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Probefahrt – Abhandenkommen eines überlassenen Fahrzeugs

OLG Celle – Az.: 7 U 974/21 – Urteil vom 12.10.2022

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des Einzelrichters des Landgerichts Hannover – 11. Zivilkammer – vom 29. September 2021 geändert und neu gefasst.

Die Beklagte hat 30.172,41 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Februar 2021 an den Kläger zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten erster Instanz trägt der Kläger 21 %, die Beklagte 79 %, von den Kosten der zweiten Instanz trägt der Kläger 14 %, die Beklagte 86 %.

Das Urteil ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Beklagte, die gewerblich mit Kraftfahrzeugen handelt, überließ am 8. September 2020 einen Audi Q5 an einen angeblichen Kaufinteressenten für eine einstündige Probefahrt. In dem Fahrzeug waren zwei Sim-Karten verbaut, die eine Ortung durch die Polizei mit Unterstützung der Herstellerin grundsätzlich ermöglichen. Die Beklagte behielt die Zulassungsbescheinigung Teil II und einen Zweitschlüssel. Der Interessent, der falsche Personalien angegeben hatte, kehrte mit dem Fahrzeug von der Probefahrt nicht zurück. Rund zwei Wochen später erschien der Kläger bei der Polizei und legte gefälschte Zulassungspapiere vor. Die Staatsanwaltschaft gab das in Verwahrung genommene Fahrzeug an die Beklagte heraus, die es am 29. Oktober 2020 für 35.000 €, worin 16 % von der Beklagten abgeführte Umsatzsteuer enthalten waren, an einen Dritten veräußerte.

Der Kläger hat behauptet, das Fahrzeug sei über Ebay für 32.550 € zum Verkauf angeboten worden. Mit dem Anbieter habe er ein Treffen in H. vereinbart. An dem von dem Anbieter genannten Treffpunkt in einem Wohngebiet sei er wegen des Verkehrs zu spät angekommen. Der Anbieter habe ihm telefonisch erklärt, nun nicht mehr in H. zu sein und nicht persönlich kommen zu können. Seine Partnerin würde aber kommen. Er habe sich von ihr den Personalausweis vorlegen lassen. Dabei handelte es sich – unstreitig – um einen echten, der eingetragenen Person entwendeten Personalausweis. Die Verkäuferin habe der Frau auf dem Lichtbild ähnlich gesehen, auf diesem sei sie etwas pummeliger gewesen. Zweifel an der Identität habe er nicht gehabt. Wegen Abweichungen zu der in dem Inserat angegebenen Ausstattung habe er sich mit der Frau bzw. telefonisch mit dem Mann auf 31.000 € geeinigt. Die übergebenen Fahrzeugpapiere hätten auf ihn echt gewirkt. Ein fehlender Zweitschlüssel, den der Mann dabei gehabt haben solle, habe ihm nachgesandt werden sollen. Das Geld habe er in bar übergeben.

Die Beklagte hat den von dem Kläger geschilderten Erwerbsvorgang mit Nichtwissen bestritten. Sie hat behauptet, die Fälschung der Papiere sei erkennbar gewesen.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des erstinstanzlichen Parteivortrags, der getroffenen Feststellungen und der gestellten Anträge Bezug genommen wird, hat die Beklagte zur Zahlung von 35.000 € nebst Zinsen seit dem 16. Februar 2021 verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den Besitz an dem Fahrzeug freiwillig aufgegeben. Der Kläger habe das Eigentum daran gutgläubig erlangt. Die Fälschung der Fahrzeugpapiere sei für den Kläger nicht erkennbar gewesen. Die verdächtigen Umstände reichten weder für sich noch in der Gesamtschau aus, dem Kläger grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Ein gutgläubiger Erwerb des Klägers scheide aus, weil ihr das Fahrzeug abhanden gekommen sei. Aufgrund der SIM-Karten habe sie Sachherrschaft behalten. Darüber hinaus habe der Kläger die Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs nicht bewiesen. In jedem Falle müsse die von ihr abgeführte Umsatzsteuer von dem Verkaufserlös abgezogen werden. Für die Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung (GA 186 ff.) verwiesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass die Beklagte verurteilt bleibt, 30.172,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Februar 2021 zu zahlen, und im Übrigen die Klage abzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Für die Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 257 ff.) Bezug genommen.

