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Pflichtteilsanspruch und Insolvenzverfahren

 LG Saarbrücken

Az: 5 O 28/12

Urteil vom 17.01.2012


I. Die auf Zahlung eines Pflichtteilsanspruchs in Höhe von 19.225,73 € nebst Zinsen gerichtete Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 85 % und die Beklagte zu 15 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist der einzige Abkömmling des am 11.01.2010 verstorbenen Erblassers … und dessen Ehefrau, der Beklagten, die den Erblasser aufgrund eines am 27.10.2005 geschlossenen Erb- und Ehevertrages alleine beerbt hat.

Über das Vermögen des Klägers wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 18.06.2008 wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet (106 IK 48/08). Hinsichtlich des konkreten Inhalts des Beschlusses wird auf die Kopie Bl. 116 d. A. verwiesen. Der Kläger befindet sich seit dem 31.07.2009 im Restschuldbefreiungsverfahren.

Mit vorgerichtlichem Anwaltsschreiben vom 21.01.2010 (Bl. 5 f. d. A.) hat der Kläger gegenüber der Beklagten Pflichtteilsansprüche hinsichtlich des Nachlasses des Erblassers angemeldet und die Beklagte unter Fristsetzung zum 05.03.2010 zur Auskunftserteilung über den Nachlassbestand aufgefordert. Mit Antwortschreiben vom 28.01.2010 (Bl. 4 d. A.) wies die Beklagte Pflichtteilsansprüche des Klägers zurück und verwies darauf, dass er seinen Eltern bei seinem Fortgang aus seinem Elternhaus einen riesen Schuldenberg hinterlassen habe; ferner wurde auf ein Schreiben vom 30.10.2009 Bezug genommen. Mit weiterem Anwaltsschreiben wiederholte der Kläger seine Aufforderung, ihm Auskunft über den Nachlassbestand zu erteilen. Hinsichtlich des genauen Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 7 f. d. A. Bezug genommen.

Mit seiner beim Amtsgericht Lebach erhobenen und am 20.03.2010 zugestellten Stufenklage verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.

Auf Stufe 1 hat der Kläger zunächst einen Auskunftsanspruch hinsichtlich des Nachlassbestandes und einen Wertermittlungsanspruch hinsichtlich der im Grundbuch von …, Gemarkung …, Flur …, Flurstück … eingetragenen Grundstücks durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens geltend gemacht.

Nach Auskunftserteilung mit Schriftsätzen vom 24.03.2010 und 18.06.2010 und Vorlage eines Wertermittlungsgutachtens mit Schriftsatz vom 02.11.2010 hat der Kläger den Auskunftsanspruch „für erledigt erklärt“ und den Antrag auf eidesstattliche Versicherung „zurückgenommen“ (Bl. 122a d. A.).

Mit Beschluss vom 03.02.2010 hat sich das Amtsgericht für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren auf Antrag des Klägers an das Landgericht verwiesen (Bl. 129 d. A.).

Der Kläger macht ausgehend von einem Nettonachlasswert von 76.902,92 € einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 19.225,73 € geltend (Bl. 123 d. A.).

Er vertritt die Auffassung, dass die Aufrechnung der Beklagten mit Gegenansprüchen nicht zum Erlöschen seines Pflichtteilsanspruchs führe. Hierzu behauptet er, soweit es um Ansprüche aus einem vom Kläger zum Umbau des Elternhauses aufgenommenen Darlehens gehe, hätten der Erblasser und die Beklagte einen Gegenwert erhalten. Der Anbau werde vermietet, die Mieteinkünfte deckten die zu leistenden Tilgungen vollständig ab. Außerdem seien die Forderungen der Beklagten Gegenstand des Insolvenzverfahrens. Abgesehen davon hätte die Beklagte ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren anmelden müssen. Sie sei daher jetzt mit ihren Forderungen ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den sich aus dem Pflichtteilsanspruch des Klägers ergebenden Betrag in Höhe von 19.225,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gegenüber dem Pflichtteilsanspruch des Kläger die Aufrechnung erklärt mit Gegenansprüchen, und zwar zunächst mit einer Forderung in Höhe von 17.750 €, in 2. Linie mit einer Forderung in Höhe von 1.695,83 € und in 3. Linie mit einer Forderung in Höhe von 1.582,77 € (Bl. 276 d. A.).

