehend hiervon kommt eine Vorlage nach Art. 100 GG nicht in Betracht. Das SG hat den Beklagten zutreffend verurteilt, die tenorierten Schädigungsfolgen anzuerkennen. Ob sich nun der Landschaftsverband als neuer Beklagter gegen die Feststellung dieser Schädigungsfolge wendet oder dies dem nach § 75 Abs. 2 SGG notwendig beigeladenen Land NRW als weiterhin materiell Verpflichtetem obliegt, ändert am Tenor der Berufungsentscheidung („Die Berufung wird zurückgewiesen.“) nichts. Weder das Land noch der Landschaftsverband haben einen Anspruch auf Aufhebung des zutreffenden Urteils des SG.

Örtlich zuständiger Landschaftsverband und damit Beklagter ist der LVR, in dessen Zuständigkeitsbereich die Klägerin wohnt (§ 6 Abs. 1 S. 1 OEG i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 Verordnung über die Zuständigkeiten im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts (ZustVO SER) vom 18.12.2007 (GV. NRW S. 740)).

Der LVR ist als juristische Person des öffentlichen Rechts nach § 70 Nr. 1 2. Alt. SGG auch beteiligungsfähig, allerdings nicht prozessfähig. Prozessfähig ist nach § 71 Abs. 1 SGG grundsätzlich nur, wer sich durch Verträge verpflichten kann. Abs. 1 bezieht sich seinem Wortlaut nach zwar sowohl auf natürliche als auch auf juristische Personen (vgl. § 70 SGG). Überwiegend wird davon ausgegangen, dass Personenvereinigungen ohne Rücksicht darauf, ob sie rechtsfähig sind oder nicht, wegen ihrer Handlungsunfähigkeit prozessunfähig sind, folglich nur natürliche Personen als solche prozessfähig sein können (Krasney in: KassKomm, § 11 SGB X, Rdn. 7 sowie von Wulffen, § 11 SGB X, Rdn. 9; Düring in: Jansen, SGG, 2. Auflage, 2005, § 71 Rdn. 1; Keller/Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 71 Rdn. 3a m.w.N.). Der Senat tritt dem bei (vgl. Senatsurteil vom 05.03.2008 – L 10 SB 40/06 -). Die Prozessfähigkeit des LVR ergibt sich aber aus § 71 Abs. 3 SGG. Hiernach handeln für rechtsfähige Personenvereinigungen und Behörden ihre gesetzlichen Vertreter, im Fall der Landschaftsverbände also die Direktoren (§ 17 Abs. 1 Ziffer d LVerbO; Senatsurteil vom 05.03.2008 – L 10 V 9/05 -).

Ungeachtet dessen ist § 71 Abs. 5 SGG auf die Landschaftsverbände analog anzuwenden. Die Landschaftsverbände müssen daher die besonderen Qualitätskriterien des ErrG erfüllen, andernfalls sind sie nicht (mehr) prozessfähig. Insoweit verdrängt die Sonderregelung (§ 71 Abs. 5 SGG) die allgemeine Regelung des § 71 Abs. 3 SGG. Für den Senat ist eine ordnungsgemäße Prozessvertretung durch den LVR derzeit noch sichergestellt, denn das Personal folgt nach der Konzeption des Eingliederungsgesetzes den Aufgaben (§ 22). Ob dies aber auch zukünftig gilt und insoweit nicht ggf. droht, dass der Landschaftsverband seine über die Sondervorschrift des § 71 Abs. 5 SGG analog begründete Prozessfähigkeit verliert, erscheint allerdings fraglich (hierzu Senatsurteil vom 05.03.2008 – L 10 V 9/05 -).

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das angegriffene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 09.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2004 beschwert die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit es das Versorgungsamt abgelehnt hat, die bei ihr vorliegende Gesundheitsstörung „Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen, querlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich“ als eine durch ein schädigende Ereignis im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG hervorgerufene Gesundheitsstörung anzuerkennen.

