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Verkehrsunfall – Abwägung Betriebsgefahren bei Kollision mit Motorradfahrer

OLG Düsseldorf -Az.: I-1 U 84/17 – Urteil vom 19.12.2017

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer – Einzelrichterin – des Landgerichts Wuppertal vom 10. Mai 2017 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz sowie des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 13.02.2015 gegen 14:00 Uhr in Wuppertal-Ronsdorf in Höhe des Hausgrundstücks R. Straße zwischen ihrem Fahrzeug der Marke Seat L. und dem Motorrad der Marke B. des Beklagten zu 1., welches bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, ereignete. Hierbei kollidierte das Motorrad fast frontal mit der Fahrertür des Pkws, als der Beklagte zu 1. mit seinem Motorrad am anfahrenden oder wendenden – dies ist zwischen den Parteien streitig – Fahrzeug der Klägerin vorbeifahren wollte.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe ihre Schwester, die unstreitig ihre Beifahrerin war, auf dem linksseitig gelegenen Vorplatz des Grundstücks R. Straße aussteigen lassen wollen. Sie habe hierhin abbiegen und dann wenden wollen. Sie habe ihre Fahrgeschwindigkeit auf ca. 10 km/h reduziert und sich nach Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers mittig auf Höhe des Vorplatzes eingeordnet. Obwohl sie Gegenverkehr vorbeigelassen habe, habe sie nicht anhalten müssen. Bei ihrem Schulterblick vor dem Abbiegevorgang habe sie kein von hinten herannahendes Fahrzeug wahrnehmen können. Der Beklagte zu 1. sei mit hoher Geschwindigkeit gefahren. Unmittelbar nach dem Unfall habe ihr der Beklagte zu 1. mitgeteilt, dass er den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesehen habe, aber davon ausgegangen sei, die Klägerin sei gerade erst angefahren.

Die Klägerin hat Reparaturkosten i.H.v. 5.396,90 EUR, Gutachterkosten i.H.v. 701,51 EUR und eine Kostenpauschale i.H.v. 25,00 EUR geltend gemacht. Zudem stehe ihr aufgrund ihrer unfallbedingten Verletzungen, die sie unstreitig in Form einer Schädelprellung, einer HWS-Distorsion, einer BWS-Myogelose und eines LWS-Syndroms mit einer Beschwerdedauer von über zwei Monaten erlitten habe, ein angemessenes Schmerzensgeld zu.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 6.123,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.03.2015 zu zahlen; die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld wegen der bei dem Verkehrsunfall vom 13.02.2015 in Wuppertal auf der R. Straße erlittenen Verletzungen zu zahlen; die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 337,07 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, die Klägerin habe auf Höhe des Hauses R. S. zunächst am rechten Fahrbahnrand gehalten. Sie habe dort wenden wollen und dabei das Motorrad des Beklagten zu 1. übersehen. Er, der Beklagte zu 1., sei nach der Kurve im Vorfeld der Unfallstelle ca. 25-30 km/h gefahren. Er habe den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und sei davon ausgegangen, dass die Klägerin stehen bleibe; diese sei jedoch plötzlich nach links gefahren. Er habe nicht mehr ausweichen können und keinen Fahrtrichtungsanzeiger zuvor beim Fahrzeug der Klägerin gesehen. Da der Wiederbeschaffungsaufwand für das Fahrzeug bei lediglich 5.390,00 EUR liege, seien Reparaturkosten nicht ersatzfähig. Ein Gutachten der D. habe zudem nur zu Reparaturkosten i.H.v. 5.005,82 EUR geführt. Denn der Arbeitslohn sei ebenso wie die UPE-Aufschläge teilweise überhöht. Zudem seien die Gutachterkosten wegen der Geltendmachung von pauschalen Nebenkosten überhöht.