Zur Begründung der Gegenforderung in Höhe von 17.750 € trägt die Beklagte unbestritten vor, der Kläger habe im Jahre 2001 bei der Kreissparkasse … einen Darlehensvertrag über einen Betrag in Höhe von seinerzeit 75.000 DM abgeschlossen mit dem Verwendungszweck Umbau Elternhaus/Ablösung … (Anlagen B19, Bl. 142 d. A. und B20, Bl. 143 d. A.). Bei der Kontonummer … habe es sich um ein Allzweckdarlehen zur Finanzierung eines PKW des Klägers gehandelt, das durch das neu aufgenommene Darlehen in Höhe von seinerzeit 18.885,27 DM abgelöst worden sei. Da der Kläger keine Sicherheiten habe stellen können, habe der Darlehensvertrag nur mit Hilfe der Beklagten und des Erblassers durch Belastung ihres Hausanwesens mit Grundschulden in Höhe von 57.000 DM und 18.000 DM nebst Zinsen und sonstiger Nebenleistungen zu Gunsten der Kreissparkasse … zustande kommen können. Zum Inhalt der Sicherungsabrede wird auf Seite 3 f. des Schriftsatzes vom 05.07.2011 (Bl. 188 f. d. A.) verwiesen. Nachdem der Kläger seine Schulden bei der Kreissparkasse … nicht mehr habe begleichen können, habe die Bank mit der Verwertung der Grundschulden durch Zwangsversteigerung des belasteten Hausanwesens gedroht. Der Beklagte und ihrem Ehemann sei daher nichts anderes übrig geblieben, als das Darlehen des Klägers, das am 01.02.2007 noch in Höhe von 35.492,84 € valutiert habe, abzulösen. Die anteiligen Leistungen der Beklagten beliefen sich auf rund 17.500 €. Zu weiteren Einzelheiten wird insoweit auf 1 f. des Schriftsatzes vom 28.10.2011 (Bl. 276 f. d. A.) Bezug genommen.

Der Anbau an das elterliche Hausanwesens habe allein den Wohnbedürfnissen des Klägers und seiner damaligen vierköpfigen Familie gedient. Die dort mietfrei gewohnt hätten. Nach der Trennung des Klägers von seiner Ehefrau und seinem Auszug im Jahre 2005 habe die Ehefrau mit den Kindern – was unstreitig ist – weiterhin mietfrei in dem Anbau gewohnt. Eine Wertseigerung habe das Hausanwesen durch den Umbau nicht erfahren. Abgesehen davon würde der Kläger als Pflichtteilsberechtigter von einer Wertsteigerung partizipieren (Bl. 294 d. A.).

Die weiteren Gegenansprüche in Höhe von 1.695,83 € und 1.582,77 € begründet die Beklagte mit der Inanspruchnahme als Bürgin zusammen mit dem Erblasser wegen einer Darlehensforderung der … Bausparkasse gegen den Kläger betreffend das Konto mit der Nummer …. Das Darlehen habe zum 11.01.2010 in Höhe von 4.572,19 € valutiert, wovon lediglich die Hälfte als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt worden sei. Vor dem Erbfall sei die Beklagte, was ebenfalls unstreitig ist, als Mitschuldnerin in Anspruch genommen worden, wobei auf sie im Innenverhältnis zum Erblasser eine Haftungsquote von 50 % entfallen sei, worauf sie bis zum 11.01.2010 insgesamt 1.695,83 € (41 Raten zu je 75,37 €, davon die Hälfte) und in der Folge vom 12.01.2010 bis Oktober 2011 weitere 21 Raten zu je 75,37 €, insgesamt 1.582,77 € gezahlt habe.

Das Darlehen bei der … Bausparkasse valutiere per 01.11.2011 noch in Höhe von 3.086,30 €. In Höhe dieser Forderung macht die Beklagte vorsorglich ein Zurückbehaltungsrecht geltend (Bl. 277 d. A.).

Ergänzend wird insoweit auf die Anlagen zu den Schriftsätzen vom 28.10.2011 und 05.07.2011 Bezug genommen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte hätte ihre Ansprüche gegen den Kläger zur Insolvenztabelle anmelden müssen. Abgesehen davon sei der Beklagten die Aufrechnung wegen des Darlehens bei der Kreissparkasse … verwehrt, weil das Darlehen für den Ausbau des im Eigentum der Beklagten stehenden Elternhauses verwandt worden sei. Das Hausanwesen habe eine Wertsteigerung erfahren, die den Betrag von 35.500 € mindestens ausmache und wovon der Kläger keinen Nutzen habe.