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1.
Die streitbefangenen operativen Maßnahmen sind tätliche Angriffe im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Nach dieser Vorschrift erhält derjenige, der durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Ein tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung. Der tätliche Angriff als entscheidendes Merkmal des nach § 1 Abs.1 OEG vorausgesetzten schädigenden Vorgangs bezeichnet das erste Glied der opferentschädigungsrechtlichen Kausalkette. Ein derartiges schädigendes Ereignis muss eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben; weiter ist erforderlich, dass es auf Grund der Schädigung zu einer in Grad der Schädigungsfolge (GdS) zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen ist. In aller Regel wird die Angriffshandlung den Tatbestand einer – versuchten oder vollendeten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben i.S. der §§ 211 ff StGB oder gegen die körperliche Unversehrtheit i.S. der §§ 223 ff. StGB erfüllen. Deshalb ist – für den inneren Tatbestand (Vorsatz) – in der Regel auch das Wissen und Wollen des strafrechtlich relevanten Erfolges (Verletzung, Tötung) von Belang. Daneben sind aber Begehungsweisen denkbar, bei denen kein derartiger Erfolg angestrebt wird. Es ist nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2003 – B 9 VG 3/02 R -). Feindseilig handelt sonach, wer (objektiv) gegen das Strafgesetz verstößt, indem er den Körper eines anderen verletzt (BSG, Urteil vom 08.11.2007 – B 9/9a VG 2/06 R -).

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts, die der Senat sich zu eigen macht, hat die Klägerin den B. vor den operativen Maßnahmen auf ihre Vorerkrankungen aufmerksam gemacht (Urteil S. 126 ff.). Ungeachtet dessen hat B. sie vor dem Eingriff vom 13.01.2000 bewusst nicht darauf hingewiesen, dass angesichts der Vorerkrankungen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf. sogar mit Todesfolge, während und nach den Operationen zu rechnen ist. Die notwendige Aufklärung hat B. aus finanziellen Motiven unterlassen, weil er befürchtete, die Klägerin würde bei ordnungsgemäßer Aufklärung von einer Operation absehen. Entsprechend hat B. weder ein Aufklärungsgespräch noch eine Einwilligung der Klägerin in die Eingriffe dokumentiert. Ihm war während der Operationen bewusst, dass die mündlich erteilten Einwilligungen der Klägerin in die Operationen rechtsunwirksam waren und dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die Operationen entschieden hätte. Er nahm dies zumindest billigend in Kauf. Auch soweit es den Eingriff vom 20.06.2000 anbelangt, hat er es bewusst unterlassen, die Klägerin über die Risiken aufzuklären. Ihm war wiederum klar oder er nahm es zumindest billigend in Kauf, dass sich die Klägerin bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung gegen den weiteren Eingriff entschieden hätte.

b) Das Landgericht hat festgestellt, dass die von B. vorgenommenen ärztlichen Eingriffe wegen bewusster und gewollter Aufklärungspflichtverletzungen vorsätzliche Körperverletzungstaten darstellen, hingegen die im Rahmen der Operationen begangenen ärztlichen Kunst- und Behandlungsfehler nur fahrlässiger Natur waren (Urteil S. 390). Dies steht der Annahme, dass B. die Klägerin i.S. d. § 1 Abs. 1 OEG tätlich angegriffen hat, nicht entgegen. Beide operativen Eingriffe sind tatbestandlich vorsätzliche Körperverletzungen i.S.d. § 223 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) erfüllt jeder ärztliche Heileingriff den äußeren Tatbestand einer Körperverletzung im Sinne dieser Norm (BGH, Urteil vom 10.07.1954 – VI ZR 45/54 -; zuletzt BGH, Urteil vom 05.07.2007 – 4 StR 549/06 -; Schönke/Schröder/Eser, StGB, 27. Auflage, 2006, § 223 Rdn. 29; zu abweichenden Auffassungen in der Literatur vgl. Ulsenheimer in: Laufs/Uhlenbruch, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, 2002, § 138 Rdn. 5 ff.). Sofern eine wirksame Einwilligung nicht vorliegt, ist diese Körperverletzung rechtswidrig (BGH a.a.O.). Die Einwilligung kann wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 05.07.2007 – 4 StR 549/06 -; Ulsenheimer a.a.O. § 139 Rdn. 38). Daran fehlt es. Die mündlichen Einwilligungen in die Operationen sind unwirksam, denn B. hat die Klägerin bewusst nicht über die Risiken und Erfolgsaussichten der von ihm geplanten operativen Eingriffe hingewiesen; er hat sie darüber hinaus über seine nicht vorhandene Befähigung zur Durchführung der Operationen getäuscht. Dies folgt aus den Feststellungen des Landgerichts im Urteil vom 17.07.2002, denen sich der Senat anschließt.

