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Pferdehalterhaftung – Mitverschulden bei Verletzung eines Jugendlichen durch einen Huftritt

OLG Stuttgart – Az.: 5 U 114/10 – Urteil vom 24.01.2011

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen vom 17.06.2010 – Az. 4 O 151/08 – abgeändert:

1. Der Beklagte verurteilt, an die Klägerin über die bezahlten 9.000 EUR hinaus ein Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 3.000 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.10.2007 nebst weiterer 215,63 EUR außergerichtlicher Anwaltskosten.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Pferdeunfall vom 12.09.2007 gegen 19:00 Uhr in E. zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

II. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 7.700 EUR

Gründe

I.

Das Landgericht hat den beklagten Halter des Reitpferds „K.“ zu einer Schmerzensgeldzahlung von 9.000 EUR zzgl. Zinsen und Rechtsanwaltskosten verurteilt und seine Haftung für zukünftige Schäden zu jeweils 75 % festgestellt, weil das Pferd am 12.09.2007 auf dem Hof H. in E. der damals knapp 13-jährigen Klägerin schwere Gesichtsverletzungen beigebracht hat. Die Klägerin sollte im Auftrag des Beklagten zwei Freundinnen, die die beiden Pferde des Beklagten führten, den Stall öffnen und musste zu diesem Zweck am Pferd „K.“ von hinten seitlich vorbeigehen, als dieses erschrak und mit der rechten Hinterhand ausschlug. Die Klägerin erlitt u.a. einen Kieferbruch, verlor fünf Zähne und hat bis heute Probleme mit Gesichtsschwellungen. Sie trägt (so weit möglich) eine Zahnprothese und soll ggf. Zahnimplantate erhalten, wenn der Kiefer ausgewachsen ist.

Die Parteien streiten um die Mitverschuldensquote. Das Landgericht geht von einem 25 %-igen Mitverschulden der Klägerin aus, weil der Unfall zeige, dass die im Umgang mit Pferden gewohnte und daher mit den Gefahren vertraute Klägerin den notwendigen Sicherheitsabstand zu dem Pferd – auch zur Seite hin – nicht eingehalten habe. Weil das Pferd am kurzen Zügel geführt worden sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich dieses weit zur Seite gedreht oder einen Satz zur Klägerin hin gemacht habe.

Das Urteil wurde dem Klägervertreter am 24.06.2010 zugestellt und dem Beklagtenvertreter am 25.06.2010. Die Berufung der Klägerin ging am 12.07.2010 beim Oberlandesgericht ein und ihre Berufungsbegründung am 09.08.2010. Die Berufung des Beklagten ging am 22.07.2010 beim Oberlandesgericht ein und seine Berufungsbegründung am 24.09.2010.

Die Klägerin erstrebt eine volle Haftung des Beklagten und weitere 3.000 EUR Schmerzensgeld mit der Begründung, nicht genügend berücksichtigt sei, dass die Beweisaufnahme ergeben habe, dass sich das Pferd „K.“ mit der ganzen Hinterhand auf die Seite gedreht habe, weil es durch einen Knall erschreckt worden sei. Sie habe – vor allem als nicht einmal 13 Jahre alte Jugendliche – nicht damit rechnen müssen, mehrere Meter seitlich neben dem Pferd von einem Hufschlag getroffen zu werden.

Die Klägerin beantragt, wie erkannt.

Der Beklagte beantragt,

1. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen;

2. Auf die Berufung des Beklagten/Anschlussberufungsklägers wird das am 17.06.2010 verkündete Urteil des LG Ellwangen/Jagst Az. 4 O 151/09 abgeändert wie folgt:

a) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 7.800 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.10.2007 und 899,40 EUR außergerichtliche Anwaltskosten zu bezahlen.

b) Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Pferdeunfall vom 12.09.2007 gegen 19:00 Uhr in E. in Höhe von 65 % zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte begehrt eine Herabsetzung des Schmerzensgelds auf 7.800 EUR und der Haftungsquote auf 65 %. Er meint, nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin ohne Not dem Pferd von hinten genähert habe, obwohl genügend Platz vorhanden gewesen sei, und dass das Pferd sich nur wenig gedreht habe. Dieser aktiv begangene Fehler der Klägerin müsse gegenüber der Gefährdungshaftung des Beklagten stärker gewichtet werden.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Zu ergänzen ist die unbestrittene Tatsache, die die Klägerin ihre Zahnprothese wegen Schmerzen immer öfter herausnehmen muss und in diesen Phasen mit einer Zahnlücke über fünf Zähne im rechten Oberkiefer lebt (erstinstanzliches Protokoll vom 08.06.2010, S. 1, Bl. 66 d.A.; Protokoll der Senatsverhandlung 17.01.2011 S. 3).