Ergänzend wird auf die zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen die Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Aus dem Nachlasswert errechnete sich ein Pflichtteilsanspruch des Klägers in Höhe von 19.225,73 €, der allerdings durch die Aufrechnungserklärung der Beklagten mit Gegenansprüchen gemäß § 389 BGB erloschen ist.

1.

Die Voraussetzungen des § 387 BGB lagen im Verhältnis der Parteien vor. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Das war hier zu bejahen.

a)

Der Beklagten standen gegenüber dem Kläger zunächst gemäß § 670 BGB Aufwendungserstattungsansprüche in Höhe von 17.750 € zu, da sie aus ihrem Vermögen an die Kreissparkasse … 17.750 € zur Ablösung von Darlehensverbindlichkeiten aus dem Vertrag mit der Kontonummer … gezahlt hat, womit die Beklagte die Aufrechnung in erster Linie erklärt hat.

aa)

Die zumindest konkludent geäußerte Bitte des Klägers an seine Eltern, der Kreissparkasse die für den von ihm beantragten Kredit benötigten Sicherheiten zu gewähren, war als Erteilung eines Auftrags im Sinne des § 662 BGB anzusehen, den die Beklagte ebenso wie der Erblasser angenommen hatten. In Ausführung dieses Auftrages haben beide dem Kläger sodann die Kredithilfe in Form der Zurverfügungstellung einer Kreditgrundlage (Grundschuldbestellung auf ihrem Hausanwesen) gewährt. Dass ein Entgelt für die Einräumung der Grundpfandrechte vereinbart war, ist nicht ersichtlich, eine Vergütung für die mit dem Auftrag verbundenen Leistungen ebenfalls nicht. Die Leistung war daher unentgeltlich im Sinne des § 662 BGB erbracht, wobei als Leistung der Beklagten und ihres Ehemannes, des Erblassers, die Gewährung der Kreditgrundlage, nicht die spätere Zahlung der Darlehensvaluta, anzusehen ist.

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bb)

In der Ablösung der Darlehensverbindlichkeit des Klägers sind Aufwendungen im Sinne des § 670 BGB zu sehen. Aufwendungen sind Vermögensopfer, die der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrages freiwillig oder auf Weisung des Auftraggebers macht, ferner solche, die sich als notwendige Folge der Ausführung ergeben. Zwar war die Ablösung der Darlehensverbindlichkeit durch die Sicherungsgeber nicht unmittelbar vom Auftrag umfasst. Nachdem der Kläger seine Darlehensverpflichtung jedoch nicht erfüllen konnte, stellte sich die Ablösung der Verbindlichkeiten durch die Beklagten und den Erblasser zur Abwendung der von der Kreissparkasse angekündigten Verwertung des Grundstücks als notwendige Folge der Sicherheitsgewährung dar.

cc)

Die Beklagte hat die von ihr zur Aufrechnung gestellten Leistungen rechtlich gesehen aus ihrem Vermögen erbracht und nicht aus dem Vermögen des Erblassers. An diese formale Eigentumsposition ist anzuknüpfen. Es kann deshalb dahin stehen, ob ihr der Erblasser im Laufe der Ehe finanzielle Zuwendungen gemacht hat.

dd)

Die Aufwendungen waren auch „notwendig“ im Sinne des § 670 BGB. Zwar geht die Ersatzverpflichtung des Auftraggebers stets nur soweit, wie der Beauftragte die Aufwendungen für erforderlich halten durfte. Er hat jedoch nach seinem verständlichen Ermessen auf Grund sorgfältiger Prüfung bei Berücksichtigung aller Umstände über die Notwendigkeit der Aufwendung selbst zu entscheiden. Dabei hat er sich an dem Interesse des Auftraggebers und daran zu orientieren, ob und wieweit die Aufwendungen angemessen sind und in einem vernünftigen Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts und dem angestrebten Erfolg stehen. Er kann deshalb auch Ersatz verlangen, wenn es an der objektiven Notwendigkeit fehlt, er seine Entscheidung aber nach sorgfältiger und den Umständen des Falles angemessener Prüfung trifft (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 70. Aufl., § 662 Rn. 9 m. w. N.).

ee)

Der Beklagten war die Aufrechnungsmöglichkeit nicht verwehrt.