Die Akten der Staatsanwaltschaft Hannover 2122 Js 164/21 und 47 UJs 682/20 der Staatsanwaltschaft Paderborn waren wie in erster Instanz beigezogen.

II.

Probefahrt - Abhandenkommen eines überlassenen Fahrzeugs
(Symbolfoto: Ground Picture/Shutterstock.com)

Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB bejaht. Nach dieser Vorschrift ist ein Nichtberechtigter, der über einen Gegenstand eine Verfügung trifft, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, dem Berechtigten zur Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten verpflichtet. Der Anspruch ist aber nur in Höhe von 30.172,41 € (Kaufpreis abzüglich Umsatzsteuer) begründet.

1. Der Kläger war in dem Zeitpunkt der Veräußerung des Fahrzeugs durch die Beklagte dessen Eigentümer und damit Berechtigter. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger das Eigentum an dem Fahrzeug gutgläubig erworben hatte.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die von dem Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2021 – VI ZR 100/20, juris Rn. 15 mwN). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Derartige konkrete Anhaltspunkte können sich unter anderem aus dem Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus dem Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2019 – VII ZR 69/17, juris Rn. 11).

b) Hieran gemessen bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen.

aa) Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nimmt das Landgericht zu Recht an, dass sich der Kläger im Sinne von § 929 Satz 1 BGB mit der vermeintlichen Eigentümerin des Fahrzeugs geeinigt hat.

(1) Nach § 286 ZPO muss der Richter aufgrund der Beweisaufnahme entscheiden, ob er eine Behauptung für wahr oder nicht für wahr hält, er darf sich nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit beruhigen. Dabei hat der Tatrichter ohne Bindung an die Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch setzt das Gesetz keine von allen Zweifeln freie Überzeugung voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67, juris Rn. 72; Urteil vom 6. Mai 2015 – VIII ZR 161/14, juris Rn. 11; Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20, juris Rn. 19 mwN).

(2) Das Gericht kann sich die Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (auch) aufgrund von Indizien bilden. Der Indizienbeweis bezieht sich auf Hilfstatsachen, die erst durch ihr Zusammenwirken mit anderen Tatsachen den Schluss auf das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals rechtfertigen sollen. Ein Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2016 – VI ZR 163/14, juris Rn. 15).

(3) Diesen Grundsätzen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Es hat nicht nur die von ihm zurecht als glaubhaft angesehenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, sondern auch die weiteren Umstände – gefälschte Zulassungspapiere auf echtem Papier, gestohlener Personalausweis – in seine Überlegungen einbezogen, und hat diese als den Vortrag des Klägers stützend erachtet. Der Senat teilt diese Bewertung.

Dem Einwand der Berufung, das Veräußerungsgeschehen sei von dem Kläger schon nicht schlüssig vorgetragen, weil er sich nach seinem Vortrag mit einem männlichen Verkäufer geeinigt habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Nach dem in dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wiedergegebenen Vortrag des Klägers stand auf Veräußererseite die vermeintliche Eigentümerin des Fahrzeugs und ihr sie unterstützender Partner. Die als Eigentümerin auftretende, in den gefälschten Fahrzeugpapieren als Halterin genannte Frau verkaufte dem Kläger das Fahrzeug ausweislich der Kaufvertragsurkunde und übergab ihm den Fahrzeugschlüssel und damit den Besitz. Damit sind die Voraussetzungen von § 929 Satz 1 BGB dargelegt. Ohnehin übersieht die Berufung, dass sich der Kläger in der Berufungserwiderung das Urteil des Landgerichts – und damit die entsprechenden Feststellungen – ausdrücklich zu eigen gemacht hat.

Auch soweit der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Ansicht vertreten hat, der in dem Kaufvertrag vereinbarte Eigentumsvorbehalt, könne einen Eigentumserwerb des Klägers verhindert haben, kommt dies hier deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger den Kaufpreis vollständig bezahlt hat.

bb) Der Kläger war bei der Übergabe des Fahrzeugs in gutem Glauben im Sinne von § 932 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.

