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Verkehrsunfall: Schmerzensgeldanspruch für erlittene HWS-Verletzung

LG Wiesbaden, Az.: 9 S 34/14, Urteil vom 06.03.2018

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 26.08.2014 zu 91 C 60/14 (84) wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Klägerin nimmt die Beklagten im Zusammenhang mit einem Heckauffahrunfall auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Erstattung von Heilbehandlungskosten in Anspruch; des weiteren verlangt sie die Erstattung von vorgerichtlich angefallenen und nicht anrechenbaren Rechtsverfolgungskosten.

In tatsächlicher Hinsicht wird vollumfänglich auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 26.08.2014 zu 91 C 60/14 (84) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Verkehrsunfall: Schmerzensgeldanspruch für erlittene HWS-Verletzung
Symbolfoto: Daisy Daisy/Bigstock

Das Amtsgericht hat der Klage nach Vernehmung der Klägerin als Partei sowie nach Vernehmung von fünf Zeugen weitestgehend stattgegeben und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin auf das Schmerzensgeld 3.500,00 EUR und auf die Heilaufwendungen 758,26 EUR, jeweils nebst Zinsen, sowie an vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten 446,13 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, nach durchgeführter Beweisaufnahme sei es davon überzeugt, daß die Klägerin bei dem Auffahrunfall vom 10.05.2012 verletzt worden sei und ein HWS-Schleudertrauma erlitten habe. Dies folge nicht nur aus den Bekundungen der Klägerin, sondern ergebe sich auch aus den klägerischerseits vorgelegten ärztlichen Attesten sowie aus den Aussagen der vernommenen Zeugen. Danach stehe fest, daß die Klägerin vor dem Unfall keine gesundheitlichen Probleme mit der Wirbelsäule oder mit dem Rücken gehabt habe, nach dem 10.05.2012 jedoch infolge des unfallbedingt erlittenen Schleudertraumas insbesondere nicht in der Lage gewesen sei, ihrem Beruf als selbständige Selbstverteidigungstrainerin nachzugehen; auch sonst sei die Klägerin verletzungsbedingt in ihrer Lebensführung beeinträchtigt gewesen. Daß bei einer MRT-Untersuchung degenerative Veränderungen der HWS der Klägerin zutage getreten seien, sei unschädlich; diese hätten die Klägerin bis zu dem Unfall in keiner Weise beeinträchtigt. Dies sei erst durch das Schleudertrauma geschehen. Ein biomechanisches Gutachten sei vor diesem Hintergrund entbehrlich gewesen. Selbst wenn ein solches ergäbe, daß die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung vorliegend nicht so hoch gewesen sei, folge hieraus nicht notwendig ein Ausschluß des geltend gemachten Anspruchs. Denn der Bundesgerichtshof habe sich wiederholt gegen die Annahme einer starren Harmlosigkeitsgrenze ausgesprochen. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens sei aber angesichts der umfassenden Zeugenaussagen und der vorgelegten ärztlichen Atteste entbehrlich gewesen. Die klägerischerseits geltend gemachte HWS-Verletzung stehe bereits hiernach fest.

Mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung verfolgen die Beklagten ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren weiter. Zur Begründung machen sie geltend, indem das Amtsgericht es abgelehnt habe, das beklagtenseits beantragte Sachverständigengutachten einzuholen, habe es das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Allein aus den vorgelegten Schadensbildern folge nämlich, daß die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung eine zu vernachlässigende gewesen sein müsse; aus den ärztlichen Attesten und den Zeugenaussagen, die sämtlich auf subjektiven Angaben der Klägerin beruhten, folge für die hier zu klärenden Fragen gleichermaßen nichts. Mangels eigener Sachkunde habe das Amtsgericht ohne sachverständige Unterstützung nicht die Feststellung treffen dürfen, daß die Klägerin, deren HWS unstreitig unfallunabhängige degenerative Veränderungen aufweise, vor dem Verkehrsunfall trotz der Vorschäden keinerlei Beschwerden gehabt habe. Insofern wäre das beklagtenseits beantragte Sachverständigengutachten erstinstanzlich zwingend einzuholen gewesen. Zudem sei das zugesprochene Schmerzensgeld der Höhe nach weder auf Grund des Klagevorbringens noch auf Grund der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung nachzuvollziehen, weshalb das angefochtene Urteil auch deshalb keinen Bestand haben könne.

