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Verkehrsunfall bei Fahrt an stehendem Fahrzeug – angemessener Seitenabstand

Verkehrsunfall: Kläger kämpft um Schadensersatz bei mangelndem Seitenabstand

Das Landgericht Saarbrücken hat in einem Berufungsverfahren entschieden, dass die Beklagten dem Kläger Schadensersatz und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zahlen müssen, nachdem sie bei einem Verkehrsunfall mit unzureichendem Seitenabstand an einem parkenden Fahrzeug vorbeigefahren sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 13 S 8/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Urteilsänderung: Das Berufungsurteil ändert das vorherige Urteil des Amtsgerichts Völklingen, indem es die Beklagten zu Schadensersatz und Zahlung der Rechtsanwaltskosten verpflichtet.
  2. Schadensersatzforderung: Der Kläger forderte Schadensersatz aufgrund einer Kollision, bei der die Beklagten mit unzureichendem Seitenabstand an seinem Fahrzeug vorbeifuhren.
  3. Argumentation des Klägers: Er behauptete, dass die geöffnete Tür seines Fahrzeugs nicht weit in den Verkehrsraum ragte und für heranfahrende Fahrzeuge erkennbar war.
  4. Gegenargument der Beklagten: Sie behaupteten, die Tür sei plötzlich geöffnet worden, und ein Ausweichen oder Bremsen war nicht möglich.
  5. Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO: Das Gericht stellte einen Verstoß des Klägers gegen die Sorgfaltspflicht beim Ein- und Aussteigen fest.
  6. Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO: Das Gericht erkannte auch einen Verstoß der Beklagten gegen die Pflicht zur Einhaltung eines angemessenen Seitenabstands.
  7. Überwiegende Verantwortung der Beklagten: Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge wurde festgestellt, dass das Verhalten der Beklagten in stärkerem Maße zum Unfall beigetragen hat.
  8. Keine Zulassung der Revision: Das Gericht sah keinen Anlass, eine Revision des Urteils zuzulassen, da es keine grundsätzliche Bedeutung über den Einzelfall hinaus.

Verkehrsrechtliche Abwägungen bei Unfällen: Der Fall des angemessenen Seitenabstands

Verkehrsunfall bei Fahrt an stehendem Fahrzeug
(Symbolfoto: J.AMPHON /Shutterstock.com)

Verkehrsunfälle werfen häufig Fragen der Haftung und des angemessenen Verhaltens der beteiligten Fahrer auf. Ein besonders interessanter Aspekt in diesem Kontext ist der angemessene Seitenabstand beim Vorbeifahren an stehenden Fahrzeugen. Dieser Fall beleuchtet die komplexen Abwägungen zwischen der Verkehrssicherheitspflicht und der Schadensersatzforderung. Im Kern steht hier die Frage, inwiefern die Verursachungsbeiträge der beteiligten Parteien – des Klägers und der Beklagten – bei einem Zusammenstoß zwischen einem bewegten und einem parkenden Fahrzeug zu bewerten sind.

In solchen Fällen spielen nicht nur die unmittelbaren Umstände des Unfalls eine Rolle, sondern auch die Interpretation und Anwendung relevanter verkehrsrechtlicher Normen, wie zum Beispiel der Straßenverkehrsordnung (StVO). Dabei wird insbesondere untersucht, wie sich die Beteiligten zum Zeitpunkt des Unfalls verhalten haben und inwiefern dieses Verhalten als fahrlässig oder regelkonform eingestuft werden kann. Die Entscheidungen in solchen Rechtsfällen können weitreichende Implikationen für die Schadensregulierung und die Festlegung von Haftungsquoten haben.

Der Verkehrsunfall und die Frage des angemessenen Seitenabstands

Der Fall begann mit einem Verkehrsunfall am 1. April 2021, als der Kläger sein Fahrzeug am Straßenrand parkte und dieses durch die hintere Fahrertür belud. Währenddessen kollidierte das Fahrzeug der Beklagten, welches von einem mittlerweile verstorbenen Halter geführt wurde und bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert war, mit der geöffneten Tür des Klägers. Der Kläger behauptete, die Tür sei nur leicht geöffnet gewesen und nicht in den Verkehrsraum hineingeragt, was für heranfahrende Fahrzeuge erkennbar gewesen sei. Der Unfallgegner sei jedoch mit unzureichendem Seitenabstand vorbeigefahren, habe dabei die Tür beschädigt und sei vom Verkehrsraum abgekommen.

