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Verkehrsunfall – Schmerzensgeld bei Unterschenkelamputation

Verkehrsunfall führt zu Teilverantwortung und hohem Schadensersatz

Ein tragisches Ereignis verändert das Leben eines jungen Mannes, geboren am 07.08.1995, maßgeblich. Der Verkehrsunfall, der am 27.08.2015 stattfand, wurde von K., einem Versicherungsnehmer der Beklagten, verursacht. Die Folge: schwere Verletzungen, die den Kläger für immer prägen. Sein linker Vor- und Mittelfuß werden traumatisch amputiert, tiefe Risswunden öffnen Bursa und Kniegelenk und der linke Unterschenkel wird schließlich unterhalb des Knies entfernt. Auf diese Weise wird ein junger Mann zur tragischen Figur in einem weitreichenden juristischen Auseinandersetzungsprozess.

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Kampf um gerechten Schadensersatz

Die Beklagte, eine Versicherung, und der Kläger befinden sich in einem Ringen um den gerechten Schadensersatz und Schmerzensgeld. Es steht unstrittig fest, dass die Beklagte zu 100 % für den unfallbedingten Schaden aufkommen muss. Aber wie hoch soll dieser Betrag sein und inwiefern trägt der Kläger eine Mitverantwortung?

Das Teilen der Gerichtskosten

Das Urteil des OLG München vom 04.03.2021 modifiziert das vorangegangene Urteil des Landgerichts Augsburg vom 09.03.2020. Eine wesentliche Neuerung betrifft die Aufteilung der Kosten des Rechtsstreits. In der ersten Instanz tragen die Beklagte 66 % und der Kläger 34 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden hingegen gegeneinander aufgehoben.

Die Folgen der Körperverletzung und finanzielle Kompensation

Die körperlichen Verletzungen des Klägers sind massiv. Nach einer Reihe von Operationen bleibt ihm ein Leben mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen. Ein erheblicher Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruch entsteht. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 55.525,00 € nebst Zinsen sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 809,20 € zu zahlen.

Feststellung zukünftiger Verpflichtungen

Darüber hinaus stellt das Gericht fest, dass die Beklagte dem Kläger sämtliche weitere materielle und unvorhersehbare immaterielle Schäden ersetzen muss, die aus dem Verkehrsunfall resultieren. Hierunter fallen Schäden, die nicht vorhersehbar waren und über den bereits zugesprochenen Betrag hinausgehen. Allerdings müssen diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Abschluss des Falls und keine Revision

Das Urteil schließt mit der Anmerkung, dass eine Revision gegen das Urteil nicht zugelassen wird. Die Parteien haben die Möglichkeit, die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden. Damit endet ein jahrelanger juristischer Kampf und bringt zumindest eine finanzielle, wenn auch keine körperliche Erleichterung für den Kläger.


Das vorliegende Urteil

OLG München – Az.: 24 U 1682/20 – Urteil vom 04.03.2021

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 09.03.2020, Az. 111 O 4056/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 55.525,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.06.2019 sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 809,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.11.2019 zu zahlen.

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weitere materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Verkehrsunfall vom 27.08.2015 resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte kraft Gesetzes übergehen oder übergegangen sind.

I. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in 1. Instanz haben die Beklagte 66 % und der Kläger 34 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Verkehrsunfall - Schmerzensgeld bei Unterschenkelamputation
(Symbolfoto: belushi/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten um Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 27.08.2015, der von K., einem Versicherungsnehmer der Beklagten, verursacht wurde und bei dem der am 07.08.1995 geborene Kläger schwere Verletzungen erlitt.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte zu 100 % für den unfallbedingten Schaden aufkommen muss.

