LG Hamburg – Az.: 319 O 124/17 – Urteil vom 07.03.2019
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatz anlässlich eines Unfallereignisses vom 19.08.2015 in H. geltend. Beteiligt an den Unfall waren der klägerische PKW Mercedes-Benz CL 500 mit dem amtlichen Kennzeichen … . Unfallgegner war der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Nissan Micra mit dem amtlichen Kennzeichen …
Der Kläger und der Beklagte zu 1) befuhren gegen 8.00 Uhr die S.str. stadteinwärts. In Höhe der Einmündung P. Straße kam es zu einem seitlichen Zusammenstoß zwischen dem klägerischen Mercedes und dem Nissan des Beklagten zu 1).
Der Kläger behauptet, er sei auf dem linken Fahrstreifen der zweispurigen S.str. gefahren. Als sich die Fahrbahn auf drei Spuren erweiterte, sei er auf die dritte Spur ganz nach links gefahren. Der Beklagte zu 1) habe sich auf der Mittelspur befunden und einen Fahrstreifenwechsel vom mittleren auf den linken Fahrstreifen vorgenommen, um verbotswidrig links abzubiegen. Dabei sei der Beklagte zu 1) mit der linken vorderen Ecke gegen die Seite des Mercedes gefahren. Der Kläger habe noch versucht, sein Fahrzeug abzubremsen und in den Gegenverkehr zu lenken, um eine Kollision zu verhindern. Auf die vom Kläger angefertigte Skizze Anlage K 1 und ein Foto mit der Endstellung der Fahrzeuge Anlage K 2 wird Bezug genommen. Der Sachverständige P. habe den nicht behobenen Altschaden bei seiner Kalkulation berücksichtigt.
Der Kläger macht Schadensersatz in Höhe von € geltend der sich wie folgt berechnet:
– Reparaturkosten netto Anlage K 3 6.621,29 €
– Sachverständigenkosten Anlage K 4 794,49 €
– Auslagenpauschale 25,00 €
Gesamt 7.440,78 €
Daneben verlangt der Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 €.
Der Kläger beantragt
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 7.440,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 22.10.2016 zu zahlen.
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von der Forderung des Prozessbevollmächtigten P. K. aus der Rechnung vom 3.3.2016 (Anlage K 5) in Höhe von 729,23 € freizuhalten.
Die Beklagten beantragen, Klagabweisung.
Die Beklagten tragen vor, der Beklagte zu 1) habe den linken der beiden Richtungsfahrstreifen befahren. Als sich linke eine dritte Richtungsspur eröffnete, habe er diese sofort angesteuert. Verkehrsbedingt habe er anhalten müssen. Der Kläger sei über die durchgehende Fahrstreifenbegrenzung in den Gegenverkehr eingefahren und habe das Fahrzeug des Beklagten zu 1) links überholt. Wegen auftauchenden Gegenverkehrs habe der Kläger wieder nach rechts in die linke Spur wechseln müssen. Dabei sei es zur Kollision mit dem stehenden PKW des Beklagten zu 1) gekommen. Auf die Unfallskizze des Beklagten zu 1) Anlage B 2 wird verwiesen.
Die Beklagten bestreiten, dass am Fahrzeug des Klägers unfallbedingt ein Schaden in Höhe von netto 6.621,29 € entstanden sei. Im anstoßrelevanten Bereich habe ein nicht behobener Altschaden vorgelegen. Die Kostenpauschale betrage üblicherweise 20 €.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Beweisthemas und des Beweisergebnisses wird Bezug genommen auf den Beweisbeschluss vom 08.03.2018 (Bl. 97 ff. GA) und das schriftliche Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dipl.-Phys. M. W. und B. D. vom 12.12.2018 (Bl. 133 ff. GA). Außerdem wurde der Kläger persönlich gemäß § 141 ZPO persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 22.2.2018 (Bl. 91 ff. GA) Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 7, 17 StVG, 823 ff. BGB zu.
Der Verkehrsunfall hat sich sowohl bei Betrieb des klägerischen Fahrzeugs als auch beim Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) ereignet (§ 7 Abs. 1 StVG). Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Verkehrsunfall bei Anwendung höchster Sorgfalt für jeden der Unfallbeteiligten vermeidbar gewesen wäre, liegt ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG für keinen der Beteiligten vor. Die beiderseitigen Verursachungsbeiträge sind daher gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gegeneinander abzuwägen. Dabei kann das Gericht dieser Abwägung allein unstreitige oder erwiesene Tatsachen zugrunde legen. Auf dieser Grundlage erachtet das Gericht eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 0 : 100 zulasten des Klägers für angemessen. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass sich der Verkehrsunfall nicht im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem von dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) eingeleiteten Fahrstreifenwechsel vom mittleren auf den linken Fahrstreifen ereignet hat. Gegen den Beklagten zu 1) spricht kein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Kollision auf einer Verletzung der besonderen Sorgfaltspflichten des § 7 Abs. 5 StVO beruht. Der Beklagte zu 1) hat vielmehr, als sich der dritte Fahrstreifen neu eröffnete, diesen neuen linken dritten Fahrstreifen gewählt. Er befand sich zum Kollisionszeitpunkt bereits mittig und achsparallel im dritten Fahrstreifen. Die Wahl des dritten Fahrstreifens hat sich nicht mehr unfallbedingt ausgewirkt. Der Kläger hat durch sein grob verkehrswidriges Überholen durch Inanspruchnahme des Gegenverkehrs den Unfall allein verursacht. Der Unfall wäre vermieden worden, wenn der Kläger den Beklagten zu 1) nicht verbotswidrig überholt hätte.