Mittels der Operationen hat B. jeweils unmittelbar in die körperliche Integrität der Klägerin eingegriffen. Zwar musste B. keinen Widerstand der Klägerin überwinden. Dies steht einem tätlichen Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 OEG indes nicht entgegen. Denn die ihm insoweit günstige Situation konnte sich B. nur verschaffen, indem er die Klägerin zuvor über die Risiken der Operationen und seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können, getäuscht hat. Grundsätzlich haben alle in die körperliche Integrität einer anderen Person eingreifenden Handlungen die Tendenz, diese Person zum bloßen Objekt herab zu würdigen und damit deren Persönlichkeit zu missachten. Sie sind als feindseliger tätlicher Angriff anzusehen (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 16.03.1990 – L 10 VG 1/89 -; Kunz/Zellner, Opferentschädigungsgesetz, 4. Auflage, 1999, § 1 Rdn. 10). Demgemäss sind vielerlei Angriffshandlungen denkbar, z.B. auch solche, bei denen nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.2002 – B 9 VG 4/01 R -: Bedrohung mit einer scharf geladenen, entsicherten Schusswaffe; vgl. auch BSG, Urteil vom. 24.09.1992 – 9a RVg 5/91 – NJW 1993, 880; LSG Hamburg, Urteil vom 25.09.2007 – L 4 VG 8/06 -) oder aber die Tathandlungen mit List und unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnis begangen wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.01.2005 – L 13 VG 5/03 -; LSG NRW, Urteil vom 16.07.2002 – L 6 VG 31/01 -; BSG, Urteil vom 18.10.1995 – 9 RVg 4/93 -). Schon deswegen vermag der Einwand des Beklagten, das OEG sei nach seinem Grundgedanken nicht auf Taten anwendbar, bei denen zwischen Opfer und Täter ein Vertrauensverhältnis bestehe, nicht zu überzeugen. Darüber hinaus hat der Senat schon mehrfach betont, dass die Annahme, zwischen Arzt und Patient bestehe (generell) ein besonderes Vertrauensverhältnis, auf einer einseitig zielgerichteten und interessengeleiteten gedanklichen Konstruktion beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 09.08.2006 – L 10 B 6/06 KA ER – in MedR 2007, 374 ff.), das Verhältnis Arzt-Patient sich vielmehr zunehmend zu einer schlichten geschäftsmäßigen Beziehung entwickelt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 07.10.1998 – L 11 KA 62/98 – in MedR 1999, 333 ff.). Ein besonderes Vertrauensverhältnis mag idealerweise angenommen werden können, kann indessen nicht unbesehen generell unterstellt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 04.07.2002 – L 10 B 8/02 SB -). Letztlich kann die Frage dahinstehen, ob zwischen B. und der Klägerin ein besonderes Vertrauensverhältnis bestand, denn dieser rechtliche Ansatz ist im hier interessierenden Zusammenhang irrelevant. Zuzugeben ist dem Beklagten allein, dass sich Vorgänge innerhalb eines Arzt-Patienten-Verhältnisses präventiver Verbrechensbekämpfung mittels staatlicher Schutzorgane weitestgehend entziehen, so dass die Entschädigung des Opfers kaum mit dem Versagen staatlichen Schutzes vor Gewalttaten begründet werden kann. Dieser Ansatz vermag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der CDU/CSU-Entwurf eines OEG, der Entschädigung versagte, wenn die Schädigung im Rahmen bestimmter (abstrakter) Vertrauensverhältnisse geschehen ist, wurde nicht Gesetz. Danach spricht die nur eingeschränkte Möglichkeit staatlicher Verbrechensbekämpfung nicht dafür, den Begriff des tätlichen Angriffs zu Lasten der Klägerin eng auszulegen (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.10.1995 – 9 RVg 4/93 -). Vielmehr gilt: Das OEG hat sich eindeutig gegen eine Einschränkung des Opferentschädigungsrechts unter dem Gesichtspunkt entschieden, dass sich Vorgänge innerhalb eines (potentiellen) Vertrauensverhältnisses präventiver Verbrechensbekämpfung weitestgehend entziehen (zutreffend LSG NRW, Urteil vom 16.07.2001 – L 6 VG 31/01.-). Dem entspricht die Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG. Dort ist ausgeführt, dass der Entwurf planmäßig davon absehe, einzelne Vorschriften des Strafgesetzbuchs als Grundlage für die Entschädigung zu nennen. Ein solches an sich wünschenswertes Listensystem sei deshalb nicht eingeführt worden, weil manche Straftaten durch unterschiedliche Begehensweisen verwirklicht werden können und das OEG nur die Tätlichkeit gegen Personen erfassen wolle, nicht aber andere Begehensweisen derselben Strafvorschrift. In diesem Zusammenhang wird neben anderen Vorschriften des StGB auch § 176 StGB genannt (BT-Drucks. 7/2506 S. 10). Diese Äußerung kann nur so verstanden werden, dass das OEG anders als das Strafrecht nicht die Prüfung voraussetzt, ob bei der Begehensweise des § 176 Abs. 1 StGB ein gewaltsam handgreifliches oder aber ein spielerisches Moment im Vordergrund steht (vgl. BSG, Urteil vom 18.10.1995 – 9 RVg 4/93 -).