Der Kläger erlitt bei dem Verkehrsunfall eine traumatische Amputation des linken Vor- und Mittelfußes, eine tiefe Risswunde am linken Bein mit Eröffnung der Bursa und des Kniegelenks, eine Absprengung an der linken Patella und eine Impressionsfraktur des lateralen Femurkondylus. Die Fußverletzung stellte sich laut Arztbrief des Klinikums Augsburg vom 11.09.2015 als mehrfragmentäre offene Fraktur des gesamten linken Fußes mit Luxationen, deutlichen Fehlstellungen, teils fehlenden Knochen und mit ausgeprägten Weichteildefekten dar. Mit der ersten Notfalloperation am Tag des Unfalls versuchten die Ärzte die noch vorhandenen Teile des Fußes und des oberen Sprunggelenks durch eine entsprechende Stumpfbildung zu retten. Allerdings kam es zu fortschreitenden Weichteilnekrosen und einem Infektionsgeschehen im Stumpf. Deshalb folgten am 30.08.2015 und am 01.09.2015 zwei weitere Operationen zur Wundrevision. Es gelang jedoch nicht, die Nekrosenbildung und das Infektionsgeschehen aufzuhalten. Daher wurde in einer weiteren Operation am 02.09.2012 der linke Unterschenkel des Klägers unterhalb des Knies amputiert, so dass noch ein Teil des Schienbeins und ein kurzer Teil des Wadenbeins erhalten blieben. Der Kläger wurde am 14.09.2015 aus dem Klinikum entlassen (vgl. Anlagen K24 – K28).

Nach dem Krankenhausaufenthalt befand sich der Kläger vom 21.09.2015 bis zum 31.10.2012 in Rehabehandlung in der Fachklinik E. Im Rahmen der Reha wurde insbesondere das Programm einer Amputationsgehschule absolviert. Es wurden Probeprothesen angepasst und eine teilweise Mobilisierung des Klägers erreicht (vgl. Abschlussbericht, Anlage K31).

Der Kläger ist wegen des Verlusts des linken Unterschenkels erheblich beim Gehen eingeschränkt. Nach einer Gehstrecke von ca. 1 km muss er eine Pause einlegen. Eine erhebliche Beeinträchtigung besteht bei der sportlichen Betätigung. Der Kläger hat aufgrund der Verletzung den Judosport, den er als Aktiver und Jugendtrainer betrieben hat, aufgegeben.

Hinsichtlich seines aktuellen Gesundheitszustands wird auf das von der Beklagten beauftragte Gutachten der Leitenden Ärztin Dr. B. vom 08.10.2019 (Anlage BLD12) Bezug genommen, das von beiden Parteien anerkannt wird.

Vor dem Unfall stand der Kläger in einer Berufsausbildung zum Kfz-Mechatroniker bei der Firma S. in A. Er konnte die Ausbildung mit einer Verzögerung von einem Jahr im Jahr 2016 wiederaufnehmen und hat sie abgeschlossen. Er wurde vom Ausbildungsbetrieb übernommen und ist dort 36 Stunden pro Woche beschäftigt. Bezüglich der Tätigkeit als Kfz-Mechatroniker besteht eine MdE von 40 %. Der Kläger verfügt über einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 50 und Merkzeichen G. Er beabsichtigt, zum Sommersemester 2021 ein Ingenieurstudium an der Fachhochschule aufzunehmen.

Die Beklagte hat aufgrund des Unfalls eine Reihe von materiellen Schadenspositionen ersetzt sowie dem Kläger am 06.10.2015 einen frei verrechenbaren Vorschuss von 20.000,00 € geleistet (Anlage K10), den sie mit Schreiben vom 27.01.2016 auf das Schmerzensgeld verrechnete; zugleich zahlte sie weitere 10.000,00 € Schmerzensgeld (Anlage K11 = B1). Am 16.02.2016 leistete sie weitere 15.000,00 Schmerzensgeld (Anlage K12 = BLD2), so dass vorprozessual insgesamt 45.000,00 € Schmerzensgeld bezahlt wurden.