Nach Anhörung der unfallbeteiligten Parteien und Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin S. sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. N. vom 27.06.2016 sowie eines Ergänzungsgutachtens vom 06.02.2017 hat das Landgericht der Klage auf der Grundlage einer hälftigen Haftungsquote teilweise stattgegeben. Der Unfallablauf sei nicht aufklärbar. Weder das Sachverständigengutachten noch die Aussage der Zeugin S. gäben hinreichend Klarheit über den Unfallhergang. Angesichts dessen greife auch kein Anscheinsbeweis, so dass sich ausschließlich die Betriebsgefahren gegenüberstünden, die im Ergebnis gleichwertig zu beurteilen seien. Dem Sachverständigengutachten zufolge sei der Klägerin ein Schaden i.H.v. 5.092,24 EUR entstanden. Hierzu seien die Gutachterkosten sowie die Auslagenpauschale zu addieren so dass bei einem Gesamtschaden i.H.v. 6.017,25 EUR die Hälfte hiervon und mithin 3.008,62 EUR erstattungsfähig seien. Unter Berücksichtigung der hälftigen Mithaftung der Klägerin ergebe sich zudem ein angemessenes Schmerzensgeld i.H.v. 250,00 EUR.

Mit ihrer Berufung, mit der die Beklagten weiterhin das Ziel der vollumfänglichen Klageabweisung verfolgen, rügen sie, dass das Landgericht fälschlich nicht auf den Anscheinsbeweis gegen den Wendenden nach § 9 Abs. 5 StVO zurückgegriffen habe. Dass die Klägerin habe wenden wollen, ergebe sich auch aus den Angaben der Unfallbeteiligten gegenüber der Polizei. Zudem seien die Sachverständigenkosten überhöht.

Verkehrsunfall - Abwägung Betriebsgefahren bei Kollision mit Motorradfahrer
(Symbolfoto: Von Dmitry Surov/Shutterstock.com)

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Denn der Beklagte zu 1. habe bei einer unklaren Verkehrslage überholt, so dass die Beklagten zu Recht 50 % der Schäden zu tragen hätten.

Die Akten der StA Wuppertal, Az.: 922 Js 1421/15 lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat beim Abbiegen in ein Grundstück den strengen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO nicht genügt und nachweisbar die Verpflichtung zur doppelten Rückschau nicht beachtet. Dies steht aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens fest, während ein Verschulden des Beklagten zu 1. an der Unfallentstehung nicht nachweisbar ist. Angesichts dessen – und des Umstandes, dass gegen die Klägerin bereits ein Anscheinsbeweis spricht – muss diese selbst für ihren Schaden einstehen.

1. Grundsätzlich haften die Beklagten allerdings nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG für die Schäden, die bei dem Betrieb des von ihnen geführten, gehaltenen und versicherten Motorrades entstanden sind. Da auch die Klägerin an dem Unfall mit ihrem Kraftfahrzeug beteiligt und der Unfall für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis war, sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge der Beteiligten gemäß §§ 17, 18 Abs. 3 StVG gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung kommt es insbesondere darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind in ihrem Rahmen unstreitige bzw. zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Januar 1995 – VI ZR 247/94 -, juris; Senat, Urteil vom 08.10.2011, Az.: I-1 U 17/11). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGH, Urteile vom 15. November 1960 – VI ZR 30/60 – VersR 1961, 249, 250; vom 8. Januar 1963 – VI ZR 35/62 – VersR 1963, 285, 286; vom 23. November 1965 aaO S. 165; vom 29. November 1977 – VI ZR 51/76 – VersR 1978, 183, 185).

a. Auf dieser Grundlage ist ein die Betriebsgefahr erhöhendes Verschulden des Beklagten zu 1. an der Unfallentstehung nicht bewiesen. Diesem kann weder ein Verstoß gegen die Verpflichtung, an einem linksabbiegenden Verkehrsteilnehmer rechtsseitig vorbeizufahren (§ 5 Abs. 7 S. 1 StVO), ein Überholen bei unklarer Verkehrslage entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO noch ein Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit oder eine verspätete Reaktion vorgeworfen werden.