Die Beklagten beantragen, unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Wiesbaden, 91 C 60/14 (84), vom 26.08.2014, zugestellt am 27.08.2014, die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Insbesondere macht sie geltend, daß die Einholung eines Sachverständigengutachtens angesichts der aussagekräftigen ärztlichen Atteste und eindeutigen Zeugenaussagen vorliegend entbehrlich gewesen sei. Hinsichtlich der Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes habe sich das Amtsgericht aber ersichtlich an Judikatur zu vergleichbaren Konstellationen orientiert.

Wegen weiterer Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze und die zugehörigen Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Dipl.-Ing. (FH) P. S. vom 25.02.2016, sein Ergänzungsgutachten vom 28.09.2016, das Gutachten des Dr. med. K. F. vom 15.03.2017 sowie dessen Ergänzungsgutachten vom 07.09.2017 Bezug genommen.

Der zulässigen Berufung blieb der Erfolg versagt, weil die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.

Die Klägerin kann von den Beklagten wegen der von ihr bei dem Unfall vom 10.05.2012 erlittenen HWS-Beschleunigungsverletzung die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.500,00 EUR verlangen (§§ 253, 823 BGB i. V. m. §§ 7, 18 StVG i. V. m. § 115 VVG i. V. m. § 287 ZPO). Unstreitig hat der Beklagte zu 1) als Lenker des im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Renault Trafic, eines Kastenwagens, den Auffahrunfall verursacht und verschuldet, indem er mit dem von ihm gelenkten Renault Trafic auf den von der Klägerin gelenkten Citroen BX auffuhr, als dieser vor einer Ampel an erster Stelle stand. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung von technischen und medizinischen Sachverständigengutachten steht die klägerischerseits behauptete HWS-Verletzung sowie der klägerischerseits behauptete Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der behaupteten HWS-Verletzung zur Überzeugung des erkennenden Gerichts mit hinreichender Sicherheit fest.

Das von dem Gericht eingeholte technische Gutachten des Dipl.-Ing. (FH) P. S. stützt den von der Klägerin behaupteten Kausalverlauf zunächst einmal indiziell. Grundsätzlich können technische beziehungsweise biomechanische Gutachten im Rahmen der Beweiswürdigung wesentliche Indizien liefern, die Rückschlüsse auf den behaupteten Kausalitätsverlauf zulassen. Dies kann gerade deshalb hilfreich sein, weil sich bei den komplexen Phänomenen der HWS-Verletzungen schematische Betrachtungsweisen verbieten und es auf die Einzelheiten des Falles ankommt. Aus den Feststellungen des eingeholten technischen Sachverständigengutachtens ergibt sich aber, daß unter den dort genannten Prämissen für das angestoßene Fahrzeug von einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 7–8 km/h auszugehen ist. Ob bei Heckanstößen in diesem Niedriggeschwindigkeitsbereich HWS-Verletzungen ohne weiteres auszuschließen sind, ist in Rechtsprechung und Schrifttum nach wie vor streitig. Dementsprechend hat sich der technische Sachverständige konsequenterweise einer abschließenden Stellungnahme hierzu enthalten. Zwar findet sich in dem Gutachten des Dipl.-Ing. (FH) P. S. vom 25.02.2016 ausgeführt, daß die während der Kontaktphase auf die Klägerin wirkende Beschleunigung lediglich das Anderthalbfache dessen betragen habe, was auf die Insassen eines modernen Sportwagens bei einer Vollbremsung wirke. Was für den zur Entscheidung anstehenden Fall eben hieraus resultieren soll, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht. Es dürfte auf der Hand liegen, daß der Lenker eines Sportwagens einer von ihm selbst ausgelösten Vollbremsung anders begegnen dürfte als der Insasse eines stehenden PKW, der von dem Heckaufprall völlig überrascht wird. Dementsprechend räumt auch Dipl.-Ing. (FH) P. S. ein, daß die Beantwortung der Frage, ob die geklagten Verletzungen aus der von ihm errechneten Beschleunigung resultieren können, letztendlich der medizinischen Bewertung unter Berücksichtigung der kollisionsmechanischen Daten und unter Berücksichtigung der individuellen körperlichen Voraussetzungen der Klägerin vorbehalten bleiben muß.