(1)

Der Kläger kann der Beklagten insoweit nicht entgegen halten, das Haus habe durch den Um- bzw. Anbau eine Wertsteigerung erfahren. Eine Wertsteigerung, die der Beklagten und/oder dem Erblasser zu Gute gekommen wäre, hat der Kläger schon nicht schlüssig dargelegt, so dass eine Beweisaufnahme hierzu nicht geboten war.

(2)

Die Aufrechnungsmöglichkeit war auch nicht aus anderen Gründen teilweise oder ganz ausgeschlossen. Die Beklagte war nicht gehindert, mit Zahlungsansprüchen gegen den Kläger betreffend den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung aufzurechnen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist unerheblich, dass die Beklagte ihre bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers (18.06.2008) entstandenen Zahlungsansprüche gegen diesen nicht zur Tabelle angemeldet hat (Stichtag: 19.08.2008).

a)

Die Aufrechnungslage ist erst im Zeitpunkt der Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche des Klägers im Jahre 2010 entstanden.

b)

Der Kläger befindet sich seit dem 31.07.2009 im Restschuldbefreiungsverfahren, das bis dato noch nicht abgeschlossen ist.

In dem Zeitraum nach Ankündigung der Restschuldbefreiung (§ 291 Abs. 1 InsO) und Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 289 Abs. 2 Satz 2, § 200 Abs. 1 InsO), der sogenannten Wohlverhaltensperiode, schließt das Gesetz in § 294 Abs. 3 InsO die Aufrechnung durch Insolvenzgläubiger gegen Forderungen aus, die gemäß § 287 Abs. 2 InsO von der Abtretung an den Treuhänder erfasst sind und gegen die bei fortdauerndem Insolvenzverfahren gemäß § 114 Abs. 2 InsO außerhalb des in § 114 Abs. 1 InsO bezeichneten Zeitraums die Aufrechnung ebenfalls ausgeschlossen wäre (BGH Urteil vom 21.07.2005, IX ZR 115/04, Rn. 8 zitiert nach Juris).

Um solche an den Treuhänder abgetretene Forderungen des Schuldners handelt es sich bei den Pflichtteilsansprüchen im Streitfall nicht. Die Klägerin ist zwar Forderungsinhaber, die Aufrechnung jedoch ist nicht nach § 294 Abs. 3 InsO ausgeschlossen.

Weitere die Aufrechnungsbefugnis von Insolvenzgläubigern in der Wohlverhaltensperiode ausschließende Bestimmungen sind der Insolvenzordnung nicht zu entnehmen.

Ein allgemeines Aufrechnungsverbot für Insolvenzgläubiger in der Wohlverhaltensperiode besteht nicht (BGH a.a.O. Rn. 14 m. w. N.; vgl. ferner BFH Urteil vom 07.01.2010, VII B 118/09 Rn. 8 nach Juris m. w. N.).

Entsprechendes lässt sich – jedenfalls für den Bereich der Insolvenzordnung – insbesondere nicht aus dem geltenden Zwangsvollstreckungsverbot herleiten (BGH a.a.O.). Die Vorschriften der Insolvenzordnung schließen für die Dauer des Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger sowohl in die Insolvenzmasse als auch in das sonstige Vermögen des Schuldners generell aus (§ 89 Abs. 1 InsO). Demgegenüber sind die Einschränkungen der Aufrechnungsbefugnis gemäß den §§ 94 ff InsO differenzierter ausgestaltet. Ähnliches gilt für den Zeitraum der Wohlverhaltensperiode: Dem in § 294 Abs. 1 InsO geregelten generellen Zwangsvollstreckungsverbot steht die nur für eine bestimmte Fallgestaltung vorgesehene Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit von Insolvenzgläubigern in § 294 Abs. 3 InsO gegenüber. Dieser Differenzierung würde es nicht gerecht werden, das umfassend geltende Zwangsvollstreckungsverbot mit einem generell geltenden Aufrechnungsverbot gleichzusetzen (BGH a.a.O. Rn. 15).