II.

Pferdehalterhaftung - Mitverschulden bei Verletzung eines Jugendlichen durch einen Huftritt
(Symbolfoto: Von Kento35/Shutterstock.com)

Beide Berufungen sind zulässig. Erfolg hat jedoch nur die Berufung der Klägerin, während die Berufung des Beklagten unbegründet ist.

Der Beklagte haftet für den Unfall nach § 833 BGB, weil er das Pferd „K.“ zu Hobbyzwecken hält. Seinen ursprünglichen Einwand, es handle sich um einen Arbeitsunfall, für den die Unfallkasse aufzukommen habe, hat der Beklagte aufgegeben, nachdem die Unfallkasse Baden-Württemberg im Widerspruchsverfahren dieser Auffassung eine endgültige Absage erteilt hat.

Ob daneben eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht in Betracht kommt, weil der Beklagte die minderjährige Klägerin u.U. hätte vor der Gefahr warnen oder nicht hinter den Pferden herschicken oder auch die Pferde nicht durch unerfahrene Personen hätte führen lassen dürfen, als er die Klägerin hinter den Zeuginnen mit den Pferden her in Richtung Stall schickte, kann offen bleiben. Ebenso kann dahinstehen, inwieweit der Beklagte der Klägerin entsprechend § 670 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil die Klägerin verletzt wurde, während sie im Auftrag des Beklagten unterwegs war.

2.

Anders als das Landgericht meint, kann ein Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls nicht angenommen werden. Der Beklagte haftet ihr daher voll.

Zwar geht die Vorderrichterin zu Recht davon aus, dass der Beklagte für ein Mitverschulden der Klägerin darlegungs- und beweisbelastet ist und dass an ein Kind keine überspannten Sorgfaltsanforderungen gestellt werden dürfen. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt begegnet jedoch in mehrfacher Hinsicht Bedenken.

a) Zum einen differenziert das Landgericht nicht danach, warum das Pferd ausgeschlagen hat. Die erste Ursache des Unfalls ist wesentlich für die Bemessung der verletzten Eigensorgfalt. In Betracht kommt nicht nur, dass die Klägerin so dicht hinter dem Pferd vorbeigegangen ist, dass sie selbst das Tier erschreckt hat, was stärker zu ihren Lasten ginge als wenn das Pferd aufgrund eines externen Ereignisses erschrickt (vgl. zu dieser Differenzierung etwa OLG Celle, U. v. 24.04.1996, 20 U 57/94, VersR 1997, 633). Auslöser kann aber auch der Knall gewesen sein, von dem die Freundin N. (die Zeugin R.) berichtet hat. Ein solcher, durchaus im Bereich der Lebenserfahrung liegender Knall, der nach den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung möglicherweise davon herrührte, dass er in der Nähe zwei Schränke ablud (und gerade deswegen die Pferde entfernt sehen wollte), kann aber nicht zur gleichen Mitverschuldensquote führen wie das Landgericht meint. Denn mit solchen zufälligen und seltenen Ereignissen und damit verbundenen Schreckreaktionen von Pferden muss gerade ein Kind nicht unbedingt rechnen, von dem man nicht dieselbe Umsicht erwarten kann wie von einem Erwachsenen, der u.U. auch solche Ereignisse einkalkulieren kann oder muss. Einiges spricht auch für die weitere Möglichkeit, dass das Pferd deswegen ausgeschlagen hat, weil es ohnehin unruhig war und von der im Umgang mit Pferden nicht erfahrenen Zeugin W. zu eng geführt wurde. Schließlich kann das Pferd auch ohne erkennbare Ursache und urplötzlich ausgeschlagen haben.