Rechtliche Auseinandersetzung um Schadensersatz

Infolge des Unfalls kam es zu einer rechtlichen Auseinandersetzung über die Schadensregulierung. Der Kläger forderte von den Beklagten 1.567,50 Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten. Die Drittbeklagte hatte bereits einen Teil des Schadens anerkannt und reguliert, jedoch nicht in voller Höhe des geforderten Betrags. Das Amtsgericht Völklingen wies die Klage ab, indem es feststellte, dass ein Verstoß des Klägers gegen die Sorgfaltspflicht beim Ein- und Aussteigen vorlag, wobei die geöffnete Tür fast 45 cm in die Fahrbahn hineingeragt habe. Die Beklagten hätten lediglich nicht genügend Abstand gehalten, jedoch sei kein ausreichender Beweis erbracht worden, dass der angemessene Sicherheitsabstand unterschritten wurde.

Überprüfung und Abänderung des Urteils durch das Landgericht

Das Landgericht Saarbrücken revidierte das Urteil des Amtsgerichts auf Berufung des Klägers. Es wurde anerkannt, dass sowohl Kläger als auch Beklagte grundsätzlich für die Folgen des Unfalls haften. Das Gericht stellte jedoch auch fest, dass der Kläger durch das Öffnen der Tür gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen habe. Entscheidendwar jedoch die Feststellung, dass der Beklagte einen größeren Verkehrsverstoß begangen hatte, indem er den notwendigen Seitenabstand nicht eingehalten hatte. Hierbei wurde betont, dass ein angemessener Seitenabstand erforderlich ist, um die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu vermeiden, insbesondere wenn eine geöffnete Fahrzeugtür vorhanden ist.

Abschließende Beurteilung und Ausgang des Verfahrens

Letztendlich entschied das Landgericht, dass der Verkehrsverstoß der Beklagtenseite den des Klägers überwog. Der Kläger war während des gesamten Verladevorgangs erkennbar, und der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs hätte sich auf die Situation einstellen können. Daher wurden die Beklagten verurteilt, die restlichen Schadensersatzansprüche sowie die vorgerichtlichen Anwaltskosten des Klägers zu tragen. Das Urteil des Landgerichts ist von besonderer Bedeutung, da es die Wichtigkeit des Seitenabstands im Straßenverkehr hervorhebt und klarstellt, dass die Verantwortung für die Vermeidung von Unfällen bei beiden Parteien liegt, insbesondere wenn es um das Vorbeifahren an stehenden Fahrzeugen geht.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was beinhaltet die Sorgfaltspflicht beim Ein- und Aussteigen gemäß § 14 Abs. 1 StVO?

Gemäß § 14 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) in Deutschland muss sich jeder, der ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Regelung gilt nicht nur für den Fahrer, sondern für alle Insassen des Fahrzeugs.

Die Sorgfaltspflicht beim Ein- und Aussteigen umfasst alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen. Der Vorgang des Einsteigens ist erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür beendet, ebenso der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür und dem Verlassen der Fahrbahn. Dies beinhaltet auch Situationen, in denen sich der Insasse eines Kraftfahrzeugs bei geöffneter Tür in das Fahrzeug beugt, um beispielsweise Gegenstände ein- oder auszuladen oder einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen.

Um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer möglichst auszuschließen, sollten Sie stets den Verkehr beobachten. Dies bedeutet, dass sowohl der fließende als auch der stehende Verkehr auf beiden Seiten des Fahrzeugs beachtet werden muss. Wenn sich beispielsweise ein Radweg rechts neben dem haltenden oder geparkten Auto befindet, muss auf den Radverkehr Rücksicht genommen werden. Gleiches gilt natürlich für den Verkehr, der links neben dem Fahrzeug stattfindet und in Bezug auf Fußgänger.

Verstöße gegen diese Sorgfaltspflicht können zu Bußgeldern führen und im Falle eines Unfalls auch zu zivilrechtlichen Ansprüchen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Darüber hinaus kann bei Verletzung einer Person eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung erstattet werden, die eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe nach sich ziehen kann.

Wie wird der angemessene Seitenabstand bei der Vorbeifahrt an stehenden Fahrzeugen rechtlich bewertet?

Die rechtliche Bewertung des angemessenen Seitenabstands bei der Vorbeifahrt an stehenden Fahrzeugen in Deutschland basiert auf den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO). Gemäß § 5 Abs. 4 StVO muss beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere zu Fußgängern und Radfahrern, eingehalten werden.

Beim Vorbeifahren an einspurigen Fahrzeugen wie Fahrrädern oder Motorrädern ist ein Seitenabstand von mindestens 1,5 Metern einzuhalten. Zu fahrenden mehrspurigen Fahrzeugen (Pkw, Lkw) gilt ein Seitenabstand von 1 Meter, zu parkenden von 80 Zentimetern bis 1 Meter.

