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SARS-CoV-2-Pandemie – Rückerstattung Reisepreis

AG Hannover – Az.: 574 C 13138/20 – Urteil vom 02.02.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Berufung wird zugelassen.

5. Der Streitwert wird festgesetzt auf 291,50 Euro.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte vor dem Hintergrund der SARS-CoV-2-Pandemie auf Rückerstattung des geleisteten Reisepreises in Anspruch.

Die Klägerin buchte bei der Beklagten unter der Buchungsnummer 4426… für den Zeitraum vom 22.07.2020 bis zum 29.07.2020 eine Pauschalreise nach Sardinien, hinsichtlich derer sich die Beklagte zur Beförderung, Unterbringung und Verpflegung der Klägerin und diese sich gegenüber der Beklagten zur Zahlung eines Reisepreises in Höhe von 1.166 Euro verpflichtet hatten. Die Klägerin leistete an die Beklagte eine Anzahlung in Höhe von 291,50 Euro. Angesichts der SARS-CoV-2-Pandemie erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 14.03.2020 gegenüber der Beklagten den Rücktritt von dem Reisevertrag.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei nicht zur Geltendmachung einer Entschädigung gemäß § 651h Abs. 1 BGB berechtigt und behauptet hierzu, im Reisezeitraum seien am Bestimmungsort der Reise in Anbetracht der SARS-CoV-2-Pandemie unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände zu erwarten gewesen, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt hätten. Sie behauptet hierzu, Italien sei schon im März das am meisten von der Pandemie betroffene Land gewesen, wobei nicht zu erwarten gewesen sei, dass die Pandemie innerhalb von vier Monaten vorüber gewesen wäre.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 291,50 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes im Sinne § 651h Abs. 3 BGB sei auf der Grundlage einer Prognose im Zeitpunkt des Rücktritts von dem Reisevertrag zu beurteilen. In diesem Zeitpunkt habe es keine ausreichenden Hinweise dafür gegeben, dass vier Monate später zum Reisezeitpunkt die Reise erheblich beeinträchtigt sein würde. Eine Prognose über das Ausmaß der Pandemie auf Sardinien Ende Juli sei im März 2020 noch nicht möglich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin kann von der Beklagten nicht gemäß §§ 346 Abs. 1, 651h Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 BGB die vollständige Rückerstattung der in Höhe von 291,50 Euro geleisteten Anzahlung auf den Reisepreis verlangen. Nach diesen Vorschriften verliert der Reiseveranstalter, wenn der Reisende vom Vertrag zurücktritt, den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis, den er unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zurückzuerstatten verpflichtet ist.

Diese Voraussetzungen sind in dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt zwar in Anbetracht des von der Klägerin mit Schreiben vom 14.03.2020 erklärten Rücktritts vom Reisevertrag erfüllt. Allerdings ist die Beklagte gemäß Ziffer 8.2. der Reise- und Versicherungsbedingungen der Beklagten i. V. m. § 651h Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BGB berechtigt, eine Entschädigung in der Höhe der Klageforderung zu verlangen; der diesbezügliche Ausschlusstatbestand des § 651 Abs. 3 BGB ist nicht erfüllt.

SARS-CoV-2-Pandemie - Rückerstattung Reisepreis
(Symbolfoto: Zigres/Shutterstock.com)

Gemäß § 651 Abs. 3 BGB kann der Reiseveranstalter von dem Reisenden keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort der Reise oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind nach dieser Vorschrift unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen von Umständen im vorgenannten Sinne ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung, allein deren Äußerung gegenüber dem Reiseveranstalter bereits gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 BGB das Rückgewährschuldverhältnis entstehen lässt. Hiervon ausgehend ist das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen aufgrund einer im Rücktrittszeitpunkt ex-ante zu treffenden Prognose zu beurteilen; zeitlich hiernach entstehende Erkenntnisse bleiben außer Betracht. Der Reisende hat insofern das Risiko des „übereilten“ Rücktritts zu tragen (vgl. AG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.08.2020, 32 C 2136/20, Rn. 22; AG Stuttgart, Urteil vom 13.10.2020, 3 C 2559/20, Rn. 12 f., zit. nach beck-online; Führich, NJW 2020, 2137, 2139), was vor dem Hintergrund des gemäß § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB vor Reisebeginn jederzeit statthaften Rücktritts vom Reisevertrag einer angemessenen Risikoverteilung entspricht.

Im Rahmen der zu treffenden Prognose ist – jedenfalls im hier einschlägigen Kontext der SARS-CoV-2-Pandemie – eine erhebliche Eintrittswahrscheinlichkeit für die die Reise beeinträchtigenden Umstände zu verlangen, bei der der Eintritt eines außergewöhnlichen Umstandes auf der Grundlage vorliegender konkreter Anknüpfungstatsachen mindestens ebenso wahrscheinlich erscheinen muss wie dessen Ausbleiben. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen Umstandes ist jedenfalls in Fällen, in denen – wie hier – pandemiebedingt im Fall eines sich kurzfristig ausweitenden Infektionsgeschehens am Ort der Reise eine äußerst weitreichende Beeinträchtigung der Reise sowie der Rechtsgüter und Interessen des Reisenden droht, nicht zu verlangen. Hingegen ist die nur entfernte oder hypothetische Möglichkeit des Eintritts eines außergewöhnlichen Umstandes nicht ausreichend. Gleiches gilt für das Auftreten von bloßen Unwohl- und Angstgefühlen auf Seiten des Reisenden (so auch AG München, Urteil vom 27.10.2020, 159 C 13380/20 = DAR 2021, 35, 36).