b) Nicht berücksichtigt hat das Landgericht zudem, dass die Klägerin sich durchaus sorgfältig verhalten hat. Die Zeugin N. R. gibt an, die Klägerin sei „in einem weiten Bogen“ um das Pferd herumgelaufen (Protokoll vom 23.03.2010, S. 4, Bl. 52 d.A.). Vor diesem Hintergrund wäre eine nähere Begründung erforderlich, warum der Klägerin trotzdem ein Sorgfaltsverstoß zur Last gelegt werden kann. Allein die Tatsache, dass das Pferd die Klägerin mit dem Huf getroffen hat, kann dazu nicht ausreichen. Denn das würde bedeuten, der Klägerin die Verantwortung für jede Bewegung des Pferdes aufzuerlegen. Mit dieser Begründung müsste jeder Unfall durch einen Huftritt zu einem Mitverschulden führen, weil man praktisch immer einen noch größeren Sicherheitsabstand zu einem Pferd einhalten kann. Es ist nicht richtig, dass sich Personen mit Erfahrung im Umgang mit Pferden niemals im Bereich hinter einem Pferd aufhalten dürften und folglich an einer Verletzung durch Huftritt stets ein Mitverschulden tragen (vgl. OLG Koblenz, U. v. 26.01.2006, 5 U 319/04, NJW-RR 2006, 529). Der Schadenseintritt als solcher beweist ein Mitverschulden jedenfalls nicht. Denn richtigerweise haftet die Klägerin nur für die Unterlassung der Sorgfalt, die von ihr als knapp 13-Jährige – im Rahmen ihrer Lebenserfahrung – erwartet werden konnte.

c) Abgesehen davon bestehen Bedenken dagegen, dass das Landgericht die von der Klägerin behauptete ungewöhnliche Bewegung des Pferdes („weitläufiges Drehen des Pferdes mit dem Hinterteil“) als Möglichkeit beiseite geschoben hat. Dem Landgericht zufolge soll sich das Pferd „K.“ nicht besonders weit zur Seite bewegt haben können, weil die Zeugin es kurz gehalten und von einem Ausschlagen nichts mitbekommen habe (landgerichtliches Urteil S. 7, Bl. 77 d.A.). Das schließt keineswegs aus, dass sich das Pferd ungewöhnlich weit mit dem Hinterteil zur Seite bewegt hat. Die Zeugin W. gibt immerhin an, das Pferd sei „hinten nach rechts weg“, wie weit, wisse sie allerdings nicht mehr (Protokoll vom 08.06.2010, S. 2, Bl. 68 d.A.). Die Unsicherheit, wie weit das Pferd zur rechten hinteren Seite ausgewichen ist, hat das Landgericht damit fälschlicherweise zu Lasten der Klägerin berücksichtigt. Richtigerweise hätte das Landgericht entscheiden müssen, dass der Beklagte den Einwand der Klägerin, das Pferd habe sich ungewöhnlich weit zur Seite bewegt, nicht widerlegt hat. Anders wäre es, wenn der Beklagte den Vollbeweis dafür erbracht hätte, dass sich die Klägerin im Bereich der “normalen” Reichweite der Hinterläufe des Pferdes aufgehalten hat. Das ist nicht der Fall.

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d) aa) Grundsätzlich muss sich zwar jeder vor einem Pferd in Acht nehmen und mit Huftritten rechnen. Mitverschulden ist bisher aber vor allem dann angenommen worden, wenn in der konkreten Situation mit Huftritten gerechnet werden musste, z.B. wenn man ohne zwingenden Grund mit einem eigenen Pferd an einem fremden Pferd in so geringem Abstand vorbeigeht, dass man mit einem Abwehrverhalten des fremden Pferdes rechnen musste (OLG Schleswig NJW-RR 2004, 382) oder wenn man sich hinter einem bockenden Pferd aufhält (OLG Düsseldorf NZV 2006, 153). Demgegenüber wird aber nicht generell angenommen, dass jeder Aufenthalt hinter bzw. neben einem Pferd unsorgfältig sei (s.o., OLG Koblenz v. 26.01.2006 a.a.O.: Wer nicht weiß, dass ein Pferd zum Auskeilen neigt, darf bei einem Ausritt auch kurze Zeit nahe zu dem Pferd aufreiten, d.h. dicht dahinter her reiten, und trägt an dem dadurch verursachten Unfall durch einen Huftritt keine Mithaftung).

bb) Geht man davon aus, dass eine fast 13-Jährige, die von klein an mit Pferden Umgang hatte, grundsätzlich weiß, dass Pferde ausschlagen und man nicht direkt hinter bzw. neben einem Pferd vorbeigehen darf, ohne zuvor den Blickkontakt zu dem Pferd zu suchen, so folgt daraus aus Sicht des Senats noch nicht, dass ein Kind weiß und in der konkreten Situation damit rechnet bzw. rechnen muss, dass ein Pferd aufgrund eines plötzlichen Knalls sich über den normalen Radius hinaus zur Seite drängen und dort ausschlagen kann. Der Erfahrungshorizont und die daraus folgende Fähigkeit, bestimmte Abläufe und Gefahren vorauszusehen und diesen aus dem Weg zu gehen, ist bei Kindern beschränkt. Mit einem plötzlichen Knall und einer daraus folgenden besonderen Aktion des Pferdes musste die Klägerin im Zweifel nicht rechnen. Der Beklagte hat auch nicht behauptet, derartige Ereignisse kämen auf dem streitgegenständlichen Hof öfter vor (z.B. aufgrund eines nahen Steinbruchs, einem Schützenhaus oder einer Obstbaumplantage mit Schussanlage).

e) Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit bestehender Rechtsprechung:

aa) Kein Mitverschulden hat das OLG Frankfurt darin gesehen, dass ein 14-jähriges Mädchen ein Pferd über eine Baustelle geführt hat, in der ein Brett auf losem Kies verlegt war und dabei das Pferd zog, so dass das Pferd erschrak und das Mädchen entweder zu Boden riss oder mit den Hufen trat, weil das Mädchen nur das tat, was es in seinem Stadium als Reitanfängerin zu tun gewohnt war (U. v. 25.11.2005, 24 U 128/05, OLGR Frankfurt 2006, 342). Ebenfalls kein Mitverschulden hat das OLG Koblenz angenommen, als sich nicht klären ließ, ob sich das verletzte 9-jährige Mädchen dem Pferd so weit genähert hatte, dass mit einem Tritt gerechnet werden musste (U. v. 09.11.2000, Az. 8 U 120/00, MDR 2001, 274). Dabei hat das Gericht nicht – wie die hiesige Vorinstanz – auf den Sicherheitsabstand abgehoben, der objektiv erforderlich gewesen wäre, um den Unfall zu vermeiden, sondern zu Recht auf den Abstand, den ein 9-jähriges Mädchen als notwendig ansehen musste. Wie bereits zweifach erwähnt hat das OLG Koblenz (U. v. 26.01.2006, 5 U 319/04, NJW-RR 2006, 529) kein Mitverschulden darin gesehen, dass jemand bei einem Ausritt kurze Zeit nahe zu einem anderen Pferd aufgeritten war, das ihm nicht als zum Auskeilen neigendes Tier bekannt war. Ebenfalls ohne Mitverschulden bekam ein Reiter vom OLG Stuttgart vollen Schadensersatz zugesprochen, der sein Pferd in einer 3,10 m breiten Boxengasse an einem anderen Pferd vorbeigeführt hatte, weil diese Vorgehensweise – obwohl nicht ungefährlich – üblich sei (U. v. 07.09.1993, 10 U 315/92, NJW-RR 1994, 93). Ebenso hat das OLG Düsseldorf ein Mitverschulden verneint, als eine 17-Jährige in einer Stallgasse ein Pferd an einem anderen vorbeigeführt hatte und dabei ins Gesicht getreten worden war (U. v. 16.04.1991, 4 U 97/88, r+s 1992, 338), denn in der konkreten Situation habe von ihr kein anderes Verhalten erwartet werden können. Im Fall einer Haftung nach § 823 BGB hat das OLG Karlsruhe trotz eines objektiven Fehlers einer dreizehnjährigen Reitschülerin kein Mitverschulden angenommen, weil dieses gegenüber der Verantwortung der Reitlehrerin zurücktrete, die die Reitschülerin hätte vor den Gefahren des Ausritts bewahren müssen (U. v. 22.10. 2008, 9 U 75/07, NJW-RR 2009, 453). Weiter hat auch das OLG Frankfurt kein Mitverschulden angenommen, als es einer 12-jährigen Reitschülerin nicht gelang, ein durchgehendes Pferd zum Stehen zu bringen und diese mit schwersten Folgen stürzte (U. v. 25.02.2009, 4 U 210/08, NJW-RR 2009, 894). Ihr sei nicht nachzuweisen, dass sie die ihr bekannten Mittel nicht eingesetzt hätte, um das Tier wieder unter Kontrolle zu bringen. Auch kein Mitverschulden hat das OLG Düsseldorf darin gesehen, dass sich eine Fußgängerin beim erlaubten Überqueren einer Weide vor ein Pferd gestellt hatte, das ihr den Weg versperrte, und es mit “Hau ab” verscheuchen wollte, worauf sich das Pferd umdrehte und sie trat (U. v. 05.05.2000, 22 U 148/99, BeckRS 2000, 30110149).