(1) Entgegen der Ansicht der Beklagten bestand ihr Eigentum nicht deshalb fort, weil ihr das Fahrzeug abhandengekommen und daher ein gutgläubiger Erwerb durch den Kläger ausgeschlossen war.

(a) Nach § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB tritt ein gutgläubiger Erwerb auf Grund der §§ 932 bis 934 BGB nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhandengekommen war. Eine bewegliche Sache kommt ihrem Eigentümer im Sinne von § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB abhanden, wenn dieser den Besitz an ihr unfreiwillig verliert, woran es fehlt, wenn sie durch Täuschung zu der Besitzaufgabe bestimmt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19, juris Rn. 9).

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(b) Der unmittelbare Besitz an einer Sache wird gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die tatsächliche Gewalt über die Sache erworben. In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab, also von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falles entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19, juris Rn. 11).

Für die Besitzverhältnisse an einem Kraftfahrzeug kommt es in der Regel darauf an, wer die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübt. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt allerdings nur dann einen Besitzübergang, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat. Hieran fehlt es etwa, wenn der Schlüssel zwecks bloßer Besichtigung des Fahrzeugs übergeben wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19, juris Rn. 12).

Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht durch technische Vorrichtungen, die einer Begleitung vergleichbar sind, gesicherten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine Dauer von einer Stunde ist keine Besitzlockerung, sondern führt zu einem freiwilligen Besitzverlust (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19, juris Rn. 10, 13).

(c) So liegt es hier. Die Beklagte hat dem vermeintlichen Kaufinteressenten einen Fahrzeugschlüssel ausgehändigt und das Fahrzeug für eine Stunde überlassen. Eine Begleitung fand nicht statt. Die Verwendung von zwei SIM-Karten ist einer Begleitung auch nicht vergleichbar.

(aa) Ob die bloße Ortungsmöglichkeit überhaupt einer Begleitung in diesem Sinne vergleichbar sein kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Die durch den Einbau von zwei SIM-Karten eröffnete Überwachungsmöglichkeit stellt jedenfalls dann keine technische Vorrichtung dar, die einer Begleitung vergleichbar wäre, wenn die eingebauten SIM-Karten nicht dem Eigentümer, sondern nur der Polizei mit Unterstützung der Fahrzeugherstellerin eine Ortung ermöglichen.

(bb) In diesem Zusammenhang erkennt die Beklagte allerdings richtig, dass für die Vergleichbarkeit nicht maßgeblich ist, ob eine Begleitperson eine Entwendung des Fahrzeugs tatsächlich verhindern könnte. Entscheidend ist vielmehr, dass der Interessent, um selbst Sachherrschaft zu erlangen, diejenige des Besitzers brechen und ihn aus dem Besitz setzen müsste. Eine vergleichbare Lage fehlt bei der bloßen Überwachungsmöglichkeit mittels SIM-Karten aber.

Das wird durch § 859 Abs. 2 BGB bestätigt. Nach dieser Vorschrift darf, wenn eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen wird, er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen. Dementsprechend hindern weder die Betroffenheit auf frischer Tat noch die Verfolgung des Täters den Besitzverlust. Die Nacheile erhält dem früheren Besitzer lediglich das Recht, sich den bereits durch verbotene Eigenmacht entzogenen Besitz wieder zu verschaffen (vgl. BeckOGK/Götz, BGB [1.7.2022], § 859 Rn. 37; MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl., § 859 Rn. 12). Darüber geht auch die hier nur eröffnete Ortungsmöglichkeit keinesfalls hinaus.

Zudem erlaubt die hier durch die SIM-Karten geschaffene Überwachungsmöglichkeit eine Ortung nur mit erheblichem zeitlichen Verzug. Die Beklagte musste sich zunächst an die Polizei und diese an den Fahrzeughersteller wenden. Sie verweist in der Berufungsbegründung auf Blatt 26 f. der Ermittlungsakte, wonach die Polizei H. sich zum Zwecke der Ortung der beiden SIM-Karten am 9. September 2020 an die Herstellerin gewandt hatte. Zwischen dieser Anfrage und dem Verlust des Fahrzeugs lag damit ein voller Tag. Das ist, gemessen an dem Maßstab des § 859 Abs. 2 BGB, nicht ausreichend.