Wenn der Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern nicht eingehalten wird, kann dies verheerende Folgen haben. Insbesondere Radfahrer leiden darunter, wenn PKW oder LKW ihnen zu nahe kommen.

Die Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Seitenabstands kann zu Bußgeldern führen. Beispielsweise kann das Nichtbeachten des Seitenabstands beim Überholen mit einem Bußgeld von 30 Euro geahndet werden. Wenn durch den nicht ausreichenden Seitenabstand ein Kind, ein älterer Mensch oder ein Hilfsbedürftiger gefährdet wird, erhöht sich das Bußgeld auf 80 Euro und es wird ein Punkt im Fahreignungsregister (Flensburg) vergeben. Wenn durch den nicht ausreichenden Seitenabstand einem Kind, einem älteren Menschen oder einem Hilfsbedürftigen ein Schaden entsteht, beträgt das Bußgeld 100 Euro und es wird ebenfalls ein Punkt vergeben.

Die genauen Abstandsregelungen können je nach Situation variieren, daher ist es ratsam, immer einen sicheren Abstand zu allen Verkehrsteilnehmern zu halten, um die Sicherheit auf der Straße zu gewährleisten und Bußgelder zu vermeiden.

In welchem Verhältnis steht die Haftung der Fahrzeughalter zueinander bei einem Verkehrsunfall nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG?

Die Haftung der Fahrzeughalter zueinander bei einem Verkehrsunfall wird in Deutschland durch § 17 Abs. 1 und 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geregelt. Gemäß § 17 Abs. 1 StVG erfolgt bei mehreren beteiligten Fahrzeughaltern, die einem Dritten zum Schadensersatz verpflichtet sind, ein Innenausgleich auf Grundlage der jeweiligen Verursachungsbeiträge. Dabei werden sowohl die Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge als auch eventuelles Verschulden oder Mitverschulden der Fahrer berücksichtigt.

§ 17 Abs. 2 StVG regelt die Haftung der Fahrzeughalter untereinander, wenn sie einander wechselseitig zum Schadensersatz verpflichtet sind. Auch hier wird der Verursachungsbeitrag der beteiligten Fahrzeughalter herangezogen, wobei der Geschädigte sich seine eigene Betriebsgefahr und eventuelles Verschulden oder Mitverschulden anrechnen lassen muss. Der Anspruch des Geschädigten kann demnach ausgeschlossen, gekürzt oder vollständig bestehen bleiben, abhängig von seinem Verursachungsbeitrag.

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Ein Verschulden des Fahrers wird dem Halter des Fahrzeugs zugerechnet, sowohl in § 17 Abs. 1 StVG als auch in § 17 Abs. 2 StVG.


Das vorliegende Urteil

LG Saarbrücken – Az.: 13 S 8/23 – Urteil vom 10.11.2023

1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.12.2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Völklingen – 16 C 350/21 (11) – wie folgt abgeändert:

a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.567,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2021 zu zahlen.

b) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 198,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2021 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

3. Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über weiteren Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 01.04.2021.

Die Erstbeklagte und der Zweitbeklagte sind die Erben des am 16.08.2021 verstorbenen Herrn —, der zum Zeitpunkt des Unfallereignisses mit seinem von ihm gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug die —in — Richtung — befuhr, als der Kläger sein von ihm gehaltenes Fahrzeug, das am Straßenrand parkte, durch die hintere Tür auf der Fahrerseite belud. Hierbei kam es zu einer Kollision des Beklagtenfahrzeugs mit der am klägerischen Fahrzeug geöffneten Fahrzeugtür. Die Drittbeklagte regulierte ausgehend von einer Schadensteilung den Schaden am klägerischen Fahrzeug in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands von 3.135,00 Euro und einer Kostenpauschale von 25,00 Euro zzgl. der sich aus diesem Betrag ergebenden vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Der Kläger hat behauptet, die hintere linke Tür seines Fahrzeugs sei im Zeitpunkt der Kollision nur leicht geöffnet gewesen und habe nicht in den Verkehrsraum hineingeragt. Dies sei für heranfahrende Fahrzeuge bereits aus einigem Abstand erkennbar gewesen. Der Unfallgegner sei mit unzureichendem Seitenabstand am klägerischen Fahrzeug vorbeigefahren und habe dabei die Tür beschädigt, wobei er hierbei den Verkehrsraum verlassen habe.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 1.567,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei dem 14.07.2021 zu zahlen,

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 198,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2021 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben behauptet, die Tür des klägerischen Fahrzeuges sei plötzlich geöffnet worden, als sich das Beklagtenfahrzeug der späteren Unfallstelle genähert habe. Ein Ausweichen oder Bremsen sei nicht mehr möglich gewesen.