bb) Dagegen gibt es nur vereinzelt Fälle, in denen eine Eigenhaftung von einem Viertel oder mehr angenommen worden ist, die vom Sachverhalt her dem hiesigen nicht ohne weiteres vergleichbar, jedenfalls aber besser geklärt sind:

Eine Mithaftung von einem Viertel hat etwa das OLG Köln angenommen, als ein 12-jähriges Mädchen, das bisher nur 20 Stunden in der Halle geritten war, sich ein fremdes Pferd ausgeliehen, mit ihm ins Gelände geritten und vom Pferd gefallen war, als dieses durchging (U. v. 10.12.1987, 5 U 96/87, VersR 1989, 62 ff.). Dabei hat das OLG angenommen, dass sich das verletzte Mädchen der Erkenntnis verschlossen habe, dass ihm die für eine solche Aktion nötigen Kenntnisse und Erfahrungen fehlten und die Sache von vornherein nicht gut gehen konnte. Demgegenüber hat die Klägerin in vorliegender Sache eine alltägliche Handlung übernommen, die sie seit jungen Jahren kannte, nämlich an zwei Pferden vorbeizugehen, um den Stall zu öffnen. Ein Drittel Mithaftung hat das OLG Koblenz angenommen (U. v. 31.01.2002, 5 U 465/01, NJW-RR 2002, 1106), als die verletzte Reitschülerin “ohne Not” mit einem Abstand von weniger als 1,40 Meter hinter einem anderen Pferd vorbeigegangen ist, ohne sich vorher bemerkbar zu machen, was das OLG als leicht fahrlässig eingestuft hat. Ebenfalls ist das OLG München von einem Drittel Mithaftung ausgegangen, als eine Reiterin ohne ausreichende Erfahrung ein fremdes Pferd besteigen wollte und beim Aufsteigen abgeworfen wurde (U. v. 16.06.2010, 20 U 5105/09, RuS 2010, 390). Sogar ein überwiegendes Selbstverschulden hat das OLG Köln angenommen, als ein (wohl erwachsener) Reiter ein ihm unbekanntes, junges arabisches Vollblutpferd mit Schlaufzügeln geritten hat, ohne zu wissen, ob das Pferd solche Zügel gewohnt war, und dabei von dem Pferd verletzt wurde (U. v. 17.01.2001, 5 U 137/00, RuS 2002, 238). 50 % Mitverschulden hat das LG Itzehoe angenommen, als sich ein (wohl erwachsener) Reiter beim Absteigen im Schlagradius der Hinterhand des jungen Pferdes aufgehalten hat (U. v. 27.03.2003, 4 S 156/02, SchlHA 2003, 297). Ebenfalls 50 % Eigenanteil hat das OLG Celle festgesetzt, als ein erfahrener Reiter ohne Not mit einem zu geringen Sicherheitsabstand hinter einem Pferd vorbeigegangen ist (U. v. 24.04.1996, 20 U 57/94, VersR 1997, 633). Sogar 100 % Eigenverschulden hat das OLG Schleswig in einem Fall angenommen, in dem ein Erwachsener sein Pferd ohne Not im Schlagbereich eines fremden Pferdes vorbeigeführt hatte (U. v. 20.11.2003, 7 U 72/01, NJW-RR 2004, 382). Schließlich hat das OLG Hamm entschieden, dass ein Tierarzt auf eigene Gefahr handele, der bei einem Pferd rektal Fieber misst und dabei getreten wird (U. v. 06.06.2008, 9 U 229/07, BeckRS 2008, 20346), wobei diese Entscheidung vom Bundesgerichtshof inzwischen aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen wurde mit der Begründung, dass dem Tierarzt ein Mitverschulden nur angelastet werden könne, wenn ihm nachgewiesen werde, inwieweit er sich unsorgfältig verhalten habe. Die Annäherung an das Pferd von hinten sei unter den gegebenen Umständen nicht zu vermeiden und als solche kein Grund für ein Eigenverschulden (U. v. 17.03.2009, VI ZR 166/08, VersR 2009, 693).

cc) Zusammengefasst wird in der überwiegenden Zahl der Entscheidungen mit ähnlichen Sachverhalten danach unterschieden, ob in der konkreten Situation geforderte (und nicht abstrakt denkbare oder objektiv mögliche) Sicherheitsmaßnahmen unterlassen wurden. Kindern gereicht es nicht einmal dann zum Verschulden, wenn sie objektiv unsorgfältig sind, weil von ihnen nicht mehr erwartet werden kann, als dass sie die ihnen geläufigen Verhaltensweisen an den Tag legen. Sie müssen nicht einkalkulieren, welche ihnen noch nicht geläufigen Gefahren von einem Pferd auch ausgehen können. Anders ist es nur, wenn junge Reiter entgegen besserem Wissen Gefahren im Umgang mit Pferden eingehen, denen sie nicht gewachsen sind.