Auf der Grundlage der technischen Gutachten und nach einer eigenen Untersuchung der Klägerin sowie Auswertung des ihm vorgelegten Bildmaterials ist der medizinische Sachverständige Dr. med. K. F. sodann zu dem jederzeit nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, daß die Klägerin bei dem Unfall vom 10.05.2012 kollisionsbedingt eine erstgradige Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule erlitten hat. Das äußere Erscheinungsbild des Unfalls vom 10.05.2012 im Sinne eines Auffahrunfalls mit Heckaufprall und Überraschungsmoment stelle einen schadensadäquaten Verletzungsablauf dar. Auch lägen die unabdingbaren verletzungsadäquaten klinischen Beschwerden und Untersuchungsbefunde vor. Hierzu zählten bei Halswirbelsäulendistorsionen des niedrigsten Schweregrades unmittelbar oder nach einer kurzen zeitlichen Latenz von Stunden oder ein bis zwei Tagen auftretende Kopf-, Nacken- oder Schultergürtelschmerzen, Schwindelgefühle, vorübergehende sensible Mißempfindungen in der Peripherie, Muskelverspannungen und Myogelosen, sowie Halswirbelsäulenbeweglichkeitseinschränkungen. Derlei Symptome und Befunde sind auch bei der Klägerin unmittelbar nach dem Unfallgeschehen ärztlicherseits dokumentiert worden. Der medizinische Sachverständige zieht hieraus den Schluß, daß aus medizinischer Sicht retrospektiv eine mit einer Halswirbelsäulendistorsion vereinbare Krankheitssymptomatik feststellbar sei. Das Gericht folgt ihm uneingeschränkt. Der medizinische Sachverständige sah sich schließlich auch in der Lage, den beklagtenseits thematisierten Widerspruch zwischen der unfallanalytisch ermittelten Krafteinwirkung einerseits und dem klinischen Beschwerde- und Befundbild bei der Klägerin im Anschluß an den Unfall andererseits aufzulösen: Entweder waren die bei der Klägerin nach dem Auffahrunfall aufgetretenen Beschwerden und Befunde nicht Folge von definierten traumatischen Gewebeschädigungen, sondern das Ergebnis einer durch den Überraschungsanstoß ausgelösten schutzreflektorischen Muskelan- und -verspannung, oder das Unfallgeschehen vom 10.05.2012 war zwar seiner Intensität nach nicht geeignet, gesundes Gewebe strukturell zu schädigen, es konnte jedoch bei einer degenerativ vorveränderten Halswirbelsäule bis dahin noch unterschwellige Prozesse im Sinne des sprichwörtlichen letzten Tropfens, der das Faß zum Überlaufen bringt, als ein klinisches Beschwerdebild der vorbeschriebenen Art in Gang setzen. Bei beiden Ursachenmöglichkeiten für die in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen aufgetretenen Beschwerden und Befunde handelt es sich dem medizinischen Sachverständigen zufolge um in ihrer Wirksamkeit zeitlich begrenzte Schadensauslöser oder Schadensverstärker. Auch wenn der medizinische Sachverständige der zweiten Alternative den Vorzug gibt, steht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts mit hinreichender Sicherheit fest, daß das bei der Klägerin im Anschluß an den Unfall aufgetretene Beschwerdebild in jedem Fall kausal auf die Kollision zurückzuführen ist, sei es infolge einer schutzreflektorischen An- und Verspannung einschlägiger Muskelgruppen, sei es dergestalt, daß die unfallbedingte Beschleunigung auf eine degenerativ vorveränderte Halswirbelsäule traf, die bis dahin klinisch unauffällig war. Der Ursachenzusammenhang zwischen Auffahrunfall und Beschwerdesymptomatik ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts in beiden Fällen gegeben.