Im Schreiben vom 27.01.2016 erklärte die Beklagte: „Vorbehalten bleibt mit Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils die Geltendmachung zukünftiger unfallbedingter immaterieller und materieller Ansprüche im Rahmen der Haftungsquote, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.“

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In einem Schreiben vom 14.04.2016 (Anlage K22), mit dem vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.994,04 € anerkannt wurden, führte sie aus: „Wir bestätigen nochmals unsere 100%ige Haftung.“

Mit der gemäß Schriftsatz vom 23.10.2019 erhobenen Klage machte der Kläger noch folgende Schadenspositionen geltend:

  • Schadensersatz für das beim Unfall zerstörte Motorrad 2.045,00 €
  • Auslagenpauschale 30,00 €
  • Schadensersatz für beim Unfall zerstörte Kleidung, Rucksack und Handy in Höhe von 1.277,78 € abzüglich bezahlter 934,90 €.
  • Mehraufwand für die Anschaffung eines E-Bikes anstelle eines Fahrrads: 500,00 € (nachdem die Beklagte vorprozessual schon 1.200,00 € erstattet hatte)
  • 130.000,00 € Schmerzensgeld, also nach Abzug der Zahlungen weitere 85.000 €.

Zudem beantragte der Kläger die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer materieller und immaterieller Schäden.

Das Landgericht Augsburg hörte den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2020 an. Mit dem angefochtenen Urteil vom 09.03.2020 sprach es dem Kläger zu:

  • Ein weiteres Schmerzensgeld von 35.000,00 €, da insgesamt ein Schmerzensgeld von 80.000,00 € angemessen sei;
  • den Mehraufwand für die Anschaffung eines E-Bikes wie beantragt in Höhe von 500,00 €;
  • eine Auslagenpauschale in Höhe von 25,00 €;
  • weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 606,90 € nebst Zinsen.

Den Feststellungsantrag wies das Landgericht wegen fehlenden Feststellungsinteresses als unzulässig ab. Es sei nicht ersichtlich, welchen Mehrwert ein stattgebendes Feststellungsurteil neben den Erklärungen der Beklagten vom 27.01.2016 und 14.04.2016 (Anlagen K11, K22) habe. Die weiteren materiellen Schadenspositionen wies es mangels Nachweis zurück.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil. Er macht nur noch geltend:

– 130.000,00 € Schmerzensgeld, also nach Abzug der Zahlungen weitere 85.000 €.

Insoweit habe das Landgericht die absehbare künftige Entwicklung des Schadensbildes, insbesondere eine sich entwickelnde Arthrose im linken Knie außer Betracht gelassen. Der Kläger nimmt Bezug auf ein Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24.09.2010, das einem zur Unfallzeit Sechzehnjährigen 150.000 € Schmerzensgeld für die Amputation des Unterschenkels einschließlich Knie zuerkannt hat.

– Schadensersatz für das beim Unfall zerstörte Motorrad 2.045,00 €.

Insoweit sei ein vorprozessuales Gutachten an die Beklagte übermittelt worden, so dass der Schaden unstreitig sei. Das Gericht müsse gegebenenfalls selbst nach § 144 ZPO ein Gutachten in Auftrag geben.

– Weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren auf der Basis von 2,5 Gebühren nach Nr. 2300 VV sowie

– den Feststellungsantrag; das Schreiben der Beklagten vom 27.01.2016 enthalte eine Einschränkung „im Rahmen der Haftungsquote“, die damals noch nicht festgestanden habe. Auch in Zusammenschau mit der Erklärung vom 14.04.2016 sei es nicht eindeutig genug, um das Feststellungsinteresse zu beseitigen.

Der Kläger beantragt:

1. Unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird die Beklagte verurteilt, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere € 52.075,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.06.2019 sowie, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.703,49 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.11.2019 zu zahlen.

2. Unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Verkehrsunfall vom 27.08.2015 resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat mit den Parteien am 11.02.2021 mündlich verhandelt und den Kläger nochmals zu seinem Gesundheitszustand angehört. Ergänzend wird auf das angefochtene Urteil, die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in beiden Instanzen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet.

1. Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags zulässig und begründet.

1.1. Aus den beiden Schreiben der Beklagten vom 27.01.2016 und 14.04.2016 ergibt sich nicht mit ausreichender Sicherheit ein Anerkenntnis weiterer materieller und immaterieller Ansprüche.

a) Das Schreiben vom 27.01.2016 enthält zwar einen Hinweis auf die „Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils“, erkennt aber Ansprüche nicht an, sondern erklärt insoweit nur einen „Vorbehalt“. Zudem enthält es eine Einschränkung „im Rahmen der Haftungsquote“, so dass für den Adressaten nicht feststeht, dass Ansprüche im Rahmen einer Haftungsquote von 100 % zu ersetzen sind.

b) Das Schreiben vom 14.04.2016 bestätigt zwar – trotz der Formulierung „nochmals“ zum ersten Mal – die 100%ige Haftung, enthält aber kein Anerkenntnis von Ansprüchen und keine Erklärung der „Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils“.

c) Zwar kann man unter Umständen aus beiden Erklärungen zusammen ein Schuldanerkenntnis mit entsprechender Wirkung ableiten; eindeutig ist das jedoch nicht. Der Kläger musste sich nicht auf die Ungewissheit einlassen, wie in einem etwaigen späteren Rechtsstreit ein Gericht die beiden Schreiben auslegen würde, falls die Beklagte die Haftung bestreiten oder sich auf Verjährung berufen würde. Damit besteht ein rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO).

1.2. Dass der Feststellungsantrag angesichts der schweren Dauerfolge begründet ist, steht außer Zweifel (vgl. BGH NJW 1998, 160, NJW 2001, 1439, NJW-RR 2007, 601). Da der Kläger mit der Leistungsklage Schmerzensgeld unbeschränkt geltend gemacht hat, ist die Feststellung wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes (BGH, Urteil vom 10. 07. 2018 – VI ZR 259/15 –, Rn. 6, juris) hinsichtlich immaterieller Ansprüche auf nicht vorhersehbare Schäden zu beschränken.

2. Nach Auffassung des Senats steht dem Kläger aufgrund der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld von insgesamt 100.000,00 € zu, so dass ihm nach Abzug der vorprozessual geleisteten 45.000,00 € weitere 55.000,00 € zuzusprechen sind.

2.1. Zunächst hat das Landgericht in vorbildlicher Weise die Einschränkungen geschildert und bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, die der Kläger erleidet. So die Schwierigkeit, alltägliche Vorgänge wie das Aufstehen zu bewältigen, Einschränkungen bei langem Sitzen wie bei Autofahren, bei der beruflichen Tätigkeit etwa beim Heben schwerer Lasten und beim Sport, die zur Aufgabe des Judosports geführt haben; auf das Urteil des Landgerichts (S. 6/9) wird Bezug genommen. Das Landgericht hat auch wiedergegeben, wie es der Kläger erlebt, wenn er im Sommer, etwa beim Tragen kurzer Hosen, angestarrt wird, aber den Eindruck eines pragmatischen jungen Mannes gewonnen, der mit viel Energie und Optimismus sein Leben meistert.