aa) § 294 Abs. 3 InsO lässt sich nicht als eine die Aufrechnung in bestimmten Fällen gestattende Ausnahmevorschrift zu einem ansonsten nach § 294 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 394 Satz 1 BGB geltenden Aufrechnungsausschluss interpretieren. Der Wortlaut der Norm schränkt die – im Übrigen bestehende – Aufrechnungsbefugnis lediglich ein. Allein dies war vom Gesetzgeber auch gewollt (BGH a.a.O. Rn. 16). In § 233 DiskE-InsO war eine gesonderte Regelung zur Aufrechnung zunächst nicht vorgesehen (vgl. Diskussionsentwurf des BMJ, Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Entwurf einer Insolvenzordnung und anderer Reformvorschriften mit Begründung und Anhang [1988]). Das hat Kritik erfahren, weil die dem Schuldner von Dienstbezügen eröffnete Möglichkeit einer Aufrechnung über den in § 114 Abs. 1 und 2 InsO eröffneten Zeitraum hinaus die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger gefährde und mit dem Ziel der Restschuldbefreiung nicht zu vereinbaren sei (Wochner BB 1989, 1065, 1066). Erst daraufhin wurde die Einschränkung der Aufrechnungsbefugnis in § 233 Abs. 3 RefE-InsO und später dann in § 294 Abs. 3 InsO aufgenommen (vgl. FK-InsO/Ahrens, 3. Aufl. § 294 Rn. 35; Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung [1997], S. 268 ff). Dieser Regelung lag mithin auch aus der Sicht des Gesetzesgebers die ansonsten unbeschränkte Aufrechnungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger zugrunde (BGH a.a.O.).

bb) Auch unter der Geltung der Konkursordnung war die Aufrechnung eines Konkursgläubigers gegen eine zum konkursfreien Vermögen des Gemeinschuldners gehörende Forderung trotz des gemäß § 14 KO geltenden Zwangsvollstreckungsverbotes nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht unzulässig; denn die Aufrechnung hat zwar als Forderungsdurchsetzung im Wege der Selbsthilfe Ähnlichkeiten mit der Zwangsvollstreckung, unterscheidet sich von ihr jedoch zum einen in der außergerichtlichen Durchsetzung und zum anderen darin, dass der Zugriff nur unter Aufopferung der eigenen Forderung des Gläubigers möglich ist (BGH a.a.O. Rn. 17 m. w. Hinw. auf BGH, Urt. v. 26. Juni 1971 – VIII ZR 137/70, NJW 1971, 1563; Staudinger/Gursky, BGB 13. Bearb. § 387 Rn. 45). Diese Auffassung ist zwar teilweise kritisiert worden, weil die Aufrechnung gegen eine zum konkursfreien Vermögen des Gemeinschuldners gehörende Forderung in den §§ 53 ff KO nicht abschließend geregelt sei und deshalb § 394 BGB eingreife (BGH a.a.O.; vgl. Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 14 Rn. 12; Müller, Probleme der Aufrechnung mit Konkurs- und Masseforderungen [1981], S. 81 ff). Der Bundesgerichtshof hat an seiner Rechtsprechung jedoch festgehalten und in einer weiteren Entscheidung ausgeführt, das Vollstreckungsverbot des § 14 Abs. 1 KO begründe auch kein Abtretungshindernis nach § 400 BGB. Diese Norm sei lediglich für solche Forderungen gedacht, deren Unpfändbarkeit aus Gründen des allgemeinen Wohls dem Ziel diene, dem Forderungsberechtigten den nötigen Lebensunterhalt zu sichern; die Schutzziele von § 14 KO, dem Gemeinschuldner einen Neuerwerb zu ermöglichen und die Gleichbehandlung der Konkursgläubiger zu gewährleisten, stimmten damit nicht überein (BGHZ 125, 116, 121 ff). Diese Erwägungen gelten für § 394 Satz 1 BGB entsprechend: Auch das Aufrechnungsverbot soll im öffentlichen Interesse verhindern, dass dem Gläubiger der unpfändbaren Forderung der nötige Lebensunterhalt entzogen wird oder aber, sofern das nicht in Betracht kommt, jedenfalls dem allgemeinen Wohl und dem Staatsinteresse dienen (vgl. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse I §§ 241 bis 432 [1978], S. 714). Dass der Gesetzgeber mit der dem § 14 Abs. 1 KO entsprechenden Regelung in § 89 Abs. 1 InsO an dieser für die Konkursordnung geltenden Rechtslage etwas Grundlegendes hat ändern wollen, ist nicht ersichtlich (BGH a.a.O Rn. 17).