Wegen ihrer Behauptung, die Beschwerden der Klägerin seien nicht auf den Verkehrsunfall zurückzuführen, sondern hätten bereits vor dem 10.05.2012 in klinisch relevanter Weise bestanden, sind die Beklagten beweisfällig geblieben. Insoweit fehlt es bereits an einem tauglichen Beweisantritt. Ein solcher kann insbesondere nicht in dem Antrag der Beklagten erblickt werden, das angerufene Gericht möge der Klägerin gemäß § 142 ZPO die Vorlage des Vorerkrankungsregisters ihrer Krankenkasse aufgeben oder aber das Vorerkrankungsregister der Krankenkasse der Klägerin selbst beiziehen. Dem entsprechenden Antrag der Beklagten war nicht stattzugeben, weil weder dargetan noch anderweit ersichtlich ist, daß die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Entgegen der Einschätzung der Beklagten dient die Vorschrift des § 142 ZPO nicht dazu, derjenigen Partei, welche sich auf eben diese zu berufen beliebt, Ausforschung zu ermöglichen. Eben hierauf läuft das Ansinnen der Beklagten zur Überzeugung des erkennenden Gerichts aber hinaus. Denn die Beklagten lassen ohne nähere Spezifizierung behaupten, aus dem Vorerkrankungsregister der Klägerin würden sich vorbestehende und unfallunabhängige Beschwerden ergeben. Auf ein derart pauschales Vorbringen ohne jeden Tatsachenbezug hin einem Antrag nach § 142 ZPO stattgeben zu wollen, liefe zur Überzeugung des erkennenden Gerichts darauf hinaus, den Beklagten entgegen dem Beibringungsgrundsatz erbötig Hilfestellung bei der von ihnen intendierten Ausforschung leisten zu wollen. Derlei kam zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht in Betracht. Denn das Gericht darf mit einer Anordnung nach § 142 ZPO anerkanntermaßen nicht die Grenzen des Parteivortrags überschreiten. Vielmehr muß sich die Bedeutung der Urkunde, deren Vorlage angeordnet werden soll, für die zu fällende Entscheidung bereits aus schlüssigem und substantiiertem Parteivortrag selbst ergeben. Die Forderung einer Partei, die Vorlage ganzer Urkundensammlungen anzuordnen, ist ohne weiteren erläuternden Parteivortrag deshalb regelmäßig unbeachtlich (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 142, Rdnr. 2). Insbesondere ist es regelmäßig als nicht zureichend anzusehen, wenn eine Partei pauschal die Existenz von Unterlagen behauptet, aus denen sich das von ihr pauschal Behauptete ergeben können soll (vgl. BGH, MDR 2007, 1188). So liegt der Fall zur Überzeugung des erkennenden Gerichts, wie dargetan, aber hier. Die beklagtenseits angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 29.04.2011 zu 10 U 4208/10 zwingt zu keiner anderen Sicht der Dinge. Das Oberlandesgericht München beruft sich in dem vorzitierten Urteil zwecks Belegs auf ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom 15.04.2011 zu 10 U 5655/10. Geht man letztgenanntem Zitat nach, stellt man fest, daß das Oberlandesgericht München in dem Urteil vom 15.04.2011 zu 10 U 5655/10 die von ihm für geboten gehaltene Erholung des Vorerkrankungsverzeichnisses entsprechend der von ihm postulierten Pflicht der Gerichte zur Ermittlung der Anknüpfungstatsachen insbesondere auch aus einer Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts ableitet, die mit „OLG Saarbrücken MDR 2003, 1250“ zitiert wird. Geht man wiederum letztgenanntem Zitat nach, gelangt man zu dem Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30.04.2003 zu 1 U 682/02, einer Entscheidung aus dem Bereich des Arzthaftungsrechts, in welcher das Saarländische Oberlandesgericht es als verfahrensfehlerhaft angesehen hat, wenn das erstinstanzliche Gericht dem Sachverständigen in einer Arzthaftungssache gestattet, sein Gutachten ohne Berücksichtigung der tatsächlich vorhandenen Krankenunterlagen zu erstellen, obwohl § 142 ZPO das Gericht in den Stand setzt, die Vorlage von Krankenunterlagen anzuordnen, die bei einem außerhalb des Rechtsstreits stehenden Arzt oder einer solchen Klinik geführt werden. Auf der Grundlage von § 142 ZPO könnten regelmäßig die Krankenunterlagen bei Dritten, am Rechtsstreit nicht beteiligten Ärzten oder Kliniken angefordert werden. Diese Stellen seien nämlich nach § 810 BGB ohnehin verpflichtet, dem Patienten Einsicht in seine Krankenunterlagen zu gewähren (Saarländisches Oberlandesgericht a. a. O.). Was die vom Saarländischen Oberlandesgericht entschiedene Konstellation mit dem hier zur Entscheidung anstehenden Fall zu tun haben soll, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht. Die Beklagten werden wohl nicht ernsthaft behaupten wollen, die Krankenversicherung der Klägerin sei gemäß § 810 BGB ohnehin verpflichtet, ihnen, den Beklagten, Einsicht in das Vorerkrankungsregister der Klägerin zu gewähren, weshalb ihrem diesbezüglichen Antrag nach § 142 ZPO vorliegend ohne weiteres stattzugeben sei. Das Saarländische Oberlandesgericht hat die Vorschrift des § 142 ZPO ersichtlich nur deshalb für einschlägig gehalten, weil der dortige Kläger als Patient ohnehin in der Lage gewesen wäre, von den am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten gemäß § 810 BGB zu verlangen, ihm Einsicht in seine Patientenunterlagen zu gewähren. Ein solches Einsichtsrecht der Beklagten bezogen auf die Krankenversicherung der Klägerin und das dort geführte Vorerkrankungsregister besteht in der streitbefangenen Verkehrsunfallsache ersichtlich nicht, weshalb dem entsprechenden Antrag der Beklagten nach § 142 ZPO nicht stattzugeben war.