(2) Zurecht geht das Landgericht davon aus, dass die Beklagte nicht bewiesen hat, dass der Kläger bei dem Erwerb des Eigentums nicht in gutem Glauben war.

(a) Der Besitz des Fahrzeugs allein begründet nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief (§ 25 Abs. 4 Satz 2 StVZO aF) bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Abs. 6 FZV) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19, juris Rn. 29). Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2013 – V ZR 92/12, juris Rn. 14). Bei einer Übereinstimmung des Namens des Veräußerers mit den Eintragungen in den Fahrzeugpapieren kann der Erwerber – vorbehaltlich anderweitiger Anhaltspunkte – auf die Eigentümerstellung des Veräußerers vertrauen (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2013 – V ZR 92/12, juris Rn. 9). Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefes ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19, juris Rn. 29).

(b) Die Beweislast dafür, dass der Erwerber nicht in gutem Glauben war, trifft den früheren Eigentümer, der sich darauf beruft (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.1958 – VIII ZR 432/56, BeckRS 1958, 31196562 unter III; Urteil vom 5. Oktober 1981 – VIII ZR 235/80, juris Rn. 12). Allerdings trifft den Erwerber, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, regelmäßig eine sogenannte sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II. Er muss also seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese Angaben nicht zutreffen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2022 – V ZR 148/21, Pressemitteilung Nr. 138/2022). Erst wenn solche Umstände feststehen, dass sich der – eine Nachforschungspflicht auslösende – Verdacht aufdrängt, dass der Veräußerer auf unredliche Weise in den Besitz des Fahrzeuges gelangt sein könnte, muss der Erwerber, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit auszuräumen, darlegen und ggfs. beweisen, dass er Nachforschungen angestellt hat, die geeignet waren, den Verdacht zu beseitigen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 1987 – VIII ZR 331/86, juris Rn. 21 f.).

(c) Nach diesen Grundsätzen, die auch das Landgericht zugrunde gelegt hat, ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass sich der Kläger nicht in gutem Glauben befand. Der Kläger hat seiner sekundären Darlegungslast genügt und den Erwerbsvorgang im Einzelnen dargelegt. Beweis zur Widerlegung dieses Vortrags hat die Beklagte nicht angeboten. Sie hat sich lediglich mit Nichtwissen erklärt.

(aa) Der Beklagten ist allerdings darin zuzustimmen, dass der von dem Kläger geschilderte Erwerbsvorgang eine Reihe von Unstimmigkeiten aufweist, die ihm Anlass zu weitergehenden Nachforschungen hätten geben können. Das gilt namentlich dafür, dass die Anschrift der Verkäuferin in dem Personalausweis von den Anschriften in Kaufvertrag und Fahrzeugpapieren sowie in dem Inserat abwich, dem Stempel von zwei Gemeinden in der Zulassungsbescheinigung Teil I, dem Fehlen des zweiten Fahrzeugschlüssels sowie einem Barkauf in einer Straße, die weder der in dem Inserat noch der in dem Personalausweis genannten Straße entsprach.

(bb) Diese Umstände begründen jedoch keine grobe Fahrlässigkeit des Klägers.

Es ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Verkäuferin nicht nur in dem Besitz des Fahrzeugs, sondern auch der (gefälschten) Fahrzeugpapiere befand, die sie dem Kläger übergeben hat, und die Fälschung von dem Kläger nicht durchschaut werden musste. Insoweit tritt der Senat der ausführlichen und erschöpfenden Würdigung des Landgerichts bei.

Zu Unrecht vermisst die Berufung in diesem Zusammenhang eine Beurteilung der Qualität der Fälschung durch das Landgericht (BB 16). Das Landgericht hat vielmehr ausgeführt, dass es sich um professionelle Fälschungen gehandelt habe. Die Papiere hätten sich echt angefühlt und das Schriftbild echten Papieren entsprochen (LGU 6 unten). Dieser Eindruck werde durch die strafrechtlichen Ermittlungen bestätigt, weil es sich um echte Blankodokumente gehandelt habe (LGU 7 oben). Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die von der Beklagten angeführten Auffälligkeiten, die auf eine Fälschung hindeuten, als im Ergebnis nicht geeignet angesehen hat, einen sich aufdrängenden Verdacht zu begründen. Es stellt richtigerweise auf die konkrete Situation bei dem Kauf ab und misst dem Umstand, dass es sich um echtes Papier gehandelt hat, eine ausschlaggebende Bedeutung zu, während die vorhandenen Fehler nicht sofort ins Auge springen mussten, zumal das Prüfungsinteresse des Klägers der Person des Veräußerers und nicht der Ausstellungsbehörde galt. Diese Gewichtung des Beweiswerts der Indizien ist nicht zu beanstanden und wird von dem Senat geteilt.