cc) Das gemäß § 201 Abs. 3, § 294 Abs. 1 InsO in der Wohlverhaltensperiode zum Tragen kommende Zwangsvollstreckungsverbot dient ähnlichen Zwecken wie der Ausschluss der Zwangsvollstreckung in konkurs- bzw. insolvenzfreies Vermögen gemäß § 14 Abs. 1 KO, § 89 Abs. 1 InsO. Die Norm will erreichen, dass sich in der Wohlverhaltensphase die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger untereinander nicht verschieben. Ferner soll der Neuerwerb des Schuldners, der nicht gemäß § 287 Abs. 2 InsO an den Treuhänder abgetreten oder an diesen gemäß § 295 InsO herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger entzogen sein (vgl. Begründung zu § 243 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 191 f). Diese Zielrichtungen stimmen – ebenso wie bei § 14 Abs. 1 KO (vgl. BGHZ 125, 116, 123) – nicht mit denjenigen überein, die den in § 394 Satz 1 BGB gemeinten Pfändungsverboten zugrunde liegen. Ein allgemeines Aufrechnungsverbot gilt deshalb auch insoweit nicht (BGH Urteil vom 21.07.2005, IX ZR 115/04 Rn. 18 nach Juris).

dd) Ein Ausschluss jedweder Aufrechnung durch Insolvenzgläubiger gemäß § 294 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 394 Satz 1 BGB wäre auch deshalb verfehlt, weil dies den Wertungen widerspräche, die das Gesetz hinsichtlich der Aufrechnungsbefugnis von Insolvenzgläubigern für den Zeitraum des Insolvenzverfahrens in den §§ 94 ff InsO getroffen hat. Ein solcher Wertungswiderspruch ergibt sich dann, wenn Gläubigern im laufenden Insolvenzverfahren die Aufrechnung gestattet ist. Der Schutz der Gläubigergesamtheit rechtfertigt es nicht, solche Gläubiger in dem anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren aufgrund eines umfassenden Aufrechnungsverbots schlechter zu stellen (BGH a.a.O. Rn. 20).

Für die hier geltend gemachten Aufwendungserstattungsansprüche der Beklagten folgt daraus, dass die Beklagte hinsichtlich der im Zeitraum vor Insolvenzeröffnung getätigten Aufwendungen nach § 670 BGB aufrechnen kann; die Aufrechnungslage ist erst zeitlich später eingetreten (§ 95 Absatz 1 InsO).

§ 95 ist gegenüber § 96 InsO vorrangig (vgl. BGH a.a.O. Rn. 21).

Für den Zeitraum der Wohlverhaltensperiode, in dem nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die zuvor bestehenden Aufrechnungsbeschränkungen des § 96 InsO nicht mehr eingreifen (MünchKomm-InsO/Brandes, § 96 Rn. 3; Uhlenbruck, aaO § 96 Rn. 33), kann konsequenterweise im Ergebnis nichts anderes gelten.

2.

Soweit die Beklagte als Bürgin in Anspruch genommen wurde und bis zum Erbfall Beträge in Höhe von 1.695,83 € an die … Bausparkasse zur Ablösung des vom Kläger aufgenommenen Darlehens mit der Kontonummer … gezahlt hat, womit die Beklagte in zweiter Linie die Aufrechnung erklärt hat, folgt der Anspruch aus §§ 774 Absatz 1 Satz 1, 765, 769 BGB (vgl. auch BGH Urteil vom 14.01.1999, IX ZR 208/97, Rn. 28 nach Juris).

Auch insoweit lagen die Voraussetzungen für eine Aufrechnung vor. Aus den unter 1. ee) dargelegten Gründen war der Beklagten auch insoweit die die Aufrechnungsmöglichkeit nicht verwehrt.

3.

Die Gegenforderungen, mit denen die Beklagte in erster und zweiter Linie aufgerechnet hat,( 17.750 € + 1.695,83 €), übersteigen mit einer Gesamtsumme von 19.445,83 € den Pflichtteilsanspruch des Klägers, der sich auf sich auf 19.225.73 € belief.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO. Obwohl der Kläger mit seiner Klage in der Leistungsstufe unterlegen war und die Kosten nach § 44 GKG und § 23 RVG nur nach dem höchsten Wert, hier also nach dem Leistungsantrag in Höhe von 19.225,73 € zu berechnen waren und die jeweiligen Anwaltsgebühren für alle Stufen nur einmal anfallen, war es vorliegend sachgerecht, bei der Kostenverteilung zu Gunsten des Klägers berücksichtigen, dass seine Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche begründet waren und erst durch die Erfüllung im Verlaufe des Rechtsstreits der Beklagten ihre Erledigung gefunden haben. Denn der Kläger war auf die Auskünfte angewiesen, um seine Pflichtteilsansprüche zu berechnen. Ohne Kenntnis der Höhe des Nachlasses war es ihm auch unter Berücksichtigung der Aufrechnungserklärungen der Beklagten nicht möglich, die Höhe festzustellen.