Hatte es nach allem bei den von den gerichtlich bestellten Sachverständigen getroffenen Feststellungen und gezogenen Schlußfolgerungen zu verbleiben, so rechtfertigt Vorstehendes ein Schmerzensgeld in der vom Erstgericht für angemessen gehaltenen Höhe. Denn nach den Feststellungen und Schlußfolgerungen des medizinischen Sachverständigen ist in der Rückschau die Diagnose einer unfallbedingten einfachen Halswirbelsäulendistorsion ersten Grades möglich und geboten. Jedenfalls gibt es für das erkennende Gericht keinen Grund, die jederzeit nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Feststellungen und Schlußfolgerungen des medizinischen Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Hinsichtlich der Dauer der Behandlungsbedürftigkeit im vorliegenden Fall wußte der medizinische Sachverständige auszuführen, daß in Ermangelung einer kontinuierlichen Untersuchungsbefunddokumentation auf die allgemeine wissenschaftliche Lehrmeinung zu Wirbelsäulendistorsionen zurückzugreifen sei. Danach würden sich Verletzungen nach Art der hier festgestellten voll Rückbilden und wären spätestens nach sechs Wochen ausgeheilt. Nach einer anderen Meinung in der medizinischen Wissenschaft würde sich an einen vierwöchigen Ausheilungsprozeß noch eine vierwöchige Zeit anschließen, in welcher die Leistungsfähigkeit des Verletzten als zu 20 % gemindert anzusehen sei. Bei streß- oder schutzreflektorisch ausgelösten Muskelverspannungs- und Muskelschmerzkreisläufen ohne zugrundeliegende eigentliche strukturelle Gewebeschädigung kann dem medizinischen Sachverständigen zufolge eine kürzere Arbeitsunfähigkeitszeit erwartet werden; bei der unfallbedingten Aktivierung präexistenter, aber bis dahin noch klinisch unterschwelliger, degenerativer Prozesse andererseits sind nach den Worten des medizinischen Sachverständigen bei körperlich tätigen Betroffenen, wie der Klägerin, auch längere Behandlungs- oder Arbeitsunfähigkeitszeiten plausibel, wobei dann mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum symptomauslösenden Unfallgeschehen dessen Gewicht gegenüber den unfallunabhängigen Vorschädigungen mehr und mehr abnehmen wird. In der Gesamtschau rechtfertigt sich hieraus zur Überzeugung des erkennenden Gerichts ein Schmerzensgeld in der vom Erstgericht zuerkannten Höhe. Wegen der Bemessungserwägungen ist zwecks Meidung von Wiederholungen auf die entsprechenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu verweisen. Ergänzend ist auszuführen, daß auch das erkennende Gericht vor dem Hintergrund der eingeholten Sachverständigengutachten davon überzeugt ist, daß die von der Klägerin unfallbedingt erlittene Verletzung spätestens nach neun Wochen ausgeheilt war. Vier bis sechs Wochen Rekonvaleszenz entsprechen dabei den in der Fachliteratur anzutreffenden Werten, weitere drei Wochen mögen zu Gunsten der Klägerin wegen ihrer generellen körperlichen Konstitution, namentlich vorbestehender degenerativer Halswirbelsäulenprozesse, sowie ihrer vorwiegend körperlichen Tätigkeit als Selbstverteidigungstrainerin angenommen werden. Die hieraus resultierende Rekonvaleszenzzeit von rund neun Wochen korrespondiert bezeichnenderweise mit dem von dem Erstgericht – wenngleich auf anderer Grundlage – festgestellten Zeitraum. Die von dem Erstgericht bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe angestellten Erwägungen begegnen keinen Bedenken. Das Erstgericht, welches als Vergleichsmaßstab eine Entscheidung des Kammergerichts vom 21.06.2010 zu 12 U 20/10 heranzog, stellt zutreffend darauf ab, daß wegen Nichterweislichkeit des klägerischerseits behaupteten Defekts an den Bremsen des Renault Trafic die Annahme eines bedingt vorsätzlichen Handelns des Beklagten zu 1) sich verbiete; umgekehrt die Beklagten vergeblich darauf abstellten, daß die Halswirbelsäule der Klägerin bereits vor dem Unfall degenerative Veränderungen aufgewiesen habe. Mit dem Erstgericht ist das erkennende Gericht der Auffassung, daß eine