aa. Der Beklagte zu 1. hätte nicht rechtsseitig an dem klägerischen Fahrzeug hätte vorbeifahren müssen, § 5 Abs. 7 Satz 1 StVO. Auf der Grundlage des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts ist nicht feststellbar, dass die Klägerin frühzeitig ihre Abbiegeabsicht nach links auf das Grundstück hätte zu erkennen gegeben, indem sie sich mittig eingeordnet und den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hätte. Denn das Landgericht hat das Ergebnis der diesbezüglichen Anhörung der Klägerin sowie der Zeugen S. als nicht glaubhafter beurteilt als die Angaben des Beklagten zu 1. anlässlich dessen Anhörung. Das Landgericht hat nachvollziehbar darauf abgestellt, dass der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin S. entgegenstehe, dass ihre Aussage teilweise wörtlich mit der Angaben der Klägerin übereinstimme. Darüber hinaus sei erstaunlich, dass sich die Zeugin S. einerseits genau erinnern könne, dass die Klägerin frühzeitig links geblinkt habe, sie sich aber andererseits nicht habe erinnern können, ob rechtsseitig noch freie Parkplätze vorhanden gewesen seien. Das Gutachten des Sachverständigen N. zur Unfallrekonstruktion gebe über den Unfallablauf keine hinreichende Gewissheit. Technisch darstellbar sei insoweit sowohl, dass die Klägerin aus einer Position der Straßenmitte nach links abgebogen sei, wie auch, dass sie vom rechten Fahrbahnrand aus den Linksabbiegevorgang begonnen habe. Die relative Anstoßgeschwindigkeit des Motorrades an die Fahrertür des Klägerfahrzeugs, die einen Geschwindigkeitsrahmen zwischen 20-35 km/h zulasse, lasse beide Sachverhaltsvarianten als möglich erscheinen. Da diese Beweiswürdigung des Landgerichts keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der festgestellten Tatsachen erkennen lässt, ist der Senat an diese gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden.

Dann aber steht nicht nach dem Beweismaßstab des § 286 Abs. 1 ZPO mit der erforderlichen Überzeugung fest, dass der Beklagte zu 1. aufgrund der mittigen Einordnung und des eingeschalteten linken Fahrzeugrichtungsanzeigers an der rechten Seite des Klägerfahrzeugs hätte vorbeifahren müssen.

bb. Ein unklare Verkehrslage gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO, die den Überholvorgang des Beklagten zu 1. unzulässig gemacht hätte, ist gleichfalls nicht feststellbar. Eine unklare Verkehrslage im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist dann gegeben, wenn nach den Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf. Dies ist dann der Fall, wenn sich beispielsweise nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun werde, wenn er sich unklar verhält, in seiner Fahrweise unsicher erscheint oder wenn es den Anschein hat, er wolle abbiegen, ohne dass dies deutlich wird (ständige Rechtsprechung des Senats, s. nur Urteile vom 06.05.2014 – I-1 U 32/13 -, Rn. 9, juris ; vom 15.10.2013, Az. I-1 U 240/12, mit Hinweis auf Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 5 StVO, Rn. 34). Dass die Verkehrslage im vorstehenden Sinne unklar war, ergibt sich jedoch nicht bereits aus den eigenen Angaben des Beklagten zu 1., der in seiner informatorischen Anhörung bekundet hat, er habe das Fahrzeug der Klägerin gesehen, als er um die Kurve gefahren sei. Zu diesem Zeitpunkt habe es sich noch bewegt und danach am rechten Fahrbahnrand gestanden. Sodann sei er selbst langsamer gefahren, habe den linken Blinker gesetzt und mit dem Überholen begonnen. Er sei mittig auf der Straße gefahren, als die Klägerin plötzlich mit ihrem Fahrzeug nach links über die Straße gefahren sei.