Soweit in diesem Zusammenhang teilweise abweichend vertreten wird, es genüge in Anlehnung an das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.10.2002, X ZR 147/01, eine mindestens 25-prozentige Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines außergewöhnlichen Umstandes (so etwa AG Stuttgart, a. a. O.), dürfte dieser Maßstab nicht ohne Weiteres auf die Vorschrift des § 651 Abs. 3 BGB zu übertragen sein, da sich der Bundesgerichtshof in dem von ihm entschiedenen Sachverhalt mit der Frage zu befassen hatte, ob die zu einer Vorwarnung konkretisierte Gefahr des Auftretens eines Hurrikane im Reisezeitraum die Kündigung eines Reisevertrages wegen voraussehbarer höherer Gewalt und einer dadurch bedingten erheblichen Gefährdung der Reise im Sinne des § 651j BGB a. F. rechtfertigen kann. Demgegenüber setzt § 651 Abs. 3 BGB ausweislich seines Wortlautes das über eine Gefährdung hinausgehende Vorliegen einer Beeinträchtigung voraus und definiert damit einen strengeren Beurteilungsmaßstab. Auch unter praktischen Gesichtspunkten dürfte das Kriterium einer 25-prozentigen Eintrittswahrscheinlichkeit nicht geeignet sein, zu einer maßgeblichen Konkretisierung der Tatbestandsvoraussetzungen beizutragen. In dem vorliegenden Sachverhalt bedarf diese Rechtsfrage allerdings keiner Entscheidung, da im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 14.03.2020 der Eintritt außergewöhnlicher Umstände im Reisezeitraum vom 22.07.2020 bis zum 29.07.2020 nach dem vorgenannten Maßstab weder mit erheblicher Wahrscheinlichkeit im o. g. Sinne noch im Sinne einer 25-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Wissenschaftliche Erkenntnisse über die konkrete weitere Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus, die eine Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ermöglicht hätten, lagen in dieser frühen Phase der Pandemie nicht vor; Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Nicht bereits das Auftreten einer Pandemie, sondern vielmehr das Vorliegen von Beschränkungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, insbesondere Einreise- und Quarantänebestimmungen sowie Ausgangsbeschränkungen, können unter Berücksichtigung ihres Ausmaßes im jeweiligen Einzelfall als außergewöhnliche Umstände zu bewerten sein, die eine Reise im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB erheblich beeinträchtigen; ein gewichtiges Indiz sind insoweit die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (vgl. AG München, Urteil vom 27.10.2020, 159 C 13380/20 = DAR 2021, 35, 36). Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes lag im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung – entsprechend des unbestrittenen Sachvortrages der Beklagten – allerdings noch nicht vor, nicht in Bezug auf Italien und ebenso wenig im Hinblick auf die generelle Durchführung von Reisen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Ob und gegebenenfalls inwiefern im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung der Klägerin in Italien bereits Beschränkungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens behördlicherseits angeordnet waren, ist ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich bzw. dem Gericht nicht bekannt. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang vorträgt, Italien sei schon im März das am meisten betroffene Land gewesen, lässt diese Behauptung in Ermangelung nachvollziehbarer Einzelheiten zur Verbreitung des Virus und gegebenenfalls damit einhergehender öffentlich-rechtlicher Beschränkungen des wirtschaftlichen und/ oder sozialen Lebens in Italien keine Prognose hinsichtlich des Auftretens außergewöhnlicher Umstände im Reisezeitraum zu. Im Gegenteil war gerade in dieser frühen Phase der Pandemie zu erwarten, dass in den Sommermonaten ein erheblicher Rückgang des Infektionsgeschehens eintreten würde und dieser Umstand sowie beispielsweise die Anordnung einer Pflicht zum Tragen von Alltagsmasken und die Einhaltung von Abständen die hierdurch allein nicht erheblich beeinträchtigte Reise (vgl. insoweit AG München, a. a. O.; Staudinger, DAR 2021, 37, 38) möglich erscheinen lassen würde.

Die in den folgenden Wochen und Monaten nach der Rücktrittserklärung vom 14.03.2020 veröffentlichten Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes und die in Italien verhängten Ausgangsbeschränkungen sind, auch soweit sie dem Gericht aufgrund eigener Wahrnehmung von Presseerzeugnissen bekannt sind, demgegenüber bei der gemäß § 651h Abs. 3 BGB ex-ante vorzunehmenden Prognoseentscheidung außer Betracht zu lassen. Insofern realisiert sich das Risiko des „übereilten“ Rücktritts, welches die Klägerin als Reisende zu tragen hat.

Anhaltspunkte dafür, dass die von der Beklagten geltend gemachte Entschädigung nicht angemessen ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache in Anbetracht der in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilten, entscheidungserheblichen Voraussetzungen der Entstehung eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 651h Abs. 3 BGB und des Zeitpunkts ihrer Beurteilung im Kontext der andauernden SARS-CoV-2-Pandemie grundlegende Bedeutung hat.

Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 43, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO auf 291,50 Euro festzusetzen.

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