Hinsichtlich der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Amtsgericht Völklingen hat die Klage abgewiesen. Bei der nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG anzustellenden Abwägung der Verursachungsbeiträge überwiege jedenfalls die Beklagtenseite nicht, weswegen aus ihrer Sicht im schlechtesten Fall von einer Schadensteilung auszugehen sei. Die sich daraus ergebende Verpflichtung zum Ersatz der Hälfte des Schadens sei jedoch durch die vorgerichtliche Zahlung bereits erfüllt worden. Auf klägerischer Seite sei ein Verstoß gegen die besondere Sorgfalt beim Ein- und Aussteigen nach § 14 Abs. 1 StVO anzusetzen. Der Kläger habe durch die geöffnete Tür beim Beladen seines Fahrzeuges an der Unfallstelle den vorbeifahrenden, fließenden Verkehr durch das Bereiten eines Hindernisses im Fahrbahnbereich gefährdet. Die Tür habe fast 45 cm in die Fahrbahn hineingeragt. Ein Verursachungsbeitrag des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs in Form eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO liege allenfalls in der Weise vor, dass er nicht ausreichend Abstand zum rechten Straßenrand gehalten habe. Der Kläger habe vorliegend aber keinen Beweis dafür zu erbringen vermocht, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges den angemessenen Sicherheitsabstand unterschritten habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren vollumfänglich weiter. Der Unfallgegner sei mit unzureichendem Seitenabstand am klägerischen Fahrzeug vorbeigefahren und habe sogar den Verkehrsraum verlassen, da sich das klägerische Fahrzeug auf dem Parkstreifen befunden habe. Die geöffnete Tür am klägerischen Fahrzeug sei schon von Weitem erkennbar gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts Völklingen 16 C 350/21 (11) vom 14.12.2022, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 1.567,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2021 zu zahlen,

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 198,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2021 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Die Tür habe eindeutig in die Fahrbahn hineingeragt.

II.

Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, sie ist mithin zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg.

1. Zu Recht ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7, § 17 Abs. 1 und 2 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies wird durch die Berufung auch nicht angegriffen.

2. Ferner ist der Erstrichter zutreffend davon ausgegangen, dass im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander die Ersatzverpflichtung davon abhängt, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1 und 2 StVG).

3. Das Amtsgericht hat auf Klägerseite auch korrekterweise einen Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO in die Abwägung eingestellt.

a) Nach dieser Vorschrift muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist. Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 – VI ZR 316/08 –, juris, Rn. 11). Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt sich nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt, sondern gilt auch für Einsteigevorgänge, bei denen der Einsteigende in der Regel für den fließenden Verkehr erkennbar ist (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 – VI ZR 316/08 –, juris, Rn. 11). Beim Ein- und Aussteigen darf eine Tür deshalb nicht länger offen gelassen werden als unbedingt notwendig und die Fahrbahn ist schnellstmöglich zu verlassen (KG Berlin, Beschluss vom 22. November 2007 – 12 U 199/06 –, juris, Rn. 17).

b) Diese Voraussetzungen liegen vor. Zulasten der Klägerseite spricht schon der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 – VI ZR 316/08 –, juris, Rn. 12), wenn – wie hier – beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt wird.

4. Zu Unrecht hat der Erstrichter jedoch keinen Verstoß der Beklagtenseite gegen § 1 Abs. 2 StVO in Form der Nichteinhaltung eines ausreichenden Seitenabstands angenommen.

a) Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Für die Angemessenheit des Abstandes gibt es kein feststehendes Maß, sie ist abhängig von den jeweiligen Umständen, muss aber zumindest so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten. Der beim Vorbeifahren einzuhaltende Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m. Wie groß der Abstand zu sein hat, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles, wobei es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge ankommt (Kammer, Beschluss vom 12. September 2017 – 13 S 69/17 –, juris, Rn. 6).