Reduktion des zuerkannten Schmerzensgeldes dieserhalb schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil anerkanntermaßen eine besondere Schadensanfälligkeit des Geschädigten den Schädiger grundsätzlich nicht zu entlasten vermag. Die Berufung rügt auch vergeblich, daß das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld weder auf Grund des Klägervorbringens noch auf Grund der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen nachzuvollziehen sei. Die Beklagten lassen außer acht, daß bei Verletzungen infolge eines Verkehrsunfalls die Höhe des Schmerzensgeldes entsprechend seiner im Vordergrund stehenden Ausgleichsfunktion in erster Linie durch das Maß der dem Verletzten durch den Unfall zugefügten Lebensbeeinträchtigung bestimmt wird. Die vom Tatrichter insoweit zu treffende Billigkeitsentscheidung bringt es notwendig mit sich, daß die Höhe des im Einzelfall für angemessen erachteten Schmerzensgeldes weder nach ökonomischen Maßstäben noch für jedermann nachprüfbar zu begründen ist. Nicht mehr nachzuvollziehende Ermessensfehler des Erstgerichts bei der Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe zeigt die Berufung indes nicht auf. Vielmehr erschöpft sie sich insoweit in einer Aneinanderreihung diverser Entscheidungen, ohne daß deren Bezug zum streitgegenständlichen Fall sich unmittelbar erschließen würde. Den Beklagten ist zwar zuzugeben, daß die Höhe des erstinstanzlich ausgeurteilten Schmerzensgeldes eher im oberen Bereich dessen angesiedelt sein mag, was in Fällen der einschlägigen Art ausgeurteilt zu werden pflegt. Der Ansicht der Beklagten, daß das Erstgericht mit dem von ihm für angemessen erachteten Schmerzensgeld den hinsichtlich der Schmerzensgeldhöhe zu konstatierenden Rahmen, wie er von vergleichbaren Entscheidungen vorgezeichnet wird, in jeder Hinsicht verlassen hätte, kann nicht nähergetreten werden. Das Erstgericht war auf Grund der von ihm getroffenen Feststellungen ersichtlich um eine ausgewogene Entscheidung bemüht. Die auf Grund der in der zweiten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme feststehenden Tatsachen tragen die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung allemal, ohne daß dabei flankierend die Frage aufgeworfen werden müßte, ob das Regulierungsverhalten der Beklagten angesichts des nunmehr mehr als ein halbes Jahrzehnt zurückliegenden Verkehrsunfalls nicht allein für sich genommen eine Erhöhung des Schmerzensgeldes aus dem Gesichtspunkt des zögerlichen Regulierungserhaltens rechtfertigte.

Nicht zu beanstanden ist schließlich, daß das Erstgericht die Behandlungsaufwendungen und die vorgerichtlich angefallenen und nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren zugesprochen hat. Beides ist Teil des von den Beklagten zu ersetzenden materiellen Schadens. Die erstinstanzlich tenorierten Beträge werden mit der Berufung der Höhe nach aber erst gar nicht angegriffen. Der Berufung blieb auch insoweit der Erfolg versagt. Diese war vielmehr insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagten haben die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels der Berufung zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den Vorschriften der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht ersichtlich. Weder hat die von den Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung beruht maßgeblich auf Umständen des Einzelfalls, namentlich auf der Frage, inwiefern vorliegend die Klägerin unfallbedingt eine HWS-Beschleunigungsverletzung erlitten hat. Dies ist weitestgehend Tatfrage. Für eine Eröffnung der Revision ist daneben kein Raum.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 4.258,26 EUR festgesetzt. In diesem Umfang sind die Beklagten durch die angefochtene Entscheidung beschwert. Die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten wirken sich als Nebenforderung nicht streitwerterhöhend aus (§ 4 ZPO).

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