c) Die Auffassung des Beklagten, B. habe nicht in feindseliger Absicht gehandelt, sondern heilen wollen, trägt seine Berufung gleichermaßen nicht. Die von B. vorgenommenen Eingriffe stellen keine Heilbehandlung dar. Das ergibt sich wie folgt: Der Arzt schuldet dem Patienten vertraglich eine aufgrund sorgfältiger Diagnose, Beratung und Aufklärung vorgenommene Heilbehandlung. Hierunter sind alle Eingriffe und Behandlungen zu verstehen, die am Körper des Menschen vorgenommen werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern. Voraussetzungen einer jeden Heilbehandlung ist die (objektive) Heiltendenz, d.h. die Behandlung muss zur Heilung oder Linderung von Krankheiten, Beschwerden oder Schmerzen bestimmt oder geeignet sein. Beim Arzt muss ferner eine subjektive Heiltendenz vorliegen (zum Ganzen Uhlenbruck/Laufs, a.a.O., § 44 Rdn. 1 m.w.N.). Soweit verlangt wird, von diesen Anforderungen an den Begriff der Heilbehandlung abzuweichen, um auch rein diagnostische Maßnahmen oder die wiederherstellende Chirurgie zu erfassen (so Uhlenbruck/Laufs a.a.O …), führt das nicht weiter. Denn soweit der Körperschaden als nicht krankhafte Entstellung verstanden wird (Uhlenbruck/Laufs a.a.O.), lässt sich dem bei weiter Interpretation dieses Begriffs die körperliche Situation der Klägerin insbesondere auch nach ihrem subjektiven Verständnis unschwer zuordnen. Ausgehend hiervon ist eine objektive Heiltendenz nicht feststellbar. Das Landgericht führt aus, dass B. in gewissen- und verantwortungsloser Weise aus Profitdenken die gesundheitlichen und finanziellen Risiken seiner Patienten vernachlässigt und das von ihnen in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht hat (Urteil S. 390, 391). Damit ist der objektive Heilzweck in dem Sinne, dass die von B. durchgeführten Operationen dazu bestimmt waren, eine von der Klägerin als defizitär empfundene körperliche Situation zu bereinigen, nicht gegeben. Umso weniger werden die beiden operativen Eingriffe von einer subjektiven Heiltendenz getragen. Das Gegenteil ist der Fall, denn B. hat sich aus selbstsüchtigen, monetären Motiven über das Interesse der Klägerin an körperlicher Unversehrtheit hinweggesetzt. Im Übrigen handelt es sich bei der von § 1 Abs. 1 OEG geforderten Feindseligkeit der Tathandlung nicht um eine innere Tatsache. Was feindselig ist, bestimmt vielmehr das Strafgesetz (BSG, Urteil vom 18.10.1995 – 9 RVg 4/93 -). Feindselig in diesem Sinn sind alle § 223 StGB zuzuordnenden, strafbewehrten Tathandlungen ohne Rücksicht darauf, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Selbst eine freundschaftliche Einstellung des Täters zu dem Opfer wäre allenfalls für die Strafhöhe, nicht aber für die Strafbarkeit entscheidend (BSG, Urteil vom 18.10.1995 – 9 RVg 4/93 -).

d) Der Auffassung des Beklagten, dass ärztliche Kunstfehler „naturgemäß“ nicht unter den Schutz des OEG fallen, da sie durch polizeilichen Schutz nicht gedeckt seien, tritt der Senat entgegen. B. hat nicht (erst) aufgrund eines Behandlungsfehlers vorsätzlich, rechtswidrig und tätlich in die körperliche Unversehrtheit der Klägerin eingegriffen, sondern bereits mit dem Beginn seiner beiden Operationen in Kenntnis des Fehlens einer (wirksamen) Einwilligung. Zudem gibt es für eine derartig einschränkende Auslegung im Gesetz kein Anhaltspunkte. Entschädigungsrechtlich ist jedermann im Allgemeinen nach seinem individuellen (auch psychischen) Zustand gegen strafbares, vorsätzliches und rechtswidriges Fehlverhalten geschützt (BSG, Urteil vom 30.11.2006 – B 9a VG 4/05 R -). Die vom Beklagten letztlich in den Vordergrund gestellte Frage, ob der Staat objektiv in der Lage gewesen wäre, den Angriff des B. zu verhindern, ist rechtlich irrelevant. Das hat das BSG bei Angriffen im familiären Nahbereich und im Strafvollzug bereits entschieden (BSG, Urteil vom 18.10.1995 – 9 RVg 4/93 -; BSG, Urteil vom 18.04.2001 – B 9 V 5/00 R -; so auch LSG NRW, Urteil vom 16.07.2002 – L 6 VG 31/01 -). Dem stimmt der Senat zu.