Kalkulatorisch war jede einzelne Stufe zu betrachten, um das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen richtig erfassen zu können.

Die Beklagte befand sich mit der Erfüllung der die Leistungsstufe vorbereitenden Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche in Verzug, da sie bereits vorgerichtlich unter Fristsetzung zum 05.03.2010 erfolglos zur Auskunftserteilung über den Nachlassbestand aufgefordert worden ist und die Ansprüche erst nach Erhebung der Stufeklage erfüllt hat. Insoweit hat sie die Kosten nach § 91 ZPO zu tragen.

Soweit es um den zurückgenommenen Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung geht, ist der Kläger gemäß § 269 ZPO mit den fiktiven Kosten dieser Stufe zu belasten Ferner ist er gemäß § 91 ZPO mit den fiktiven Kosten der Leistungsstufe zu belasten, da er insoweit wegen der Aufrechnung der Beklagten mit Gegenansprüchen unterlegen war. Er hätte nach Feststellung seiner Pflichtteilsansprüche im Hinblick auf die Aufrechnungserklärung die Hauptsache für erledigt oder für den Fall, dass die gegnerische Partei weiter auf Klageabweisung bestanden hätte, zumindest einen sofortigen Klageverzicht erklären können, um die Kosten auf die Beklagte abwälzen zu können (vgl. dazu Rixecker MDR 1985, 633, 635).

Für die kalkulatorische Betrachtung der einzelnen Stufen war für die Auskunftsstufe von einem Streitwert in Höhe von 1.250 € auszugehen. Das Interesse des Klägers an der geforderten Auskunft und Wertermittlung ist um so höher zu bewerten, je geringer seine eigene Kenntnis und sein Wissen über die zur Begründung des Leistungsanspruchs maßgeblichen Tatsachen ist (vgl. Zöller/Herget Zivilprozessordnung 28. Auflage § 3 Rn. 16 Stichwort „Auskunft“). Demnach war es vorliegend sachgerecht, von dem in der Klageschrift angenommenen Streitwert von 5.000 € ein Viertel als Streitwert zugrunde zu legen (vgl. auch Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 29. Auflage § 3 Rn. 21). Für die Stufe der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung war gemäß § 3 ZPO von einem Bruchteil von 1/10 und dementsprechend von einem Wert von 500 € und für die Leistungsstufe von 19.225,73 € entsprechend der Bezifferung auszugehen.

Die Kostenquote war durch kalkulatorische Trennung der einzelnen Klageansprüche zu bestimmen, und zwar in der Weise, dass man sie wie gesonderte Streitverfahren behandelt, die einzelnen Kosten errechnet, nach dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen auf jeder Stufe differenziert und den Kostenanteil zu den hypothetischen Gesamtkosten getrennter Prozesse in Verhältnis setzt (vgl. für die übereinstimmende Erledigung der dritten Stufe Rixecker a.a.O. Seite 633). Dementsprechend errechnet sich für die Auskunftsstufe ein Betrag von 642,45 € (195+186,24+ 261,21 €; 3,0 Gerichtsgebühren, 1,3 und 1,9 Verfahrensgebühren jeweils zuzüglich eine Pauschale und Mehrwertsteuer aus einem Streitwert von 1.250 €). Für die 2. Stufe errechnet sich ein Betrag in Höhe von 312,63 € (105 €+ 85,54 €+122,09 €; 3,0 Gerichtsgebühren, 1,3 und 1,9 Verfahrensgebühren jeweils zuzüglich eine Pauschale und Mehrwertsteuer aus einem Streitwert von 500 €). Für die bezifferte Stufe errechnet sich dementsprechend ein Betrag von 3.371,57 € (864 €+1.023,16 €+1.484,41 €). Die hypothetischen Kosten betragen mithin insgesamt 4.326,65 €. Davon obsiegt der Kläger lediglich mit den Ansprüchen der ersten Stufe, also mit Kosten von 642,45 €, so dass sich eine Kostenlast der Beklagten von rund 15 % und des Klägers von 85 % errechnet.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.

 

 

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