2.2. Dies entspricht durchaus dem Eindruck, den der Senat in der Anhörung gewonnen hat. Gleichwohl ist nicht nur der aktuelle Zustand des Verletzten zu berücksichtigen, sondern das Schmerzensgeld ist unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (vgl. BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 151 ff.; Urteile vom 06. 12. 1960 – VI ZR 73/60, VersR 1961, 164 f.; vom 20. 03. 2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876 und vom 20. 01. 2015 – VI ZR 27/14, VersR 2015, 772).

a) Daher ist zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. B. bei der Untersuchung des Klägers am 02.10.2019 bereits eine Präarthrose am linken Knie und eine Veränderung am Unterschenkelstumpf festgestellt und eine Zunahme der Arthrose als wahrscheinlich angesehen hat. Deshalb sei mit einer Befundverschlechterung zu rechnen. In diesem Zusammenhang stellte sie auch ein deutliches muskuläres Defizit am linken Oberschenkel fest, welches nicht mehr auftrainiert werden könne. Schließlich sei auch wegen der durch knöcherne Umbauvorgänge am Wadenbein verursachten dauernden Druckstellen eventuell noch mit einer weiteren Operation zu rechnen (Anlage BLD12, S. 10/11).

b) Letzteres steht im Zusammenhang mit den vom Kläger in seiner Anhörung vor dem Landgericht angegebenen eitrigen Druckstellen am Stumpf, die äußerst schmerzhaft und unangenehm seien und dann auch aufgingen; dann müsse sich der Kläger zwei bis drei Tage krank melden (Prot. vom 02.03.2020, S. 3 = Bl. 52 d. A.). Auch wenn dieses Problem durch die Anpassung einer neuen Prothese gebessert ist, zeigt es doch, dass die Verletzung jedenfalls punktuell zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers führt. Seine Beeinträchtigung bei der körperlichen Arbeit ist zudem ein maßgeblicher Grund dafür, dass der Kläger in einigen Wochen die Arbeit in seinem Wunschberuf beenden und ein Hochschulstudium aufnehmen wird.

c) Weitere denkbare Folgen, die der Kläger in seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 20.02.2019 angesprochen hat, können demgegenüber nicht berücksichtigt werden, da ihr künftiges Eintreten nicht absehbar ist. Insoweit sieht der Senat in Ausübung des gemäß § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO eingeräumten Ermessens von der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens ab.

Zwar ist ein leichtes Hinken nach links infolge der Beinamputation schon festzustellen (vgl. Bericht der „Gehschule“ als Anlage zum 10. Folgebericht von j. a. vom 12.02.2020, Anlage K46). Eine vermehrte Abnutzung auch der Hüftpfanne auf der linken Seite, die arthrotisch werde und zu Lebzeiten des (mit jetzt 26 Jahren noch jungen) Klägers höchstwahrscheinlich ausgetauscht werden muss (so der Kläger im Schriftsatz vom 20.02.2020, S. 2 = Bl. 46 d. A.), ist aber gerade nicht absehbar. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, dass auch am rechten Knie, der rechten Hüfte und dem Wirbelsäulenapparat durch Fehlbelastung eine Arthrose eintreten könnte.

Ähnliches gilt für die Möglichkeit, dass der Kläger in seinem weiteren Lebenslauf bei Eintritt hinzutretender Belastungen in eine psychische Krise fallen könnte, die ohne die Beinamputation nicht eingetreten wäre (Schriftsatz vom 20.02.2020, S. 3 = Bl. 47 d. A.); Anhaltspunkte dafür (und Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten) gibt es derzeit nicht.

Absehbar ist dagegen, dass der Kläger sein Leben lang – wie er es bisher vorbildlich tut – physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen und sportlich aktiv sein sollte, da andernfalls eine Verschlimmerung zu befürchten ist.

2.3. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind zudem die erheblichen Schmerzen zu berücksichtigen, die der Kläger unmittelbar nach dem Unfall und in den folgenden Wochen erlitten hat, in denen er sich vier Operationen unterziehen musste, ein Krankenhausaufenthalt von 18 Tagen und ein Reha-Aufenthalt von 42 Tagen sowie ein lang dauernde Krankschreibung, die dazu führte, dass er mit einem Jahr Verzögerung die bereits begonnene Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker neu beginnen musste.