f) Danach reicht es für ein Mitverschulden nicht aus, dass die Klägerin überhaupt in der Nähe des Pferdes „K.“ vorbeiging, denn sie hatte einen Grund, sich an dieser Stelle aufzuhalten. Sie musste – und zwar auf Weisung des Beklagten – an den beiden Pferden vorbeigehen, um vor diesen am Stall anzukommen, den sie öffnen sollte. Die Klägerin wusste zwar, dass ein Sicherheitsabstand zu den Pferden erforderlich ist. Diese Vorsicht hat sie jedoch nach Aussage der Zeugin N. R. beachtet, indem sie einen weiten Bogen eingeschlagen hat. Zwar erscheint möglich, dass dieser Bogen nicht weit genug war. Jedoch fällt diese Ungewissheit nicht der Klägerin, sondern dem Beklagten zur Last, der für die abstrakte Gefährlichkeit seines Tiers einstehen muss (§ 833 S. 1 BGB). Hinzu kommt, dass nicht auszuschließen ist, dass das Tier aufgrund eines Knalls – also eines besonderen Ereignisses – erschrocken ist und eine ungewöhnlich weite Bewegung zur Seite hin gemacht hat, mit der die Klägerin nach ihrem Erfahrungshorizont möglicherweise gar nicht rechnen konnte. Das gilt umso mehr, als es keine Erkenntnisse darüber gibt, wie weit die Klägerin vom Pferd entfernt war, als sie vom Huf getroffen wurde.

3.

Dass ein Schmerzensgeld von 12.000 EUR den Verletzungen angemessen ist, die die Klägerin durch den Unfall erlitten hat, derzeit erleidet und – ggf. auch durch die Nachoperation und ihre Folgebehandlung – erleiden wird, ist unter den Parteien nicht streitig und vom Landgericht unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Oldenburg auch so angenommen worden (MDR 2001, 274). Diese Einordnung begegnet keinen Bedenken und hält sich im Bereich anderweitiger Rechtsprechung. Für eine Schultereckgelenksprengung durch einen Huftritt hat das OLG Celle einem erfahrenen (also erwachsenen) Reiter bei einem Mitverschulden von ⅓ im Jahr 1996 10.000 DM zugesprochen (VersR 1997, 633). 12.000 EUR hat das OLG Karlsruhe im Jahr 2008 einer Minderjährigen zugesprochen, die durch einen Pferdetritt einen Dauerschaden an der Oberlippe erlitten hat, so dass ihr das Hobby des Querflötespielens unmöglich wurde und sie durch die optische Beeinträchtigung seelischen Belastungen unterliegt (U. v. 22.10.2008, 9 U 75/07, NJW-RR 2009, 453). Eine Unterarmfraktur mit Folgeschäden durch einen Abwurf vom Pferd hat das OLG München im Jahr 2010 bei einem Mitverschulden von ⅓ mit 5.000 EUR taxiert (RuS 2010, 390). Eine Schienbeinkopffraktur mit Dauer-MdE von 20 % bei einer 54-jährigen Frau aufgrund eines Pferdetritts wurde vom OLG Düsseldorf im Jahr 2000 mit 12.000 DM abgegolten. 30.000 DM hat das OLG Düsseldorf im Jahr 2003 einem Reitschüler zugesprochen, dessen linker Arm aufgrund eines Reitunfalls dauerhaft zu ⅕ beeinträchtigt ist (Az. I-4 U 207/01, nur in juris). Für einen Trommelfellriss mit Folgebeeinträchtigungen durch einen Huftritt hat das OLG Hamm im Jahr 1993 6.000 DM zugesprochen (NJW-RR 1994, 1435).

III.

Der in der Berufungsinstanz der Höhe nach nicht angegriffene Anspruch auf Zins und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten folgt aus §§ 286, 288, 249 BGB. Die weiteren Nebenentscheidungen bezüglich Kosten und vorläufiger Vollstreckbarkeit ergehen gem. §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung nach § 543 ZPO liegen nicht vor, denn es geht ausschließlich um die Bewertung der Umstände eines Einzelfalls.

 

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