Der Beklagte zu 1) musste nicht damit rechnen, dass der zunächst hinter ihm fahrende Kläger unzulässigerweise über die Gegenfahrbahn fahren würde und dann vor wieder einscheren würde (vgl. LG Dortmund 10.4.2003 – 15 S 277/02, juris).
Das Gericht schließt sich insoweit zum Ablauf des Unfalls den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen W. vollen Umfanges an. Der Sachverständige hat nachvollziehbar und ausführlich dargelegt, wie er zu seinen Feststellungen gekommen ist. Er hat die Grundlagen für die Tatsachenfeststellung ausreichend ermittelt. Der Sachverständige hat ausführlich und plausibel die Parteivorträge nebst Skizzen und die ihm zur Verfügung gestellten Lichtbilddateien und Fotos ausgewertet sowie die Unfallstelle besichtigt und vermessen. Er hat sodann den Unfallablauf rekonstruiert. Er hat die Anstoßkonfiguration zwischen dem klägerischen Mercedes und dem Nissan des Beklagten zu 1) ermittelt. Das Schadenbild an beiden Fahrzeugen lässt sich mit einer Streifkollision erklären, bei der sich die Seite des Mercedes mit Überschussgeschwindigkeit unter einem Winkel von rund 15 ° an der linken Frontecke des Beklagtenfahrzeugs entlang bewegte. Eine starke Bremsung oder Wankbewegung eines der beiden Fahrzeuge zum Kollisionszeitpunkt konnte der Sachverständige anhand der Analyse der Beschädigungen nicht nachweisen. Anhand der Fahrzeugbeschädigungen ließ sich auch der Fahrstreifenwechsler nicht eindeutig feststellen. Die Einzelheiten ergeben sich aus den Anlagen 22 bis 25 des Gutachtens.
Anhand der an beiden Fahrzeugen gezeichneten Radkontaktspuren ließ sich feststellen, dass der Nissan zum Kollisionszeitpunkt nicht gestanden hat, sondern vorwärtsgefahren ist. Der Mercedes ist etwa doppelt so schnell gefahren wie der Nissan. Der Sachverständige W. hat sodann untersucht, ob sich der rekonstruierte Anstoßwinkel, das berechnete Geschwindigkeitsverhältnis und die Unfallendstellungen der beiden Fahrzeuge mit der Unfalldarstellung des Klägers und des Beklagten in Einklang bringen lassen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Unfallversion des Klägers auf Widersprüche zu den dokumentierten Unfallendstellungen beider Fahrzeuge stoßen. Weder das Klägerfahrzeug noch das Beklagtenfahrzeug können nach der Klägerversion ihre Unfallendstellung erreicht haben. Um die annähernd parallele Ausrichtung des Nissan des Beklagten zu 1) zur Fahrbahn im linken Fahrstreifen nach dem vom Kläger behaupteten Spurwechsel zu erreichen, sind die Lenkzeit und der erforderliche Fahrweg zu kurz. Um das vom Kläger geschilderte Fahrmanöver durchzuführen, bei dem dieser bei Kollisionsbeginn auf das Beklagtenfahrzeug reagiert und dann nach links steuert, um sodann wieder zurück nach rechts zurückzulenken, haben dem Kläger weder die Zeit noch der Raum zur Verfügung gestanden, um seine Unfallendstellung zu erreichen. Die Entfernung zwischen Kollisionsort und der Unfallendposition des Mercedes beträgt nur 9 m. Bei einer Geschwindigkeit von 25 km/h legt der Mercedes bei einer durchschnittlichen Reaktionsdauer von 1 Sekunde schon rund 7 m zurück bevor eine Lenkreaktion überhaupt wirken kann. Die Beklagtenversion, dass er zum Zeitpunkt des Unfalls schon gestanden habe, konnte ebenfalls anhand der Auswertung der Radkontaktspuren nicht nachgewiesen werden, wie bereits oben ausgeführt. Wenn der Nissan gestanden hätte, wäre es zu einem deutlich tieferen Eindringen der rechten Frontseite des Mercedes in die linke Frontecke des Beklagtenfahrzeugs gekommen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf Anlagen 36 und 37 des Gutachtens.
Der Sachverständige W. hat weiter ausgeführt, dass zu den technischen Befunden folgende Unfallversion passt, die sich mit allen verfügbaren Anknüpfungstatsachen widerspruchsfrei vereinbaren lässt: Das Beklagtenfahrzeug war bereits zur Hälfte in den sich öffnenden linken Fahrstreifen eingefahren. Der Kläger hingegen ist bereits zu Beginn des sich öffnenden dritten Fahrstreifens nach links ausgeschert und dabei teilweise in die Gegenfahrbahn gefahren. Er hat den Beklagten zu 1) links überholt. Beim Wiedereinscheren in den linken Fahrstreifen prallt der Kläger gegen die linke vordere Ecke des in die dritte Fahrspur einfahrenden Beklagtenfahrzeugs. Auf Anlage 38 des Gutachtens wird verwiesen. Diese Unfallversion ist nachvollziehbar und anschaulich vom Sachverständigen dargestellt worden. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen vollen Umfanges an. Zweifel an der Objektivität und der fachlichen Qualifikation des Sachverständigen sind nicht ersichtlich.
Ein mitwirkendes Verschulden des Beklagten zu 1) liegt nicht vor. Eine vom Fahrzeug des Beklagten zu 1) ausgehende Betriebsgefahr tritt hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Klägers zurück. Dieser hat um des schnelleren Fortkommens willens unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn links überholt (vgl. LG Dortmund 10.4.2003 – 15 S 277/02, juris). Schadensersatzansprüche des Klägers scheiden damit aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.