b) Demnach ist hier das Abstandsgebot nicht eingehalten. Denn schon nach den Feststellungen des erstinstanzlich tätig gewordenen Sachverständigen, denen sich das Amtsgericht angeschlossenen hat, ragte die Tür des Klägerfahrzeugs – sofern man eine komplette Öffnung unterstellt – höchstens 45 cm (vgl. Bl. 151 d.A.) in den Verkehrsraum. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob nach der persönlichen Anhörung des Klägers sowie der Vernehmung der Zeugin—, welche beide ausgesagt haben, dass die Tür nicht komplett geöffnet gewesen sei, lediglich ein geringerer Teil der Fahrbahn betroffen war. Denn selbst wenn man eine komplett geöffnete Tür unterstellt, betrug der Abstand zwischen dem Körper des klägerischen Fahrzeugs und dem äußersten Rand der geöffneten Tür höchstens 0,95 m (vgl. Bl. 149 d.A., wonach der Abstand zwischen dem Hinterreifen und dem Fahrbandrand ca. 50 cm betrug, und Bl. 151 d.A., s.o.). Zudem ist die Kammer nach den in sich stimmigen Aussagen des Klägers sowie der Zeugin — davon überzeugt, dass sich der Kläger während des gesamten Verladevorgangs der Waffe links – in Fahrtrichtung gesehen – neben seinem Fahrzeug in der geöffneten Tür stehend befand. Weiterhin ist die Kammer aufgrund dieser Aussagen davon überzeugt, dass der gesamte Verladevorgang schon mindestens 10 Sekunden andauerte, bevor es zur streitgegenständlichen Kollision kam, sodass der Kläger aufgrund der gut einsehbaren Straße (vgl. Bl. 148 d.A.) für den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs ohne Weiteres erkennbar war.

c) Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30. Juli 2009 – 12 U 175/08 –, juris, Rn. 35 m.w.N.). Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht (OLG Celle, Urteil vom 4. Dezember 2019 – 14 U 127/19 –, juris, Rn. 49; OLG Hamm, Urteil vom 22. April 2004 – 6 U 240/03 –, juris, Rn. 3; LG Berlin, Urteil vom 22. Januar 2001 – 58 S 194/00 –, juris, Rn. 13). Hier ist letzteres der Fall.

5. Mithin ist beiden Seiten ein Verkehrsverstoß vorzuwerfen. Der der Beklagtenseite anzulastende Verkehrsverstoß überwiegt bei Abwägung der beiden Ursachenbeiträge aber bei weitem. Der Kläger war aufgrund der gut einsehbaren Straße ohne Weiteres zu erkennen. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs konnte sich auch unproblematisch auf die Situation einstellen, da der gesamte Verladevorgang schon mindestens 10 Sekunden andauerte. Gleichzeitig stand der Kläger mit dem Rücken zur Fahrbahn und hantierte in seinem Fahrzeug, sodass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs weder annehmen durfte noch konnte, dass der Kläger die Annäherung des Beklagtenfahrzeugs bemerkt und irgendwelche Maßnahmen ergreift, um die geöffnete Tür näher an sein Fahrzeug zu bewegen und dadurch den Zusammenstoß zu vermeiden. Der Kläger wiederum hat die konkrete Gefahr eines Anstoßes nicht erkannt. Es erscheint verständlich und jedenfalls nicht verwerflich, dass er keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hat und davon ausging, ein sich näherndes Kraftfahrzeug werde die von weitem sichtbare Tür erkennen und sich darauf und die davon ausgehende Unfallgefahr einstellen. Vor diesem Hintergrund überwiegt das unbedachte Verhalten der Beklagtenseite den vom Pkw des Klägers ausgehenden Ursachenbeitrag so sehr, dass die Mithaftung des Klägers trotz des eigenen Verkehrsverstoßes ausscheidet (siehe auch OLG Nürnberg, Urteil vom 24. August 2000 – 8 U 682/00 –, juris, Rn. 9 f.).

6. Danach ergibt sich unstreitig folgende Schadensabrechnung:

Wiederbeschaffungswert: 4.700,00 Euro

abzüglich Restwert: – 1.590,00 Euro

Unkostenpauschale: 25,00 Euro

Gesamt 3.135,00 Euro

Hierauf hat die Beklagtenseite unstreitig einen Betrag in Höhe von 1.567,50 Euro gezahlt, sodass derzeit noch ein Betrag in Höhe von 1.567,50 Euro offen ist.

7. Darüber hinaus kann er gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Erstattung hinsichtlich der ihm entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten aus dem berechtigten Teil seines Schadensersatzanspruchs verlangen (hier: 3.135,00 Euro). Der Anspruch umfasst gemäß §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 RVG VV eine 1,3-Geschäftsgebühr (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2014 – VI ZR 279/13 –, juris, Rn. 20) in Höhe von 361,40 Euro nach Anlage 2 des RVG + 20,00 Euro (Pauschale) + 72,47 Euro (USt) = 453,87 Euro.

Hierauf hat die Beklagtenseite unstreitig einen Betrag in Höhe von 255,85 Euro gezahlt, sodass derzeit noch ein Betrag in Höhe von 198,02 Euro offen ist.

8. Der Zinsausspruch des Klägers folgt aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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