(aaa) Dabei ist zu bedenken, dass der Erwerber bei einer Übereinstimmung des Namens des Veräußerers mit den Eintragungen in den Fahrzeugpapieren auf die Eigentümerstellung des Veräußerers grundsätzlich vertrauen darf. Der eingetragene Name stimmt aber mit dem aus dem Personalausweis überein. Soweit (in der Zulassungsbescheinigung Teil II) lediglich der Straßenname abweichend von der in dem Personalausweis genannten Anschrift angegeben ist, hätte die Abweichung von W.straße zu W.erstraße zwar auffallen können, aber nicht auffallen müssen.

(bbb) Von der Identität der Veräußerin hatte sich der Kläger anhand des von ihr vorgelegten Personalausweises überzeugt. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht bekundet hat, hielt er die Verkäuferin mit dem Lichtbild auf dem Personalausweis nach Gesicht und Haarfarbe für übereinstimmend. Eine Abweichung, die er daran festmachte, dass die Frau auf dem Foto etwas „pummeliger“ wirkte, und die ihn zu einer Nachfrage veranlasste, ist danach plausibel damit erklärt worden, dass das Foto bereits fünf oder sechs Jahre alt sei. Die Abweichung in der Körpergröße sei ihm erst hinterher aufgefallen, ebenso – wie sich aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Paderborn (47 UJs 682/20 Bl. 3 unten) ergibt – die unterschiedliche Augenfarbe. Zu weitergehenden Nachforschungen war der Kläger nicht verpflichtet.

Konnte der Kläger aber davon ausgehen, dass die Veräußerin in der Zulassungsbescheinigung Teil II eingetragen war, bestand für ihn kein Anlass, die Identität des Mannes, mit dem er telefoniert hatte, weiter aufzuklären. Er durfte sich mit der – sowohl von diesem am Telefon als auch der Veräußerin bei den Verhandlungen getätigten – Angabe beruhigen, dass dieser der (Ex-)Ehemann der Veräußerin war. Die angebliche Namensverschiedenheit (Schmidt/Reil; siehe Blatt 34 in 2122 Js 164/21 StA Hannover) steht dem nicht entgegen.

(ccc) Entgegen der Ansicht der Berufung löst auch ein Straßenverkauf als solcher keine Nachforschungspflicht des Erwerbers aus (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19, juris Rn. 30). Die hierzu ergangene und von der Berufung zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezieht sich auf einen Kauf von einem Gebrauchtwagenhändler, der überdies nicht als Halter in dem Brief eingetragen ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 – VIII ZR 151/73, juris Rn. 18 f.; Urteil vom 9. Oktober 1991 – VIII ZR 19/91, juris Rn. 14). Auf den Privatverkauf, bei dem der Veräußerer grundsätzlich in der Zulassungsbescheinigung Teil II eingetragen sein muss, lässt sich diese Rechtsprechung nicht übertragen (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 10. November 2016 – 9 U 50/16, juris Rn. 17), weshalb es für sich unschädlich ist, dass die in dem Personalausweis eingetragene Anschrift nicht mit dem Übergabeort übereinstimmte, zumal es sich dabei um eine Parallelstraße zu der Wohnanschrift handelt. Auch die in dem Inserat angegebene Anschrift in S.-H. ändert hieran nichts. Insoweit hatte bereits der angebliche (Ex)Partner der Veräußerin dem Kläger erklärt, dass sie ein Grundstück erworben hätten und umziehen würden (siehe Protokoll vom 8. September 2021 (Blatt 118) sowie Blatt 34 in 2122 Js 164/21 StA Hannover).