Dieser vom Beklagten zu 1. geschilderte Unfallablauf lässt ein unklares Verhalten der Klägerin nicht erkennen. Dadurch, dass das Fahrzeug der Klägerin nach dem Bekunden des Beklagten zu 1. eine deutliche Orientierung zum rechten Fahrbahnrand aufwies, musste der Beklagte zu 1. selbst bei der fehlenden Betätigung eines rechten Fahrzeugrichtungsanzeigers nicht mit einem plötzlichen Abbiegevorgang nach links auf das gegenüberliegende Grundstück rechnen. Ein anderer Sachverhalt – insbesondere ein linksseitiges Blinken der Klägerin – lässt sich – wie bereits ausgeführt – weder aufgrund der Aussage der Zeugin S. noch auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens feststellen.

cc. Ein anderweitiges Verschulden des Beklagten zu 1. deswegen, weil sich dieser mit einer überhöhten Geschwindigkeit entgegen § 3 StVO der späteren Kollisionsstelle genähert habe, ist gleichfalls nicht erkennbar. An der Unfallstelle ist eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h vorgeschrieben, die der Beklagte zu 1. nicht nachweisbar überschritten hat. Die verschiedenen Sachverhaltsvarianten sowohl der Klägerin als auch der Beklagten lassen dem Sachverständigen zufolge auf eine Kollisionsgeschwindigkeit des Motorrads des Beklagten zu 1. von 32 bis 47 km/h und nach der Beklagtenversion von etwa 37 km/h und aufgrund der nicht eingrenzbaren Weg-Zeit-Verknüpfung keinen Rückschluss auf eine über 50 km/h liegende Annäherungsgeschwindigkeit zu.

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dd. Ebenso wenig lässt sich ein Reaktionsverschulden des Beklagten zu 1. deswegen begründen, weil er entgegen § 1 Abs. 2 StVO zu spät auf die linksabbiegende Klägerin mit ihrem Fahrzeug reagiert hätte. Dem Sachverständigen war es aufgrund der wenigen zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen nicht möglich, eine nur ansatzweise verlässliche Weg-Zeit-Relation zwischen der Annäherung des Beklagten zu 1. und dem Linksabbiegevorgang der Klägerin herzustellen.

b. Demgegenüber steht ein Verschulden der Klägerin jedenfalls gegen die doppelten Rückschaupflicht bei ihrem Abbiegevorgang nach links nicht nur nach Anscheinsgrundsätzen, sondern aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen auch positiv fest. Dabei hatte die Klägerin in der konkreten Situation gemäß § 9 Abs. 5 StVO beim Abbiegen in ein Grundstück zusätzlich die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen.

aa. Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht des Linksabbiegers mit einem links überholenden Verkehrsteilnehmer im Wege des Anscheinsbeweises festgestellt werden (Senat, Urteil vom 25. Mai 2009 – I-1 U 141/08 -, Rn. 8, juris; Schaden-Praxis 2000, 408; Urteil vom 11. Juli 2005, Aktenzeichen: I-1 U 18/05 sowie Urteil vom 24. Oktober 2005, Aktenzeichen: I-1 U 68/05; ebenso KG DAR 2002, 557; NZV 2005, 413; NZV 2006, 309, 310; OLG des Landes Sachsen-Anhalts, a.a.O.). Denn typischerweise ist ein sich von hinten näherndes Fahrzeug über den Seiten- oder den Rückspiegel im Vorfeld des Abbiegens sichtbar, so dass der Abbiegende den rückwärtigen Verkehrs vor dem Abbiegen beobachten und notfalls seinen Abbiegevorgang zurückstellen muss (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20. November 1973 – 9 U 50/73 -, juris = VersR 1974, 703). Zudem hatte die Klägerin in dieser Situation nicht nur die allgemeinen Abbiegeregeln des § 9 Abs. 1 StVO zu beachten, sondern darüber hinaus nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 StVO äußerste Sorgfalt walten zu lassen, nämlich sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Da der in ein Grundstück abbiegende Verkehrsteilnehmer wegen der ihm abverlangten äußersten Sorgfalt die Gefahr nahezu allein trägt, spricht gegen ihn der Anschein einer schuldhaften Unfallverursachung (Senat, Urteile vom 06. Mai 2014 – I-1 U 32/13 -, Rn. 5, juris; vom 28.05.2013, Az. I-1 U 181/12; vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 9 StVO, Rn. 44 f. mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Diesen Anschein hat die Klägerin auch nicht erschüttert. Die Erschütterung des Anscheinsbeweises setzt die Darlegung und den Beweis von Tatsachen voraus, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt, der insbesondere dann gegeben wäre, wenn das von dem Beklagten zu 1. geführte Motorrad bei Beginn des Abbiegemanövers der Klägerin noch nicht sichtbar oder zumindest so weit entfernt gewesen wäre, dass sie eine Gefährdung als ausgeschlossen erachten durfte (vgl. Senat, a. a. O.). Die Annäherung des Motorrades des Beklagten zu 1. – dem eine überhöhte Geschwindigkeit nicht nachzuweisen ist – stellt sich den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen zufolge so dar, dass es sich frühzeitig in einer durch Rückschau erkennbaren Position rückwärtig oder schräg seitlich hinter dem Klägerfahrzeug befand (s. Gutachten S. 13). Die zuvor von den Unfallparteien durchfahrene Rechtsbiegung der Straße hinderte jedenfalls eine Rückschau und Erkennbarkeit des Beklagten zu 1. nicht.