2.4. Die vom Kläger zitierte Vergleichsentscheidung des OLG München vom 24.09.2010 – 10 U 2671/10 (vgl. Hacks/Wellner/Häcker/Offenloch, Schmerzensgeld-Beträge Nr. 39.359) betrifft angesichts der Amputation des Beines einschließlich des Kniegelenks einen schwereren Fall. Die Zumessung eines hohen Schmerzensgeldes von 150.000,00 € begründete der 10. Zivilsenat auch damit, dass der Verletzte den Plan aufgeben musste, den Schreinerbetrieb des Großvaters zu übernehmen, sowie mit der durch die Behinderung verursachten Beendigung einer Beziehung und mit dem kleinlichen Regulierungsverhalten der Haftpflichtversicherung. Derartige Umstände liegen hier nicht vor.

Andererseits trifft auch die vom Landgericht herangezogene Vergleichsentscheidung des 27. Zivilsenats des OLG München vom 14.09.2005, das einer beim Unfall 36 Jahr alten Fachärztin wegen des Verlusts des linken Unterschenkels (und einer weiteren Verletzung des rechten Knies, vgl. OLG München, Urteil vom 14. 09. 2005 – 27 U 65/05 –, Rn. 26, juris, Schmerzensgeld-Beträge Nr. 39.353) ein Schmerzensgeld von nur 45.000,00 € (indexiert ca. 55.000 €) zugesprochen hat, einen vom vorliegenden Fall deutlich abweichenden Sachverhalt, schon deshalb weil der Kläger erst 20 Jahre alt war und noch am Anfang seiner beruflichen Ausbildung und seines Erwachsenenlebens stand, als der streitgegenständliche Unfall sich ereignete.

Der Senat hält unter Abwägung der geschilderten Umstände ein Schmerzensgeld von insgesamt 100.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend.

3. Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des geforderten Schadensersatzes für die Zerstörung des Motorrads zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist – auch im Berufungsverfahren – beweisfällig geblieben.

3.1. Der Kläger hat als Beleg lediglich den Schriftsatz des Klägervertreters vom 15.09.2015 (Anlage K1) vorgelegt, indem ein „Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert“ von 2.045,00 € sowie eine Auslagenpauschale von 30,00 € (zusammen 2.075,00 €) gefordert werden. Im Schriftsatz vom 20.01.2020 (S. 4 = Bl. 41 d. A.) hat er den Motorradschaden auf 2.075,00 € beziffert und behauptet, er sei „der Höhe nach belegt durch das Sachverständigengutachten des Sachverständigeningenieur F., aus welchem sich ergibt, dass der Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert sich mit € 2.570,00 errechnet.“ Diesem Schriftsatz lag – im Gegensatz zur Ankündigung – das Gutachten jedoch nicht bei, worauf der Senat in der Ladungsverfügung vom 02.06.2020 (Bl. 126 d. A.) hingewiesen hat. Es liegt bis heute nicht vor.

3.2. Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers hat die Beklagte den Motorradschaden bereits in der Klageerwiderung vom 27.11.2019 (S. 7 = Bl. 28 d. A.) als nicht nachvollziehbar bestritten.

3.3. Eine Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO, etwa mit Hilfe eines von Amts wegen nach § 144 ZPO einzuholenden Sachverständigengutachtens – wie es der Kläger angeregt hat – ist dem Senat nicht möglich. Dem Vortrag des Klägers sind keinerlei Angaben über Typ, Alter und Verbleib des Motorrads zu entnehmen, so dass eine Schätzgrundlage nicht besteht.

4. Ein weiterer Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht in Höhe von 809,20 €.

4.1. Das Landgericht ist von einem Gegenstandswert für das vorgerichtliche Tätigwerden des Klägervertreters von bis zu 120.000,00 € ausgegangen. Der Gegenstandswert beträgt allerdings 136.604,00 €. Er besteht aus folgenden Positionen:

vorprozessual bezahlte materielle Schäden 26.079,00 €

Schmerzensgeldanspruch insgesamt 100.000,00 €

Mehrkosten für die Anschaffung eines E-Bikes 1.700,00 € minus vorprozessual bezahlter (bereits oben a) berücksichtigter) 1.200,00 € = 500,00 €

Feststellungsantrag 10.000,00 € (vgl. Berufungsbegründung vom 09.04.2020, S. 20 = Bl. 113 d. A.).