e) Soweit der Beklagte der Auffassung ist, der Tatbestand des § 1 OEG werde nicht erfüllt, weil B. lediglich eine ordnungsgemäße Aufklärung der Klägerin unterlassen habe, trifft das nicht zu. Vielmehr hat B. durch eine falsche und irreführenden Aufklärung aktiv eine (rechtlich unwirksame) Einwilligung erschlichen und in einem zweiten Schritt strafbewehrte Körperverletzungen begangen. Tathandlung ist jeweils ein aktives Tun. Maßgebend ist überdies nicht die Täuschungshandlung im Hinblick auf die erwirkte Einwilligung. Rechtlich erhebliche Angriffshandlung ist die nicht von einer rechtfertigenden Einwilligung gedeckte Körperverletzung mittels zweier operativer Eingriffe. Im Übrigen schließt auch ein Handeln durch Unterlassen nicht grundsätzlich die Annahme einer Tat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG aus (vgl. Kunz/Zellner a.a.O. § 1 Rdn. 11; Schulz-Lüke/Wolf, OEG, 1977, § 1 Rdn. 89; a.A. Schoreit/Düsseldorf, OEG, 1977, § 1 Rdn. 63; offengelassen von BSG, Urteil vom 24.09.1992 – 9a RVg 5/91 -). Soweit das BSG entschieden hat, dass ein Unterlassungsdelikt kein tätlicher Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG ist (BSG, Beschluss vom 12.06.2003 – B 9 VG 11/02 B -) steht das dem nicht entgegen, denn diese Auffassung bezieht sich nur auf echte Unterlassungsdelikte (z. B. § 323 c StGB).

2.
Der sonach rechtswidrig tätliche Angriff des B. war auch vorsätzlich. Für den Vorsatz des Täters gilt der strafrechtliche Vorsatzbegriff: Wissen um die und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand (zumeist einer Körperverletzung) gehörenden objektiven Merkmale. Es genügt natürlicher Vorsatz, der sich nur auf den tätlichen Angriff, nicht auf den Körperschaden richten muss (BSG, Urteil vom 08.11.2007 – B 9/9a VG 3/06 R -; Kunz/Zellner a.a.O. § 1 Rdn. 24). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Beide operativen Eingriffe hat das Landgericht zutreffend als vorsätzliche Körperverletzungen bewertet (Urteil S. 390). Unschädlich ist, dass die im Rahmen der Operationen begangenen ärztlichen Kunst- und Behandlungsfehler nur fahrlässiger Natur waren. Dies hat nur Bedeutung für die Strafzumessung, nicht hingegen für die Frage, ob B. vorsätzlich gehandelt hat.

3.
Soweit der Beklagte befürchtet, die Entscheidung des Senats bewirke, dass nahezu alle ärztlichen Behandlungsfehler zu Folgeansprüchen nach dem OEG führten, trifft das schon im Ansatz nicht zu. Im Regelfall wird der Arzt seinen Patienten ordnungsgemäß aufklären (zu den Einzelheiten vgl. Ulsenheimer a.a.O. § 139 Rdn. 38). Im Übrigen ist es für die Entscheidung des vorliegenden Falls unerheblich, wie andere von der Beklagten befürchtete Sachverhalte rechtlich zu beurteilen sind. Hier geht es ausschließlich um die besondere Fallkonstellation, dass in Kenntnis einer durch vorsätzlich unzureichende und falsche Aufklärung erschlichenen Einwilligung operiert worden ist.

4.
Die Klägerin hat durch die beiden von B. durchgeführten Operationen eine gesundheitliche Schädigung erlitten an deren Folgen sie fortdauernd leidet. Die insoweit verbliebene Gesundheitsstörung „Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich“ haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2008 unstreitig gestellt.

Die Berufung der Beklagten konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Klägerin ihre Berufung zurückgenommen hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Der Senat weicht von keiner Entscheidung des BSG ab. Er wendet vielmehr die zur Auslegung des § 1 OEG entwickelte höchstrichterliche Rechtsprechung an. Darüber hinausgehende klärungsbedürftige und entscheidungserhebliche Rechtsfragen sind nicht ersichtlich.

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