bb. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist überdies positiv festzustellen, dass die Klägerin den Beklagten zu 1. auf seinem Motorrad jedenfalls unmittelbar vor der Einfahrt auf die Gegenfahrspur hätte erkennen und dann ihren Abbiegevorgang hätte zurückstellen müssen.

cc. Entgegen den Ausführungen der Berufung ist allerdings ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, weil die Klägerin hätte wenden wollen, nicht zu berücksichtigen. Von einem Wenden kann nur die Rede sein, wenn das Fahrzeug auf derselben Straße in einem einheitlichen Vorgang in die entgegengesetzte Fahrtrichtung gebracht wird (BGH v. 04.08.1977 – 4 StR 639/76 – BGHSt 27, 233, 235; BGH v. 28.05.1982 – 4 StR 224/81 – BGHSt 31, 71; juris Rdz. 9; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. § 9 StVO Rdn. 50 m.w.Nw). Die Klägerin hat aber angegeben, sie habe zunächst auf dem Vorplatz vor dem gegenüberliegenden Hausgrundstück halten und dann ihre Schwester aussteigen lassen wollen. Sie hat aber ihre Fahrt unterbrochen und dann erst in die Gegenrichtung fortsetzen wollen. Gegen einen einheitlichen Wendevorgang spricht auch die Endstellung der Fahrzeuge nach der Kollision. Das Klägerfahrzeug weist hierbei eine solche Schrägstellung auf, die nicht darauf hindeutet, dass die Klägerin unmittelbar hätte wenden wollen oder können. Vielmehr erscheint es plausibel, dass die Klägerin ihrem Vortrag zufolge zunächst auf dem Vorplatz des Grundstücks halten und dann zeitlich versetzt einen Wendevorgang einleiten wollte, der allerdings einen Wendevorgang zum Zeitpunkt der Kollision ausschließt. Auch die Ausführungen des Sachverständigen zeigen keine Anhaltspunkte für einen einheitlichen Wendevorgang der Klägerin.

c. Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge steht dem festgestellten Verschulden der Klägerin gegen § 9 Abs. 1, 5 StVO und der damit verbundenen Erhöhung der Betriebsgefahr lediglich die einfache Betriebsgefahr des Motorrads gegenüber. Da die Klägerin eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs hätte ausschließen müssen, ist ihr Verschulden so schwerwiegend, das dahinter die einfache Betriebsgefahr des Motorrades zurücktritt.

2. Ausführungen zur Schadenshöhe sind damit entbehrlich.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug: 3.258,62 EUR.

 

 

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