(ddd) Hinsichtlich der von der Beklagten benannten Ungereimtheiten in dem Kaufvertrag erschließt sich bereits nicht, inwieweit sich hieraus Anhaltspunkte für das fehlende Eigentum der Verkäuferin ergeben sollen. Das gilt auch hinsichtlich der angegebenen Adresse. Zwar hätte dem Kläger bei einem Abgleich der Anschrift in dem Kaufvertrag (oder der gefälschten Zulassungsbescheinigung) mit der auf dem Personalausweis angegebenen Adresse auffallen können, dass diese nicht übereinstimmen. Ein minutiöser Abgleich, der bei einem Kauf unter Privaten auch unüblich wäre, war hier aber nicht gefordert; wie bereits ausgeführt, musste der Kläger keine Zweifel an der Identität der Verkäuferin haben und hatte daher auch keinen Anlass, die Adressdaten auf dem Kaufvertrag einer näheren Prüfung zu unterziehen. Gleiches gilt für die Abweichungen in den Unterschriften. Unvollständigkeiten oder unübliche Passagen sind gänzlich ungeeignet, einen Verdacht gegen die Eigentümerstellung zu begründen. Das gilt auch für etwaige Abweichungen in der Fahrzeugausstattung.

(eee) Das Verlangen nach Barzahlung ist im Gebrauchtwagenhandel nicht unüblich (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 20. Februar 1986 – 6 U 161/85, juris Rn. 49 f.; OLG Braunschweig, Urteil vom 10. November 2016 – 9 U 50/16, juris Rn. 19). Dies musste hier auch deshalb keinen Verdacht erregen, weil der Kaufpreis nicht offensichtlich günstig war, sondern sich in der Größenordnung bewegte, für die auch die Beklagte selbst das Fahrzeug angeboten und schließlich veräußert hat.

(fff) Es verhilft der Beklagten auch nicht zum Erfolg, dass der zweite Fahrzeugschlüssel nicht übergeben wurde, weil dies nach der Gesamtsituation plausibel war. Wie der Kläger bekundet hat, war er mit seinem Sohn zu dem für 12.30 Uhr verabredeten Treffen erst um 15.00 Uhr angekommen. Der angebliche Ehemann der Veräußerin erklärte telefonisch, nicht mehr vor Ort zu sein, nunmehr werde seine Frau kommen, der das Fahrzeug ohnehin gehöre. Damit gab es aus Sicht eines redlichen Erwerbers einen nachvollziehbaren Grund, warum der zweite Schlüssel bei dem angeblichen Ehemann und nicht vor Ort sein konnte.

(ggg) Schließlich führt auch eine Gesamtschau aller Umstände nicht dazu, dass sich dem Kläger aufdrängen musste, der Veräußerin gehöre das angebotene Fahrzeug nicht. Der Kläger hat die von ihm geforderten Nachforschungen – Prüfung der Übereinstimmung des Veräußerers in den Fahrzeugpapieren – anhand des Personalausweises vorgenommen. Dabei mussten ihm keine Zweifel kommen. Zwar hätte der Kläger stutzig werden müssen, wenn er auf dem Fahrzeugschein Stempel von zwei unterschiedlichen Gemeinden bemerkt hätte; dass er dies getan habe, hat die Beklagte aber nicht einmal behauptet. Im Verhältnis hierzu ist den weiteren Verdachtsmomenten nur ein geringer Indizwert zuzusprechen, der nicht genügt, um das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig anzusehen.

2. Über das Eigentum des Klägers hat die Beklagte als Nichtberechtigte verfügt. Diese Verfügung ist dem Kläger gegenüber wirksam, entweder nach § 932 BGB oder aufgrund Genehmigung (§ 185 BGB), die in dem Zahlungsverlangen liegt.

3. Die Beklagte muss allerdings nur 30.172,41 € an den Kläger herausgeben. Sie hat den Bruttokaufpreis in Höhe von 35.000 € erlangt. In Höhe der Umsatzsteuer von 4.827,59 € kann sie sich auf den Wegfall der Bereicherung berufen (§ 818 Abs. 3 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 – IX ZR 229/06, juris Rn. 11).

4. Die Beklagte schuldet Zinsen gemäß §§ 288, 286 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 291 BGB. Zinsbeginn ist analog § 187 BGB der auf die Zustellung der Klage (15. Februar 2021) folgende Tag.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 92 Abs. 1, §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 

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