4.2. Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Ansatz von 2,0 Gebühren nach Nr. 2300 VV angemessen. Zwar hatte die Sache für den Kläger aufgrund der schweren Verletzungen eine besondere Bedeutung. Die Tätigkeit des Klägervertreters überstieg den durchschnittlichen Aufwand nur maßvoll. Die 100 %ige Haftung der Beklagten wurde zwar erst mit dem Schreiben vom 14.04.2016 (Anlage K22) anerkannt; die Beklagte hatte eine Mithaftung des Klägers jedoch auch zuvor nicht geltend gemacht. Keiner der vorgelegten Schriftsätze (K1, 2, 4, 5, 44) umfasst mehr als zwei Seiten.

4.3. Daraus ergeben sich folgende Gebühren aus der Stufe bis zu 140.000,00 € nach der bis zum 31.12.2020 gültigen Gebührentabelle in Anlage 2 zum RVG:

Geschäftsgebühr 2300 VV 1.673,00 € 2,00 3.346,00 €

Portopauschale 7002 VV 20,00 €

3.366,00 €

Umsatzsteuer 7008 VV 19% 639,54 €

Summe   4.005,54 €

Bezahlt sind- 3.196,34 € = 809,20 €

5. Gegen die Zinsentscheidung des Landgerichts erhebt die Berufung keinen Einwand.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

1. Schadensersatz- und Deliktsrecht (BGB § 823 Abs. 1): Der Sachverhalt berührt unmittelbar das Schadensersatz- und Deliktsrecht, insbesondere § 823 Abs. 1 BGB, da der Kläger durch den Verkehrsunfall eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit erlitten hat. Nach § 823 Abs. 1 BGB ist jeder, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, zum Schadensersatz verpflichtet. Im vorliegenden Fall hat der Unfallverursacher die Gesundheit des Klägers verletzt, indem er einen Verkehrsunfall verursacht hat. Dies begründet einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz gegenüber der Beklagten, die als Versicherungsgesellschaft für den Schaden aufzukommen hat.

2. Verkehrsrecht (StVG § 7): In Bezug auf das Verkehrsrecht spielt insbesondere § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) eine Rolle. Diese Norm befasst sich mit der Haftung bei Verkehrsunfällen und besagt, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs verpflichtet ist, den Schaden zu ersetzen, der bei dem Betrieb des Fahrzeugs durch den Tod, die Verletzung eines Menschen oder die Beschädigung einer Sache entstanden ist. Im vorliegenden Fall steht unstrittig fest, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten den Unfall verursacht hat. Daher ist die Beklagte aufgrund ihrer Rolle als Kfz-Haftpflichtversicherer verpflichtet, für den Schaden aufzukommen.

3. Versicherungsrecht (VVG): Das Versicherungsvertragsrecht, insbesondere das VVG (Versicherungsvertragsgesetz), ist ebenfalls relevant. Dieses Gesetz regelt die Beziehungen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung. In diesem Fall hat der Kläger gegenüber der Versicherung des Unfallverursachers Ansprüche geltend gemacht. Die genauen Pflichten der Versicherung, wie zum Beispiel die Regulierung von Schäden, ergeben sich aus den Bestimmungen des VVG.

4. Sozialrecht: Das Sozialrecht kommt ins Spiel, da die zukünftigen materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, die aus dem Unfall resultieren, von der Beklagten ersetzt werden müssen, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind. Hier sind Regelungen wie die Subsidiarität der privaten gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung relevant.

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